Die EU fragt ihre Bürger – simuliert sie damit nur die Demokratie?

Weltweit ist seit einigen Jahren ein massiver Anstieg der Überwachung von Menschen durch Regierungen zu verzeichnen. Im Jahr 2015, zwei Jahre nach den Enthüllungen des US-Whistleblowers Edward Snowden, veröffentlichten die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International (AI) und Privacy International (PI) einen Bericht unter dem Titel „Zwei Jahre nach Snowden: Schutz der Menschenrechte in einer Ära der Massenüberwachung“.
Massenüberwachung kontra Privatsphäre
Der 22-seitige Bericht zitiert den damaligen UN-Sonderberichterstatter für Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte, Ben Emmerson: „Die harte Wahrheit ist, dass der Einsatz von Massenüberwachungstechnologie das Recht auf Privatsphäre bei der Kommunikation im Internet insgesamt effektiv abschafft.“ Der britische Rechtsanwalt bekleidete das Amt des Sonderberichterstatters von 2011 bis 2017.
Internationale und regionale Institutionen sowie Experten, darunter der damalige UN-Hochkommissar für Menschenrechte Zeid Ra’ad Al Hussein und die Parlamentarische Versammlung des Europarats, äußerten erhebliche Bedenken hinsichtlich Massenüberwachungsprogrammen und warnten vor der Gefahr, die diese für die Menschenrechte darstellten.
Im Dezember 2014 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine zweite Resolution zum Recht auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter, in der sie ihre tiefen Bedenken über „die negativen Auswirkungen, die eine Überwachung und/oder Abhörung von Kommunikationen […] insbesondere, wenn sie im großen Maßstab durchgeführt wird, auf die Ausübung und die Wahrnehmung von Menschenrechten haben kann“, zum Ausdruck brachte.
Im März 2015 schuf der UN-Menschenrechtsrat erstmals ein permanentes Mandat für einen Sonderberichterstatter zum Recht auf Privatsphäre. Der Bericht der beiden Menschenrechtsorganisationen bezeichnete das als historischen Schritt, der sicherstellen sollte, „dass die Privatsphäre in den kommenden Jahren im Mittelpunkt der Agenda der UN steht“.
Menschenrechte im digitalen Zeitalter
Außerdem präsentierten Organisationen einen Sieben-Punkte-Plan mit Vorschlägen, wie die Menschenrechte im digitalen Zeitalter besser geschützt werden können. Dazu gehörte etwa, dass eine gezielte Überwachung nur auf Basis konkreter Verdachtsmomente und mit richterlicher Genehmigung erfolgen dürfe. Auch müsse die Kooperation zwischen Geheimdiensten klar geregelt und an die menschenrechtlichen Verpflichtungen der Staaten gekoppelt werden.
Zehn Jahre später hat sich die Situation trotz aller Forderungen und Kritik weiter verschärft. Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung geht es etwa um den Ausbau von Überwachungsmaßnahmen. So heißt es in dem gemeinsamen Papier von CDU und SPD auf Seite 84 unter dem Kapitel „Sicheres Zusammenleben, Migration und Integration“: „Wir führen eine verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme dreimonatige Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern ein, um diese einem Anschlussinhaber zuordnen zu können.“
Auf diese Weise solle die Bundespolizei „im Rahmen ihrer begrenzten Zuständigkeit“ Zugriff auf Daten zwecks Bekämpfung „schwerer Straftaten“ bekommen. Ab Zeile 2.640 ist dann zu lesen, dass der Austausch von Daten unter den Sicherheitsbehörden sowie mit zivilen Behörden „grundlegend“ verbessert werden soll. Dazu werde der Bund seinen Anteil „an einer auskömmlichen Finanzierung“ beitragen.
Zur Erinnerung: Die umstrittene Vorratsdatenspeicherung durch Internetprovider und Telekommunikationsanbieter war in Deutschland seit 2017 ausgesetzt, da sie gegen EU-Recht verstieß. Der Europäische Gerichtshof entschied jedoch 2024, dass eine gezielte Speicherung von IP-Adressen unter bestimmten Bedingungen zulässig ist.
