Was bedeutet „Immunität“?

Das Wort „Immunität“ bezeichnet seit der Antike ein Freisein von Lasten – im Staat ebenso wie im Körper. Diese doppelte Bedeutung führt mitten hinein in die Frage, warum moderne Parlamente ihren Abgeordneten einen besonderen Verfahrensschutz gewähren.
Titelbild
Leere Abgeordnetenbank.Foto: Cylonphoto/iStock
Von 1. Dezember 2025

fdGO: Diese Abkürzung steht für „freiheitliche demokratische Grundordnung“. Die Begriffe beschreiben unser politisches System, das sich seit der Schaffung des Grundgesetzes – eigentlich sogar unserer Verfassung – im Jahr 1949 grundsätzlich vom System des nationalen Sozialismus (1933–1945) unterscheidet.

Diese Verfassung ist nun nicht vom Himmel gefallen, sondern ist 1948/49 von etlichen Frauen und Männern – meist in rechtlichen Themen bewandert – beim Verfassungskonvent am Herrenchiemsee erarbeitet worden. Ihre Ideen gründeten sich auf Tradition und auf Vorlagen früherer Jahrhunderte, manche Aussagen sind schon im Recht der alten Griechen und Römer zu finden.

Das Recht hat sich immer wieder entwickelt. Manche Tatbestände mussten neu beschrieben werden, so auch im Strafrecht, das bereits vom alten Solon von Griechenland formuliert wurde.

Das heißt, unser Recht mit seinen vielen Bestimmungen und Vorschriften setzt sich aus vielen Meinungen, rechtlichen Anwendungen und auch philosophischen Gedanken vieler Jahrhunderte zusammen. Seit alters her sind uns deshalb Begriffe geläufig, die in früheren Jahrhunderten entstanden sind und, was besonders interessant ist, unterschiedliche Bedeutungen erlangt haben.

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Ein altes Wort mit zwei Bedeutungen

Im Staatsrecht kennen wir Begriffe, die schon bei den alten Römern gebraucht wurden: Konstitution – Verfassung, Legislatur – Gesetzgebung, Judikative – Rechtsprechung, Exekutive – ausführende Gewalt und so weiter.

Diese lateinischen Begriffe wurden meist über die Sprache der Kirche (Latein) in die europäischen Länder übertragen, ja sogar bis in die USA. Manche Begriffe fanden dann unterschiedliche Verwendung, die aber alle auf ihre ursprüngliche Bedeutung zurückzuführen sind.

Die „Immunität“ ist auch ein schillernder Begriff, den wir in den vergangenen Jahren wiederholt in den Nachrichten gehört haben: Aufhebung der Immunität eines Politikers, zum Beispiel von Donald Trump, Netanjahu oder manchen Bundestags- oder Landtagsabgeordneten. Aber auch die Immunitätsschwäche des Körpers.

Wer den Begriff „Immunität“ im Duden nachschlägt, findet folgende Definition: „für bestimmte Krankheiten unempfänglich, gegen Ansteckung, Schädigung o. Ä. gefeit“. In einfachen Worten heißt das, dass wir uns nicht mehr mit einer bestimmten Krankheit anstecken können. Unser Immunsystem verhindert, dass die Krankheit überhaupt erst ausbricht, wenn wir dem entsprechenden Keim ausgesetzt sind. Wir fragen uns: Wie lange bin ich immun? Die Werbung verspricht: „Immunsystem stärken – Medikamente für die Abwehrkräfte“.

Nun haben wir ein Wort mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen.

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Das Freisein von Pflichten

Doch beide Male bezieht sich das Wort „Immunität“ auf die lateinische Vokabel „immunitas“, welche „das Freisein von Pflichten“ (munus = Last) oder „Abwehr“ bedeutet. Es ist im römischen Staatsrecht, im Kirchenrecht, aber auch im Verfassungs- und Völkerrecht geläufig.

Das römische Recht verstand unter „immunitas“ die Freiheit von öffentlichen Lasten, etwa von Vermögensabgaben oder Dienstpflichten. Mit der Ausbildung der christlichen Religion zur Staatsreligion unter Kaiser Konstantin I. genossen Kirche und Klerus Immunität, das heißt, sie waren von Abgaben an den Staat befreit. Ihre Gebäude oder Grundstücke waren vor dem Zugriff weltlicher Macht geschützt. Das heute beanspruchte Kirchenasyl gründet sich auf diese alte Bestimmung.

Ab dem 5. Jahrhundert nach Christi Geburt entwickelte sich eine zweigeteilte „immunitas“: im Kirchenrecht und im weltlichen Recht.

Seit der Zeit der Karolinger um 800 n. Chr. ist die kirchliche Immunität ein vom König, dem Kloster oder dem Bischof verliehener rechtlicher Sonderstatus. Die Klöster des Mittelalters waren immun, das heißt, ihre „immunitas“ durfte nicht von weltlichen Mächten wie Kaiser, König, Herzog oder Graf angetastet werden.

