Wenn ein Staat Wahrhaftigkeit fürchtet

Xing Z. hatte sich auf das Schlimmste vorbereitet – Gefängnis, politische Umerziehung, staatliche Repressalien. Sie erinnert sich: Von ihrem Studentenwohnheim bis zur Polizeistation der Universität waren es keine 500 Meter, an jenem Tag kam ihr der Weg jedoch ungewöhnlich lang vor.
Eine weibliche Stimme riss sie aus ihren Gedanken: „Wo gehst du hin?“ Es war eine Dozentin, die ihren Weg kreuzte. Xing schwieg. Die Frau sprach weiter – über das, was alle in jenen Tagen bewegte: „Es lohnt sich nicht, wegen eines Glaubens alles zu verlieren.“ Xing hörte ihr zu – und schwieg. Dann setzte sie ihren Weg fort.
An der Polizeistation angekommen, überreichte sie dem Polizeichef einen handgeschriebenen Brief. Dieser öffnete ihn, überflog die Zeilen und sah sie mit weit aufgerissenen Augen an. Hastig griff er zum Telefon – vermutlich sprach er mit einer höheren Dienststelle.
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Über Nacht zur Ausgestoßenen
Was den Polizeichef so aus der Fassung brachte, war kein Mord, kein Verbrechen, kein politisches Manifest– es war ein persönliches Glaubensbekenntnis.
Vor fast genau 26 Jahren hat sich Xings Leben um 180 Grad gewendet. „Über Nacht war ich ein Mensch zweiter Klasse geworden – eine Ausgestoßene“, erzählte sie. Weil sie Falun Gong praktizierte, durfte sie seit dem 20. Juli 1999, dem Beginn der Verfolgung dieser Praktik in China, nicht mehr an Seminaren teilnehmen.
Ihre Mitbewohnerin und Freundin wurde beauftragt, sie rund um die Uhr zu überwachen und alle Informationen weiterzugeben. Wer mit Xing sprach, landete auf einer schwarzen Liste. Und so traute sich niemand mehr, mit ihr in Kontakt zu kommen. Die soziale Isolation zermürbte sie.
Xings Geschichte ist dabei nur eine von vielen unter den Falun-Gong-Praktizierenden.
Ein Glaube, der zu groß wurde
Falun Gong ist eine buddhistische Meditationsschule, die Lehren zur Selbstverbesserung mit meditativen Übungen verbindet. Im Mittelpunkt stehen drei Grundwerte: Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht.

Die drei Prinzipien von Falun Dafa sind Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit, Nachsicht. Foto: Epoch Times
In den 1990er-Jahren schätzte Chinas Staatsfernsehen die Zahl der Praktizierenden auf bis zu 100 Millionen – mehr als die Mitgliederanzahl der Kommunistischen Partei Chinas. Falun Gong tritt selbst nicht politisch auf, ist aber unabhängig und damit aus Sicht der KPCh potenziell gefährlich.
So startete die Partei unter der Führung des damaligen Staatschefs Jiang Zemin eine Verfolgungskampagne gegen Falun Gong. Er gab den dreifachen Befehl: „Zerstört ihren Ruf, ruiniert sie finanziell und vernichtet sie physisch!“ und setzte damit den gesamten Staatsapparat Chinas in Bewegung.

