Wie kann die Bundeswehr 80.000 neue Soldaten gewinnen?

Am 24. und 25. Juni sind die Niederlande Gastgeber des NATO-Gipfels in Den Haag. Auch der amerikanische Präsident Donald Trump kommt. Die niederländische Regierung teilte im Vorfeld mit, für den Gipfel würden etwa 9.000 Teilnehmer erwartet, darunter 45 Staats- und Regierungschefs sowie deren Außen- und Verteidigungsminister. Das sind mehr als die 32 Mitgliedstaaten des Bündnisses. Denn die NATO hat zu ihrem Gipfeltreffen auch sogenannte „Partnerländer“ eingeladen, darunter Australien, Neuseeland, Japan und Südkorea.
NATO will 80.000 mehr deutsche Soldaten bis 2040
Bei den Beratungen geht es für Deutschland dieses Mal nicht nur um mehr Beitragsgeld von insgesamt 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Militärbündnis, sondern auch um mehr Soldaten. Aufgrund einer sogenannten „Fähigkeitsverteilung“ unter den Mitgliedsländern soll Deutschland laut Medienberichten seine Truppe um 80.000 Soldaten aufstocken, vorrangig bei der stark personell unterbesetzten Luftwaffe. Und zwar binnen der nächsten 15 Jahre.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will „nur“ bis zu 60.000 zusätzliche Soldaten anwerben, wie er Anfang Juni bekannt gab. Sein oberster General, Carsten Breuer, ein Viersterne-General mit der Amtsbezeichnung „Generalinspekteur“, hingegen forderte am 7. März 100.000 zusätzliches aktives Personal. Insgesamt will er sogar von derzeit 182.000 Soldaten sowie rund 60.000 Reservisten einen „Aufwuchs“ der Bundeswehr auf „mindestens 460.000 Soldatinnen und Soldaten“ erreichen. Einen Zeitrahmen für das Erreichen dieses Ziels nannte der General nicht.
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Probleme der Wehrpflicht
Deshalb ist in der Berliner Politik wieder die Reaktivierung der Wehrpflicht im Gespräch. Vor allem in zahlreichen auflagenstarken Printmedien wird diese Überlegung positiv diskutiert, oft von Journalisten, die selbst nicht bei der Bundeswehr gedient haben. Doch ist die Wiederaufnahme der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht wirklich ein zeitgemäßer Weg, eine moderne Armee „kriegstüchtig“ zu machen, wie Pistorius am 30. Oktober 2023 im ZDF das neue Ziel nannte?
Wer noch vor 2011 bei der Bundeswehr seinen Wehrdienst geleistet hat oder als Zeit- oder Berufssoldat diente, weiß um die Probleme, die die Wehrpflicht mit sich bringt. Wehrpflichtige waren oft nicht ausgelastet und sprachen selbst von „Bummeldienst“. Ausbilder waren oft mit Wehrpflichtigen konfrontiert, die ihre Unlust am „Dienst an der Waffe“ zur Schau trugen und sich gegenüber Vorgesetzten renitent verhielten.
Andere erschienen gar nicht erst zum Dienst und mussten von der Militärpolizei, den sogenannten Feldjägern, gesucht, verhaftet und zum Dienstantritt gezwungen werden. Nicht jeder, der anfänglich mit Begeisterung zur Bundeswehr ging, fand den Militärdienst nach einigen Monaten noch „cool“. Vielen missfiel der alltägliche Regeldienst, der eher nichts mit „Kriegstüchtigkeit“ zu tun hat, sondern mit „Stand-by“, mit Materialpflege und Verwaltungsaufgaben.
Auch das „Stubenleben“ – also die Gemeinschaftsunterkünfte mit mehreren Kameraden – ist nicht jedermanns Sache. Schon gar nicht der frühe Dienstbeginn um 6 Uhr oder gar Nachtausbildungen. Die Vorstellungen vom Militär sind zudem in der immer mehr ungedienten deutschen Bevölkerung überwiegend von amerikanischen Kriegsfilmen geprägt und entbehren bezüglich der Bundeswehr jeder Grundlage.
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Bundeswehr weltweit einzigartig
Denn die Bundeswehr unterscheidet sich gravierend von allen anderen Armeen dieser Welt. Sie unterhält keine „Master Sergeants“, die Rekruten mit unflätigen Ausdrücken anbrüllen oder sinnlose Liegestütze für kleinste Vergehen anordnen. Die Bundeswehr von heute ist eine hochprofessionelle Berufsarmee mit hervorragend ausgebildeten Soldaten.
