„Das Erbgut unserer Vorfahren“: Autorin Eunike Grahofer taucht in die Wurzelwelt ein

In ihrem neuen Buch „Wurzeln“ fasst Eunike Grahofer das Wissen über 114 Wurzeln zusammen. Epoch Times war mit ihr im Gespräch über die Vorzüge von Schulmedizin und Naturheilkunde, über die vielschichtige Bedeutung von Wurzeln und über den Wert, in Kontakt zu sein mit diesen.
Titelbild
Eunike Grahofer, Autorin des Buches „Wurzeln“ und vieler weiterer rund um das Thema Naturheilkunde und Volksmedizin.Foto: Eunike Grahofer
Von 8. November 2025

Eunike Grahofer beschäftigt sich seit über 30 Jahren intensiv mit Pflanzen, ihrer Kulturgeschichte und den volksheilkundlichen Rezepturen. Das im Freya Verlag neu erschienene Nachschlagewerk „Wurzeln“ ist dabei ihr 15. Buch.

Sie ist Leiterin des Lehrganges „Diplomierter Wildkräutertrainer“, hält Seminare sowie Vorträge und publiziert in zahlreichen Medien. Für ihre Arbeit am Erhalt des Lebens- und Überlebenswissens unserer Vorfahren wurde sie mit dem Preis der Österreichischen Universitätenkonferenz „uniko“ und dem Preis „Umwelt.Wissen“ in Niederösterreich ausgezeichnet.

Grahofer lebt im Waldviertel in Niederösterreich und war dort in der Bezirkshauptstadt Waidhofen/Thaya in den Jahren 2020/21 Gesundheitsstadträtin und Bürgermeisterin.

In welchem Umfeld wurden Sie groß, dass Sie in Kontakt kamen mit dem Wissen über Pflanzen und ihre Wirkungen?

Meine Urgroßmutter war als Hebamme tätig, in Mariazell in der Steiermark, sehr abgelegen. Viele Mägde durften ihre Kinder gar nicht bei sich haben, die blieben bei der Hebamme. Mit Schuleintritt holten die Mägde die Kinder wieder. Laut den Erzählungen in meiner Familie hat meine Urgroßmutter bis zu 72 Kinder betreut und die mussten ernährt werden.

Es wurde aus der Natur gelebt. Das war in der Familie ganz normal. Erst als Erwachsene wurde mir klar: Es ist nicht überall so!

Die Familie meines Vaters hatte eine kleine Landwirtschaft im Waldviertel [Niederösterreich]. Dort gab es in der Nähe ein Krankenhaus für die Notversorgung. Bei meinen Großeltern und Urgroßeltern im Mariazeller Raum war es weiter weg. Daher auch die Notwendigkeit, sich selber durchbringen zu müssen, trotz spärlicher Vegetation.

Aber auch im Waldviertel bei der Familie meines Vaters wurde das Krankenhaus immer mit ein bisschen Respekt behandelt und kam erst in Betracht, wenn nichts mehr geholfen hat, obwohl die Versorgung gut war.

Also eine Skepsis gegenüber der Medizin im Krankenhaus?

Genau. Dass man das vermischen kann, das braucht ein paar Generationen. Das ist bei uns Menschen so.

Meine Eltern waren immer sehr hinterfragend. Insofern durfte ich wirklich im Luxus aufwachsen. Ich will immer verstehen, wieso und wie etwas ist. Das ist mir durch die Erziehung ganz stark geblieben.

Sie haben fünf Geschwister. Was unterscheidet Sie, dass Sie sich diesem überlieferten Wissen so angenommen haben?

Sich selber weiterzuhelfen, die Nahrung selbst anzubauen und alles zu verwenden – das haben meine anderen Geschwister auch.

Doch dadurch, dass ich als Kind einen Verkehrsunfall hatte und durch die lange Krankenhausbehandlung keinen handwerklichen Beruf erlernen konnte, habe ich eine kaufmännische Schule besucht. Von dort habe ich das Strukturieren, das Ordnen.

Daher bin ich wahrscheinlich eher diejenige, die alles niederschreibt. Und mit der Struktur ist es immer abrufbar für mich. Das ist vielleicht das, was mich von meinen Geschwistern unterscheidet.