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Einsatz staatlicher Spionagesoftware geplant
Des Weiteren plant die Bundesregierung den Einsatz von staatlicher Spionagesoftware. Das soll der Bundespolizei ermöglichen, Kommunikation direkt auf Geräten abzufangen. Auch die biometrische Überwachung ist weiter auf dem Vormarsch. Mithilfe von Gesichtserkennung per Künstlicher Intelligenz (KI) soll es Ermittlern möglich sein, das Internet nach gesuchten Personen zu durchforsten. Auch im öffentlichen Raum sollen Kameras biometrische Daten auswerten.
Wie die Menschen in der Europäischen Union zu dem Thema Vorratsdatenspeicherung stehen, will die EU-Kommission nun wissen, und hat dazu am 20. Juni eine sogenannte öffentliche Konsultation auf den Weg gebracht. Bis zum 12. September läuft die mehrmonatige Frist für Rückmeldungen. Dabei haben Bürger Gelegenheit, Anregungen oder Bedenken zu äußern. Die Kommission verspricht, diese bei der Entwicklung und Erarbeitung dieser Initiative zu berücksichtigen.
Hintergrund ist die am 1. April 2025 vorgestellte Strategie ProtectEU, die Überlegungen zur Vorratsdatenspeicherung und möglichen Formen der Massenüberwachung enthält. Die Strategie erwähnt auch Hintertüren zum Zugang zu verschlüsselter Kommunikation, doch diese finden in der Konsultation keine Erwähnung. Ziel ist es, einen EU-weit einheitlichen Umgang mit Daten per Gesetz zu regeln.
COVID-Impfpass: EU setzte sich über den Willen der Bürgerkonsultation hinweg
Dass die Politik nicht alles, was Volkes Wille ist, auch entsprechend berücksichtigt, zeigt die Konsultation zur Verlängerung des digitalen COVID-Impfausweises, auch COVID-Zertifikat genannt, im Jahr 2022. Zwischen Februar und April jenes Jahres beteiligten sich mehr als 376.000 EU-Bürger an dieser Konsultation. Der Tenor war überwiegend negativ. Die Menschen lehnten eine von der EU-Kommission vorgeschlagene Verlängerung um ein Jahr ab.
Am 28. Juni stimmte der Rat hingegen für eine Verlängerung um zwölf Monate bis zum 30. Juni 2023. Das Votum im EU-Parlament fiel seinerzeit auch deutlich aus.
Nach der Abstimmung sagte der spanische Abgeordnete Juan Fernando López Aguilar zur Begründung:
Aufgrund der unvorhersehbaren Entwicklung des Virus hat das Parlament die Anwendung des digitalen COVID-Zertifikats um ein Jahr verlängert, um das Recht der Bürger auf Freizügigkeit innerhalb der EU zu gewährleisten.“
Ein Vorgehen wie in diesem Fall könnte als ein Beispiel für „simulative Demokratie“ genannt werden. So beschreibt der Politikwissenschaftler Ingolfur Blühdorn eine Form politischer Ordnung, in der demokratische Verfahren und Institutionen zwar formal erhalten bleiben, doch letztlich verkommen sie zu einer bloßen Inszenierung.
Dabei ist der zentrale Gedanke, dass in einer simulativen Demokratie die Demokratie nur noch gespielt, aber nicht praktiziert wird. Die Menschen haben das Gefühl einer Beteiligung an wichtigen Entscheidungen, doch die werden dann technokratisch getroffen und folgen bereits vorab festgelegten Richtlinien. Somit dient Beteiligung dann eher einer Legitimation als der Mitgestaltung.
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Meinung zu Hochrisiko-KI-Systemen gefragt
Eine Übersicht über mutmaßlich alle öffentlichen Konsultationen findet sich auf der Website der Europäischen Union. Dies insgesamt 366 Initiativen seit dem Jahr 2018.
Aktuell ist eine öffentliche Konsultation der EU-Kommission zum Thema „Hochrisiko-KI-Systeme“. Sie läuft noch bis zum 18. Juli und dient der Vorbereitung von Leitlinien zur praktischen Umsetzung des KI-Gesetzes (AI Act). So beabsichtigt die Kommission, Rückmeldungen zu „Hochrisiko-KI-Systemen“ zu sammeln. Dazu gehört etwa die biometrische Identifizierung und Kategorisierung (unter anderem die Gesichtserkennung im öffentlichen Raum). Als hochriskant wird auch der Einsatz der KI zur Steuerung von Stromnetzen oder Wasserwerken eingeordnet.
Die Rückmeldungen sollen in die geplanten Leitlinien einfließen und Klarheit für Unternehmen, Behörden und Entwickler schaffen.
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