Chinas Säulen der staatlichen Kontrolle: Von Massenmobilisierung bis digitale ID

Während China unermüdlich nach Wegen sucht, seinen Machtbereich geopolitisch auszuweiten, baut das Regime im Inneren emsig am vollendeten Überwachungsstaat. Ein neuer Bericht des Berliner Mercator Institute for China Studies gibt neue Einblicke in die weniger auffälligen Bereiche des Kontrollsystems.
Titelbild
Ein Deko-Teller mit Chinas oberstem Führer Xi Jinping in einem Souvenirladen neben dem Tian’anmen-Platzt in Peking.Foto: Greg Baker/AFP via Getty Images
Von 11. September 2025

In Kürze:

  • Überwachungs– und Kontrolldystopie in China.
  • Die Entwicklung vom Nachbarschaftskomitee bis zum „allsehenden Auge“.
  • Social Governance: Aktueller MERICS-Bericht analysiert den Einfluss von Ideologie.
  • Die Geister der Kulturrevolution von Xi Jinping entfesselt.

 

Überwachung und Kontrolle werden im kommunistischen China immer weiter vervollkommnet. Das Regime von Staats- und Parteichef Xi Jinping nutzt dabei sowohl die althergebrachten Methoden der Mao-Zeit als auch den technologischen Fortschritt in seiner dystopischsten Form.

Das Berliner Mercator Institute for China Studies (MERICS) ist eine führende private Forschungseinrichtung, die sich auf die Erforschung des modernen China und seiner globalen Auswirkungen, insbesondere auf Europa, spezialisiert hat. In einem neuen Bericht widmet sich das Forschungsinstitut den umfassenden Methoden von Xi Jinping und dem Regime, um die Ideologie der Partei noch tiefer in der Seele der Bevölkerung zu verankern.

Von Maos Dorfkomitees bis zum heutigen Skynet-System

Bald schon nach der Staatsgründung 1949 installierte Mao Zedong einen umfassenden Kontrollapparat, der auf unterster Ebene Nachbarschafts- und Dorfkomitees umfasste, mit denen sich die Bevölkerung gegenseitig überwachen sollte – während sie selbst von übergeordneten staatlichen Straßenbüros kontrolliert wurde.

Vor einigen Jahren kam die sogenannte gitterbasierte Verwaltung hinzu, eine Art Schnittstelle zwischen diesen Ebenen der Überwachung. Deren sogenannte Grid-Manager entsprechen etwa einem Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei im früheren DDR-Kontrollsystem.

Bei der Überwachung des Landes und der Bevölkerung durch die Partei setzt diese nicht nur auf die bewährten Behörden wie Polizei, Geheimpolizei oder die Ministerien Staatssicherheit und Öffentliche Sicherheit oder das berüchtigte, Gestapo-ähnliche Büro 610 zur Verfolgung von Falun-Gong-Praktizierenden. Sondern vermehrt setzt das Regime auch auf digitale Überwachung, Big Data und KI.

Seit 2005 bildet das Skynet-System einen technologischen Überbau aus mittlerweile mehr als 700 Millionen Überwachungskameras. Mit ihm können die Behörden Menschen per Gesichtserkennung und sogar anhand ihrer Gangart identifizieren, überwachen und verfolgen – hauptsächlich im städtischen Bereich. Skynet erinnert namentlich an die sich verselbständigende KI-Monströsität der in China beliebten amerikanischen „Terminator“-Filme. Dies bildet eine beängstigende Referenz, die – wie manche Experten behaupten – von chinesischer Seite wohl bewusst gewählt wurde.

Jeder kann zum Überwacher werden

Mit dem darin im Jahr 2016 eingeführten Überwachungssystem „Sharp Eyes“ („Scharfe Augen“) schließen Xi Jinping und die Partei eine Lücke und lassen Pekings „allsehendes Auge“ bis tief ins ländliche Gebiet des riesigen Reiches wandern. Es handelt sich dabei nicht nur um ein bloßes Überwachungssystem.

„Sharp Eyes“ bindet die lokale Bevölkerung mit in den staatlichen Überwachungsapparat ein. Jeder kann zum Überwacher werden und die Gesellschaft wird dazu gebracht, sich selbst zu überwachen. Nach offizieller Lesart der chinesischen staatlichen Nachrichtenagentur „Xinhua“ bekämpft „Sharp Eyes“ „Kriminalität, erhält die öffentliche Ordnung und stärkt kontinuierlich das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“.

