Razzia im EU-Parlament, AfD-Daten, Dissidenten: Die Akte Jian G.

Es ist ein Fall wie kein anderer in Deutschland. So beschrieb Bundesanwalt Stephan Morweiser den Prozess um einen „besonders gravierenden“ Fall von Spionage. Im Fokus stehen Jian G., ein deutscher Staatsbürger mit chinesischer Herkunft, sowie die mitangeklagte Chinesin Yaqi X.
Der Anklage zufolge lieferte Jian G. über Jahre hinweg Daten an den chinesischen Geheimdienst, darunter hochsensible Dokumente aus dem EU-Parlament, vertrauliche Informationen über AfD-Spitzenpolitiker und Daten über Oppositionelle in Deutschland.
Einige dieser Unterlagen sollen geeignet gewesen sein, Rückschlüsse auf militärische Fähigkeiten der Bundeswehr sowie auf außen- und sicherheitspolitische Absichten Deutschlands zuzulassen.
Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Dresden ist auf 13 Verhandlungstage angesetzt.
Am Mittwoch, 3. September, sagte AfD-Politiker Maximilian Krah als Zeuge aus. Er erklärte, von den Spionagevorwürfen gegen seinen früheren Mitarbeiter nichts gewusst zu haben. Dass G. für ihn China-Reisen organisiert hatte, bestätigte er. Bei einer Frage machte Krah von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.
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Die folgende Chronik rekonstruiert den Fall – von Jian G.s frühen Jahren in Dresden und seiner Mitgliedschaft in der SPD bis zu seiner Tätigkeit als Krahs Assistent und dem laufenden Verfahren wegen mutmaßlicher Spionage.
Der Beitrag wird fortlaufend aktualisiert.
2002: Beginn mutmaßlicher Spionagetätigkeit
Jian G. soll laut Anklage des Generalbundesanwalts 2002 begonnen haben, in Deutschland für einen chinesischen Geheimdienst zu agieren. Über die nächsten Jahre hinweg soll er im In- und Ausland Informationen für Peking gesammelt haben, bevor er in Deutschland ins Visier der Ermittler geriet.
Zu seinen mutmaßlichen Aufgaben gehörten, Informationen über die Arbeit des Europäischen Parlaments zu sammeln, Daten aus der AfD-Führung zu erfassen und chinesische Dissidenten in Deutschland auszuspähen.
Kontakte zu Falun Gong
Während seines Aufenthalts in Dresden suchte Jian G. den Kontakt zu Praktizierenden der buddhistischen Meditationsschule Falun Gong. Ein Praktizierender erinnerte sich, dass G. nur unregelmäßig an den Übungsgruppen teilnahm. Schon früh sei in der Gruppe der Verdacht aufgekommen, er könne Verbindungen zum chinesischen Geheimdienst haben. Daher verhielt man sich ihm gegenüber zurückhaltend.
Seit 1999 werden Falun-Gong-Praktizierende in China brutal verfolgt. Auch im Ausland setzt die Kommunistische Partei Chinas ihre Bemühungen fort, sie zu überwachen. Ziel ist es unter anderem, Informationen über Angehörige in China zu sammeln, um auf diese Weise Druck auszuüben.
SPD-Mitgliedschaft
Jian G. war „einige wenige Jahre Mitglied in der SPD“, wie der ehemalige Generalsekretär Kevin Kühnert in der ntv-Sendung „beisenherz“ bestätigte. Er habe allerdings keine wichtige Funktion innerhalb der Partei gehabt. 2015 trat G. aus der SPD aus, bevor er 2019 Mitarbeiter des AfD-Politikers Maximilian Krah wurde.

Der Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah (AfD) sagt im Prozess gegen seinen ehemaligen Mitarbeiter als Zeuge aus. Foto: Robert Michael/dpa
Eine kurze Liebesaffäre
Yaqi X., mitangeklagte mutmaßliche Komplizin, kam 2015 zum Studium nach Deutschland. Jian G. habe über die chinesische App WeChat Kontakt zu ihr aufgenommen. Nach einer kurzen Liebesbeziehung blieben beide mit einer längeren Unterbrechung in Kontakt. X. selbst ist Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas. Laut einer Einlassung, die ihre Anwältin im Oberlandesgericht verlas, sei sie allerdings nicht an Politik interessiert.
2019: Neuer Job im Herzen Brüssels
Im Mai 2019 wurde der AfD-Politiker Maximilian Krah in das Europäische Parlament gewählt. Im September 2019 holte er laut Anklageschrift Jian G. als persönlichen Assistenten in sein Brüsseler Abgeordnetenbüro.
