Der Neue Wehrdienst: Kann Freiwilligkeit die Mängel decken?

Der Neue Wehrdienst von Verteidigungsminister Pistorius soll helfen, bis zum Jahr 2029 30.000 neue Soldaten in die Truppe zu bringen. Vorerst bleibt er freiwillig. Doch Experten haben ihre Zweifel, ob dieser Ansatz die notwendige Trendwende beim Personal ermöglichen wird. Eine Analyse.
Titelbild
Ein Soldat der deutschen Bundeswehr unterrichtet junge Männer am ersten Tag ihres Wehrdienstes in der Julius-Leber-Kaserne am 6. April 2010 in Berlin in den Grundlagen des Exerziermarschierens.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 16. September 2025

In Kürze:

  • Der Generalinspekteur erwartet einen militärischen Konflikt mit Russland.
  • Pistorius: „Die Bundeswehr muss aufwachsen.“
  • Der Neue Wehrdienst sieht ab 2027 eine verpflichtende Musterung für junge Männer vor.
  • Der Wehrbericht zeichnet seit Jahren eine alarmierende Lage beim Personal.
  • Sanitätsdienst gilt im internationalen Vergleich als sehr leistungsfähig.

 

Am 27. August hat das Bundeskabinett den sogenannten Neuen Wehrdienst beschlossen. Die Wehrpflicht wurde 2011 durch die Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgesetzt, aber nicht abgeschafft. Der aktuelle Beschluss – bewusst am Sitz des Verteidigungsministeriums im Berliner Bendlerblock getroffen – soll mehr junge Menschen bei Erreichen des 18. Lebensjahres motivieren, zur Bundeswehr zu gehen, und sei es nur für kurze Zeit.

Freiwilligkeit bleibt das oberste Gebot. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte dazu jüngst vor der Berliner Hauptstadtpresse: „Die Bundeswehr muss aufwachsen. Die internationale Sicherheitslage, vorrangig das aggressive Auftreten Russlands, erfordert dies.“ Ab Juli 2027 soll die Musterung für junge Männer verpflichtend sein. Dann erwarten die aktuell nicht mehr existierenden Wehrkreisersatzämter 350.000 Wehrpflichtige pro Jahr.

Experten warnen

Hochrangige Einschätzungen in Bundeswehr und Wissenschaft betonen die Notwendigkeit eines verpflichtenden Wehrdienstes. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, zeigt sich als unermüdlicher Mahner. In wenigen Jahren sei Russland bereit für einen militärischen Konflikt mit Ländern des Westens, warnt der ranghöchste Soldat der deutschen Streitkräfte. Und er nennt eine Jahreszahl: 2029. Er schätzt, dass Russland schon nächstes Jahr 1,5 Millionen Soldaten aufbieten könne.

Ähnlich sieht Sönke Neitzel die Lage. Der Militärhistoriker kritisiert, Deutschland debattiere viel, aber handele nicht. Er nannte es kürzlich in Berlin bei einem Vortrag vor Vertretern der Militärseelsorge „eine Verantwortung vor Gott“, dass die Bundeswehr endlich handeln könne.

Eine Verantwortung gebe es aber auch gegenüber den Soldaten, „die in einem Krieg kämpfen müssten“. Der an der Universität Potsdam lehrende Professor hatte bereits im März des Jahres seine Kritik mit Blick auf Russland im ZDF erklärt: Der Sommer 2025 „könne der letzte in Frieden sein“. Er verstehe seine Warnung nicht als Panikmache, sondern als Weckruf. Vor allem legt Neitzel Wert darauf, dass es die Politik ist, die hier handeln muss, und er fragt: „Worauf warten wir denn?“

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Trendwende Personal?

In einer Freiwilligkeit sehen auch andere Fachleute eine staatliche Anspruchslosigkeit, die das Vorhaben, bis 2029 30.000 neue Soldaten in die Truppe zu bringen, im Vorhinein zum Scheitern verurteilt. 2035 sollen es gar 260.000 aktive Zeit- und Berufssoldaten werden. Auch die Reserve würde nach dem Willen der Politik von 100.000 auf 200.000 Soldaten anwachsen.

Um die Einsatzbereitschaft der Truppe ist es nicht gut bestellt. Die Bundeswehr muss vor allem Antworten auf den Personalaufwuchs und die Alterung ihres Personalkörpers finden. Trendwende Personal lautete schon über Jahre die Herausforderung. Doch für einen Aufwuchs der deutschen Streitkräfte fehlte bislang noch immer ein entschlossener politischer Wille.

Das Dilemma: Der Aufwuchs des Personals der Bundeswehr kommt einfach nicht voran. Im Januar 2022 war er mit 183.758 Soldaten höher als heute mit 182.984 (Stand Ende Juli). Immerhin stieg die Zahl der freiwillig Wehrdienstleistenden um rund 15 Prozent.