Das heißt, Sie sind schon sehr früh auch mit der konventionellen Medizin in Kontakt gekommen?

Ich war relativ lange im Krankenhaus und habe schon in frühen Jahren erlebt, wie gut es ist, wenn es [Schulmedizin und Naturheilkunde] ineinandergreift. Beides hat seine Wertigkeit. Aus meiner Geschichte heraus verstand ich, dass beides gleich wichtig ist.

Wo haben die unterschiedlichen Medizinschulen ihre Stärken?

Im Akutbereich, wenn ich Inhaltsstoffe ganz genau dosieren muss, komme ich um Schulmedizin nicht herum. Das kann ich naturheilkundlich nicht.

Je nach Bodenqualität kann die Dosis [des Wirkstoffes] in den Pflanzen variieren. Ich kann nicht sagen, Löwenzahn hat genau so viel von diesem Inhaltsstoff, denn das hängt vom Boden ab.

Beim Dost, dem wilden Majoran: Wenn diese Pflanze in Kroatien wächst, wo der Boden sehr eisenhaltig ist, dann wird sie dort eher bei Magen-Darm-Problemen eingesetzt, da sie mehr Eisen enthält. Die gleiche Pflanze bei mir hier oben im Waldviertel hat nicht diesen hohen Eisengehalt. Bei uns beinhaltet sie andere Stoffe und ist eine Hustenpflanze, und da reden wir von der gleichen Pflanze.

Wenn ich weiß, ich habe bestimmte Anfälligkeiten in der Familie, dann kann ich bestimmte Pflanzen auf Vorrat bei mir haben. So kann ich vorbeugen oder begleitend Stoffe einnehmen. Aber im Akutbereich sind wir zu langsam.

Früher wurde Volksheilkunde natürlich auch da verwendet. Ich kenne genug Geschichten. Doch die Art und Weise wollen wir heute, glaube ich, nicht.

Da zu schmerzhaft oder zu aufwendig?

Zu aufwendig, zu risikobehaftet. Allein wenn wir an Narkosemittel denken: Auch in der Schulmedizin hat man sich dabei in den 70er- und 80er-Jahren vor Übelkeit noch erbrochen, heute sind die Narkosemittel so, als ob Sie kurz geschlafen hätten.

Ganz früher haben sie die Wurzeln vom Lerchensporn zum Einschläfern genommen. Aber das Aufwachen war ein Thema, das konnte man nicht steuern.

Kann man sagen, dass man sich in den letzten Jahrzehnten viel mehr mit der – heute sagen wir – konventionellen Medizin beschäftigt und daher dort auch viel mehr Wissen angesammelt hat?

Man hat die Wirkung einzelner Inhaltsstoffe erforscht, nimmt diese isoliert und setzt sie ganz gezielt ein. Dort sind wir weit mit der Forschung.

Doch wir haben ein Problem, wenn wir eine Pflanze in ihrer Gänze nehmen und verstehen wollen. Wie die vielen einzelnen Inhaltsstoffe in den Querverbindungen ineinandergreifen, ist ein Riesenthema. Da wird sich noch viel tun in Zukunft. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr weiß ich, dass wir ganz viel nicht begreifen.

Was halten Sie von der Idee, dass das Haus von den Pflanzen umgeben ist, welche die Bewohner benötigen? Würden Sie sagen, es ist eine Mär, oder kann man sich schon danach richten?

Eine meiner Lehrerinnen, eine Botanikerin, hat in Afrika eine Forschungsstation für Kleinstmikroorganismen betrieben. Mit ihr habe ich das Thema auch oft diskutiert und sie hat mir die Antwort gegeben: Früher gab es das Plumpsklo. Für „Klein“ ist man hinter den Stadel (Scheune) gegangen, vor allem die Männer des Hauses – immer wieder an der gleichen Stelle. Das heißt, das Milieu des Bodens wurde natürlich durch das Wasserlassen verändert.

Der Boden regeneriert sich immer selbst und somit sind die Pflanzen gewachsen, die den Boden regenerieren. Das waren folglich auch die Pflanzen, die für die Menschen gepasst haben, die sich dort erleichtert haben.