G. und Krah kannten sich aus Dresden, wo der damalige Geschäftsführer Mandant von Krahs Kanzlei war. Krah sagte gegenüber „Spiegel TV“, er schätzte G.s Sachkunde in Handelsfragen und hat ihn deshalb später als Fachreferenten eingestellt.
Gegen Krah selbst ermittelt inzwischen die Generalstaatsanwaltschaft Dresden in einem separaten Verfahren. Es geht demnach um den Vorwurf der Geldwäsche und der Bestechlichkeit als Mandatsträger im Europäischen Parlament. Krah soll Geld aus China angenommen haben. Der 48-jährige Krah wies die Vorwürfe als „absurd und politisch motiviert“ zurück. Noch gibt es keine Anklage. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Abgesperrter Eingang zum Europäischen Parlament in Brüssel: Deutsche Ermittler durchsuchten am 7. Mai 2024 das Büro des AfD-Abgeordneten Maximilian Krah im Rahmen von Spionagevorwürfen gegen seinen ehemaligen Mitarbeiter. Foto: Jeremy Audouard/AFPTV/AFP via Getty Images
2023: Mutmaßliche Komplizin
Von August 2023 bis Februar 2024 soll Jian G. nach Erkenntnissen der Ermittler Unterstützung von einer mutmaßlichen Komplizin erhalten haben. Die chinesische Staatsangehörige Yaqi X. räumte vor dem Oberlandesgericht ein, ab 2023 vertrauliche Informationen über Flüge, Fracht und Passagiere des Flughafens Leipzig/Halle an G. weitergegeben zu haben. Die 39-Jährige arbeitete für ein Logistikunternehmen, das unter anderem an dem Flughafen tätig ist.
Laut Bundesanwaltschaft waren die von X. übermittelten Informationen „dazu geeignet, Rückschlüsse auf militärische Fähigkeiten der Bundeswehr, Erkenntnisse zur Verlegung von militärischem Personal sowie auch zu außen- und sicherheitspolitischen Absichten der Bundesrepublik Deutschland zu offenbaren“.
G. soll die Daten zum Zweck der Weiterleitung an den chinesischen Geheimdienst aufbereitet und schriftlich kommentiert haben.
Januar bis Mai 2023: Oppositionelle im Fokus
Zudem soll Jian G. laut Bundesanwaltschaft versucht haben, die Identität chinesischer Oppositioneller in Deutschland zu ermitteln, indem er sich als Kritiker der kommunistischen Staatsführung ausgab.
In München traf er im Januar 2023 einen chinesischen Studenten der „White Paper“-Bewegung, einer Protestbewegung gegen die damalige restriktive Corona-Politik der KPCh. G. bemühte sich vergeblich, den Namen des Studenten herauszufinden. Im April nahm G. Kontakt zu einem weiteren chinesischen Studenten auf und erlangte Angaben zu dessen Herkunft.
Ferner soll er Informationen über das von Exilchinesen betriebene Magazin „MangMang“ gesammelt haben. Dabei habe er sich als Vertreter einer chinesischen Dissidentenorganisation ausgegeben, um an Angaben über die Betreiber des Magazins zu gelangen.
Januar 2024: Die AfD-Sammlung
Jian G. legte eine Sammlung mit persönlichen Informationen zu Führungspersonen der AfD an. Am 7. Januar 2024 soll er ein Gespräch mit einem AfD-Bundestagsabgeordneten zusammengefasst haben, das Einschätzungen zur „Stellung“ führender Personen der Partei enthielt. Ein weiteres Dokument soll ein Gespräch mit Maximilian Krah wiedergegeben haben, in dem es unter anderem um eine FBI-Befragung Krahs sowie um die Rolle der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla gegangen sei.
2024: China-Reise
Am 11. Januar 2024 soll Jian G. nach Angaben der Bundesanwaltschaft mit einem Mitarbeiter des chinesischen Geheimdienstes telefoniert haben. Dabei berichtete er diesem über den Stand eines „Dringlichkeitsverfahrens“ sowie über Entscheidungsprozesse im EU-Parlament.
Während eines zweiwöchigen Aufenthalts in China im Februar 2024 soll G. Unterlagen aus dem EU-Parlament, auf die er dienstlich Zugriff hatte, auf einem USB-Stick gespeichert haben. Diese habe er anschließend an chinesische Geheimdienststellen übergeben, so die Anklage.
