Ist der Reformationstag überflüssig geworden?
Die CDU-Politikerin Gitta Connemann hat in dem Podcast „Table.Today“ von „Table.Briefing“ am 7. Oktober die Abschaffung des evangelischen Reformationstages als Feiertag gefordert. Ihr Argument als evangelische Christin: An diesem Feiertag seien die Kirchen ohnehin oft leer. Sie wisse, wovon sie spreche. Ein Feiertag weniger würde zudem „das Arbeitsvolumen“ erhöhen, sagte Connemann, die zudem Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und Beauftragte der Bundesregierung für den Mittelstand ist.
Der Reformationstag am 31. Oktober ist nur in neun von 16 Bundesländern ein gesetzlicher Feiertag: in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie erst seit 2018 auch in Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.
Kritik von Haseloff: „Kommt nicht infrage“
Connemanns Vorschlag stieß umgehend auf Kritik. „Die Reformation hat nicht nur Deutschland verändert, sondern die Welt. Sachsen-Anhalt ist das Land der Reformation und daher kommt für mich die Abschaffung des Reformationstages nicht infrage“, wehrte sich Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) in der „Mitteldeutschen Zeitung“ gegen seine Parteikollegin.
Dem Kölner „Domradio“ zufolge widerspricht auch Brandenburgs CDU-Landeschef Jan Redmann der Staatssekretärin. Um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands zu stärken, „sollte man nicht bei den christlichen Feiertagen beginnen“, sagte Redmann, der auch dem CDU-Bundesvorstand angehört. Solche Feiertage seien „weit mehr als ein Maß für die Auslastung von Gottesdiensten, sie sind Ausdruck unseres kulturellen und geistigen Fundaments“, so der CDU-Politiker.
Weiterer Widerspruch wurde vom kirchenpolitischen Sprecher der Brandenburger SPD-Landtagsfraktion, Johannes Funke, erhoben. „Die Geschichte der Mark Brandenburg und der Reformation sind bis heute untrennbar miteinander verbunden“, erklärte Funke laut „Domradio“. Der Reformationstag erinnere an einen historischen Aufbruch. Dieser habe Deutschland „kulturell, geistig und politisch maßgeblich geprägt“. Und er fügte hinzu: „Da erst die Wiedervereinigung uns diesen gesetzlichen Feiertag ermöglicht hat, sage ich als ehemaliger DDR-Bürger, dass das auch so bleiben soll.“
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Evangelische Kirchen: Feiertage stärken Gesellschaft
Seitens der evangelischen Kirchen mahnte Bischof Christian Stäblein, dass gemeinsame Gedenkzeiten für die „Stärke und Resilienzkraft einer Gesellschaft elementar“ seien. Stäblein ist der geistliche Leiter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und schlesischer Oberlausitz. Die christlichen Feiertage ermöglichten seiner Meinung nach „Besinnung und zugleich Aufbruchsenergie“. Weitere evangelische Bischöfe äußerten sich ähnlich.
Die neun Bundesländer, die sich dafür entschieden haben, den Reformationstag zum Feiertag zu erklären, sind oder waren vorwiegend evangelisch geprägt. In den überwiegend katholischen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland gilt der Folgetag, der 1. November, als Feiertag. Er wird Allerheiligen genannt. Katholiken gedenken an diesem Tag jener vorbildlichen Christen, die von den Päpsten heiliggesprochen wurden. Lediglich in Berlin und in Hessen gilt keiner der beiden Gedenktage als gesetzlicher Feiertag. Dort muss an beiden Tagen gearbeitet werden.

