Trotz Zehntausender Opfer: Polizei und Justiz greifen bei Genitalverstümmelung kaum ein

In Kürze:
- 2023: Mehr als 500 Krankenhausaufenthalte wegen Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen
- Polizeiliche Kriminalstatistik: Innerhalb von zehn Jahren 15 Fälle aktenkundig geworden
- Bundesamt für Statistik: Sieben Täter in zehn Jahren verurteilt
- Bundesregierung setzt auf Schutzbrief und Beratungen
Weibliche Genitalverstümmelung findet in Deutschland in den allermeisten Fällen ohne strafrechtliche Konsequenzen statt. Das lässt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion ableiten. Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD, Martin Sichert, hatte zuvor einen Fragenkatalog an das Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geschickt (BT-Drucksache 21/943, PDF). Die Antworten liegen der Epoch Times vor.
Allein im Jahr 2023 habe die „fallpauschalenbezogene Krankenhausstatistik“ (DRG-Statistik) demnach ergeben, dass es in deutschen Kliniken 509 Fälle stationärer Behandlung wegen Genitalverstümmelung von Mädchen oder Frauen gegeben hatte. 114 Mal handelte es sich um eine Hauptdiagnose, 395 Mal um eine Nebendiagnose.
Das Geschehen in psychiatrischen, psychotherapeutischen oder psychosomatischen Einrichtungen sei in diesen Zahlen nicht enthalten und „aktuellere Daten“ lägen bisher nicht vor, räumte das BMFSFJ ein. Auch über „Diagnosedaten für den ambulanten Bereich“ oder die Gesamtkosten für das Gesundheitssystem lägen der Bundesregierung keine Informationen vor.
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Den offiziellen Krankenhausaufenthalten standen laut Ministerium im selben Jahr 2023 allerdings nur sechs Fälle gegenüber, von denen die Polizei erfuhr. Damit blieben 503 Verstümmelungen, also 98,8 Prozent, von vorneherein ohne strafrechtliche Konsequenzen. Dunkelziffer unbekannt.
Das BMFSFJ war im Juni 2020 allerdings von 67.000, im Februar 2024 schon von 73.200 Frauen und Mädchen ausgegangen, die als Opfer von Verstümmelungspraktiken in Deutschland lebten – Tendenz steigend. „Sie stammen vor allem aus den Herkunftsländern Eritrea, Somalia, Ägypten, Indonesien, Irak, Äthiopien und Guinea“, schrieb das Ministerium damals. „Darüber hinaus sind bis zu 20.219 Mädchen in Deutschland von Genitalverstümmelung bedroht.“ Weltweit seien laut UNICEF rund 200 Millionen Mädchen und Frauen betroffen.
Polizei wird fast nie eingeschaltet
Nach Angaben des BMFSFJ wird der kriminalistische Phänomenbereich nach
Paragraf 226a StGB erst seit dem 1. Januar 2014 vom Bundeskriminalamt unter dem Straftatenschlüssel 222040 erfasst.
Seitdem tauchten in der Polizeilichen Kriminalstatistik bis einschließlich 2024 bundesweit lediglich 15 Fälle weiblicher Genitalverstümmelung auf, zehn davon in den Jahren 2021 bis 2024. Nach Angaben des BMFSFJ hatte es die ersten vier Eintragungen erst im Jahr 2018 gegeben.

Die Tabelle des BMFSFJ vom 4. August 2025 listet lediglich die polizeibekannten Fälle weiblicher Genitalverstümmelungen in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2024 auf. Foto: Ausschnitt der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion
Das Ministerium wies darauf hin, dass ein einzelnes Opfer auch mehrfach in die Statistik eingehen könne, denn es werde lediglich „die Häufigkeit des ‚Opferwerdens‘ gezählt“.
Genaue Angaben über die Zahl der eingeleiteten Ermittlungs- und Strafverfahren oder über die Zahl der abgeschlossenen oder eingestellten Verfahren konnte das BMFSFJ gegenüber der AfD-Fraktion nicht machen: Das Statistische Bundesamt führe lediglich über die rechtskräftigen Verurteilungen Buch.
0,7 Verurteilungen pro Jahr
Demnach war es in den zehn Jahren zwischen 2014 und 2023 insgesamt zu sieben Verurteilungen gekommen. Im Berichtsjahr 2023 wurde kein einziger Täter verurteilt, genauso wie in den Jahren 2016, 2018 bis 2020 und 2022.

