Thailand: Die Elefantenflüsterin von Chiang Mai
In einem malerischen Tal in Nordthailand, umgeben von Bergen und grünem Dschungel, sitzt eine zierliche Frau gefährlich nah unter den tonnenschweren Körpern einer Elefantenherde. Alle hier nennen sie nur „Lek“, thailändisch für „klein“.
Doch ihre Wirkung ist genau das Gegenteil: Wenn die 64-Jährige spricht, eilen die gewaltigen Tiere herbei und scheinen sie mit ihren Rüsseln zärtlich zu streicheln. Wenn sie dann sanft Schlaflieder singt, werden selbst schwer traumatisierte Elefanten plötzlich ganz ruhig.
In ihrem Elephant Nature Park hat Lek, die mit bürgerlichem Namen Saengduean Chailert heißt, eine Welt geschaffen, in der Elefanten nicht mehr zur Arbeit gezwungen, sondern mit Würde behandelt werden.

Schon mit 17 entschied Lek, ihr Leben den Elefanten zu widmen. Foto: Carola Frentzen/dpa
Wer sie so zwischen ihren Tieren sieht, begreift schnell, dass diese vielfach ausgezeichnete Frau viel mehr ist als eine Aktivistin und Tierschützerin – sie ist Thailands Elefantenflüsterin.
Freiheit nach Jahren der Ausbeutung
„Der Elefant ist das Symbol unseres Landes und ein wichtiger Bestandteil der buddhistischen Religion und der Gesellschaft. Elefanten sind wunderschöne, sanftmütige Riesen“, schwärmt sie und schaut hinaus auf den braunen Taeng River, an dessen Ufer mehrere Dickhäuter friedlich entlang trotten.
In dem Park rund 50 Kilometer nördlich der Stadt Chiang Mai hat Lek einen Ort geschaffen, an dem Elefanten nach Jahren der Ausbeutung Ruhe finden. Viele der Tiere hier sind blind, verletzt oder alt, manche waren sogar nach jahrelanger Fütterung mit Bier „Alkoholiker“.
Sie stammen aus Tourismus, Zirkus und Holzindustrie oder wurden für andere Schwerstarbeit missbraucht. Statt sie zu dressieren, erhalten sie hier Freiraum, um sich zu erholen. Freundschaften können wachsen, Beziehungen können sich neu formen – ohne jeglichen Zwang.

Lek ist für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet worden. Foto: Carola Frentzen/dpa
Elefantenseelen heilen nur langsam
Elefanten sind Herdentiere und leben in komplexen Familienverbänden. Wird ihnen dieses Umfeld entzogen – etwa wenn sie im Zirkus oder für Touristenritte isoliert werden – führt das zu schweren physischen und psychischen Belastungen. Es braucht Zeit, bis eine Elefantenseele heilt.
„85 Prozent der Elefanten haben riesige mentale Probleme, wenn sie hier ankommen“, erzählt Lek. „Man muss Geduld mit ihnen haben. Was sie am meisten brauchen, sind Liebe und Fürsorge.“ Bei Rettungsaktionen sitzt sie selbst oben auf den riesigen Lastwagen, um die Elefanten während der Fahrt zu beruhigen – manchmal 50 Stunden lang, wie zuletzt auf dem Weg zurück von der Insel Phuket im Süden mit einem befreiten Zirkus-Elefanten.
Lek ist Pionierin eines ethischen Ansatzes im Elefantentourismus. Ihr „Saddle Off“-Modell verbietet Reiten und Dressur; stattdessen sollen Elefanten in Ruhe ihre sozialen Herdenbeziehungen leben.
Über die Save Elephant Foundation und das Netzwerk Asian Elephant Projects unterstützt sie andere Camps dabei, von ausbeuterischen Tourismusmodellen auf einen tierfreundlichen, respektvollen Umgang umzusteigen.

