Nach Wisnewski-Klage: Warnhinweise auf Buch in Bibliothek nicht erlaubt

Wer darf entscheiden, ob es sich bei einem Buch um „ein Werk mit umstrittenem Inhalt“ handelt? Die Stadtbücherei Münster hatte anscheinend kein Problem, einen entsprechenden Warnhinweis für ein Buch von Gerhard Wisnewski anzufertigen. Doch das war unzulässig, urteilte jüngst das Oberverwaltungsgericht Münster. Wisnewski hofft nun auf eine Vorbildwirkung.
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Das OVG Münster hat einen Einordnungshinweis der Stadtbücherei Münster als unzulässig erklärt. Inzwischen wurde er entfernt. (Symbolbild)Foto: iStock/seb_ra
Von 16. Juli 2025

Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster entschied vor wenigen Tagen, dass die lokale Stadtbücherei keinen negativ belegten Warnhinweis auf einem bestimmten Buch anbringen darf (Aktenzeichen: 5 B 451/25).

Der 5. Senat des OVG gab damit in zweiter und letzter Instanz den Interessen des Investigativjournalisten und Filmemachers Gerhard Wisnewski Vorrang, der die Stadtbücherei auf Entfernung eines Einordnungshinweises sowie auf künftige Unterlassung verklagt hatte.

„Die Stadt Münster hat die rechtskräftige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nun unverzüglich umgesetzt und die Einordnungshinweise entfernt“, schrieb eine Sprecherin der Stadt Münster auf Nachfrage von Epoch Times.

Nicht erlaubt: Markierung als „umstrittener Inhalt“

Nach Informationen des Onlineportals „Legal Tribune Online“ (LTO) hatte die Stadtbücherei den Rechercheband Wisnewskis, „2024 – das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, vergessen“ (Kopp Verlag), als „ein Werk mit umstrittenem Inhalt“ etikettiert. Der Passus fand sich nach Angaben des OVG „in den zwei in der Stadtbücherei vorgehaltenen Exemplaren des vom Antragsteller verfassten Buchs“.

Wörtlich lautete der Einordnungshinweis wie folgt:

„Dies ist ein Werk mit umstrittenem Inhalt. Dieses Exemplar wird aufgrund der Zensur-, Meinungs- und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt.“

Denselben Text hatten die Stadtbibliothekare laut LTO auch Jacques Bauds Sachbuch „Putin, Herr des Geschehens?“ (Westend Verlag) vorangestellt. Bis in die abschließende Instanz dagegen gewehrt, hatte sich nach Angaben des „European“ aber nur Wisnewski.

OVG will Wirkung auf ähnliche Fälle nicht kommentieren

Ob der Beschluss Strahlkraft auf künftige Fälle mit ähnlichem Hintergrund entfalten könnte, wollte ein OVG-Sprecher auf Nachfrage von Epoch Times nicht bestätigen:

„Die sachliche Bindungswirkung des Beschlusses beschränkt sich grundsätzlich auf die an dem Verfahren beteiligten Streitparteien“, erklärte der Sprecher, „weitergehende Wirkungen mit Blick auf andere öffentliche Bibliotheken in Nordrhein-Westfalen (oder darüber hinaus) sind durch die Pressestelle des Gerichts nicht zu bewerten.“

Das Archivbild zeigt den Münchener Investigativjournalisten Gerhard Wisnewski. Foto: KenFM-Youtube/Screenshot

Bibliothekarin sah Etikett als Bestandteil ihres „Vermittlungsauftrags“

Nach Informationen der Fachstelle Öffentliche Bibliotheken NRW (FÖB) hatte Cordula Gladrow, die Leiterin der Stadtbücherei, unter sämtlichen Büchern ihres Hauses ausschließlich die beiden Sachbücher von Wisnewski und Baud mit dem entsprechenden Warnhinweis ausstatten lassen.

Gladrow habe das als Teil ihres „Vermittlungsauftrags“ betrachtet, so die FÖB im Januar. Wisneswki zweifelt in seinem Buch beispielsweise die Mondlandungen der NASA 1969 an sowie die Atombombenabwürfe des amerikanischen Militärs auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki anno 1945.

