Der Schalter, der Ihr Immunsystem vor dem Amoklauf bewahrt

Ein Gen hält Ihr Immunsystem im Zaum. Ist es kaputt, greift der Körper sich selbst an. Diese Entdeckung sicherte Forschern den diesjährigen Nobelpreis für Medizin.
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Regulatorische T-Zellen: winzig, aber Chef im System. Nobelpreis 2025 bestätigt: Ohne sie droht Chaos.Foto: quantic69/ iStock
Von 6. November 2025

Für den Großteil des 20. Jahrhunderts sahen Wissenschaftler das Immunsystem als eine ständig wache Armee des Körpers, die uns vor Bakterien, Viren und Krebszellen schützt. Eine entscheidende Frage blieb jedoch offen: Was hindert diese Armee daran, versehentlich den eigenen Körper anzugreifen?

Für Millionen Menschen mit Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes oder Lupus ist das keine abstrakte Frage, sondern bittere Realität. Diese lebenslangen Krankheiten verursachen Schmerzen und erfordern oft harte Medikamente, die das Immunsystem dämpfen.

Der diesjährige Nobelpreis für Medizin zeichnet die Entdeckungen aus, die unser Bild vom Immunsystem grundlegend verändert haben. Der Weg zu diesem Durchbruch war von jahrzehntelangen Kontroversen geprägt – und wäre beinahe inmitten von Skepsis untergegangen.

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Forschung, die alles veränderte

Vor 30 Jahren veröffentlichte Sakaguchi eine Arbeit, die langjährige Überzeugungen über das Immunsystem infrage stellte. Jahrzehntelang hatten viele Wissenschaftler die Vorstellung abgelehnt, dass bestimmte Immunzellen das Immunsystem aktiv daran hindern könnten, den Körper anzugreifen. Einige frühe Studien aus den 1970er-Jahren deuteten darauf hin, aber die Ergebnisse waren nicht eindeutig – und die Idee der regulatorischen T-Zellen geriet in Vergessenheit.

„In den 1990er-Jahren begegnete man dem Konzept mit großer Skepsis“, erläutert Dr. Ethan Shevach, Immunologe und einer der Wissenschaftler, die Sakaguchis Befunde bestätigten, gegenüber der Epoch Times. „Das gesamte Paradigma der Suppressor-T-Zellen war hochgradig umstritten“, sagte er.

Mäuse, Mutation und ein kaputtes Gen

In den Folgejahren untersuchten Forscher Krankheiten, die auf defekte regulatorische T-Zellen zurückgehen. Ein Hinweis kam von „Scurfy-Mäusen“, die an schwerer, oft tödlicher Entzündung litten – mit schuppiger Haut, Muskelschwund und Organschäden.

Ähnliche Symptome zeigten Kinder mit dem IPEX-Syndrom. Ihr Immunsystem griff gesunde Organe an. Bei beiden – Mäusen und Kindern – war das Gen FOXP3 in den T-Zellen defekt. FOXP3 wirkt wie ein Hauptschalter, der die T-Zellen steuert.

2001 entdeckte die zweite Medizin-Nobelpreisträgerin von 2025, Brunkow (Immunex), den Defekt bei den Mäusen. Kurz darauf stellte ihr Mitpreisträger Ramsdell (Celltech) den Zusammenhang mit IPEX beim Menschen her.

Ohne funktionsfähiges FOXP3 versagen die regulatorischen T-Zellen – das Immunsystem läuft Amok. Die Entdeckung erklärte nicht nur diese seltenen, tödlichen Erkrankungen, sondern bewies: FOXP3 hält das Immunsystem im Gleichgewicht.

Der Balanceakt

Die meisten Immunzellen agieren wie Soldaten und greifen Keime, Viren oder alles an, was der Körper als fremd oder gefährlich ansieht. Regulatorische T-Zellen schalten jedoch die Immunantwort aus.

Obwohl sie nur in geringer Zahl vorhanden sind, stehen T-Zellen an der Spitze der Immunzellhierarchie. Wenn sie versagen oder fehlen, kommt es zu Chaos. Denn dann greift das Immunsystem gesundes Gewebe an und löst Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes, Colitis, Psoriasis oder rheumatoide Arthritis aus. Transplantationspatienten laufen Gefahr, Spenderorgane abzustoßen. In seltenen Fällen wie dem IPEX-Syndrom sind Kinder innerhalb der ersten zwei Lebensjahre von lebensbedrohlichen Entzündungen betroffen.

Die Kehrseite ist jedoch ebenso gravierend: Tumore kapern regulatorische T-Zellen mitunter und missbrauchen diese Sicherheitskräfte, um sich vor einem Immunangriff zu schützen.

„Dieselben Zellen, die uns vor Autoimmunität schützen, können auch Krebs schützen“, sagte Shevach, der für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der regulatorischen T-Zellen und der Immuntoleranz weithin anerkannt ist.

Nobelpreis als Wendepunkt

Die Entdeckungen von Sakaguchi, Brunkow und Ramsdell haben das Immunsystem von einem reinen „Kämpfer“ zu einem fein abgestimmten Orchester gemacht – mit regulatorischen T-Zellen als Dirigenten, die für Harmonie sorgen. Ihr Nobelpreis 2025 würdigt nicht nur Jahrzehnte hartnäckiger Forschung gegen Skepsis, sondern ebnet den Weg für präzisere Therapien für Autoimmunerkrankungen, Krebs und Transplantationen.

Statt das gesamte Immunsystem mit starken Medikamenten zu dämpfen, könnten künftige Behandlungen gezielt an FOXP3 oder den regulatorischen Zellen ansetzen.

Shevach fasst es treffend zusammen: „Die therapeutische Zielsetzung ist wirklich ein Balanceakt“, sagte er. „Man möchte das System anpassen, nicht zerstören.“

Dieser Artikel ersetzt keine medizinische Beratung. Bei Gesundheitsfragen wenden Sie sich bitte an Ihren Arzt oder Apotheker.
Zuerst erschienen auf theepochtimes.com unter dem Titel „How This Nobel Discovery Could Transform Autoimmune and Cancer Treatment“. (deutsche Bearbeitung kr)



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