Umweltökonom: „Kompensationszertifikate haben kaum zu zusätzlichem Klimaschutz geführt“

CO₂-Zertifikate sind inzwischen ein fester Bestandteil bei Maßnahmen für den Klimaschutz geworden. Der Umweltökonom Benedict Probst vom Max-Planck-Institut hinterfragt jedoch deren tatsächlichen Nutzen für das Klima – und ihre wirtschaftlichen Nachteile für Deutschland.
Titelbild
Viele Unternehmen kaufen sich CO₂-Zertifikate, um ihre Klimabilanz zu verbessern.Foto: Wanan Yossingkum/iStock
Von 10. November 2025

In Kürze:

  • Das neue Klimaziel 2040 lässt zu einem geringen Anteil Emissionszertifikate für den Klimaschutz zu.
  • Der Umweltökonom Benedict Probst kritisiert ihre mangelnde Effizienz im internationalen Rahmen.
  • Ebenso hätten sie Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland, weil dadurch echte Investitionen fehlen würden.
  • Insgesamt sieht der Ökonom Hoffnung in den Preissenkungen von neuen Technologien.

 

Am Mittwoch, 5. November, haben sich die Umweltminister der Staaten der Europäischen Union auf neue Klimaziele verständigt. Demnach sollen die CO₂-Emissionen der EU bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken.

Der Regelung nach sollen ab 2031 bis zu fünf Prozentpunkte davon über Emissionszertifikate aus dem außereuropäischen Ausland erzielt werden können. Eine Zielanpassung gab es zudem bis 2035, wo die Emissionen um 66,25 bis 72,5 Prozent reduziert werden sollen.

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CO₂-Zertifikate in der Kritik

Aus Sicht des Umweltökonomen Benedict Probst, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München, ist der Beitrag von CO₂-Zertifikaten zum Klimaschutz jedoch fragwürdig. Seiner Aussage nach sei diese Möglichkeit „ein klimapolitischer Rückschritt“. Hierzu erklärte er in einem institutsinternen Interview:

„Wenn wir einen wesentlichen Teil unserer Klimaziele durch Auslandszertifikate erfüllen, nehmen wir den Druck von der europäischen Wirtschaft, sich wirklich zu transformieren.“

Mit Blick auf den Verlauf der vergangenen 20 Jahre hätten Klimazertifikate häufig nicht die versprochenen Emissionsminderungen erzielt.

Benedict Probst leitet das Net Zero Lab, eine interdisziplinäre Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München. Foto: privat/Max-Planck-Gesellschaft

Bremse für Deutschlands Wirtschaft

Gleichzeitig betonte Probst die wirtschaftlichen Nachteile, die die CO₂-Zertifikate womöglich mit sich bringen. „Jeder Euro, den wir in fragwürdige Zertifikate stecken, fehlt für Investitionen hier vor Ort.“ Hierzu bezog er sich auf die Bereiche „erneuerbare“ Energien, neue Wärmepumpen, grüner Wasserstoff und die klimaneutrale Industrie.

Besonders im internationalen Vergleich sei dies ein wirtschaftlicher Wettbewerbsnachteil für Deutschland. „Während wir uns mit Kompensationen herausreden, investiert China massiv in genau diese Zukunftstechnologien“, schilderte der Umweltökonom. „Wir laufen Gefahr, den Anschluss an die Schlüsselindustrien des 21. Jahrhunderts weiter zu verpassen. Das ist nicht nur klimapolitisch fatal, sondern auch wirtschaftlich kurzsichtig.“

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Wie viel sind 5 Prozent?

Nun stellt sich die Frage, wie es möglich ist, dass 5 Prozent solch eine große Wirkung auf die Wirtschaft und die Ziele zum Klimaschutz haben können. Dazu erklärte Probst:

„Diese fünf Prozentpunkte klingen harmlos, sind aber gemessen am Zielniveau 2040 gewaltig. Konkret heißt das, dass im Jahr 2040 in der EU 50 Prozent mehr CO₂ emittiert werden darf, wenn die EU das voll ausschöpft.“

In diesem Zusammenhang sieht der Ökonom eine noch größere Gefahr. Denn viele dieser Zertifikate würden ihren eigentlichen Zweck nicht erfüllen. Trotz verbesserter Standards im Handelsmechanismus „bleiben erhebliche Schlupflöcher für fragwürdige Zertifikate“, so Probst.