OVG sieht Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht verletzt

„Der Einordnungshinweis verletzt den Autor in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit sowie in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht“, schrieb das OVG Münster zur Begründung in einer Pressemitteilung. Der Hinweis der Stadtbücherei konnotiere die in dem Buch enthaltenen Meinungen seines Autors negativ. Das könne Leser davon abhalten, zu dem Werk zu greifen. Daran ändere auch die „zurückhaltende und äußerlich wie sprachlich sachlich gehaltene Gestaltung“ des Hinweises nichts, heißt es in der ausführlichen Beschlussbegründung. Und weiter:

„Die Tatsache, dass lediglich zwei von ca. 350.000 Werken der Stadtbücherei diesen Hinweis enthalten, verstärkt das abwertende und anprangernde Vorgehen der Antragsgegnerin.“

Weil eine Hinweisvergabe nicht von der Aufgabenzuweisung aus den Paragrafen 47 und 48 des Kulturgesetzbuches NRW gedeckt sei, existiere auch „keine Befugnis zur negativen Bewertung von Medien im Bestand der Bibliothek in Form eines Einordnungshinweises“, lautet nach der OVG-Pressemitteilung ein Hauptargument des Gerichts.

OVG: Ungehinderter Informationsfluss für mündige Staatsbürger muss möglich bleiben

Der „Fokus der gesetzlichen Regelungen“ liege vielmehr darauf, so das OVG, den Bibliotheksnutzern „als mündigen Staatsbürgern eine selbstbestimmte und ungehinderte Information zu ermöglichen und sich – ohne insoweit gelenkt zu werden – dadurch eine eigene Meinung zu bilden“. Es hätte der Bücherei zudem freigestanden, das Wisnewski-Jahrbuch „aufgrund sachlicher Kriterien“ gar nicht erst anzuschaffen, präzisierte das OVG in seiner Beschlussbegründung.

Summa summarum komme den Bibliotheken zwar „unzweifelhaft ein Bildungsauftrag zu“, stellte das OVG klar. „Dem Gesetz lässt sich allerdings nicht entnehmen, dass dieser Auftrag dazu berechtigt, durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Meinungen zu bewerten und kritisch einzuordnen.“

Vorinstanz hatte gegen Kläger entschieden

Wisnewski war mit seiner Bitte auf Rücknahme der Etikettierung gegenüber der Stadtbibliothek zunächst auf taube Ohren gestoßen. Nach Informationen des OVG rief er daraufhin per Eilantrag zunächst das Verwaltungsgericht (VG) Münster an.

In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren hatte diese erste Instanz am 11. April 2025 der Bücherei recht gegeben, weil Wisnewski „keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht“ habe (Az: 1 L 59/25). Außerdem dürfe die Stadtbücherei „als öffentliche Bibliothek zu den von ihr zur Ausleihe bereitgestellten Werken inhaltlich Stellung nehmen“ und „sei auch nicht verpflichtet, alle im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln“, entschied das VG. Insofern seien „alle in Betracht kommenden Grundrechtseingriffe gerechtfertigt“ gewesen.

Wisnewski: „Meinungsfreiheit reicht viel weiter, als der Durchschnittsbibliothekar meint.“

Dagegen wehrte sich Wisnewski mit einer Beschwerde vor dem OVG – und dieses Mal obsiegte er. „Ich bin natürlich sehr froh darüber, weil es dieser verfassungswidrigen Praxis einen Riegel vorschiebt“, antwortete der Autor auf Anfrage von Epoch Times. In Deutschland habe „die Brandmarkung von Büchern schon einmal verheerende Folgen gehabt“. Aus seiner Sicht sei die freie Meinungsäußerung „die letzte Notbremse vor der Diktatur“, denn „wenn wir nicht mehr offen denken und reden können, können wir Missstände auch nicht mehr erkennen und abstellen“, so Wisnewski.

Von daher sei er „dankbar, dass das OVG aufgezeigt hat, wie weit die Meinungsfreiheit laut Grundgesetz reicht – nämlich viel weiter, als der Durchschnittsbürger, -politiker oder auch -bibliothekar meint“.

Starkes Signal mit Vorbildcharakter?

