Der Blick in den Koalitionsvertrag: Wenn Rentner weiter arbeiten sollen

Nach dem Willen der wahrscheinlich neuen Regierungskoalition sollen Senioren in Deutschland mit einer steuerfreien „Aktivrente“ einen Extraanreiz erhalten, um möglichst noch über das Rentenalter hinaus zu arbeiten. Was halten Experten und Interessenvertreter von der Idee?
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Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung gingen im Jahr 2023 rund 1,18 Millionen Menschen im regulären Rentenalter noch einer Erwerbsarbeit nach.Foto: Jan Woitas/Symbolbild/dpa
Von 1. Mai 2025

Wenn es nach der künftigen schwarz-roten Bundesregierung geht, sollen Senioren in Zukunft möglichst auch nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters beruflich aktiv bleiben: Unter dem Schlagwort „Aktivrente“ sollen auch Empfänger des Altersruhegeldes einen Extraanreiz erhalten, weiter an der Wertschöpfung in Deutschland mitzuwirken.

Auf Seite 20 des Koalitionsvertrages (PDF) heißt es, jeder Rentner solle bis zu 2.000 Euro dazuverdienen dürfen, ohne dass der Fiskus Steuern davon abzwackt.

Nach dem Willen der wahrscheinlich neuen Regierungskoalition sollen Senioren in Deutschland mit einer steuerfreien „Aktivrente“ einen Extraanreiz erhalten, noch über das Rentenalter hinaus zu arbeiten. Foto: Bildschirmfoto/CDU.de

Nach dem Willen der wahrscheinlich neuen Regierungskoalition sollen Senioren in Deutschland mit einer steuerfreien „Aktivrente“ einen steuerlichen Anreiz erhalten, noch über das Rentenalter hinaus zu arbeiten. Foto: Bildschirmfoto/CDU.de/PDF

Schon 2023 über 1 Million Rentner erwerbstätig

Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung (DRV) standen im Jahr 2023 rund 1,18 Millionen Menschen im regulären Rentenalter in einem Beschäftigungsverhältnis. Mit 278.000 Personen seien davon etwa 24 Prozent sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen, bestätigte eine Sprecherin gegenüber der Epoch Times. Der Rest sei lediglich einer geringfügigen, steuerfreien Beschäftigung („Minijob“) nachgegangen.

Zahlen für das Jahr 2024 werde es erst 2026 geben. Mit der von Merz und Co. geplanten Aktivrente werde die DRV „voraussichtlich keine Berührungspunkte“ haben. Der Grund: Sie betrifft ausschließlich die steuerliche Behandlung des Hinzuverdienstes und nicht die Berechnung oder Auszahlung der gesetzlichen Rente selbst.
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Knapp die Hälfte der über 50-Jährigen sieht Arbeit im Rentenalter als Chance

Eine repräsentative Civey-Umfrage im Auftrag des Sozialverbands VdK hatte im August 2024 ergeben, dass sich 38,3 Prozent aller Befragten über 50 Jahre nicht vorstellen konnten, als Rentner noch zu arbeiten. 47,1 Prozent aber hatten das als Option betrachtet. Unter diesen hatten 30,5 Prozent als Grund die Befürchtung angegeben, dass die gesetzliche Rente nicht ausreichen könnte. Mit 62,3 Prozent sagten gut doppelt so viele, dass ihnen die Arbeit Spaß bereite.

Zum Vergleich: Das IAB hatte vor drei Jahren gemessen, dass 97 Prozent der erwerbstätigen Rentenbezieher „Spaß an der Arbeit“ als Motiv nannten. Bei 43 Prozent hatte das Geld eine Rolle gespielt.

Auch der „Gesundheitsreport“ der Techniker Krankenkasse aus dem Sommer 2024 (PDF) hatte ergeben, dass viele Menschen eine Erwerbstätigkeit neben dem Bezug der Altersrente begrüßten – als eine Möglichkeit, ihr Wissen und Können einzubringen, soziale Kontakte beizubehalten oder schlicht mehr Geld zur Verfügung zu haben.

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Sozialverband VdK sieht Anreizsystem „ambivalent“

Der Sozialverband VdK verwies gegenüber Epoch Times auf Zahlen des Bundesamts für Statistik. Diese zeigten, dass 2023 insgesamt 13 Prozent der Bürger im Alter zwischen 50 und 74 Jahren nach ihrem Renteneintritt weiter gearbeitet hatten, darunter 6 Prozent bei gleicher Stundenanzahl und gewohntem Arbeitgeber.