Im Elephant Nature Park können Elefanten nach Jahren der Ausbeutung neue Freundschaften schließen. Foto: Carola Frentzen/dpa
Dass das in Thailand noch immer nicht überall funktioniert, erleben Besucher bereits auf dem Weg zu Lek: An der gewundenen Straße reihen sich Elefantencamps aneinander, in denen die Dickhäuter schwere Ketten um die Beine tragen. Ihre Mahouts (Elefantenführer) machen sie mit spitzen Metallhaken an schmerzempfindlichen Körperstellen gefügig, während Touristen in Hochsitzen auf den Tieren reiten.
Bullhook und Elephant Crush
Um Elefanten als Arbeits- und Reittiere ausbeuten zu können, wird schon in ganz jungen Jahren ihr Wille gebrochen. „Phajaan“ oder „Elephant Crush“ wird das äußerst brutale Training genannt, das die Tiere für den Rest ihres Lebens in Angst leben lässt.
Zuvor aber werden die Babys ihren Müttern entrissen – für beide eine unvorstellbare Qual. „Dann werden sie festgebunden und mit Bullhooks und anderen Instrumenten, die Schmerzen zufügen, so lange geschlagen und misshandelt, bis ihr Wille gebrochen ist und sie ihren ‚Trainern‘ gehorchen, um Schmerzen zu vermeiden“, schreibt die Tierrechtsorganisation Peta. „Und das alles nur, um sie zu lächerlichen Kunststücken für Touristen zu zwingen.“
Wie alles begann
Lek hat diese grausame Abrichtung schon vor vielen Jahren mit eigenen Augen gesehen und war geschockt. „Leider gibt es die Praxis noch immer“, sagt sie. Die Entscheidung, ihr Leben den Elefanten zu widmen, fiel aber schon deutlich früher – mit 17. Auslöser war ein einschneidendes Erlebnis, das sie bis heute begleitet.

Noch immer werden Elefanten in Thailand für Touristenritte ausgebeutet – aber immer mehr Camps steigen auf eine tierfreundlichere Behandlung um. Foto: picture alliance / dpa
„Ich hörte Schreie aus dem Wald und fand dort einen völlig abgemagerten Elefantenbullen“, erinnert sie sich. „Holzarbeiter zwangen ihn, einen schweren Baumstamm einen Hügel hinaufzuziehen. Aber er schaffte es nicht.“ Die Männer hätten immer wieder Haken und Messer in den Körper getrieben und Steinschleudern eingesetzt, um ihn anzutreiben. „Der Elefant schrie und schrie.“ Die Hoffnungslosigkeit in seinen Augen vergesse sie nie.
Sie weint noch immer, wenn sie von diesem Tag erzählt. Die Schreie aus dem Wald hörte sie noch in der Nacht. Da wusste sie, dass sie sich fortan um geschundene Asiatische Elefanten kümmern wollte. Gegen den Willen ihrer Familie, die in Armut und ohne Elektrizität lebte und sich eine gut bezahlte Arbeit für die Tochter wünschte.
Doku mit Meg Ryan bringt die Wende
Lek verkauft alles, was sie besitzt und schafft es 1996, mit geliehenem Geld Land für ihre ersten neun geretteten Elefanten zu kaufen. Dann hat sie Glück: Ein Produktionsteam dreht in Nordthailand eine Doku über wilde Elefanten mit Hollywood-Star Meg Ryan – darin sind auch Lek und ihre Elefanten zu sehen.
In Texas sieht ein Ehepaar den Film und spendet genug Geld für ein Stück Land im Mae-Taeng-Tal. 2003 entsteht dort der Elephant Nature Park, der mit den Jahren immer weiter gewachsen ist.

Der Elephant Nature Park liegt in der Nähe der bekannten Stadt Chiang Mai. Foto: Carola Frentzen/dpa
Für ihr Engagement erhielt Lek zahlreiche Auszeichnungen. 2022 überreichte ihr Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Légion d’Honneur. Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton ehrte sie 2010 als „Women Hero of Global Conservation“. Die Ford Foundation kürte sie 2001 zum „Hero of the Planet“.
„Elefanten vergessen nie“
Mittlerweile hat Lek nicht nur Hunderte Elefanten gerettet, sondern betreut zusammen mit ihrem kanadischen Ehemann Darrick Thomson auch unzählige Hunde und Katzen, zahlreiche Wasserbüffel und jedes andere Tier, das Hilfe braucht.
Dutzende, manchmal sogar Hunderte Besucher aus aller Welt kommen jeden Tag, um sich Leks Lebenswerk persönlich anzuschauen. Manche sind so beeindruckt, dass sie anschließend mehrere Wochen als „Volunteer“ mitarbeiten. Etwa in der „Elefantenküche“, wo täglich Unmengen an Bananen, Wassermelonen und Klebreis für die Tiere vorbereitet werden.

In der „Elefantenküche“ werden täglich Tausende Bananen für die Tiere vorbereitet. Foto: Carola Frentzen/dpa
Trotz ihres Erfolgs ist die Elefantenflüsterin bescheiden geblieben. Jeden Tag verbringt sie Zeit mit ihren Tieren und singt ihnen Schlaflieder – oft jene, die ihre Mutter ihr einst sang. „Es geht darum, dass Vögel frei sind und immer wieder nach Hause kommen können. So wie unsere Elefanten“, sagt sie.
Diese wunderbaren Tiere verdienten es, nach Jahren der Ausbeutung die andere Seite der Menschen zu sehen: ihre Menschlichkeit. „Elefanten vergessen nie – und wenn du sie gut behandelst, dann sind sie voller Liebe.“ (dpa/red)
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