Alarmstufe Wirtschaft: Deutschland verpasst Chance auf Trendwende

Die deutsche Wirtschaft rutscht tiefer in die Stagnation. Immer mehr Unternehmen planen Stellenabbau statt Investitionen. Die Zeit für eine wirtschaftspolitische Trendwende läuft ab.
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Rauch über dem Werk: Unternehmen kämpfen mit hohen Kosten und Unsicherheit.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 9. November 2025

In Kürze:

  • Wirtschaftliche Stimmung bricht weiter ein: Viele Unternehmen planen Stellenabbau und investieren weniger.
  • Hohe Energiepreise, Bürokratie und Steuerlast belasten den Standort.
  • Zweifel am Reformwillen der Bundesregierung dämpfen die Erwartungen zusätzlich.
  • Ohne entschlossene Strukturreformen droht 2026 ein Wendepunkt für die industrielle Basis Deutschlands zu werden.

 

Deutschland rutscht tiefer in die wirtschaftliche Stagnation. Neue Daten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen, wie ernst die Lage inzwischen ist: Jedes dritte Unternehmen plant im kommenden Jahr, Stellen abzubauen. Nur noch 18 Prozent der Unternehmen in Deutschland denken über Neueinstellungen nach.

In der Industrie sind die Aussichten besonders düster: Laut IW-Umfrage planen 41 Prozent der Betriebe, Stellen abzubauen, während nur jede siebte Firma neue Jobs schaffen will. Insgesamt rechnen drei Viertel der befragten Unternehmen damit, 2026 nicht mehr zu produzieren als heute.

Die Investitionszurückhaltung verstärkt sich ebenfalls: Nur 23 Prozent wollen ihre Investitionen steigern, 33 Prozent sie hingegen reduzieren. Eine so lange Phase negativer Erwartungen habe es laut IW noch nie gegeben. Regional zeigen sich deutliche Unterschiede, mit mehr Optimismus in Norddeutschland und Bayern, während im Nordosten fast die Hälfte der Betriebe von einem Produktionsrückgang ausgeht.

„Stellenabbau statt Wirtschaftswende: Die Unternehmen leiden unter dem großen geopolitischen Stress“, sagt IW-Konjunkturexperte Michael Grömling. Hinzu kämen hohe Energie- und Sozialkosten sowie Bürokratie. „Ohne staatliche Reformen wird es immer unwahrscheinlicher, dass die milliardenschweren Sonderprogramme der Bundesregierung die erhoffte und notwendige Wirkung entfalten“, fasst Grömling die Wirtschaftslage in Deutschland zusammen.

Zweifel an Reformwillen der Bundesregierung drückt Stimmung

Nicht nur das Institut der deutschen Wirtschaft zeichnet ein düsteres Bild der wirtschaftlichen Lage im Land. Auch die Konjunkturdaten spiegeln die düstere Stimmung bei den Unternehmen wider. Das Konjunkturbarometer des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) ist im Oktober deutlich auf 91,1 Punkte gefallen und damit weit von der neutralen 100-Punkte-Marke entfernt.

Die schwächelnde Exportindustrie – belastet durch US-Handelspolitik, Konkurrenz aus China und die schwache Weltwirtschaft – sowie Zweifel an den angekündigten Reformen der Bundesregierung drücken auf die Stimmung.

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Zwar gibt es vereinzelt positive Signale wie stabile Auftragsbestände und einen steigenden Einkaufsmanagerindex, doch die Industrieproduktion ist zuletzt zurückgegangen, das Konsumklima bleibt schwach und der Arbeitsmarkt sendet kaum positive Impulse.

„Die beschlossenen finanzpolitischen Maßnahmen dürften zwar nach und nach Wirkung entfalten und die Binnenwirtschaft ankurbeln, aktuell ist davon allerdings noch wenig zu spüren“, sagt DIW-Konjunkturchefin Geraldine Dany-Knedlik. DIW-Konjunkturexperte  Guido Baldi ergänzt: „Der Weg zum Aufschwung bleibt holprig, auch weil die Weltwirtschaft als Wachstumsimpuls für die exportorientierte deutsche Industrie ausfällt.“

Strukturelle Ursachen seit Jahren bekannt

Unternehmen kämpfen seit Jahren mit hohen Energiepreisen, einer hohen Bürokratielast, die Entscheidungs- und Produktionsprozesse verlangsamt, steigenden Sozialabgaben und einer Steuerlast, die Investitionen unattraktiv macht.