Deutschland befinde sich damit „im absoluten Durchschnitt Europas“, so ein VdK-Sprecher auf Anfrage der Epoch Times, „Erzählungen, deutsche Rentnerinnen und Rentner seien besonders faul, lassen sich also nicht belegen“. Der Sozialverband VdK stehe den Koalitionsplänen für eine Aktivrente im Übrigen „ambivalent“ gegenüber:

Wir stellen fest, dass diese gesellschaftliche Debatte Rentnerinnen und Rentner zunehmend unter Druck setzt. Wer nicht mehr arbeiten kann oder will, bekommt schnell das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen.“

Schon heute arbeiteten viele Rentner eben nicht aus Freude, sondern aus Not. „Deshalb fordern wir eine nachhaltige Erhöhung des Rentenniveaus auf über 50 Prozent“, so der VdK-Sprecher.

Er räumte jedoch ein, dass Arbeit im Ruhestand im Sinne der sozialen Teilhabe „tatsächlich emotional bereichernd und sogar gesundheitsfördernd sein“ könne, falls ein Senior noch gesund und motiviert sei. Dann könne Arbeit soziale Kontakte fördern, geistig fit halten und – je nach Tätigkeit – auch körperlich. Dazu müsse die Tätigkeit aber „freiwillig, flexibel und den individuellen Fähigkeiten angepasst“ sein.

VdK glaubt nicht an große Erfolge für den Arbeitsmarkt

Die Effekte für den Arbeitsmarkt seien allerdings „als gering einzustufen“, kommentierte der VdK-Sprecher unter Verweis auf eine Studie des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) aus dem Jahr 2024. Diese hatte ergeben, dass über den Anreiz einer Aktivrentenregelung mit steuerfreiem Zuverdienst lediglich 5.000 bis 15.000 Ruheständler eine Arbeit aufnehmen würden.

Es gebe zwar auch eine Prognos-Studie, die in mehreren fiktiven Szenarien die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Aktivrente untersucht habe, so der VdK-Sprecher. „Die Herleitung deren Prognosen von 50.000, 150.000 und 300.000 ist allerdings nicht überzeugend, da die Aktivrente nur als eine von mehreren Optionen angeführt wird.“

VdK: „Arbeitgeber in der Pflicht“

Andererseits könne man aus Sicht des Sozialverbands VdK im Kampf gegen den Fachkräftemangel „ein noch viel größeres Reservoir an Arbeitskraft von älteren Menschen heben“. Entscheidend sei, die Arbeitnehmer bis zum regulären Renteneintrittsalter gesund zu halten.

„Wir sehen hier vor allem die Arbeitgeber in der Pflicht, altersgerechte Arbeitsplätze, Umschulungen, Präventionsangebote und Gesundheitsförderung im Betrieb anzubieten“, betonte der Sprecher. „Gleichzeitig würden diese Menschen bis an oder über den regulären Renteneintritt arbeitsfähig bleiben und blieben damit von Rentenabschlägen verschont, die ein großes Risiko für Altersarmut darstellen.“

Auch die Frage nach der Lebenserwartung ist aus Sicht des VdK differenziert zu betrachten. Man nehme an, dass insbesondere bei Menschen mit „körperlich und psychisch herausfordernden Berufen“ der Effekt negativ sein könnte, wenn jemand nur wegen des Geldes weiterarbeiten müsse. „Auch in dieser Frage zeigt sich, dass die Aktivrente ohnehin privilegierte Menschen zusätzlich begünstigt“, gab der Sprecher zu bedenken.

Gesellschaft für Geriatrie: „Wer rastet, rostet“

Die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) steht der Aktivrente offenbar grundsätzlich positiv gegenüber. Die DGG-Ärzte, die sich mit der physischen wie psychischen Gebrechlichkeit von Menschen im Alter von 80 Jahren aufwärts beschäftigten, verträten stets den Standpunkt „Wer rastet, rostet“, antwortete eine Sprecherin auf Anfrage der Epoch Times. Und weiter:

Es ist immer förderlich, beweglich, also körperlich (moderat) aktiv zu bleiben, geistig aktiv zu sein sowie sich gesund zu ernähren.“

Familienbund der Katholiken: Entweder Aktivrente oder späteres Renteneintrittsalter

Der Familienbund der Katholiken hält es vor dem Hintergrund der „Generationengerechtigkeit“ grundsätzlich für „richtig, ältere Menschen zu motivieren, länger zu arbeiten“.

