Schallenbergs Perspektiven: # 11 Sozialstaat und Lebensrecht

Was christlich Gottebenbildlichkeit heißt, nennt die Philosophie und das Naturrecht Menschenwürde: unbezweifelbar und unbedingt. Und diese Menschenwürde, verstanden als Ausnahme und Herausnahme in einer Welt der Dinge und der Gebrauchsgegenstände, ist eben nicht vom Lebensrecht zu trennen.
A mother holding her newborn baby on her warm chest for skin on skin time at the hospital. Foto: globalmoments/iStock
Foto: globalmoments/iStock
Von 25. August 2025

Ist in der durchaus hitzigen und strittigen Debatte um die Wahl der Verfassungsrichter und um die Thesen zum abgestuften Lebensschutz und zur reduzierten Menschenwürde für den Embryo von Frauke Brosius-Gersdorf inzwischen alles gesagt? Fast alles.

Mit Blick auf unsere Verfassung und deren Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, der in Einklang mit der seltsamerweise in den Diskussionen der vergangenen Wochen überhaupt nicht erwähnten Präambel des Grundgesetzes „In Verantwortung vor Gott …“ steht, ist aber eins nochmals sehr deutlich zu unterstreichen:

Es ist ausdrücklich die Idee des christlich begründeten Sozialstaats, als gleichsam institutionalisierter Samariter dem schwachen und gefährdeten Menschen im Straßengraben und am Rand der menschlichen Gesellschaft nicht einfach die Freiheit zu lassen, dort im Graben zu verrecken – Verzeihung für den ungewohnt rustikalen Ausdruck! – sondern ihm aktiv zu helfen.

Der Sozialstaat soll jedem zum Überleben verhelfen

Sondern unser deutscher und kontinentaleuropäischer Sozialstaat – wesentlich auf der Grundlage der Philosophie von Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant – hat selbstverständlich davon auszugehen, dass jeder Mensch leben und lieben will (und nach christlichem Glauben: leben soll als Gottes Geschöpf) und zum Leben und zum Überleben zu verhelfen, damit ein gutes Leben daraus werde.

Dieser Sozialstaat geht, um es nochmals klar und deutlich zu sagen, nicht davon aus, dass ein Mensch erst befragt werden muss, um zu erfahren, dass er weiterleben will (in schwerer finaler Krankheit) oder überhaupt leben will (als ungeborener Mensch). Das heißt im Klartext: Es gibt in einem solchen Sozialstaat überhaupt und niemals eine Relativierung des unbedingten Lebensschutzes, der ja gerade deswegen so heißt, weil er ohne jede Bedingung gilt, also auch ohne die Bedingung der eigenen Zustimmung oder der Zustimmung der schwangeren Mutter.

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Keine Abwägung, keine Relativierung der Menschenwürde

Daher kann es niemals eine Abwägung des Lebensrechtes oder der Menschenwürde geben, anders als das Frauke Brosius-Gersdorf meint, wenn sie etwa in ihrer Stellungnahme in der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vom 10. Februar 2025 schreibt: „Das Verlangen der Schwangeren nach einem Schwangerschaftsabbruch ist durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht […] und die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit […] geschützt.“ Es gebe daher „gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab der Geburt gilt“.

In der Frühphase der Schwangerschaft habe „das Lebensrecht des Ungeborenen ein vergleichsweise geringes Gewicht; gleichzeitig genießt das Verlangen der Frau nach einer Beendigung der Schwangerschaft starken grundrechtlichen Schutz. Der Frau steht in dieser Schwangerschaftsphase ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu“, weshalb die Tötung des Ungeborenen „in der Frühphase der Schwangerschaft – anders als bislang – rechtmäßig zu stellen“ sei.

Das mag die Meinung einer liberalen Juristin sein, entspricht aber explizit nicht der bisherigen Rechtsprechung mit der Unterscheidung von „rechtswidrig“ und „straffrei“, selbst wenn eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung im Koalitionsvertrag bei besonderer Bedürftigkeit angestrebt wird: Dies muss, wie der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing von der Universität Bonn in einem aktuellen Gutachten für die Unionsfraktion klarstellt (FAZ 25. Juli 2025), als versicherungsfremde Leistung weiterhin als Ausnahmefall (und nicht als Normalität) staatlich refinanziert werden.

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Schwangerschaft ist keine Krankheit

Denn offenkundig ist eine Schwangerschaft keine Krankheit. Die bisherige Rechtsprechung relativiert nicht die Menschenwürde des ungeborenen Menschen gegenüber der Mutter, sondern verzichtet lediglich auf die Strafverfolgung im Fall der Rechtswidrigkeit – ein ungewöhnlicher, aber nicht undenkbarer Vorgang. Das Strafrecht sieht sich außerstande, eine rechtswidrige Tat zu ahnden, nicht mehr und nicht weniger.

Daraus lässt sich keine Abstufung des Lebensrechtes oder eine Relativierung der Menschenwürde ableiten. Das ist nämlich auch und vor allem der Sinn des Artikels 1 GG: Die Würde des Menschen ist selbstverständlich nicht nur unantastbar für den Mitmenschen und für den Staat, sie ist auch unantastbar für den Menschen selbst (weswegen Selbsttötung eben nicht eigentlich eine Freiheitstat, sondern ein Abbruch der Freiheit zum Leben ist).

Die Gottebenbildlichkeit jedes Menschen

Das alles ist freilich nicht zuerst christlich, und schon gar nicht katholische Sondermeinung, und erst recht nicht „rechts“ im Unterschied zu „links“. „Bios“ nannten die griechischen Philosophen bekanntlich, weit vor Christi Geburt, das bloße Überleben; „Zoé“ dagegen das daraus erwachsende gute (und heilige und unantastbare) Leben.

