Bundesverfassungsgericht zieht Grenzen für Sitzblockaden: Kein Freibrief für Verhinderung unerwünschter Versammlungen
In Kürze:
- Bundesverfassungsgericht bestätigt Strafbarkeit einer Sitzblockade beim Freiburger Anlassfall von 2015
- Gegendemonstrationen bleiben geschützt – solange sie andere Versammlungen nicht vollständig verhindern
- Gericht betont Bedeutung physischer Präsenz für demokratische Meinungsbildung trotz Social Media
Eine bedeutsame Entscheidung im Bereich des Versammlungsrechts hat das Bundesverfassungsgericht am 1. Oktober in einem zehn Jahre alten Anlassfall aus Freiburg im Breisgau gefällt. In seinem erst am Donnerstag, 13.11., veröffentlichten Beschluss zu 1 BvR 2428/20 hat es die Beschwerde eines Teilnehmers an einer Sitzblockade gegen eine Geldstrafe zurückgewiesen.
Diese war auf der Grundlage von § 21 Versammlungsgesetz (VersG) wegen der „groben Störung“ eines genehmigten Demonstrationszuges ergangen. Die Höhe der Sanktion war mit zehn Tagessätzen zu je 20 Euro minimal. Dennoch hatte der Betroffene eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Genehmigte Zusammenkunft der Piusbrüder durch Sitzblockade gestört
Anlassfall war eine als religiöse Veranstaltung angemeldete öffentliche Versammlung der katholisch-integristischen Priesterbruderschaft St. Pius X. im Jahr 2015. Etwa 100 Teilnehmer wollten dabei auf einer vorgezeichneten Route zum historischen Martinstor marschieren. Mit dem „Schutz des ungeborenen Lebens“ gab es auch ein politisches Anliegen hinter der Kundgebung.
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An die 70 Gegendemonstranten, darunter der Beschwerdeführer, setzten sich auf die Straße und versperrten damit komplett den Zugang. Mehrfachen Aufforderungen der Einsatzkräfte, die Blockade zu beenden, kamen sie nicht nach. Stattdessen versuchten sie, durch das Rufen von Parolen und die Verwendung von Trillerpfeifen und einer Sirene die Versammlung der Piusbrüder zu übertönen.
Die Polizei löste die Blockade versammlungsrechtlich auf und drängte die Teilnehmer an den Rand, um der angemeldeten Versammlung das Weitergehen zu ermöglichen. Die Verzögerung war erheblich. Das Amtsgericht Freiburg verurteilte den späteren Beschwerdeführer wegen „grober Störung“ des Ablaufs einer nicht verbotenen Versammlung. Das OLG Karlsruhe verwarf die dagegen eingelegte Revision.
Versammlungsrechtlicher Schutz
Vor den Strafgerichten und nun auch vor dem Bundesverfassungsgericht hatte der Beschwerdeführer stets argumentiert, er könne nicht strafrechtlich belangt werden. Immerhin sei auch die Gegendemonstration eine von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte Versammlung – und er habe von seiner verfassungsmäßig gewährleisteten Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht.
Dass dies der Fall sei, hat das Bundesverfassungsgericht im Einklang mit seiner früheren Rechtsprechung explizit klargestellt. Bereits mit der Brokdorf-Entscheidung aus dem Jahr 1985 hatte Karlsruhe deutlich gemacht, dass auch nicht angemeldete Kundgebungen der Versammlungsfreiheit unterliegen. Diese sei auch dann zu erhalten, wenn „mit Ausschreitungen durch einzelne oder eine Minderheit zu rechnen ist“.
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Entscheidend für den Charakter als Versammlung im Sinne des Grundgesetzes sei dabei, dass die Zusammenkunft ein „kommunikatives Anliegen“ verfolge. Das bedeute, dass sie einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leisten wolle. Auch wenn sich daneben Elemente der Störung finden, nehme ihr das den Versammlungscharakter nicht automatisch. Lediglich reine Störaktionen ohne eigenes politisches Anliegen seien vom Schutz des Versammlungsrechts nicht umfasst.
Wann das Recht auf eigene Versammlung erlischt
Allerdings stellte das Bundesverfassungsgericht auch klar, dass der versammlungsrechtliche Schutz der Gegendemonstration dort ende, wo es zu einer vollständigen Blockade der ursprünglichen Versammlung komme. Dabei nahm das Gericht auch auf die veränderten Möglichkeiten Bezug, die mit dem Aufkommen von sozialen Medien verbunden seien.
Der Senat betonte, dass „Versammlungen in physischer Präsenz auch in Zeiten von Social Media ein unverzichtbares Instrument der kollektiven Meinungskundgabe bleiben“. Dies sei gerade deshalb von so hohem Belang, weil diese „unabhängig von Algorithmen direkt im öffentlichen Raum wirken“.
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Das Bundesverfassungsgericht machte in konkreten Fällen wie jenem der Kundgebungen von Freiburg auf das Erfordernis einer Interessenabwägung aufmerksam. Das Interesse, eine Versammlung „gerade in einer grob störenden Art und Weise“ abhalten zu können, müsse zurücktreten, sobald es die andere Versammlung faktisch zum Erliegen bringe. Im Beschluss heißt es wörtlich:
„Es ist für den Prozess der freien Meinungsbildung in einem demokratischen Gemeinwesen von zentraler Bedeutung, dass das Recht, seine Meinung gemeinschaftlich mit anderen öffentlich kundzutun, nicht zum Mittel wird, um Menschen mit anderen Überzeugungen an der Wahrnehmung desselben Rechts zu hindern.“
Sitzblockade stellt regelmäßig auch Nötigung dar
Damit machte das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass sowohl der § 21 VersG als solcher als auch dessen Anwendung im vorliegenden Fall verfassungskonform waren. Fälle von Sitzblockaden waren in der Vergangenheit bereits mehrfach Gegenstand nicht nur versammlungsrechtlicher, sondern auch strafrechtlicher Fragen. Dies war beispielsweise auch im Kontext von Blockaden wie jener der „Letzten Generation“ der Fall.
Grundsätzlich können Sitzblockaden nicht nur im Fall einer „groben Störung“ eine strafbare Handlung nach dem Versammlungsgesetz darstellen. Sie stellen nach gefestigter Rechtsprechung auch regelmäßig einen Akt der Nötigung nach § 240 StGB dar. Allerdings kann auch hier vor dem Hintergrund der Versammlungsfreiheit eine Interessenabwägung erforderlich sein. In dieser müssen kurzfristige Störungen möglicherweise hingenommen werden.
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Dass der Versuch, erlaubte Versammlungen vollständig zu verhindern oder zu vereiteln, nicht gerechtfertigt sein kann, hat nun jedoch das Bundesverfassungsgericht klargestellt. Eine längerfristige Blockade kann auch nicht mehr als friedlich betrachtet werden, äußerte Wolfgang Wieland vom Verfassungsgericht NRW gegenüber der „Gießener Allgemeinen“. In einem solchen Fall müsse die Polizei die Ausübung der Versammlungsfreiheit der Ursprungsversammlung schützen. Der Gegenprotest müsse dann „als Hindernis der Versammlungsfreiheit – soweit das der Polizei möglich ist – aufgelöst werden“.
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