Kolumne vom Freischwimmer: „Fachgespräch mit dem Kinde“

Etwas verdattert schaute ich zum 9-jährigen hinüber. Eigentlich mag er doch Pizza.
Es war auch nicht zu erkennen, ob er irgendwelche Schwierigkeiten mit dem Messer, dem knusprigen Rand oder mit überhaupt irgendetwas hat.
Ich schaute ihn prüfend an. Doch nichts passierte. Gedankenverloren beschäftigte er sich mit dem Essen. Weitere Ausführungen zum Thema? Weit gefehlt.
„Was nervt dich“, frage ich ihn schließlich nach gefühlten zwei Ewigkeiten.
„Na, dass der manchmal gewinnt“. Dann war wieder Ruhe.
Konzentriert schnibbelte er an seiner italienischen Köstlichkeit herum und dachte offensichtlich nicht im Traum daran, mich an seinen weiteren Gedanken teilhaben zu lassen.
Kein Mucks kam von ihm. Nur das leise Knacken des Pizzarandes war zu hören. Es war so leise, dass ich mich über die Lautstärke meiner Gedanken wunderte. Dabei fragte ich mich ob Filius heute so ein herzensguter Junge wäre, mich über seinen Ärger aufzuklären. Dem war aber nicht so. Zu sehr schien er mit seinem Festmahl beschäftigt zu sein.
Nicht ganz ohne den Anflug von leichtem, ganz leichten Sarkasmus richtete ich nun wieder das Wort an meinen kleinen Geheimniskrämer:
„Falls der junge Herr heute noch ein offenes Zeitfenster zwischen seinen Tätigkeiten hat, wäre ich der glücklichste Mensch auf der Welt, wenn du mir mal in ganzen Sätzen erklären würdest, worum es eigentlich geht. Aber nur, wenn es nicht zu viel verlangt ist“.
Weil er immer noch damit beschäftigt war, den Knusperrand mit Messer und Gabel in einem heroischen Kampf zu besiegen, schaute er auch diesmal wieder nicht auf, als er sagte: „es nervt mich; es nervt mich übelst, dass der Teufel manchmal gewinnt!“
Ich war baff. Sofort fiel mir das Buch „Wie der Teufel die Welt beherrscht“ ein. Aber so etwas konnte Filius doch noch nicht wissen. Verunsichert fragte ich weiter. „Wobei gewinnt er? Und gegen wen“?
„Na du weißt doch“ – hier legte er eine kleine Kunstpause ein, legte Messer und Gabel zur Seite, griff sich das Stückchen Pizza mit der Hand am Knusperrand und lächelte dabei triumphierend – „na du weißt doch, dass im Kopf ein Engel und ein Teufel sind. Und heute hat mich ein Junge in der Schule beleidigt und ich habe ein ganz schlimmes Wort gesagt. Aber ich wollte das eigentlich gar nicht. Ich will nicht solche Wörter sagen, aber der Teufel war stärker als mein Engel. Das nervt mich! Übelst!“
Meine Fresse, war ich ganz plötzlich ganz stolz! Damit hatte ich hier und jetzt nicht gerechnet. Sofort erinnerte ich mich an eine ähnliche Geschichte die ich vor langer Zeit gelesen hatte.
„Und was kann man da machen“, fragte ich ihn. „Das weiß ich ja nicht! Und das nervt mich!“
„Wer ist denn stärker“, bohrte ich weiter. „Der Teufel“, antwortete er spontan.
„Nee, warum soll denn nun gerader der der Stärkere sein?“
„Na dann der Engel“, erwiderte er ganz schnell.
Dabei lächelte er siegesbewusst. „Nee, warum soll der denn nun der Stärkere sein? Weil du das gerne so möchtest?“ „Dann weiß ich es nicht; dann weiß ich es einfach nicht“ und dabei rutschte er unruhig auf dem Stuhl hin und her.
Ich nahm eine Serviette und malte zwei gleich große Kreise darauf. In einen Kreis schrieb ich ein „E“ und in den anderen ein „T“.
„Guck mal, beide sind gleich stark; also gleich groß. Welcher wächst denn nun schneller“? „Ich weiß es nicht; ich weiß es wirklich nicht!“
Ich bemerkte, dass das für einen 9-Jährigen nun doch etwas zu schwer war. „Schau mal, es wird immer derjenige stärker und größer, den du fütterst; es wird immer der stärker und größer, den du unterstützt und dem du Energie gibst. Aber es wird immer derjenige schwächer, den du unterdrückst und im Zaum hältst…“
Er schaute mich an und lächelte … und es war das schönste Lächeln, welches je ein 9-Jähriger auf dieser großen weiten Welt gelächelt hatte…
Und ich bin stolz. Schon den ganzen Abend.
„Mag auch das Böse sich noch so sehr vervielfachen, niemals vermag es das Gute ganz aufzuzehren“. (Thomas von Aquin)
UND
„Das Böse ist aber nicht zu vermeiden, sondern zu überwinden. In einem freien Akt, in freier Entscheidung“. (Christa Schyboll)
Ahoi
Ihr Freischwimmer
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