Falun-Gong-Praktizierende machen im Jahr 1998 gemeinsam Übungen in Guangzhou in der chinesischen Provinz Guangdong. Foto: minghui.org
Doch wie konnte die KPCh eine so große Bevölkerungsgruppe verfolgen, ohne dabei einen Aufstand zu riskieren? Hinter all dem steht ein lang erprobtes System.
Tatsächlich setzte die KPCh bereits während der zehnjährigen Kulturrevolution (1966 bis 1976) vergleichbare Maßnahmen ein. Abweichende religiöse oder politische Gruppen wurden damals als gefährlich und staatsfeindlich diskreditiert. Auf diese Weise erreichte das kommunistische Regime gesellschaftliche Zustimmung – oder zumindest Gleichgültigkeit – gegenüber seinen repressiven Maßnahmen.
Anfang einer andauernden Verfolgung
Dies erfuhr Xing nun am eigenen Leib. Sie kommt aus einer angesehenen Ärztefamilie. Ihr Vater pflegte gute Beziehungen zu hochrangigen Beamten und zum Rektor ihrer Universität.
Mitunter war das ein Grund, weshalb die Polizei sie bereits nach einem Tag und einer Nacht wieder gehen ließ, nachdem sie sich offen zu Falun Dafa und den drei Prinzipien Wahrheit, Güte und Nachsicht bekannt hatte. Aber es war nicht das Ende, sondern nur der Anfang einer andauernden Verfolgung. Der größte Schmerz ist für sie, dass diese Verfolgung ihre Familie auseinandergebracht hat.
Eigentlich hatte Xing ein sehr gutes Verhältnis zu ihrem Vater. Doch das änderte sich. Beeinflusst durch ständig wiederholte, inszenierte Gewaltszenen im Staatsfernsehen glaubte auch ihr Vater eines Tages, seine Tochter könne eine Bedrohung für die Familie sein, weil sie Falun Gong praktiziert.
Er glaubte, sie wolle ihm und ihrer Mutter das Leben nehmen. So wollte er seine eigene Tochter in eine Psychiatrie zwangseinweisen lassen. Xing machte ihrem Vater keine Vorwürfe, denn auch er leidet bis heute unter den Schikanen der KPCh. Es ist für die ganze Familie eine schwierige Zeit.
Xing sah für sich keinen anderen Ausweg und versprach, das zu tun, was ihr Vater von ihr erwartete. Sie musste eine vorgefertigte Erklärung abschreiben, in der sie versprach, Falun Gong nicht mehr zu praktizieren. Danach organisierte ihr Vater ein gemeinsames Essen mit drei Beamten. Bei dem Treffen übergab Xing dem Polizeichef den Brief. Kurz darauf bekam sie ein Visum für ein Auslandsstudium.
Seit 2001 lebt Xing nun in Deutschland. Nach China kann sie, solange die Verfolgung noch andauert, nicht mehr zurück. Polizeibeamte haben ihren Vater in China mehrmals zu Hause besucht. Und so spürte Xing auch hier, weit weg von zu Hause, weiterhin den Druck der Verfolgung.
KPCh-Narrativ weltweit auf Sendung
Die KPCh unternimmt auch große Anstrengungen, ihr Narrativ weltweit zu verbreiten. Laut einer Analyse von Reporter ohne Grenzen (RSF) betreibt die staatlich kontrollierte Nachrichtenagentur „Xinhua“ 162 Auslandsbüros und veröffentlicht in zehn Sprachen. „CGTN“ sendet in rund 140 Ländern. „China Radio International“ strahlt sein Programm in 65 Sprachen aus.
Diese weltweite Medienpräsenz ermöglicht es der chinesischen Regierung, ihre Botschaften und Narrative gezielt international zu verbreiten. Ein prägendes Beispiel dafür ist ein Vorfall aus dem Jahr 2001: Damals verbreitete „Xinhua“ die Darstellung, Falun-Gong-Praktizierende hätten sich aus Protest auf dem Tian’anmen-Platz selbst verbrannt. Westliche Medien wie die „New York Times“ hatten diese Darstellung zunächst ungeprüft übernommen.
Spätere unabhängige Analysen von NGOs wie Human Rights Watch und Freedom House sowie Recherchen von Medien wie der „Washington Post“ kamen jedoch zu einem anderen Schluss: Demnach handelte es sich um eine inszenierte Aktion. Dies führte dazu, dass die öffentliche Meinung kippte. Viele Chinesen, die zuvor Sympathie für Falun-Gong-Praktizierende empfunden hatten, wandten sich nun gegen sie.
Die chinesische Einflussnahme zeigt sich auch in Partnerschaften mit westlichen Medien. So unterzeichneten 2017 rund 20 europäische Medienhäuser – darunter die „Deutsche Presse-Agentur“ – ein Abkommen mit einer „Xinhua“-Tochter zur Verbreitung wirtschaftlicher Informationen im Rahmen der Belt and Road Initiative (BRI).
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Warum die KPCh wahrhaftige Menschen fürchtet
Angesichts der weltweiten Verleumdungskampagnen der KPCh hat Xing einen Entschluss für sich gefasst: Solange die Verfolgung von Falun Gong noch andauert, wird auch sie nicht aufhören, ihre eigene Geschichte und die Geschichten zahlreicher Praktizierender zu erzählen.
Die Kommunistische Partei sieht Menschen, die wahrhaftig sind, als Bedrohung an, denn wir könnten sie entlarven“, sagt Xing.
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