Seine Anwälte von der Münchener Kanzlei Romatka gingen „bei identischem Sachverhalt“ übrigens davon aus, dass die Entscheidung aus Münster „Präjudizwirkung“ haben werde, auch wenn sich die Entscheidung formal nur auf Wisnewskis konkreten Einzelfall beziehe. Er selbst sehe durchaus eine „starke psychologische Wirkung des Urteils eines Oberverwaltungsgerichts“:

Das OVG Münster hat da auf jeden Fall einen Pfad angelegt. Das ist erstmal ein starkes Signal.“

Diese Grundauffassung hätten nach Wisnewskis Einschätzung sinngemäß auch der „Tagesspiegel“, „Tichys Einblick“ und eine namentlich nicht genannte FDP-Politikerin geteilt. Letztere habe von einem „Sieg für die Meinungsfreiheit“ gesprochen, bei Tichy sei von einer „Niederlage für alle selbsternannten Meinungspolizisten“ die Rede gewesen. „Der Tagesspiegel schrieb, ich hätte der Demokratie einen Dienst erwiesen“, freute sich der Journalist.

„Da ich im Mainstream eigentlich nicht besonders beliebt bin, schließe ich daraus, dass die allermeisten Kollegen erkannt haben, dass dieses Urteil allen nützt, ob links oder rechts“, so Wisnewski gegenüber der Epoch Times.

Nachdenken über künftige Anschaffung „umstrittener Werke“

Die Fachstelle Öffentliche Bibliotheken NRW (FÖB) habe keine Rolle bei der Entscheidung gespielt, Bücher mit Warnhinweisen zu versehen, erklärte eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Regierungspräsidenten auf Nachfrage der Epoch Times. „Die Stadtbücherei Münster sowie alle anderen Öffentlichen Bibliotheken sind unabhängige Institutionen, die eigenständig ihre Entscheidungen über die Anschaffung sowie die Präsentation der beschafften Medien treffen.“ Die Fachstelle spreche keinerlei Empfehlungen zum Bestandsaufbau oder der Präsentationsform einzelner Medien aus.

Nach dem Urteil des OVG müssten sich Bibliotheken aber „Gedanken machen, ob sie umstrittene Werke weiterhin anschaffen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen möchten“, gab die Sprecherin zu bedenken. Sie verwies auf das Positionspapier der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände (BID) „zum bibliothekarischen Umgang mit umstrittenen Werken“ (PDF), dem sich die NRW-Fachstelle anschließe: Das Papier habe „an Aktualität nichts verloren“.

Im Kern befürwortet das BID-Papier „die Bereitstellung von gesellschaftlich und politisch kontrovers diskutierten Werken in ihren Mitgliedsbibliotheken“, und zwar „unabhängig von persönlichen Meinungen und Einstellungen der Beschäftigten oder von Einflüssen Dritter“. Die Bücher müssten lediglich „rechtskonform eingestuft“ sein.

Stadtbücherei sucht nach Kompromiss

Eine Sprecherin der Stadt Münster teilte auf Nachfrage der Epoch Times mit, dass die Stadtbücherei „für den künftigen Umgang mit vergleichbar umstrittenen Werken“ infolge des aktuellen OVG-Urteils ein neues Verfahren erarbeite, „das sowohl der jüngsten Rechtsprechung als auch dem im Kulturgesetzbuch NRW formulierten Auftrag entspricht“.

Letztlich gehe es um den Konflikt, „einerseits ein breites Meinungsspektrum abbilden zu wollen und andererseits die Werte einer demokratischen Verfassung aktiv zu vermitteln, wie es der Bildungsauftrag für öffentliche Bibliotheken“ vorgebe.

Die Frage, ob das neue Konzept womöglich darauf hinauslaufen werde, „umstrittene Bücher“ im Zweifelsfall gar nicht mehr in den Bestand aufzunehmen, ließ die Stadtsprecherin unbeantwortet.

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BVerfG zu Tatsachenbehauptungen und Meinungsfreiheit

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 25. Oktober 2012 entschieden, „dass die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfasst wird“ (1 BvR 901/11).

Andererseits hatte das BVerfG bereits am 28. November 2011 festgestellt (BvR 917/09, Randnummer 18), dass Meinungen nach Artikel 5 des Grundgesetzes unabhängig davon geschützt seien, „ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, oder ob sie als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden“. Auch „Tatsachenmitteilungen“ seien geschützt, „soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind beziehungsweise sein können“ und nicht „bewusst oder erwiesen unwahr“ seien.

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„Lügenverbot“ im Koalitionsvertrag?

Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung war unter anderem vereinbart worden, den Kampf gegen die „Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ und gegen „Hass und Hetze“ mithilfe einer „staatsfernen Medienaufsicht“ zu verschärfen.



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