Bis 2027 wollte die Bundeswehr schon vor Jahren eine Personalstärke von 203.000 erreichen, rund 8.800 zusätzliche Planstellen. Doch hat die Politik die Zielerreichung immer wieder in die Zukunft verlängert.

Ein unübersehbares Problem ist nach wie vor die stagnierende Zahl von unbesetzten Dienstposten. Ende 2020 waren es oberhalb der Laufbahnen der Mannschaften rund 20.200 bei militärischem Personal. Das sind rund 18 Prozent. 2024 waren es bereits rund 20 Prozent. Bei den Mannschaften sind es sogar 28 Prozent. Auch deshalb laufen die Streitkräfte Gefahr, dass eine personelle Einsatzbereitschaft nicht erreicht wird.

Laut Bundesregierung soll der Neue Wehrdienst „so lange wie möglich auf freiwilliger Basis beruhen“. Die Regierung behält es sich aber vor, die Wehrpflicht einzuführen, falls sich „die Sicherheitslage verschlechtern oder die Möglichkeiten zur Erfüllung der Anforderungen durch freiwillige Teilnahme ausgeschöpft sein“ sollten.

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Nationaler Sicherheitsrat

Dass es in der Politik in erster Linie oft um Symbolpolitik geht, zeigt ein Kabinettsbeschluss vom 27. August 2025. Im Bundeskanzleramt wurde ein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet. Das hoch angesiedelte Gremium würde vor allem kontinuierlich ein Lagebild zur nationalen Sicherheit und eine strategische Vorausschau erstellen sowie „Krisensimulationen und sicherheitspolitische Übungen“ angehen, die einer Stärkung der Resilienz Deutschlands dienen.

Bundeskanzler Merz sagte vor der Presse im Stauffenbergsaal des Bendlerblocks im August, die Einrichtung eines Sicherheitsrates werde schon seit 30 Jahren diskutiert – „wir entscheiden nach vier Monaten“. Der Kanzler sprach aber zugleich die Bedingungen für ein Funktionieren der Bundeswehr an: stabile Brücken, Gesundheitsversorgung, Lebensmittel- und Energiesicherheit und digitale Resilienz. Dass es damit nicht immer gut bestellt ist, sagte er nicht.

Alarmierende Lage

Alarmierend ist laut Wehrbericht der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages die Lage schon seit Jahrzehnten: im Heer bei den Besatzungen von Luftfahrzeugen. Eine hohe personelle Unterdeckung müssen die Spezialpioniere überbrücken. Beim ABC-Abwehrkommando sieht es nicht besser aus.

Ein anhaltender Mangelbereich ist seit Jahren zudem das fliegerische Personal in der Truppe bei der Luftwaffe, aber auch bei den Heeres- und Marinefliegern. Zur Illustration sprechen zwei Beispiele aus dem Bereich der Luftwaffe für sich, wie es im Wehrbericht für 2020 steht: „Von 220 Dienstposten für Jetpiloten sind 106, also weniger als die Hälfte, besetzt. Nur wenig besser sieht es bei den Hubschrauberführern aus. Der Besetzungsgrad erreicht mit 44 von 84 Dienstposten nur 52 Prozent.“

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Leistungsfähiger Sanitätsdienst

Immerhin gilt ein Einsatzbereich der Bundeswehr auch im internationalen Vergleich als sehr leistungsfähig: Der Sanitätsdienst umfasste zum Jahresende 2024 20.400 Soldaten, wobei der Frauenanteil circa 42 Prozent ausmacht. Die Attraktivität der Laufbahnen führe noch immer dazu, dass es mehr geeignete Bewerber gebe, als eingestellt werden können, teilte Stabsfeldwebel Claudia Skopnick im Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr in Koblenz auf Nachfrage mit.

Wie überlebenswichtig die Sanität ist, zeigt jedes Manöver: kein Angriff ohne die Beteiligung von Sanitätspersonal und einem gepanzerten Transportkraftfahrzeug GTK Boxer. Der Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes, Dr. med. Ralf Hoffmann, kennt die spezifischen Aufgaben, bei denen man nur sehr begrenzt auf ziviles Fachpersonal zurückgreifen kann. Grundlegende Fähigkeiten müssen durch militärische Kräfte und Mittel hinterlegt sein.

Fazit: Ab 2027 soll es für alle jungen Männer eine Pflicht zur Musterung geben. Ob die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht wieder eingesetzt wird, hängt von den möglichen freiwilligen Meldungen für einen Dienst in der Bundeswehr ab. Die Bundesregierung kann mit ihrer Mehrheit im Bundestag die Wehrpflicht wieder in Kraft setzen. Abzuwarten bleibt, wie sich die Sozialdemokraten in dieser Causa verhalten werden.



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