Die KfW-Bankengruppe hat im Januar eine Bestandsaufnahme der Investitionsentwicklung in Deutschland veröffentlicht. „Deutschland droht Gefahr, bei privaten wie öffentlichen Investitionen im internationalen Vergleich abgehängt zu werden“, so das düstere Fazit der Banker. Zuletzt hätten die Unternehmensinvestitionen im vergangenen Jahr preisbereinigt 6,5 Prozent unter dem Niveau von 2019 gelegen.

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Die KfW-Bestandsaufnahme beruft sich auf im Januar aktuelle Unternehmensbefragungen und kommt zum Ergebnis, dass die Energie- und Lohnkosten in der Liste der Investitionshemmnisse bei allen Befragungen weit oben standen. Laut einer in der Bestandsaufnahme veröffentlichten Tabelle gaben bei Umfragen im „KfW Research“ aus dem Mai letzten Jahres 43 Prozent der befragten Unternehmen an, dass „Preise für Energie, Material und Löhne“ für sie Investitionshemmnisse darstellen.

Davor rangierte nur die „Gesamtwirtschaftliche Entwicklung Deutschlands“, die für 45 Prozent der befragten Unternehmen ein Investitionshemmnis darstellt. Im selben Monat gaben in einer Umfrage der Bundesbank 48 Prozent der Unternehmen „hohe Energiekosten“ als Investitionshemmnisse an. 53 Prozent der befragten Unternehmen sehen in einem schlechten „makroökonomischen Umfeld“ ein erhebliches Investitionshemmnis. 30 Prozent sahen eine „hohe Abgaben- und Steuerlast“ als Investitionshemmnis.

Gegenüber dem ifo-Institut gaben in der Befragung „Der Investitionsstandort Deutschland aus Unternehmenssicht“ im letzten Jahr sogar 80 Prozent der Unternehmen an, dass Energiekosten für sie ein Investitionshindernis ist. Höher rangierten mit 90 Prozent nur „Regulierungsdichte / Bürokratie“ auf der Negativliste der Unternehmen.

In der „EIB-Investitionsumfrage 2023 – Deutschland“ gaben damals gegenüber der Europäischen Investitionsbank (EIB) sogar 89 Prozent der befragten Unternehmen die Energiekosten als Investitionshindernis an. Mit 92 Prozent war es nur noch der Fachkräftemangel, der von den Unternehmen damals gegenüber der EIB als Investitionshindernis angesehen wurde.

Deutschland gehört zu den Schlusslichtern der Industriestaaten

Deutschland gehört mit Platz 17 im aktuellen Länderindex der Stiftung Familienunternehmen erneut zu den Schlusslichtern unter den 21 wichtigsten Industriestaaten. Zwar schneidet Deutschland beim Indikator „Finanzierung“ weiterhin gut ab, doch bei Steuern, Arbeitskosten und Produktivität sowie insbesondere bei der Regulierung gehört der Standort zu den schwächsten im Vergleich.

Hohe Steuerkomplexität, teure Arbeit, unterdurchschnittliche Produktivität und ein stark regulierter Geschäftsbetrieb belasten Unternehmen. Bei Infrastruktur und Energie fällt das Bild gemischt aus: Während die digitale Infrastruktur besser geworden ist, bleiben die Energiepreise im internationalen Vergleich sehr hoch.

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Die Forscher des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die die Studie erstellt haben, empfehlen deshalb umfassende Reformen mit einer „wirklich spürbaren Senkung der effektiven Steuerbelastung“ und einer deutlichen Verbesserung der Investitions- und Innovationsanreize.

„Die Nachrichten, die wir aus den Familienunternehmen bekommen, decken sich mit den katastrophalen Standortnoten unseres Länderindex“, sagt Professor Rainer Kirchdörfer von der Stiftung Familienunternehmen in einer Pressemitteilung. „Die Politik hat in Teilen verstanden, dass dem mit mehr Schulden und Subventionen nicht beizukommen ist. Die klaren Empfehlungen der Forscher kann sie nun nicht mehr ignorieren.“

Die Einschätzung Kirchdörfers stammt aus dem Januar 2025, also vor der Bundestagswahl und dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD.

Mehr Abschreibungen, weniger Aufbruch?

Seit ihrem Amtsantritt hat die von Bundeskanzler Friedrich Merz geführte Bundesregierung ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen vor allem auf Investitionsanreize, Bürokratieabbau und die Stärkung industrieller Schlüsselbranchen ausgerichtet. Am 21. Juli 2025 hat die Bundesregierung ein sogenanntes „Investitionssofortprogramm“ beschlossen.