Dann gibt es Ideenansätze, die sagen, wenn man immer wieder in den warmen Monaten barfuß über die gleiche Wiese daheimgeht, verändert sich auch das Bodenmilieu. Denn über die Füße wird viel Wasser in Form von Schweiß abgegeben.

In welchem Austausch stehen wir mit den uns umgebenden Pflanzen?

Allein nur wenn man Pflanzen erntet, mit den Fingern angreift, sie trocknet, „abriebelt“, mit den Händen verarbeitet – nicht nur welch innere Zufriedenheit dies vermittelt, auch wie viele Stoffe man nur über dieses Angreifen aufnimmt, ist beachtlich.

Allein das Magnesium kann über die Haut besser vom Körper aufgenommen werden als im Speisetrakt. Und es gibt noch zig andere Stoffe, die wir vorwiegend durch den Kontakt beim Verarbeiten aufnehmen, ohne dass es uns bewusst ist.

Wenn man davon ausgeht, dass die Pflanze ein Lebewesen ist, gibt es dann noch ganz andere, feinstofflichere Ebenen?

In dem Haus, in dem ich jetzt seit 20 Jahren wohne, gab es im ersten Jahr vis-à-vis meiner Einfahrt einen wunderschönen großen Beifußstock. Ich bin immer dort vorbeigegangen und er hat mir gut gefallen. Eines Tages hatte ich das Gefühl, als ob er sagen würde: Grabe mich aus. Ich habe das nicht verstanden. Nach einer Woche war das Gefühl so stark, dass ich innerlich keine Ruhe mehr gefunden habe.

Ich habe ihn ausgegraben und in meinen Garten gesetzt. Drei oder vier Tage später stand an seinem früheren Standort ein Bagger und baggerte. Ohne Ankündigung. Das sind für mich die Erlebnisse, die mir die tausendprozentige Überzeugung geben, dass es Kommunikationen gibt.

Im Vorwort Ihres Wurzelbuches wird darauf eingegangen, inwiefern die Beschäftigung mit Wurzeln uns auch mit unseren eigenen Wurzeln verbindet. Wie passiert das?

Das Vorwort hat mir Sigrid Hirsch geschrieben. Sie ist die Gründerin des Freya Verlages und auch die Autorin von „Die Kräuter in meinem Garten“, welches in vielen Haushalten steht. Mit ihr kann ich immer ganz viel abgleichen oder besprechen.

Das Erste, was entsteht, egal ob bei uns Menschen oder bei den Pflanzen, sind die Wurzeln. Wenn ein Same auf den Boden fällt, kommt als Erstes die Wurzel heraus. Ohne diese bekommt der Samen kein Wasser und keine Nährstoffe. Er kann sich gar nicht entwickeln.

Die Wurzel gibt die Richtung vor, sie sagt: Wo ist unten, wo ist oben? Und das Letzte, was von einer Pflanze stirbt, ist die Wurzel. Solange die Wurzel lebt, ist die Pflanze nicht tot.

Wenn wir bei uns schauen: Je stärker unsere Wurzeln sind, das heißt, die Verbindung zu unseren Eltern, Großeltern, Urgroßeltern oder anderen Familienmitgliedern, desto kräftiger sind wir. Und ich kann sagen, wenn ich ein Problem habe oder unruhig bin und zu meinen Eltern heimfahre: Ich brauche das Thema nicht ansprechen. Allein 1 Stunde dort sitzen und über irgendwas reden, diese Gegenwart nimmt schon sehr viel auf einer anderen Ebene weg. Sie sind diese Stütze in der Familie.

Für viele ist es genau das Gegenteil. Oder sie nehmen es zumindest so wahr oder sie können diese Kraft nicht mehr spüren, die sie da bekommen könnten. Was könnten sie diesen Menschen sagen?

Ohne den Frieden mit unseren menschlichen Wurzeln finden wir auch innerlich den Frieden nicht. Wir sind Menschen, es gibt immer Reibungspunkte. Es gibt sicher ganz verschiedene Situationen. Aber irgendwann darf man sagen: Okay, ich vergebe dir von Herzen, was passiert ist, und du vergibst mir von Herzen, was passiert ist.

Es gibt natürlich ganz schlimme Erfahrungen. Doch da habe ich eine afrikanische Sichtweise bei solchen Themen. Wenn dich zum Beispiel jemand niederschreit.