Das System nutzt öffentliche, gewerbliche und private Überwachungskameras. Diese sind zum einen mit den Behörden verbunden, zum anderen können Bürger über ihr TV-Gerät auf Kameras in ihrer Gegend zugreifen, die Umgebung kontrollieren und ihre Beobachtungen per Knopfdruck auf der Fernbedienung oder über eine Überwachungs-App der Polizei melden.

Damit wird „Sharp Eyes“ zum sozialen und gemeinschaftlichen Arm der Überwachung, wie es sich schon durch Maos Nachbarschaftskomitees seit 1949 analog bewährt hat.

Der Staat kennt seine Bürger besser als diese sich selbst

Zu diesem System der totalen Kontrolle und Überwachung gehört auch das seit 2014 eingeführte sogenannte „Sozialkreditsystem“, ein schwer durchschaubares Geflecht an Regelungen zur Kontrolle, Analyse, Bewertung und Einstufung der Bürger und der Unternehmen.

Damit sich die Chinesen dennoch sicher und geborgen fühlen, werden sie zudem im Internet bestmöglich von westlichen Einflüssen abgeschottet – und zugleich überwacht. „Golden Shield“ – Chinas große Firewall – „bewahrt“ die Chinesen seit 2003 vor unbequemem Wissen, indem Internetnutzer daran gehindert werden, viele ausländische Websites zu besuchen.

[etd-related posts=“5151320,3707875″]

Neu im Portfolio der Überwachung ist die digitale ID für das Internet. Onlinenutzer hinterlegen bei den Behörden ihre IP-Adresse, ihren Klarnamen, einen Gesichtsscan und weitere persönliche Daten. Die Informationen werden zentral erfasst und laufen mit weiteren Informationen des Bürgers zusammen (Big Data).

Bislang wurden solche Identifikationen hauptsächlich von Internetunternehmen vorgenommen, nun zieht der Staat dieses Instrument an sich, inklusive der digitalen Fußabdrücke der Person wie Einkaufsverhalten, Vorlieben, Schwächen, soziale Kontakte, Standort und Bewegungsmuster – und natürlich politische Kommentare und Suchanfragen.

Die digitale ID wird zunächst auf freiwilliger Basis vergeben. Dadurch verringert sich der mögliche anfängliche Widerstand der Bevölkerung und die Bürger gewöhnen sich an die Technologie als neuen Teil ihres normalen Alltags – bevor es dann verpflichtend wird.

Lao Dongyan, Juraprofessorin der renommierten Tsinghua University, schrieb im August 2024 bei Ankündigung der Cyber-ID einen Internetbeitrag, der mittlerweile gelöscht wurde:

Demnach bestehe der wahre Zweck der ID darin, „das Onlineverhalten der Menschen zu kontrollieren“ – und zwar unter dem Deckmantel des Informationsschutzes. „Das Netzwerk-ID-System ist gleichbedeutend mit der Installation eines Überwachungsgeräts für jedermanns Onlineverhalten“, so Lao. „Alle digitalen Spuren, ein­schließlich des Browserverlaufs, können leicht gesammelt werden.“

[etd-related posts=“4821581,5121311″]

Die Mobilisierung der Massen

Der neue MERICS-Bericht fügt ein weiteres wichtiges Puzzleteil zum ganzheitlichen Verständnis der umfassenden Kontrolle der Kommunistischen Partei Chinas über Land und Leute hinzu.

Der mit Förderung der Europäischen Union erstellte Bericht trägt den Titel „Dem Volk dienen, indem man es kontrolliert: Wie die Partei ihren Einfluss auf das Alltagsleben zurückgewinnt“. Er wirft einen Blick auf das Vorgehen des Obersten Führers Xi Jinping, die Präsenz der Kommunistischen Partei Chinas an der Basis auszubauen.

Dafür benutzt das Regime unter anderem ein neues Modell der Social Governance. Damit macht sich der sprichwörtliche Bock selbst zum Gärtner.

