So kann Vertrauen in Zeiten von Misstrauen geschaffen werden
Brücken zu bauen, wo Weltbilder auseinandergehen – das ist der Kern der Arbeit von ZEBRA/BW. Die Beratungsstelle in Freiburg begleitet Menschen dabei, Verständnis füreinander zu entwickeln, im Gespräch zu bleiben und trotz Konflikten miteinander verbunden zu sein. Im Interview mit Epoch Times spricht Dr. Sarah Pohl, Gründerin und Leiterin der Beratungsstelle, darüber, warum Verschwörungstheorien gerade in Krisenzeiten Konjunktur haben und was kritisches Denken von verschwörungstheoretischem Denken unterscheidet.
Frau Pohl, Sie sind Gründerin und Leiterin der Beratungsstelle ZEBRA/BW. Welche Themen und Anliegen stehen im Fokus Ihrer Arbeit und was macht Ihr Beratungsangebot besonders?
Wir sind eine vom Kultusministerium Baden-Württemberg geförderte Beratungsstelle und haben ein weites Themenfeld.
Im vergangenen Jahr war das Thema Esoterik am stärksten vertreten. Viele Menschen hatten Produkte oder Kurse auf dem Esoterikmarkt gebucht und suchten bei uns eine Art Verbraucherberatung. Ich würde das überhaupt nicht abwerten wollen, wenn Menschen dort für sich ihren Sinn finden. Es gibt aber leider auch Anbieter, die dieses Bedürfnis ausnutzen und dafür enorme Summen verlangen, teilweise bis in den Millionenbereich. Wir sehen hier eine starke Kommerzialisierung.
Der zweite große Bereich betrifft Angehörige von Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben. Sie fragen uns, wie sie den Kontakt halten können oder wie eine Partnerschaft bestehen kann, wenn die Weltbilder so weit auseinandergehen – zum Beispiel, wenn einer an die flache und der andere an die runde Erde glaubt.
In jeder Form von Beratung besteht ein gewisses Machtgefälle – jemand weiß, was „richtig“ ist, der andere nicht. Wie schaffen Sie es, Menschen zu begleiten, ohne ihnen das Gefühl zu geben, belehrt oder korrigiert zu werden?
Es ist nicht unser Job, über richtigen oder falschen Glauben zu entscheiden, solange dieser keine Grundrechte Dritter und demokratische Werte verletzt.
Wir übernehmen keine Entscheidungen und wir werten auch keine Entscheidungen ab oder auf, sondern wir versuchen einfach, Menschen dabei zu helfen, für sich mündige Entscheidungen und gute Entscheidungen zu treffen auf diesem Markt, der leider auch sehr oft von unseriösen Anbietern überflutet wird.
Stichwort Brücken bauen: Welche Schritte sind aus Ihrer Sicht besonders wichtig, um Beziehungen zu stabilisieren, wenn unterschiedliche oder sich verändernde Weltbilder zur Belastung werden?
Das Wichtigste ist, den Kontakt nicht abreißen zu lassen und weiter im Gespräch zu bleiben. Man kann eine Meinung kritisch sehen, aber man sollte niemals einen Menschen verurteilen, der diese Meinung vertritt. Sonst werden wir selbst schwarz-weiß und verschärfen die Spaltung.
Wir können versuchen, aus den Sachebenen-Diskussionen auszusteigen und nicht mehr über Zahlen, Daten und Fakten zu streiten. Stattdessen sollten wir versuchen zu verstehen, welche Ängste und Bedürfnisse vielleicht in bestimmten Weltbildern stecken.
Wie können wir jemanden in seinen Ängsten besser verstehen? Die Idee dahinter ist, dass Menschen, die sich verstanden fühlen, oft wieder leiser werden – und dass dieser verstehende Ansatz uns als Gesellschaft wieder enger zusammenbringen könnte.
Grundsätzlich sollten wir stärker auf das schauen, was uns verbindet – und weniger auf das, was uns trennt.
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Welche Rolle spielt die eigene Haltung beim „Brückenbauen“?