„Gegenüber einer Anhebung des Renteneintrittsalters ist das freiwillige längere Arbeiten ein milderes Mittel“, erklärte Bundesgeschäftsführer Matthias Dantlgraber auf Anfrage der Epoch Times. Die Gesundheit älterer Menschen dürfe dabei aber keinesfalls gefährdet werden, die Freiwilligkeit müsse „echt“ sein und dürfe nicht einfach auf einer zu niedrigen Rente beruhen.

Dantlgraber wies darauf hin, dass ein Weiterarbeiten bei gleichzeitigem Rentenbezug die Rentenkasse „deutlich weniger“ entlasten würde als eine Anhebung des Renteneintrittsalters. Ein späterer Rentenbezug sei deshalb eine Alternative zur Aktivrente. Für jene, die nicht länger arbeiten könnten, müsse es allerdings „Sonderregelungen“ geben, „damit die Anhebung der Altersgrenze nicht zur indirekten Rentenkürzung wird“. Zudem solle die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren („Rente mit 63“) „überdacht“ werden, schlug Dantlgraber vor.

Wirtschaftswissenschaftler skeptisch

Was die Erfolgsaussichten der Aktivrente angeht, äußerten sich Ökonomen zuletzt eher zurückhaltend. Prof. Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) glaubt, dass die Aktivrente „in erster Linie Vielverdiener“ entlasten werde. Menschen mit kleinerem Einkommen würden eher wenig profitieren, sagte Weber nach Angaben der Nachrichtenagentur dts. Dr. Jochen Pimpertz vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft hält es laut dts grundsätzlich für „fragwürdig“, älteren Arbeitnehmern Vorrechte bei der Lohnbesteuerung zuzubilligen.

„Grundsätzlich ist es gut, Anreize für eine längere freiwillige Lebensarbeitszeit zu setzen“, meinte nach dts-Angaben Ulrike Stein vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in Düsseldorf. „Aber ich bezweifle, dass die zusätzliche Erwerbstätigkeit wirklich so stark ansteigt, dass sich die Steuerfreiheit für den Staat auszahlt.“

Auch der Bochumer Wirtschaftsweise Prof. Martin Werding zweifelt daran, dass die Aktivrente deutlich mehr Senioren zur Weiterarbeit motivieren könnte. „Der Wunsch, möglichst früh aufzuhören mit der Erwerbsarbeit, ist weiterverbreitet“, so Werding, „gleichzeitig gibt es ja durchaus Menschen, die jetzt schon länger arbeiten, sodass es gigantische Mitnahmeeffekte geben dürfte“. Er halte es für „unwahrscheinlich, dass der positive Effekt diese Mitnahmeeffekte ausgleicht“.

ifo-Institut 2023: 70 Prozent der Unternehmen beschäftigen Ruhegeldbezieher

Der Personaldienstleister Randstad hatte das ifo-Institut (PDF) zuletzt im zweiten Quartal 2023 beauftragt, Personalverantwortliche unter anderem zum Thema Rentnerarbeit zu befragen. Demnach gaben schon damals 70 Prozent der fast 540 befragten Personaler an, auch Rentenbezieher zu beschäftigen, aber kaum jemanden über 70 Jahre. Von den 70 Prozent der Rentenbezieher seien es abermals rund 70 Prozent, die auf Minijob-Basis arbeiteten, 45 in Teilzeit und 11 Prozent in Vollzeit.

Zudem hätten 37 Prozent der Unternehmen Altersteilzeit-Modelle angeboten und wollten vorerst an ihnen festhalten: „Die älteren Beschäftigten dürften […] an Bedeutung gewinnen“, stellte das ifo-Institut fest, auch wenn primär die großen Betriebe planten, ihren Fokus künftig wieder stärker auf Arbeitnehmer unter 40 Jahren zu legen.

Die Epoch Times schickte auch den fünf Bundestagsfraktionen Fragenkataloge, um unter anderem mehr über deren Erfolgserwartungen zur Aktivrente zu erfahren. Bis zum Redaktionsschluss lag uns lediglich eine kurze Antwort der Unionsfraktion vor: Man könne nur auf die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag verweisen.

Informationen zu den aktuellen Regeln für einen Hinzuverdienst bei Rentenbezug gibt es bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV, PDF).

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