Weil alle, die „dienen“, das „Soldatenhandwerk“ freiwillig als Beruf gewählt haben, ist auch die Motivation, den Dienstauftrag gewissenhaft auszuführen, wesentlich höher als bei Wehrpflichtigen. Auch der Begriff „Kameradschaft“ wird im Alltag gelebt. Anders als in allen Armeen dieser Welt essen alle Dienstgrade gemeinsam.
Es gibt nur noch an wenigen Standorten eine „Offiziersmesse“ – also einen Speiseraum ausschließlich für Offiziere. Der Befehlston ist grundsätzlich abgeschafft. Offiziere fordern in der Regel nicht, sondern bitten ihre Soldaten, diese oder jene Tätigkeit auszuführen. Wer heute noch von „Kasernenton“ spricht, hat keine Ahnung, es sei denn, er meint, dass man miteinander respektvoll umgeht. Weil alle wissen, dass sie den gleichen Beruf haben: Soldat.
Mit der Einführung der Wehrpflicht, und sei sie auf der Grundlage einer paradoxen „Freiwilligkeit“, wie Pistorius dies anstrebt, könnten sich die genannten Verhaltensweisen und damit auch die Motivation wieder zum Negativen verändern.
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Das Imageproblem: „Mörder“ und „Berufsverbrecher“
Die Eidesformel für Bundeswehrsoldaten beim feierlichen Gelöbnis lautet: „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Tapfer verteidigen heißt letztlich im Kampf sein Leben zu riskieren oder zu verlieren.
Obwohl dies das höchste Gut ist, das ein Mensch geben kann, ist das Ansehen von Bundeswehrsoldaten in der breiten Bevölkerung niedrig. Wesentlich dazu beigetragen hat die Aufarbeitung der Geschichte der Wehrmacht, deren Rolle in der Nazi-Diktatur von Historikern durchweg negativ bewertet wurde.
Aber vor allem prominente Persönlichkeiten wandten sich öffentlichkeitswirksam gegen die Bundeswehr. Etwa der evangelische Pastor Martin Niemöller (1892–1984). Im Ersten Weltkrieg war er noch begeisterter U-Boot-Fahrer.
Unter den Nazis wandelte er sich zum Widerstandskämpfer und appellierte in seiner Kasseler Rede am 25. Januar 1959 in seiner Funktion als Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau: „Über die Wehrpflicht lässt sich streiten, denn das ist ein Problem, wie weit ein Staat das Recht hat, seine Bürger dazu zu zwingen, andere Leute zu töten. Ein echtes Problem!“
Heute sei „die Ausbildung zum Soldaten […] die Hohe Schule für Berufsverbrecher. Mütter und Väter sollen wissen, was sie tun, wenn sie ihren Sohn Soldat werden lassen. Sie lassen ihn zum Verbrecher ausbilden.“ Diese Sätze Niemöllers reichten weit in die Gesellschaft hinein und zeigten Wirkung.
Auch das Zitat des Schriftstellers Kurt Tucholsky (1890–1935), der 1931 geschrieben hatte „Soldaten sind Mörder“, hat seit 1995 weiterhin dazu beigetragen, das Image der Bundeswehrsoldaten in einem negativen Sinn zu belasten.
Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Satz von der Meinungsfreiheit gedeckt sei. Wenn in der Gesellschaft derart ambivalent über Soldaten geurteilt und gedacht wird, verwundert es eigentlich, dass Deutschland überhaupt über eine Armee verfügt. Unter den genannten Umständen war eine Fortsetzung der Bundeswehr nach 2011 nur noch mit Berufssoldaten möglich. Denn die Bevölkerungsmehrheit konnte sich getrost weiterhin moralisch von den „Söldnern“ (Ursprung des Wortes „Soldat“) entkoppeln.
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Profis statt Kanonenfutter
Nun aber, da die gesamte NATO eine imminente Bedrohung durch Russland ausgemacht hat, kommt plötzlich bei den Regierenden die Sorge auf, eine kleine Berufsarmee könne nicht genug Schutz gewähren. Vor allem die übrigen NATO-Partner machen Druck auf das große Deutschland, endlich eine Armee aufzustellen, die seiner Rolle in Europa entspreche. Doch Zahlen allein machen noch keine Armee.