Ich habe früher einen cholerischen Vorgesetzten gehabt. Ich war damals jung und habe es nicht verstanden. Ich hatte zum Glück jemanden, bei dem ich mein Herz ausschütten konnte. Sie hat nur geschaut und gesagt: Du nimmst das zu persönlich. Wenn er solche Emotionsergüsse hat, dann spricht nicht er, sondern er ist innerlich so überfordert, dass die Leber aufschreit. Er braucht dringend etwas für die Leber.

Diese Sichtweise aus Afrika fand ich spannend. Wenn es um verbale Ausgleitungen geht, schreit der Körper innerlich auf.

Da wir nicht mehr zu unseren Wurzeln zurückgehen, weil dort zu viel Geschichte ist, die wir ablehnen, ist das Resultat eine große Entwurzelung. Aber wo ist die Wurzel dieser Entwurzelung?

Ich glaube, dass wir Menschen viel egoistischer geworden sind. Es ist natürlich ein Luxus der Zeit, wenn jeder sein eigenes Geld verdienen kann und damit unabhängig ist. Ich möchte es nicht missen.

Aber es ist eine Gratwanderung: Wie gehe ich mit Macht um, wie gehe ich mit Eigenständigkeit um? So, dass es trotzdem ein Miteinander geben kann, auch wenn ich eigenständig bin.

Die Illusion der Unabhängigkeit hat uns in die Isolation gebracht?

Ja, wir können nicht unabhängig sein. Wenn man auf einem Planeten gemeinsam lebt, geht das nicht. Das Zuhören ist oft nicht mehr gegeben. Einfach zuhören. Und da gibt es diesen Ausspruch: Der Herrgott hat mir zwei Ohren gegeben, um zu hören, und nur einen Mund, um zu antworten.

Sie sagten, das Erste, was beim Samen entsteht, ist die Wurzel. Was wäre das analog beim Menschen?

Ohne unsere Eltern gibt es uns auch nicht. Sie sind die Wurzeln von uns: die Eltern, die Großeltern, die Urgroßeltern.

Sie meinen, die einfache Anerkennung, dass wir in der Reihe unserer Vorfahren stehen, genügt, um nicht zu versuchen, diese Wurzeln abzukappen?

Genau. Wir können uns nicht abkappen. Je mehr wir versuchen, uns abzukappen, umso mehr schreit das Thema auf. Wir können uns nicht von den Vorfahren trennen. Wir sind aus ihnen heraus entstanden. Ihr Blut fließt durch uns.

Ebenso wie wir uns schwer zwischen Mutter und Vater entscheiden können, denn das Blut beider fließt durch uns. Wir können akzeptieren, dass wir manches anders sehen oder manches anders ausleben oder ausprobieren möchten. Das können wir dankend annehmen – aber trennen, das wird nicht funktionieren.

Ich glaube, dass es viel Stress aus dem Leben nehmen würde, wenn wir die Wurzeln einfach akzeptieren. Danke, dass ihr da seid, ohne sie emotional zu werten.

Was meinen Sie, wie ihre Großelterngeneration mit emotionalem Stress umgegangen ist?

Sie haben die Emotion herausgearbeitet, denn sie haben körperlich schwer gearbeitet: Ernten, Heuschupfen und Tiere füttern. Die Konflikte sind nie so eskaliert. Eskaliert sind sie dann, wenn die Arbeit draußen weg war, der Schnee zu hoch war.

Genau da gibt es die Raunachtsrituale, das Beten, das Vergeben. Genau in dieser Phase. Und wenn das Arbeiten draußen wieder losgeht, ist die Phase vorbei. Das Überleben stand im Vordergrund.

Über lange Zeiten gab es nur Pflanzen, die uns helfen konnten. Wir müssen diese alten Rezepturen nicht unbedingt weiter umsetzen, aber es ist ein Kulturgut. Es ist das Erbgut unserer Vorfahren. Das ist erstens interessant, und zweitens ist jedes davon mit Geschichte verbunden. Und allein das zu kennen, was immer ich daraus mache, das finde ich wichtig.

Vielen herzlichen Dank, Frau Grahofer, für das Gespräch.

Ich bedanke mich für das Interview.

 



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