Auf der Website der Bundesregierung heißt es dazu, man wolle damit „die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland“ stärken. „Wir machen Deutschland fit für die Zukunft und stärken vor allem die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts“, sagte der Bundeskanzler damals.

Unter anderem kündigte die Regierung damals eine degressive Abschreibung von bis zu 30 Prozent für Unternehmensinvestitionen an. Mit diesen und auch den anderen Maßnahmen, so heißt es auf der Website der Bundesregierung, soll „die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland“ gestärkt werden.

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Bei der Kabinettsklausur zur Modernisierungsagenda kündigte die Bundesregierung zudem umfassende Schritte zur Vereinfachung von Genehmigungs- und Verwaltungsverfahren an, um „Planen und Bauen schneller und einfacher“ zu machen. Beim gestrigen „Stahlgipfel“ betonte Bundeskanzler Merz dann noch einmal die strategische Bedeutung energieintensiver Schlüsselindustrien und erklärte:

„Wenn wir in der Stahlindustrie beweisen, dass wir die Transformation schaffen, dann schaffen wir das auch in den anderen Branchen. Scheitern wir in der Stahlindustrie, werden wir insgesamt scheitern. Wir waren uns darin einig, dass wir uns dieses Scheitern nicht erlauben wollen. “

Subvention statt Strukturreform

Dabei setzt die Bundesregierung auf Subventionspolitik, wie beispielsweise beim Industriestromtarif. Anfang November kündigte Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche im Rahmen der Pressekonferenz der Veranstaltung „Friends of Industry“ an, dass ab dem 1. Januar 2026 ein Industriestrompreis eingeführt werde. Die Zahlungen sollen rückwirkend mit dem Haushalt 2027 erfolgen. Nach Angaben der Ministerin befinden sich die Verhandlungen mit der Europäischen Kommission dazu in der Endphase.

Die Merz-Regierung greift damit eine Idee ihrer Vorgängerregierung auf, die auch schon über einen subventionierten Industriestrom diskutiert hatte. In einem Sondergutachten der Monopolkommission aus dem Jahr 2023 wurde diese Maßnahme allerdings schon kritisch gesehen. Die Kommission warnt vor einem „dauerhaften Subventionswettbewerb“, wie etwa durch ein „Subventionssystem für Industriestrom“. Politische Ziele müssten im „Wettbewerb der Akteure und ohne direkte staatliche Eingriffe erreicht werden“, so die Monopolkommission in ihrem damaligen Gutachten.

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Vor drei Tagen erschien das aktuelle Sondergutachten der Monopolkommission. Ohne den Industriestrom zu nennen, mahnt die Kommission in ihrer Pressemitteilung deutlich in Richtung Bundesregierung zu „stärkeren Anstrengungen beim Umbau der Energiesysteme“. Tomaso Duso, der Vorsitzende der Monopolkommission, macht weiter deutlich:

„Nur wenn wir die Ursachen der hohen Energiepreise angehen, können wir dauerhaft etwas erreichen. Das Lindern von Symptomen genügt nicht.“

Detailregulierung und lange Abstimmungsprozesse

Der Energiemarkt ist ein Symptom, das für das gesamte Handeln der politisch Verantwortlichen im Wirtschaftsbereich in den vergangenen Jahren steht: Während die USA mit dem „Inflation Reduction Act“ aktiv Zukunftsinvestitionen anziehen und Länder wie Kanada, Schweden oder die Niederlande gezielt Fachkräfte fördern und steuerlich entlasten, verliert sich Deutschland in Detailregulierung und langen Abstimmungsprozessen.

Der politische Reformstau hat mehrere Ursachen: In der Koalition liegen die Prioritäten auseinander, zugleich fürchtet die Regierung soziale Konflikte, während die enge Haushaltslage und eine vorsichtige fiskalpolitische Grundhaltung tiefgreifende Strukturreformen bremsen. Für die Unternehmen bleibt damit das zentrale Problem ungelöst: Es fehlt an verlässlicher Planungssicherheit.

Wenn die Bundesregierung ihre Reformpläne weiter aufschiebt, könnte 2026 nicht nur ein Jahr des Stellenabbaus werden, sondern ein Wendepunkt für die Zukunft des Industriestandorts. Die Daten senden ein deutliches Warnsignal. Das Zeitfenster für eine Kurskorrektur ist begrenzt. Es braucht nun eine klare Agenda: weniger Bürokratie, verlässliche Energiepolitik, steuerliche und regulatorische Entlastungen sowie schnellere Genehmigungs- und Investitionsprozesse. Die Frage ist nicht, ob Deutschland handeln muss. Die Frage ist, wann und ob die Zeit zum Handeln noch reicht.



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