Im März 2024 soll G. ein Word-Dokument auf Chinesisch erstellt haben. Darin wertete er insgesamt 81 Beschlüsse des EU-Parlaments aus und lieferte Informationen zu Themen wie Menschenrechten, Politik und Sicherheit sowie Wirtschaft, Handel und Investitionen.
22. April 2024: Jian G.s Verhaftung
Die Festnahme von Jian G. am 22. April 2024 fiel mitten in die heiße Phase des Europawahlkampfs. Zu diesem Zeitpunkt war Maximilian Krah Spitzenkandidat der AfD. G.s Verteidiger erhob in diesem Zusammenhang den Verdacht, die Festnahme seines Mandanten sei politisch motiviert gewesen.
Krah erklärte selbst, erst aus den Medien von der Festnahme erfahren zu haben, und entließ daraufhin seinen Mitarbeiter.
Die Bundesanwaltschaft teilte einen Tag nach der Festnahme mit, G. sei verdächtig, „geheimdienstliche Agententätigkeit“ für den chinesischen Geheimdienst betrieben zu haben. Einsatzkräfte durchsuchten seine Wohnungen nach Beweismaterial.
30. September 2024: Yaqi X.s Verhaftung
In Leipzig wird auch Yaqi X. von der Polizei festgenommen. Ihre Wohnung und ihr Arbeitsplatz wurden durchsucht. Beide Beschuldigten sitzen seitdem in Untersuchungshaft.
29. April 2025: Anklage
Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Jian G. und Yaqi X. vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden.
5. August 2025: Prozessauftakt
Vor dem Oberlandesgericht Dresden begann am 5. August der Strafprozess gegen Jian G. und Yaqi X.
G. selbst schwieg zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger erklärte am ersten Prozesstag, die Tätigkeit seines Mandanten sei nicht auf die Weitergabe von Informationen ausgerichtet gewesen. Er habe sich auch nie dazu bereit erklärt. Es werde sich zeigen, ob sein Mandant „007 oder lediglich 08/15“ sei.
Als Assistent in Krahs Büro sei der Angeklagte vorwiegend mit dem Thema Außenhandel beschäftigt gewesen, so der Anwalt. Zu seinem Aufgabenfeld zählten demnach wegen seiner Herkunft und seiner Sprachkenntnisse auch die Beziehungen zu China. In diesem Rahmen habe er Gespräche geführt. Dass seine Gesprächspartner Verbindungen zu einem chinesischen Geheimdienst gehabt hätten, sei nicht auszuschließen.
Yaqi X., die den Angeklagten G. nach eigenen Angaben in Deutschland kennenlernte und mit dem verheirateten Mann eine kurze Liebesbeziehung führte, sagte vor Gericht, er habe sich für militärische Informationen interessiert und teilweise regelrecht darauf gedrängt.
Sie habe manchmal auch Zweifel gehabt, aber „ich wusste und weiß auch heute nicht, dass er Spion ist“.
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3. September: Krah als Zeuge
Am 3. September sagte der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah vor dem Oberlandesgericht Dresden als Zeuge aus.
Er erklärte, in seinem damaligen Büro im Europäischen Parlament habe das gesamte Team Zugriff auf seinen persönlichen Account gehabt. Von diesem aus hätten alle Mitarbeiter und auch der Angeklagte Jian G. auf Dokumente, E-Mails und Termine zugreifen können. Aufgaben wie etwa die Verwaltung von Zugriffsrechten habe er an sein Team delegiert. „Ich hasse dieses ganze Zeugs“, sagte Krah.
Von der mutmaßlichen Spionagetätigkeit seines früheren Mitarbeiters G. habe er nach eigener Aussage nichts gewusst und erst durch Medienberichte von dessen Festnahme erfahren. Auch von offizieller Seite sei er zuvor „nicht gewarnt“ worden.
Zu möglichen Zahlungen von G. machte Krah keine Angaben und berief sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht.
Auf die Frage, warum er G. in seinem Büro eingestellt habe, verwies Krah auf dessen praktische Erfahrungen im Import-Export-Geschäft sowie auf seine Sprachkenntnisse. Die Handelsfirma von G. hatte Krah in früheren Jahren als Anwalt in Dresden vertreten.
Der AfD-Politiker bestätigte, dass G. für ihn China-Reisen organisierte und ihn in Fragen des Außenhandels unterstützte. Ob Menschenrechtsentschließungen zu Falun-Gong-Praktizierenden oder Uiguren Thema zwischen ihm und G. waren, daran könne sich Krah nicht erinnern.
Weitere Verhandlungstermine:
4. September
8. September
10. September
15. September
16. September
23. September
30. September
(Mit Material der Nachrichtenagenturen)
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