Das Johannesevangelium des christlichen Neuen Testaments übernimmt diesen wichtigen Begriff des guten Lebens. Die jüdische Tradition spricht von Gottebenbildlichkeit jedes Menschen und damit von seiner Unantastbarkeit, freilich auch von seiner Verpflichtung zur Entfaltung dieser Qualität in der gesamten Quantität eines individuellen Menschenlebens. Qualität folgt der Quantität, Dasein entfaltet sich zum Sosein.

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, sagte einst Bert Brecht in seiner gewohnt süffigen Art, und wir sagen es genauso, nur vielleicht etwas vornehmer: Jeder Mensch hat das unbedingte Recht auf Überleben, am frühesten Anfang des Lebens als soeben befruchtete Eizelle, als Embryo und als menschliche Person. Und am spätestmöglichen Ende des Lebens, möglicherweise dement und inkontinent und schwerstpflegebedürftig und was noch alles: aber vollkommen unbezweifelbar als Ebenbild Gottes.

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Die Menschenwürde ist nicht zu trennen vom Lebensrecht

Was christlich Gottebenbildlichkeit heißt, nennt die Philosophie und das Naturrecht Menschenwürde: unbezweifelbar und unbedingt. Dies ist kein naturalistisch-biologistischer Fehlschluss, wie die Befürworter einer liberalen Regelung des Abtreibungsrechts glauben machen wollen, sondern gerade Ausdruck der Grundüberzeugung unsererseits Grundgesetzes, dass von Natur aus – daher Naturrecht – jeder Mensch leben will und leben soll. Darin liegt seine unantastbare Menschenwürde als Person, und nicht nur als Lebewesen, und schon gar nicht als verfügbarer Gegenstand.

Und diese Menschenwürde, verstanden als Ausnahme und Herausnahme in einer Welt der Dinge und der Gebrauchsgegenstände, ist eben nicht, wie Brosius-Gersdorf meint, vom Lebensrecht zu trennen. Denn spitzfindig und listig – um es milde auszudrücken – sagt sie ja, dem frühen Embryo komme wohl Lebensrecht, aber nicht Menschenwürde zu, da sonst jede Form der Abtreibung unerlaubt sei.

Tötung eines unschuldigen Menschen immer unerlaubt

Ungewollt trifft sie in der Tat den kantianischen Nagel auf den Kopf: In der Tat ist nach dem nun wahrlich nicht des Katholizismus verdächtigen Immanuel Kant (1724–1804), dessen strikte Ansichten zum Lebensschutz über die Paulskirchenverfassung von 1849 unser Grundgesetz mit den unveräußerlichen Grundrechten wesentlich geprägt haben, also nach dem Naturrecht, aber auch nach katholischem Glauben, jede direkte Tötung eines unschuldigen Menschen immer und überall unerlaubt.

Die einzige Ausnahme ist der Fall der Notwehr bei schuldigem Angreifer, was offenkundig für das unschuldige ungeborene Kind nicht zutrifft, dessen einzige „Schuld“ es sein könnte, ungewollt und ungeplant oder schwerbehindert zu sein. Und die sogenannte medizinische Indikation ist natürlich keine Erlaubnis zur Abtreibung, sondern eigentlich ein unlösbarer Vitalkonflikt, der dem Arzt in diesem Dilemma erlaubt, entweder das Leben der Mutter oder des Kindes zu retten.

Daher ist es, wie die Kandidatin der SPD für das Amt des Verfassungsrichters meint, gerade kein biologistischer oder naturalistischer Fehlschluss, aus dem vorhandenen individuellen Sein des frühgeborenen Embryos auf sein Sein-Sollen zu schließen, sondern beste abendländische Tradition der Seinsphilosophie.

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Unbedingter Lebensschutz als Markenkern der christlichen Parteien

Anders gesagt: Das Sein, das Dasein als gewolltes Sosein ist der erste Sinn des Menschen. Leben soll sein. Das Leben enthält in sich seinen letzten und tiefen Sinn, christlich gesprochen: durch Gott, nicht erst eine bestimmte Qualität des Lebens oder ein Gewolltsein durch sich selbst oder durch andere Menschen. Unbedingte Menschenwürde heißt ja gerade: Jeder Mensch soll unbedingt da sein, vollkommen unabhängig vom Ursprung oder von sonstigen Umständen! Punkt.

Eins noch: Sozialstaat mit moralischem Anspruch heißt nicht in erster Linie, die Leistungsempfänger für Bürgergeld und Mietbeihilfe ausfindig zu machen. Sozialstaat heißt zunächst und vor allem, erst das Überleben des Menschen zu sichern und dann das gute Leben zu versichern. Fällt das Erste weg aus ideologischer (und auch aus feministischer) Verblendung, ist das Zweite lächerlich und willkürlich.

Die Leistung des Sozialstaats christlicher Prägung wie in Deutschland liegt im unbeirrbaren Willen, die schwächsten Bürger mit der Leistung des Lebensschutzes zu beglücken und keine Abwägung zwischen relativem Lebensrecht und unbedingter Menschenwürde zuzulassen. Und die sich christlich nennenden Parteien in unserem Land wären gut beraten, diese Überzeugung hochzuhalten und nicht aus Angst vor angeblichen anderen Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung oder im Parlament (oder auch Brandmauern …) Selbstmord zu begehen! Denn eine christliche Partei hat ihren eigentlichen Markenkern immer zuerst hier, im unbedingten Lebensschutz, niemals aber zuerst in (auch zweifellos wichtigen) wirtschaftsliberalen oder ökologischen Themen. Und das gute Leben folgt dem Überleben auf dem Fuß, nicht umgekehrt!

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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