Eine Geschichte aus dem wahren Leben: Feinde werden zu Freunden

Es ist Winter 1943, fünf Tage vor Weihnachten. Ein schwer bewaffneter amerikanischer B-17-Bomber (Flying Fortress – Fliegende Festung) ist als Teil eines Bomberverbandes über Norddeutschland unterwegs, mit dem Auftrag, eine Jagdflugzeugfabrik bei Bremen anzugreifen.
Für den 21-jährigen US-Piloten Charles „Charlie“ Brown ist dies seine erste Mission. Das Flugzeug trägt den Spitznamen „Ye Olde Pub“ (Die alte Kneipe). Kaum hatte der Einsatz begonnen, geraten die Flugzeuge unter heftiges Luftabwehrfeuer.
Charlies Flugzeug wird mehrfach getroffen und fällt hinter den Verband zurück. Zum Bombenabwurf sind es gerade noch zwei Minuten Flugzeit. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen.
Der Beschuss vom Boden und den aufgestiegenen deutschen Jagdflugzeugen hatte „Die alte Kneipe“ außer Gefecht gesetzt. Die Bugnase war aufgerissen, mehrere der vier Motoren ausgefallen und die Strom- und Sauerstoffsysteme beschädigt. Hinzu kommen zahlreiche weitere Schäden. Fast die gesamte Besatzung ist schwer verwundet, der Heckschütze tot.

B-17-Bomber über Ungarn (1944). Foto: Fortepan/National Archives, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons
Der deutsche Jagdflieger Franz Stigler hatte in 487 Kampfeinsätzen bereits 28 Abschüsse erzielt. Noch ist er am Boden, als die B-17 in geringer Höhe „vorbeihumpelt“. Frisch aufgetankt und neu bewaffnet steigt Stigler mit seiner einmotorigen Messerschmitt Bf 109 in die Luft.
Der erfahrene Kampfpilot weiß, der Bomber wird ein leichtes Ziel abgeben. Dieser Abschuss bringt ihm mit Sicherheit das Ritterkreuz ein – eine der höchsten militärischen Auszeichnung, die das nationalsozialistische Deutschland während des Zweiten Weltkriegs verlieh.
Stigler nähert sich dem Amerikaner und bemerkt, welch schwere Schäden das Flugzeug erlitten hat. Er kann ins Innere der B-17 hineinsehen, sieht die schwer verwundeten und kampfunfähigen Besatzungsmitglieder. Stiglers erster Gedanke ist, das Flugzeug jetzt abzuschießen und sich das Ritterkreuz zu holen. Doch dann zögert er. Er erinnert sich an etwas…

Deutsches Jagdflugzeug Messerschmitt Me 109 (1943). Foto: Bundesarchiv, Bild 101I-662-6659-37 / Hebenstreit / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE via Wikimedia Commons
Der Kriegerkodex
Früh in seiner Militärlaufbahn hatte ihm ein vorgesetzter Offizier gesagt, dass es unehrenhaft sei, einen Mann am Fallschirm abzuschießen. Diese Worte schießen Stigler in den Kopf, als er sieht, wie das amerikanische Flugzeug darum kämpft, in der Luft zu bleiben. Stigler bekommt das Gefühl, dass ein Abschuss dem eines herabschwebenden Piloten am Fallschirm gleichkäme. Es würde gegen den Kriegerkodex verstoßen.
Zuerst versucht Stigler, dem beschädigten Flugzeug mit Handzeichen zu signalisieren, in Deutschland zu landen und sich zu ergeben. Brown und seine Crew reagieren nicht. Entweder können sie ihn nicht verstehen oder sie lehnen es ab, in Gefangenschaft zu gehen.
Charlie Brown fliegt weiter mit der schwer beschädigten B-17. Stigler unternimmt einen weiteren erfolglosen Versuch, das Flugzeug zum Landen in Schweden zu bewegen. Dort hätte die Besatzung medizinische Hilfe erhalten können. Aber die B-17 fliegt weiter und weiter. Stigler beschließt, das amerikanische Flugzeug durch den deutschen Luftraum zu eskortieren. Er hofft, es damit vor dem Beschuss der Luftabwehr zu schützen.
Obwohl sein Handeln ehrenhaft ist, weiß Stigler, dass er vor ein Kriegsgericht gestellt und hingerichtet würde, wenn jemand herausfände, was er getan hat.
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Der nervenzerreißende Parallelflug erreicht die Grenze des deutschen Luftraums. Charlie Brown ist immer noch nicht klar, was der deutsche Kampfflieger vorhat. Schließlich befiehlt er, ein Geschütz auf die Messerschmitt zu richten, um sie zu vertreiben. Stigler salutiert Brown und seiner Crew, bevor er abdreht und nach Deutschland zurückkehrt.
Brown landet in England mit fast leerem Tank. Er ist verwirrt über das, was gerade geschehen ist. Ein Vorgesetzter warnt ihn jedoch, niemals zu erwähnen, was er eben erlebt hat: Man wolle nicht, dass die Soldaten positive Ansichten über den Feind entwickelten.
Auf der anderen Seite der feindlichen Linien kehrt Stigler zurück. Er erzählt aus Angst vor einer Hinrichtung niemandem, was passiert ist.

Die Crew des „Ye Olde Pub“ – (hinten, von links nach rechts): Staff Sergeant Bertrand „Frenchy“ Coulombe, Sergeant Alex Yelesanko, Technical Sergeant Richard Pechout, Staff Sergeant Lloyd Jennings, Technical Sergeant John „Hugh“ Eckenrode und Staff Sergeant Sam Blackford. Kniend (vorn, von links nach rechts): 2nd Lt. Charles „Charlie“ Brown, 2nd Lt. Spencer „Pinky“ Luke, 2nd Lt. Al Sadok und 2nd Lt. Robert Andrews. Foto: United States Army Air Forces, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons
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Eine rührende Begegnung – und Freunde bis zum Tod
Jahrzehnte später, bei einem Pilotentreffen im Jahr 1986, dachte Brown wieder über den Vorfall nach. Er hatte häufig Albträume über die damalige Begegnung im deutschen Luftraum. Er musste Stigler finden…
Stigler war nach dem Krieg nach Kanada ausgewandert. Auch er hatte immer wieder an jenen Tag im Winter 1943 zurückgedacht. Er fragte sich, was wohl mit der B-17 und ihrer Crew geschehen war, deren Leben er gerettet hatte.
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Vier Jahre lang suchte Charlie Brown vergeblich. Eines Tages, er hatte zuvor in einem deutschen Kriegsveteranen-Newsletter eine Anzeige geschaltet, reagierte jemand auf die Anzeige. Nach einem kurzen Telefonat, in dem sich beide gegenseitig anhand von nur ihnen bekannten Details eindeutig identifiziert hatten, beschlossen sie, sich persönlich in einer Hotellobby in Florida zu treffen.
Sie wurden Freunde. In den nächsten Jahren besuchten sie sich häufig gegenseitig und unternahmen gemeinsame Reisen, zusammen mit ihren Frauen. Am 22. März 2008 starb Franz Stigler im Alter von 92 Jahren. Sein Tod nahm Charlie Brown sehr mit.
Am 24. November desselben Jahres verstarb auch er, im Alter von 86 Jahren.
Der Artikel erschien im Original zuerst bei theepochtimes.com unter dem Titel „Charlie Brown and Franz Stigler: Honor Among Enemies“ (Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: sm)
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