Vergleicht man die Gesellschaft mit einem Garten, so sieht sich der Staat darin als Gärtner. Er bestimmt, welche Pflanzen wachsen dürfen (gewünschtes Verhalten und Ideen), gießt und düngt und fördert sie. Die anderen hingegen, das „Unkraut“ (unerwünschte Meinungen und Verhaltensmuster), werden gejätet, um die „guten“ Pflanzen nicht zu stören.

[etd-related posts=“3887199,3740067″]

In dieser neuen Social Governance verbindet das Regime die Mobilisierung der Massen aus der Mao-Ära mit der digitalen Überwachung und parteigeführter Bereitstellung von Dienstleistungen, erklären die Autoren des Berichts:

„Bei diesem Modell geht es nicht nur um Repression, sondern darum, die Gesellschaft so zu formen, dass sie die Normen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) verinnerlicht.“

Wie die Autoren von MERICS in ihrer Analyse herausfanden, beaufsichtigt das Regime mittlerweile einen „Partei-Staat-Apparat, der größer, besser organisiert und mit mehr Ressourcen ausgestattet ist als je zuvor“ – und Xi Jinping schreitet weiter voran, um die „Präsenz der KPCh in privaten Unternehmen, städtischen Gemeinschaften und Dörfern weiter auszubauen“.

So solle ein Komplex von Institutionen wie das im Jahr 2023 gegründete Central Society Work Department, die Hegemonie der Partei in der Gesellschaft fördern, die Partei in neue Sektoren der Wirtschaft, der Arbeitswelt und der Freiwilligenorganisationen zurückführen, „die sich zuvor ihrer Reichweite entzogen hatten“.

„Die Modernisierung der sozialen Governance durch den Parteistaat verschmilzt die Verbesserung sozialer Dienstleistungen mit einer verschärften politischen Kontrolle.“

Xi Jinping entfesselt Geister der Kulturrevolution

Zudem werde die politisch-ideologische Bildung gefördert. Das Ziel dahinter sei es, „die Vielfalt politischer Ansichten und Bemühungen zur Selbstorganisation zu verhindern“. Auf lokaler Ebene flössen die „Bemühungen zum Parteiaufbau, patriotische Kampagnen und politische Kontrolle“ zusammen, um Funktionäre, Bürger, Unternehmer und die Jugend zu mobilisieren. Man wolle damit eine „von der Partei definierte Vision“ für die chinesische Gesellschaft unterstützen.

Wie die MERICS-Autoren feststellen, werden „enorme Ressourcen in die Formung der Gesellschaft und den Ausbau der Überwachung an der Basis investiert“. Das System stütze sich dabei auf Altbewährtes wie die Fengqiao-Erfahrung aus den frühen 1960er-Jahren, eine Methode, sogenannte „Klassenfeinde“ durch die lokale Bevölkerung mithilfe von Kampfsitzungen „umzuerziehen“.

[etd-related posts=“5163767,5112306″]

Diese Idee wurde durch Xi Jinping 2013 wiederbelebt. „Bitter Winter“, ein Onlinemagazin über Religionsfreiheit und Menschenrechte in China, schrieb dazu: „Die wiederbelebte Technik der Kulturrevolution aus den 1960er-Jahren stellt Massen gegen Massen, Bruder gegen Bruder, Glaube gegen Glaube.“ Die Werbung für die Fengqiao-Erfahrung habe bei vielen Personen mit historischer Erinnerung ernsthafte Sorgen ausgelöst, so das Magazin, „weil damit Geister der Kulturrevolution geweckt werden“.

Wie MERICS schreibt, ziele der neue Governance-Ansatz des Regimes darauf ab, „die Bereitschaft der chinesischen Gesellschaft zum Kampf sicherzustellen“.

Zwar habe sich die Kombination aus Fürsorge, ideologischer Überzeugung und Zwang als wirksam erwiesen, um „die soziale Fragmentierung und Dissens in Schach zu halten“. Es sei jedoch ein anspruchsvolles und kostspieliges Unterfangen.

„Die Einbeziehung der Gesellschaft insgesamt erfordert erhebliche personelle Ressourcen und bedeutet nicht, dass es eine vollständige Zustimmung und Verpflichtung gibt. Trotz sinkender Staatsfinanzen muss die Partei weiterhin spürbare Vorteile liefern, insbesondere für jüngere Generationen.“

Doch was, wenn das Regime aufgrund wirtschaftlicher und damit auch finanzieller Engpässe nicht mehr liefern kann?



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion