Der russisch-ukrainische Krieg: Chinas blutiges Klassenzimmer

In einem alten chinesischen Gleichnis pickt ein Reiher am Ufer einer seichten Bucht an einer offenen Muschel, um an ihr Fleisch zu gelangen. Die Muschel schnappt plötzlich zu und klemmt den langen Schnabel des Vogels ein. Beide kämpfen verbissen, jeder in dem Glauben, den anderen bezwingen zu können – bis ein vorbeikommender Fischer mühelos sein Netz auswirft und beide einfängt.
Heute scheint dieses Gleichnis auf schmerzhafte Weise in der Realität Gestalt anzunehmen: In der Ukraine tobt ein blutiger Krieg zwischen Russland und der Ukraine, während Peking, weit entfernt am anderen Ende Eurasiens, ruhig das Netz bereithält.
Als Wladimir Putin im Frühjahr 2022 seinen Angriff auf die Ukraine startete, rechnete er mit einem raschen Sieg. Die Regierung in Kiew sollte in wenigen Wochen stürzen, Europa würde sich mit einer neuen russischen Machtsphäre arrangieren. Doch der ukrainische Widerstand, gestützt durch massive Waffenlieferungen aus den USA und Europa, verwandelte den Krieg in einen langen, erbarmungslosen Abnutzungskampf – einen Krieg, in dem Artillerie, Präzisionsraketen, elektronische Kriegsführung und Drohnenschwärme das Gesicht moderner Gefechte prägen.
Für Peking wurde dieser Krieg unverhofft zu einem einzigartigen „blutigen Klassenzimmer“. Die Volksbefreiungsarmee Chinas hat seit dem kurzen, verlustreichen Grenzkrieg gegen Vietnam 1979 keine großangelegte, hochintensive militärische Auseinandersetzung mehr geführt. Zwar hat sie Demonstrationen der Macht in Xinjiang und Tibet durchgeführt, doch die realen Bedingungen eines modernen, technologisch komplexen Krieges sind damit nicht vergleichbar.
So entschied man in Peking, direkt vor Ort zu lernen. Laut der „Kyiv Post“ vom 24. Juni 2025 hat China inzwischen rund 600 Offiziere und Militärangehörige nach Russland geschickt, um dort Kampferfahrungen zu sammeln und Schulungen zu durchlaufen.
Der taiwanische Verteidigungsanalyst Dr. Shen Ming-shih vom Institute for National Defense and Security Research erklärt: „Diese 600 sind keine gewöhnlichen Soldaten. Wahrscheinlich stammen sie aus Eliteeinheiten des Heeres, der Marine, der Raketentruppen oder der elektronischen Kampfführung und sollen als Keimzellen für die Ausbildung zu Hause dienen. Es ist gut möglich, dass es nur die erste Welle ist und China gleichzeitig Ingenieure und Geheimdienstler entsendet, um nahe der Front oder in russischen Ausbildungszentren die modernste Kriegstechnik zu studieren.“
Ströme von Geheimdiensten: Chinas Agenten in Russland
Diese Analyse deckt sich mit den Informationen aus einem Bericht der „New York Times“ vom 9. Juni 2025, wonach interne russische Dokumente nachweisen, dass seit Beginn des Krieges zahlreiche chinesische Geheimdienstmitarbeiter unter dem Deckmantel der strategischen Partnerschaft nach Russland eingereist sind. Sie nutzen Sondergenehmigungen, um sich Zugang zu Waffendepots, Forschungseinrichtungen und Truppenübungsplätzen zu verschaffen.
Ihr Ziel ist es, aus nächster Nähe zu beobachten, wie Russland mit westlichen Waffen wie HIMARS, Leopard-Panzern oder Patriot-Systemen konfrontiert ist, wo es Fehler macht und welche Gegenmaßnahmen es entwickelt. Gleichzeitig sollen Schwächen bei der Logistik, der Truppenführung und der elektronischen Verteidigung detailliert dokumentiert werden.
Russland weiß das durchaus. Doch Moskau ist wirtschaftlich und diplomatisch zunehmend von Peking abhängig – allein schon wegen der Öl- und Gasexporte und der chinesischen Technologie. So hat es sich notgedrungen auf einen stillschweigenden Deal eingelassen: Man liefert Peking Zugang zu wertvollen Kampferfahrungen, im Gegenzug bleibt China als wichtiger wirtschaftlicher und politischer Rückhalt bestehen. Für Peking bedeutet das, eine moderne Kriegsführung im realen Einsatz zu analysieren, ohne eigenes Blut zu vergießen.
Schatten über Taiwan und eine europäische Gefahr
Alle diese Bemühungen zielen letztlich auf Taiwan. Die umfassenden Modernisierungsprogramme der Volksbefreiungsarmee – vom Ausbau der amphibischen Landungsverbände bis zur Integration von Drohnenschwärmen, Cyber- und Antisatellitenwaffen – haben ein klares Ziel: die Option, Taiwan mit militärischen Mitteln zu unterwerfen, sollte Peking dies eines Tages beschließen.
In Europa hingegen wähnen sich viele weit entfernt von dieser Bedrohung. Für die meisten Deutschen gilt der Krieg in der Ukraine als direkte Herausforderung für die Sicherheit in Europa. Taiwan hält man jedoch für ein fernes asiatisches Problem. Geografie scheint hier ein trügerisches Gefühl von Unbeteiligtheit zu schaffen.
NATO-Generalsekretär Mark Rutte, früher niederländischer Premierminister, hat dazu jedoch eine eindringliche Warnung ausgesprochen. Laut einem Bericht von „The Independent“ vom 26. Juni 2025 betonte er, Chinas militärische Aufrüstung erhöhe „signifikant die Wahrscheinlichkeit, dass Peking eines Tages eine militärische Lösung in der Taiwanfrage anstrebt“. Noch gravierender sei jedoch die geopolitische Kettenreaktion:
Falls es in der Taiwanstraße zu einem Konflikt kommt, ist es äußerst wahrscheinlich, dass Russland gleichzeitig in Europa Unruhe stiftet, um die NATO zu spalten und Ressourcen zu binden. Darum müssen wir vorbereitet sein. Das ist keine Frage der Freiwilligkeit. Jeder NATO-Staat trägt Verantwortung.“
Sollte Russland also parallel einen neuen Brandherd in Osteuropa entfachen, etwa im Baltikum oder am Schwarzen Meer, wäre die NATO gezwungen, an zwei Fronten gleichzeitig zu reagieren. Spätestens dann wäre auch Deutschland tief in eine Krise verwickelt, deren Ausgang weit über Asien hinaus Auswirkungen hätte.
Der Fischer, der sein Netz still vorbereitet
Peking drängt nicht auf eine kurzfristige Konfrontation, sondern baut Schritt für Schritt seine militärische Stärke aus, sammelt Erfahrungen, optimiert Taktiken, testet Drohnen, Raketen und elektronische Angriffe. Die 600 entsandten Offiziere sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche arbeitet Peking daran, alles aus dem russisch-ukrainischen Krieg zu lernen – bis hin zu psychologischen Operationen und hybriden Angriffsmustern.
Das Netz ist bisher nicht ausgeworfen, aber der Fischer prüft es bereits, verstärkt die Knoten, flickt Risse – und wartet auf den günstigsten Moment.
Viele Europäer betrachten Taiwan als zu weit entfernt, als dass es eine Gefahr für ihre Sicherheit sein könne. Doch moderne geopolitische Verflechtungen lassen Entfernungen schrumpfen. Jede Taktik, die China jetzt auf russischem Boden lernt, wird eines Tages möglicherweise gegen Taiwan angewandt. Und wenn Taiwan fällt oder in einen Krieg verwickelt wird, könnte Russland sofort einen Nebenschauplatz in Europa eröffnen, um die NATO zu überfordern. Das befürchtet zumindest NATO-Generalsekretär Mark Rutte.
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