Kaum zusätzlicher Klimaschutz

Im Weiteren wies Probst darauf hin, dass die für verschiedene Klimamaßnahmen ausgegebenen Kompensationszertifikate in der Vergangenheit kaum zu zusätzlichem Klimaschutz geführt hätten.

„Wenn zum Beispiel in China Windparks gebaut werden, ist das zwar gut für das Klima. Nicht gut ist allerdings, wenn behauptet wird, dass diese Windparks erst durch den Verkauf der Zertifikate finanziert werden konnten“, sagte der Umweltökonom.

Aus mehreren Studien gehe hervor, dass die Zertifikate für die Finanzierungsentscheidungen von Windparks bisher keine Rolle gespielt haben. Anders gesagt: Die Windparks wären auch ohne den Zertifikatehandel entstanden.

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In einer Übersichtsstudie von 2024 hat Probst mit einem Autorenteam 2.346 CO₂-Minderungsprojekte ausgewertet. Das Ergebnis: Diese Projekte haben demnach letztlich weniger als 16 Prozent der von den Projektentwicklern angegebenen Treibhausgase eingespart.

Ein Problem sei hier laut Probst, dass viele Projektentwickler die CO₂-Reduktionen mithilfe von Methoden berechnen, die nicht auf dem neuesten Stand der Wissenschaft sind. Hinzu kämen Fehlanreize bei der methodischen Ausgestaltung der Programme.

Dazu nannte er ein Beispiel aus der Waldbewirtschaftung der USA. Dort würden häufig Flächen eingebracht, auf denen ohnehin schon seit Langem weniger Holz entnommen wird. „Die Reduktionen werden jedoch im Vergleich zu einem regionalen Mittelwert berechnet, der von einer höheren Holzentnahme ausgeht. Sie sind daher stark überschätzt“, teilte der Ökonom mit. „Seitdem sind zusätzliche Studien erschienen, die zu denselben Schlussfolgerungen kommen.“

CO₂-Kompensation für Privatflüge

Probst ging in dem Interview zudem auf den CO₂-Aufschlag für Flugreisen ein. „Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, Flüge für geringe Beträge kompensieren zu können. Fossile Emissionen verbleiben Tausende Jahre in der Atmosphäre und erfordern dauerhafte Entfernungsmaßnahmen“, sagte er.

Es gibt bereits gängige Ansätze wie Waldschutz. Doch laut dem Umweltökonomen seien diese nicht ausreichend. Der Grund: Ihre Wirkung bei Waldverlust, etwa durch Brände, werde schnell zunichtegemacht.

„Es können aber Zertifikate aus den permanenten Entfernungsmethoden wie ‚direct air capture‘ [Anm. d. Red.: Verfahren, um CO₂ aus der Luft zu filtern] gekauft werden, wie sie zum Beispiel das Schweizer Unternehmen Climeworks anbietet“, schlug Probst vor. „Da diese jedoch sehr teuer sind, kann wohl kaum jemand damit seine Emissionen vollständig kompensieren. Man trägt aber zur Weiterentwicklung bei.“

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Ökonom sieht Lichtblicke

Mit Blick auf die gesamte Energiewende sprach Probst auch von Lichtblicken. So fallen die Kosten für die „erneuerbaren“ Energien Wind und Solar und ebenso für Batterien kontinuierlich. Laut dem Ökonomen vollzieht sich dieser Preissturz schneller, als die meisten Prognosen vorhergesagt hätten.

„In den letzten 20 Jahren haben wir die Kostensenkungen im grünen Bereich systematisch unterschätzt. Das macht den Umbau zunehmend attraktiver, auch rein ökonomisch“, sagte er. „Es kann gut sein, dass sich unsere Klimaziele in einigen Jahren leichter erfüllen lassen, einfach weil die Alternativen so viel günstiger werden.“

Stete Veränderungen sieht Probst auch bei den Kompensationsprojekten. Es gebe inzwischen „mehr kritische Augen, strengere Standards, bessere Überwachung“, was die Qualität verbessern könnte. „Aber – und das ist wichtig – die bisherige Evidenz macht keinen Mut zu Optimismus, was Klimazertifikate angeht. Wir sollten unsere Klimastrategie auf echte Emissionsminderungen bauen, nicht auf die Hoffnung, dass Zertifikate diesmal funktionieren.“



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