Schon Friedrich II. von Preußen (1712–1786) – auch Friedrich der Große genannt – besiegte Armeen, die ihm zahlenmäßig weit überlegen waren. Weil seine Soldaten professionell ausgebildet waren. Das geflügelte Wort „So schnell schießen die Preußen nicht“ stammt aus jener Zeit. Die Preußen verschossen ihr Pulver erst, als der Feind in Reichweite ihrer Musketen war.
Schon damals dienten die Soldaten der großen Heere Österreichs und Russlands eher als Kanonenfutter. Auch heute ist Gleiches im Ukraine-Krieg zu beobachten. Wer wirklich aus der Geschichte lernen möchte, geht andere Wege, um die Bevölkerung für Landesverteidigung zu gewinnen.
Bürger müssen den Staat verteidigen, nicht umgekehrt
Es bedarf dringend eines öffentlichen Diskurses, welche Aufgabe die Bundeswehr jenseits von Auslandseinsätzen haben soll. Geht es um Landesverteidigung, dann bedarf es allerdings einer höheren Anzahl an Soldaten, jedoch keiner „nationalen Volksarmee“, sondern mehr Profis. Diese können nur gewonnen werden, wenn das Image des Berufsverbrechers und Mörders revidiert wird. Das gelingt nicht rasch.
Politik und Medien sollten deutlich machen: Es geht nicht mehr darum, dass der Staat seine Bürger verteidigt, sondern dass die Bürger ihren Staat und sein Hab und Gut verteidigen müssen. Dazu werden nie alle Bürger bereit sein. Außerdem gibt es das Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Zwang zum Wehrdienst führt nur zu persönlichen Katastrophen und schlechten Soldaten. Ein „bisschen“ Wehrpflicht, wie es Pistorius nach „schwedischem Modell“ anstrebt, mag für das kleine Schweden ausreichen, nicht aber für den mächtigsten Staat der EU.
Attraktivität steigern
Wie also kann die Attraktivität des Soldatenberufs gesteigert werden? Zunächst einmal müssten die Karriereaussichten für Soldaten verbessert werden. Die derzeitigen kleinteiligen Beurteilungsregeln beruhen noch auf dem Kleinhalten der Bundeswehr.
Sie führen dazu, dass viele nach zwölf Jahren aus der Bundeswehr ausscheiden müssen, obwohl sie Berufssoldaten bleiben wollen. Auch Umschulungen für Soldaten, die sich auf einem Dienstposten nicht bewährt haben, aber für eine andere Verwendung infrage kämen, werden nicht ausreichend angeboten.
Der Sold (Bezüge) ist weiterhin unattraktiv niedrig für hochqualifiziert Ausgebildete. Aber gerade im technischen Bereich – insbesondere bei der Marine und der Luftwaffe – bedarf es dringend Personal, das keinesfalls mit Wehrpflichtigen aufgefüllt werden kann. Vielmehr müsste das Verteidigungsministerium ältere Quereinsteiger aus der Industrie zulassen und etwas höhere Bezüge anbieten als in der freien Wirtschaft.
Gleiches gilt für den Reservedienst. Viele Willige können Beruf und Reservedienstleistungen nicht miteinander verbinden, da die Arbeitgeber mauern. Wer aber als Arbeitgeber seinen Betrieb auch in einem Krisenfall weiterhin am Laufen halten möchte, sollte erkennen, dass dafür ein Preis gezahlt werden muss, in diesem Fall nicht nur mittels Steuern, sondern im Stellen von Personal.
Schließlich sollten in einer freien Gesellschaft die Schulabgänger selbst entscheiden dürfen, wie sie ihr anstehendes Berufsleben oder Studium gestalten wollen. Wehrpflicht ist eine Zäsur, die manchen eher aus der Bahn wirft. All dies bedarf bei vielen Entscheidungsträgern einer ungewohnt hohen Bereitschaft zum Umdenken.
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Fazit: Berufsarmee ist effizienter
Wenn der „Dienst an der Waffe“ gesellschaftlich wieder einen hohen Stellenwert gewinnt, wird es auch genügend junge Bürger geben, die sich dazu bereit erklären. Außerdem ist eine Berufsarmee von 250.000 Männern und Frauen – die wissen, was sie tun – billiger als eine Wehrpflichtarmee mit kurzzeitausgebildeten 460.000 Soldaten. Die deutsche Gesellschaft würde sich mit der Wehrpflicht keinen Gefallen tun.
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