In mittelalterlichen Urkunden wird das an der Grenze zwischen dem Elsass und der Pfalz gelegene Kloster Weißenburg beispielsweise als „Immunitas Wizzemburgensis“ bezeichnet.

Schutz vor Willkür

Noch heute ist in der Verfassung verankert, dass Priester von der Last der Wehrpflicht befreit sind, also immun gegen den Kriegsdienst. Sie müssen sich also nicht um ihre Kriegstüchtigkeit nach unserem Verteidigungsminister Boris Pistorius kümmern.

Häufig wurde die Immunität durch ein mit ihr ausgesprochenes Verbot an alle öffentlichen Amtsträger ergänzt, das Gebiet des Immunitätsherrn zu bestimmten Zwecken zu betreten oder es zu belasten.

Grundlegend für die verfassungsrechtliche Entwicklung der europäischen Staaten wurde die 1215 zwischen dem englischen König Johann und den rebellischen Baronen vereinbarte „Magna Charta“: Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, Recht auf ein faires Verfahren vor Gericht und Beschränkung der königlichen Macht. Sie zwang den König zum Beispiel, die Zustimmung der Barone – des Parlaments – bei der Erhebung von Steuern einzuholen.

Der Genehmigungsvorbehalt zugunsten des Parlaments hat sich herausgebildet und gilt bis zum heutigen Tag. Dieser Parlamentsvorbehalt fand in England Eingang in die Petition of Rights (1628), die Bill of Rights (1689) und hundert Jahre später in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und in die Verfassung von 1781.

Welche Belastungen auf die Bürgerinnen und Bürger zukamen und welche Rechte und Pflichten sie hatten, konnte nun unter Berufung auf diese Vereinbarung verteidigt werden. Wichtig wurden im Laufe der folgenden Jahrhunderte die Sicherung individueller Rechte und der Schutz vor staatlicher Willkür, was den modernen Rechtsstaat auszeichnet.

Mit den Grundsätzen des in England gepflegten Parlamentarismus war auch ein besonderer Schutz der Parlamentarier vereinbart, die der Willkür der Obrigkeit entzogen waren. Sie waren geschützt, also immun.

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Von 1787 bis heute: Warum Parlamente Immunität garantieren

Diese Immunität war in den Verfassungen der Neuzeit garantiert: in Art. 1 Abschnitt 6 der amerikanischen Verfassung von 1787, in Kapitel 1 Abschnitt V Art. 7 und 8 der französischen Verfassung von 1791 und in den Artikeln 44 und 45 der belgischen Verfassung von 1831.

Die vom Volk gewählten Abgeordneten sollten frei ihre Meinung äußern dürfen, ohne durch Anschuldigungen von wem auch immer belastet zu werden. Sie sollten damit nicht unter dem Druck von irgendwelchen anderen Personen ihre politische Auffassung ändern müssen.

Die Paulskirchenverfassung der deutschen und österreichischen Länder von 1849 sowie die Reichsverfassung von 1871 (Art. 31) orientierten sich ebenfalls an dieser Bestimmung. Auch die Weimarer Reichsverfassung von 1919 (Art. 37) garantierte die Immunität der Abgeordneten.

Gemäß Artikel 46 Absatz 2 Grundgesetz besitzen Abgeordnete des Bundestages (Art. 46 Abs. 2 GG) und Mitglieder der Bundesversammlung parlamentarische Immunität, die sie vor der Strafverfolgung, nicht jedoch vor zivilrechtlichen Ansprüchen schützt.

Die Landesverfassungen verfahren für deren Abgeordnete ähnlich. So ist auch der Bundespräsident durch Artikel 60 des Grundgesetzes für die Dauer seiner Amtszeit vor Strafverfolgung geschützt. Ein Immunitätsrecht gilt auch für Mitglieder des Europäischen Parlaments. Für ausländische Diplomaten gilt in Deutschland eine sogenannte Amtsimmunität. Sie sind während der Ausübung ihrer Tätigkeit von der Straf-, aber auch von der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich befreit.

„Strafverfolgungshindernis“

Der Immunitätsschutz soll gewährleisten, dass der Abgeordnete kontinuierlich seine parlamentarischen Pflichten wahrnehmen kann, ohne dass ihn ein laufendes Verfahren dabei ablenkt oder er Auflagen befürchten muss, die seine Freiheit beschränken könnten. Der verfassungsrechtliche Sinn dieser Artikel meint eine Unverletzlichkeit von Amts- oder Mandatsträgern in Gestalt ihres Schutzes vor staatlicher Strafverfolgung.

Dieser Schutz hat keinen absoluten Charakter, sondern endet in der Regel mit der parlamentarischen Zustimmung zu einer Strafverfolgung. Wenn die Immunität mit den Stimmen der Mehrheit der Abgeordneten aufgehoben wird, können gegen Abgeordnete Strafverfahren geführt werden. Die Immunität schützt Abgeordnete also während ihres Mandats vor Strafverfolgung.

Der Bundestag kann sie aufheben, um etwa Ermittlungen oder eine Anklage im Zivil- oder Strafrecht zu ermöglichen. Er kann die Immunität auch wiederherstellen. Die Juristen sprechen bei der Immunität von einem „Strafverfolgungshindernis“. Die Abgeordneten stehen nicht über dem Gesetz, sie sind nicht „immun“ gegen eine Strafverfolgung. Sie ist an eine Voraussetzung, die Genehmigung durch das Parlament, geknüpft.

In einem Urteil aus dem Jahr 2001 hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal betont, dass der Schutz der Abgeordneten vor Strafverfolgung vor allem das Funktionieren des Parlaments sicherstellen soll, etwa vor einer politisch motivierten Verfolgung missliebiger Abgeordneter durch die Exekutive. Es stellte jedoch auch fest, dass der Bundestag „die Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Strafverfolgungsmaßnahmen im Übrigen den Gerichten überlassen darf“.

Was Immunität abdeckt – und wann sie fällt

Grundsätzlich betrifft die Immunität Strafverfahren jeder Art, Anklagen und Strafbefehlserlasse, Zwangsmaßnahmen wie Verhaftungen oder Durchsuchungen sowie bestimmte zivil- oder disziplinarrechtliche Schritte (zum Beispiel Verdacht der Bestechlichkeit, Geldwäsche, Volksverhetzung oder Tätlichkeit). Soll ein Abgeordneter wegen einer mutmaßlichen Straftat angeklagt werden oder soll es zu einer Festnahme, Hausdurchsuchung oder Ähnlichem kommen, so muss die Staatsanwaltschaft zunächst die Aufhebung der Immunität beim Bundestag beantragen. Der Antrag wird beim Bundestagspräsidenten gestellt.

Zunächst befasst sich dann der „Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung“ mit dem Vorgang und legt ihn gegebenenfalls dem Plenum des Bundestages zur Entscheidung vor. Über die Vorlage wird nicht diskutiert. Die Zustimmung gilt nicht als Schuldfeststellung, sondern gibt lediglich den Weg für das Verfahren frei. Worum es geht, erfährt man aus der Vorlage nicht, da der konkrete Vorwurf dort nicht aufgeführt wird. Bei einfachen Fällen wie Verkehrsverstößen oder Blutproben kann der Ausschuss selbst entscheiden.

Werden Abgeordnete allerdings bei einer Straftat ertappt, wird das Parlament nicht tätig. Alina Hoffmann, Geschäftsführerin des Instituts für Geldwäsche- und Korruptions-Strafrecht an der Universität Trier, sagt, das Immunitätsrecht diene „vorrangig dem Schutz der Funktionsfähigkeit des Parlaments und nicht primär dazu, dem individuellen Abgeordneten einen rechtlichen Vorteil zukommen zu lassen“. Es erlischt mit dem Ende der Zugehörigkeit eines Abgeordneten zum Parlament.

Im Staatsrecht der untergegangenen DDR wird das Immunitätsrecht ähnlich beschrieben, allerdings wird betont, die Immunität in bürgerlichen Ländern werde dazu „missbraucht, Abgeordnete der herrschenden Klasse wegen rechtsextremistischer verbrecherischer Tätigkeit oder auch wegen Straftaten in Verbindung mit Bestechungs- und Betrugsaffären der Gerichtsbarkeit zu entziehen“.

Immunitätsaufhebungen im Bundestag: Schutzrecht unter Druck?

Zwischen 1990 und 2018 gab es 84 Fälle der Aufhebung der Immunität, ab 2018 dann 21 und ab der 20. Sitzungsperiode bis 2025 sogar 72. Wie ist dieser Anstieg zu erklären? Die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten kann auch als politische Waffe gegen ihn oder seine Partei verwendet werden. Alina Hoffmann weist darauf hin, dass bereits zu Zeiten der Weimarer Republik darüber diskutiert wurde, das Immunitätsrecht aufzuheben, da ein solches Verfahren bei seinem öffentlichen Bekanntwerden eine negative „Publicity“ nach sich ziehen könne, „die eine politische Karriere durchaus gefährden kann“. Das Parlament dürfe nicht zu Propagandazwecken missbraucht werden.

In der rechtsgeschichtlichen Diskussion legte besonders Wilhelm Raimund Beyer (1902–1990) unter dem Titel „Immunität als Privileg“ im Jahr 1966 eine gedankenreiche und scharfe Auseinandersetzung mit diesem Rechtsinstitut vor.

Anstatt die Werte und Inhalte der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ nach ideologischen Moden definieren zu lassen, fordert Beyer, alle Abgeordneten den für alle Staatsbürger gleichen (Straf-)Gesetzen zu unterwerfen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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