Eine Statue des deutschen Kirchenreformators Martin Luther mit einem Buch in der Hand, das seine Übersetzung des Neuen Testaments der Bibel ins Deutsche enthält, steht auf dem Marktplatz vor dem Rathaus in Wittenberg, Sachsen-Anhalt. Am 31. Oktober 1517 veröffentlichte der Theologe seine bahnbrechenden „95 Thesen“ zur Kritik an der katholischen Kirche. Foto: Hendrik Schmidt/DPA/AFP via Getty Images
Auslöser: Luthers Thesen vom 31. Oktober 1517
Der Reformationstag erinnert an die Veröffentlichung der „95 Thesen“ gegen Missstände in der katholischen Kirche durch den Augustinermönch Martin Luther (1483–1546). Am 31. Oktober 1517, dem Tag vor Allerheiligen, nagelt Luther mit lauten Hammerschlägen 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg.
So zumindest präsentierte 400 Jahre lang die evangelische Kirche den Beginn der Reformation. Doch dieses Bild ist wahrscheinlich eine Legende. Wahr ist vielmehr, dass Luther seine Klagen über den Ablasshandel 1517 an zwei Bischöfe schrieb und dem Brief 95 Thesen beilegte, die er mit seinen Kirchenoberen diskutieren wollte. Dies ist heute anerkannter Forschungsstand, nicht aber verbreitetes Wissen in der Öffentlichkeit. In seinem inzwischen zum Standardwerk avancierten Werk „Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs“ hat dies 2012 der Frankfurter Professor für Kulturanthropologie, Heinz Schilling, für jedermann nachvollziehbar erklärt.
Der von Luther angeprangerte Ablasshandel war eine von der damaligen Kirche eingeführte Praxis, der die Vorstellung zugrunde lag, dass man sich von Sünden freikaufen oder zumindest nach dem Tod die Zeit im Fegefeuer verkürzen könne. Tatsächlich aber diente der Handel mit Ablassbriefen zur Finanzierung der Kirche, unter anderem auch für den Bau des Petersdoms in Rom.
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Geistige Befreiung
Luthers Thesendiskussion löste eine Reformbewegung in ganz Europa aus und führte unbeabsichtigt zur Kirchenspaltung des westlichen Christentums und damit zur Gründung der evangelischen Kirchen. Somit verursachte die ursprünglich rein kircheninterne Diskussion weitreichende Veränderungen in den westeuropäischen Gesellschaften.
Indem Luther außerdem das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche übersetzte und damit vielen Menschen erstmals einen persönlichen Zugang zu den Lehren der Bibel ermöglichte, trug die Reformation auch maßgeblich zur Verbreitung der Alphabetisierung bei, wie die Evangelische Kirche in Deutschland bis heute hervorhebt.
Später folgte die erste komplette Ausgabe der Bibel auf Deutsch. Neben Luther beteiligten sich an der Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen und Aramäischen mehrere seiner Kollegen, besonders von der Wittenberger Universität.
Laut Schillings Erkenntnis war die Reformation vorwiegend eine geistige Befreiung und der Beginn der Demokratisierung der westlichen Welt. Denn Luther ermutigte auch weitere reformatorisch gesinnte Geister wie Huldrych Zwingli in Zürich und Johannes Calvin in Genf, das bis dahin „verschlossene Denken der westlichen Welt“ aufzubrechen, wie es der englische Historiker Charles Freeman 2005 in seinem Buch „The Closing of the Western Mind: The Rise of Faith and the Fall of Reason“ nannte.
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Mit seiner 48 Seiten umfassenden Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ setzte Luther 1520 zudem eine unumkehrbare politische Reform in Gang, die die Epoche der Aufklärung im 18. Jahrhundert beeinflusste. Bei den überwiegend protestantischen englischen Siedlern in Nordamerika bildete Luthers Reformation die geistige Grundlage, im Jahr 1776 eine Revolution gegen die Kolonialmacht England zu entfachen. Sie führte zur ersten neuzeitlichen Demokratie.
Vor diesem kulturgeschichtlichen Hintergrund hat der Reformationstag eine weltweite Bedeutung erlangt, die es gilt, sich zumindest am 31. Oktober eines jeden Jahres wieder in Erinnerung zu rufen.
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