Bildungsexpertin: Pflichtfach „Deutsch lernen“ soll Sprachlücken schließen

In Kürze:
- Bildungsexpertin Nele McElvany plädiert für ein Pflichtfach „Deutsch lernen“ an Schulen.
- Willkommensklassen hätten sich laut Studien als wenig wirksam erwiesen.
- Politik zeigt sich uneins: SPD betont Integration, Union warnt vor Überlastung
- Ziel: Bessere Sprachkompetenzen für alle Kinder – unabhängig von Herkunft
Vor dem Hintergrund wachsender Herausforderungen bezüglich des Spracherwerbs an deutschen Schulen hat eine Bildungsexpertin für ein Ende sogenannter Willkommensklassen plädiert. An deren Stelle soll ein reguläres Schulfach „Deutsch lernen“ treten. Dies hat die Leiterin des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Dortmund, Nele McElvany, in der „Rheinischen Post“ gefordert.
Willkommensklassen haben zu keiner Verbesserung der Lesekompetenzen geführt
McElvany ist auch die Leiterin der sogenannten Iglu-Studie. Diese „Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung“ wird alle fünf Jahre mit Kindern der vierten Jahrgangsstufe durchgeführt. Zuletzt erschien im Mai 2023 eine Auswertung. In dieser hieß es, dass etwa ein Viertel der Kinder am Ende der vierten Klasse nicht das erforderliche Kompetenzniveau im Lesen erreiche. Dies lasse eine erhebliche Verschlechterung gegenüber der zuvor veröffentlichten Studie von Ende 2017 erkennen.
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Besonders gravierend seien die Unterschiede im Spracherwerb vor allem zwischen Muttersprachlern und Kindern anderer Herkunftssprache. Deshalb schlägt McElvany vor, „Deutsch lernen“ zum regulären Schulfach auszubauen.
In gleicher Weise wie eine feste Anzahl an Stunden in Fächern wie Mathematik auf dem Lehrplan stehe, müsse es eine für deutschen Spracherwerb geben. Diese seien an Grundschulen und weiterführenden Schulen zu etablieren. Das Fach wäre als zusätzliches Angebot gedacht für alle schulpflichtigen Kinder, die Unterstützung beim Erwerb der deutschen Sprache benötigen.
Separierung als kontraproduktiv wahrgenommen
Neben Kindern mit sogenanntem Migrationshintergrund wären das auch Muttersprachler aus bildungsfernen Lebenszusammenhängen. Maßstab solle dabei jeweils die Fähigkeit sein, mit den gegebenen Sprachkenntnissen dem Regelunterricht adäquat zu folgen.
Das Fach wäre kein klassisches Freifach oder Zusatzangebot, da die Teilnahme für die Zielgruppe verpflichtend wäre. Allerdings könnten auch Kinder das Angebot freiwillig besuchen, wenn sie oder ihre Eltern Optimierungspotenzial beim Spracherwerb erkennen.
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McElvany sieht in dem Konzept eine sinnvolle Alternative zu Formen der Separierung von Muttersprachlern und Förderbedürftigen. Eine solche findet beispielsweise in Form der derzeitigen Willkommensklassen statt. Zu diesen griffen Kultusministerien regelmäßig in Anbetracht der Fluchtbewegungen seit 2015 und 2022.
Nur für ein Jahr gedacht – in der Praxis aber häufig längerer Verbleib
In diese Klassen gehen meist Kinder von Flüchtlingen oder neu Zugewanderten, die noch über keine oder nur geringe Sprachkenntnisse verfügen. Die meisten von ihnen befinden sich im Alter zwischen 8 und 18 Jahren. Für jüngere Kinder ist regelmäßig keine getrennte Beschulung in Förderklassen während der Schulanfangsphase vorgesehen.
Zwar sind auch die Willkommensklassen nicht als Dauerlösung gedacht. Der Aufenthalt dort soll dem Konzept zufolge ein Jahr nicht überschreiten, anschließend ist eine Teilnahme am Regelunterricht vorgesehen. Allerdings ist es letzten Endes der individuelle Fortschritt im Spracherwerb, der den Ausschlag dahingehend gibt, wie lange der Verbleib in den Willkommensklassen dauert.
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Die zweimal jährlich verfassten Lernstandsberichte sind de facto vorentscheidend hinsichtlich des Zeitpunkts für den Wechsel in eine Regelklasse. Bis dahin nehmen die Kinder nur in Fächern wie Kunst, Musik oder Sport am Regelunterricht teil. In den meisten Schulen sind auch Schulpflichtige mit einer Altersspanne von bis zu fünf Jahren in einer Willkommensklasse untergebracht.
Bildungsexpertin sieht Wartezeiten und Lernbedingungen als problematisch
McElvany äußert, die Willkommensklassen hätten sich, wie Studien aus den vergangenen Jahren zeigten, als wenig zielführend erwiesen. Ehemalige Schüler aus Willkommensklassen hätten auch Jahre später immer noch schlechtere Sprachkompetenzen als jene, die man direkt in den Regelunterricht integriert habe. Gleiches gilt für Schulpflichtige, die sehr lange auf einen Schulplatz warten mussten. Dies sei nicht selten der Fall, so die Bildungsforscherin:
„Diese Wartezeiten sind in Deutschland relativ lang. Im Schnitt liegen sieben Monate zwischen Ankunft und dem ersten Schulbesuch, was natürlich heißt, einige warten auch sehr viel länger.“
In manchen Bundesländern fehlt es einer Recherche des „Mediendienstes Integration“ aus dem Jahr 2022 zufolge immer noch an strukturierten Lehrplänen für die Willkommensklassen – und an ausreichend qualifizierten Lehrkräften.
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Die Koalitionsparteien im Bund sind sich bezüglich der Weiterführung von Willkommensklassen nicht einig. Gegenüber der „Welt“ äußerte die SPD-Bildungssprecherin Jasmina Hostert, diese seien „gut gemeint“ und ein zielführendes Instrument für Erwachsene. Grundsätzlich gelinge Sprachförderung jedoch am besten, wenn Kinder „aktiv gefordert werden, die deutsche Sprache zu sprechen“. Dies sei nur bei einer Integration in den Regelunterricht in bestmöglicher Form zu gewährleisten.
CDU und CSU sehen „faktische Grenzen des Machbaren“ – und halten an Willkommensklassen fest
Unionsvizefraktionschefin Anja Weisgerber hingegen befürchtet eine zu große Belastung für den Regelunterricht. Deshalb halte man es für angebracht, Kinder bereits vor der Einschulung mit den notwendigen Sprachkenntnissen auszustatten. Dazu müsse man das Sprachlevel mithilfe von Sprach- und Entwicklungstests bei Vierjährigen feststellen und notfalls die Einschulung herauszögern.
Auch digitale Lernplattformen sollten in diesem Kontext genutzt werden. Weisgerber warnt gleichzeitig vor zu hohen Erwartungen. Am Ende komme es auf die Mitwirkungsbereitschaft der Betroffenen an:
„Es gibt faktische Grenzen des Machbaren – und die hohe Zuwanderung überlastet eben teilweise auch unsere Bildungs- und Schullandschaft.“
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