Wir können immer nur vor der eigenen Hütte kehren. Es geht nicht darum, zu fragen, wie ich den anderen ändern kann, sondern wie ich mich selbst verändern und reflektieren kann. Ich sollte ehrlich hinschauen: Was habe ich vielleicht dazu beigetragen, dass ein Konflikt eskaliert ist? War ich verurteilend oder abwertend? Habe ich den anderen stigmatisiert?
Es ist sinnvoll, sich Gedanken darüber zu machen, was für ein Konflikttyp man ist. Werde ich in einem Streit laut? Bin ich aufbrausend? Wo habe ich eigene Triggerpunkte?
Warum sind Verschwörungstheorien für einige Menschen so attraktiv – gerade in Zeiten von Krisen?
Verschwörungstheorien bieten oft einfache Erklärungen für komplexe Zusammenhänge. Wenn wir etwas erklären und verstehen können, wird es auch wieder handhabbarer für uns.
Nietzsche soll einmal gesagt haben: „Wer ein Warum hat, erträgt fast jedes Wie.“
Ist Verschwörungsdenken immer gefährlich – oder kann es auch Ausdruck einer gesunden Skepsis oder eines gesunden Menschenverstands sein? Wo ist da die Grenzlinie?
Verschwörungsdenken wird dann gefährlich, wenn sich daraus selbst- oder fremdgefährdende Handlungen ableiten.
Ein Beispiel: Es gab einmal die Behauptung, Rauchen sei gesund. Es ist natürlich sehr ungünstig, wenn ich dann anfange, Kette zu rauchen, weil ich denke, ich tue etwas Gutes für meine Gesundheit.
Der Begriff „Verschwörungstheoretiker“ wird heute schnell verwendet – auch, um jemanden zu stigmatisieren oder zu delegitimieren. Was ist Ihre Sicht dazu?
Es ist ein komplexes Thema. In manchen Fällen ist der Begriff berechtigt, in anderen wird er zu leichtfertig und stigmatisierend verwendet.
Damit wir von einer Verschwörungstheorie sprechen können, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Typischerweise gibt es ein reales Ereignis beziehungsweise eine Krise. Es gibt einen klaren Schuldigen oder einen Sündenbock. Und es gibt ein unterstelltes Ziel dieser Gruppe, etwa Macht oder Unterwanderung. Das ist der typische Dreiklang. Ein weiteres Merkmal ist außerdem eine Abwehr gegenüber kritischen Quellen oder eine sehr einseitige, selektive Quellenauswahl.
Aber nur weil jemand kritisch ist – zum Beispiel gegenüber Impfungen oder der Politik – erfüllt er diese Kriterien noch lange nicht. Deshalb sprechen wir uns dafür aus, sich mit den Kriterien für Verschwörungstheorien vertraut zu machen, bevor man den Begriff unreflektiert auf jeden anwendet, der nur eine kritische Meinung vertritt.
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Verschwörungstheorien entstehen oft aus einem tiefen Misstrauen gegenüber Politik, Medien oder Wissenschaft. Wie kann dieses Vertrauen aus Ihrer Sicht wieder gestärkt werden?
Ich kann das nicht für die Politik insgesamt beantworten, aber ich kann es anhand unserer Arbeit mit Paaren erklären.
Wenn es einen Grund für einen Vertrauensbruch gab, ist es wichtig, diesen Grund aufzuarbeiten und zu schauen: An welcher Stelle hat sich das Misstrauen vergrößert? Genau dieser Grund muss aufgearbeitet werden.
Wenn wir als Paar weiter funktionieren wollen und uns nicht scheiden lassen wollen, dann ist auch die andere Seite gefragt: zu schauen, was kann ich tun, um wieder mehr zu vertrauen? Wie kann ich zum Beispiel eine größere Diversität von Quellen auswählen, nicht nur bestimmte Quellen lesen? Wie kann ich meine eigene Bubble stärker reflektieren?
Wenn wir das auf die Gesellschaft und Politik übertragen – so denke ich, ist es wichtig, dass Politiker Verantwortung übernehmen, wenn sie sich irren oder Dinge nicht gut gelaufen sind, und dass sie Fehler eingestehen. Fehlerkultur, Fehlerfreundlichkeit und Kritikfähigkeit sind aus meiner Sicht wichtige Punkte, um Vertrauen wiederherzustellen.
Frau Pohl, vielen Dank für das Gespräch!
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.
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