Die Tabelle zeigt die Zahlen der rechtskräftigen Verurteilungen wegen Verstoßes gegen Paragraf 226a StGB in Deutschland in den Jahren 2014 bis 2023 laut Statistischem Bundesamt. Foto: Ausschnitt der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion
Opfer zumeist sehr jung
Der Löwenanteil der polizeilich erfassten Opfer findet sich nach Ministeriumsangaben bei Mädchen oder Jugendlichen im Alter von bis zu 18 Jahren. Seit 2018 hatte es drei solcher Fälle gegeben, bei denen das Opfer noch nicht einmal ein Jahr auf der Welt war.
Im Alter zwischen ein und neun Jahren waren neun Straftaten polizeilich aufgefallen, weitere drei Fälle im Teenageralter zwischen 13 und 18. Die restlichen drei Fälle seien bei je einer 22-jährigen, einer 34-jährigen und einer 63-jährigen Frau vorgekommen.

Die beiden Tabellen der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigen das Alter und die Staatsangehörigkeiten der Opfer von weiblicher Genitalverstümmelung in den Jahren 2014 bis 2024 in Deutschland. Foto: Ausschnitt der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion
Polizeibekannte Opfer häufig aus Afrika oder Nahost
Unter den ausländischen Opfern waren Frauen oder Mädchen mit somalischer Staatsbürgerschaft in der Polizeistatistik am häufigsten vertreten. Sie traf es viermal, Nigerianerinnen dreimal, Türkinnen zweimal. Dazu gab es je einen Fall, der eine Frau aus Afghanistan und eine Äthiopierin betraf. In drei Fällen war die Nationalität unbekannt.
Auch vier Frauen oder Mädchen mit deutscher Staatsangehörigkeit tauchen in der BKA-Statistik auf. Das BMFSFJ wies allerdings darauf hin, dass darunter auch solche Personen enthalten sein könnten, die zwei Staatsangehörigkeiten besäßen. Dann nämlich würde ein Opfer automatisch als deutsch eingeordnet.
Wie viele der erfassten Verstümmelungen jeweils im In- oder Ausland stattgefunden hatten, konnte die Bundesregierung nicht sagen. Das deutsche Strafrecht gelte allerdings auch im Ausland, sofern ein Täter „zur Zeit der Tat Deutscher ist oder seine Lebensgrundlage im Inland hat oder wenn die Tat sich gegen eine Person richtet, die zur Zeit der Tat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“.
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Schutzbrief soll mutmaßliche Täter abschrecken
Als „Zentrale Präventions- und Informationsmaßnahme“ bei Auslandsaufenthalten von Frauen oder Mädchen hatte die Bundesregierung erstmals im Jahr 2021 einen „Schutzbrief“ herausgebracht. Dieser sei mit Stand 24. Juli 2025 knapp 109.000 Mal in gedruckter Form versendet und 5.734 Mal aus dem Netz heruntergeladen worden. Er liegt laut BMFSFJ in 15 Fremdsprachen vor (Englisch, Französisch, Portugiesisch, Arabisch, Amharisch, Swahili, Somali, Indonesisch, Kurmandschi, Mandinka, Sorani, Urdu, Tigrinya, Farsi, Dari), außerdem auf Deutsch (PDF) und in „einfacher Sprache“. Die Fachstelle Frauengesundheit der Diakonie Altholstein hatte den Schutzbrief vor einem Jahr mit einem eigenen Kurzfilm auf YouTube beworben. Die 600er-Klickmarke wurde noch nicht überschritten.
Die Grundidee dahinter: Der Schutzbrief soll bei drohender Gefahr vorgezeigt werden, um dem oder den mutmaßlichen Täter(n) beweisen zu können, dass weibliche Genitalverstümmelung in Deutschland eine haftbewehrte Straftat darstellt. Paragraf 226a StGB lässt laut Schutzbrief bis zu 15 Jahre Freiheitsstrafe zu. Bei „minder schweren Fällen“ liegt die Mindeststrafe bei sechs Monaten Freiheitsentzug. „Auch kann Ihnen Ihre Einreise nach Deutschland verweigert werden bzw. eine bestehende Aufenthaltserlaubnis erlöschen“, heißt es in dem Schutzpapier.
Wie viele Personen tatsächlich ihren Aufenthaltstitel in Deutschland aufgrund ihrer Beteiligung an Genitalverstümmelungen von Mädchen oder Frauen verloren haben, konnte die Bundesregierung nicht sagen. Wegen der „im Grundgesetz vorgesehenen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern“ habe der Bund zu dieser Frage keine statistischen Erkenntnisse.
Als behördliche Anlaufstelle empfiehlt der Brief den mutmaßlichen Opfern oder außenstehenden Beobachtern das örtliche Jugendamt, die Polizeinotrufstelle oder das mehrsprachige Hilfetelefon für Gewalt gegen Frauen (08000 116 016). Im Ausland möge man sich an die „nächstgelegene deutsche Auslandsvertretung“ wenden.
Beratungsstellen und Empfehlungen für Gesundheitsberufe
„Darüber hinaus gibt es weitere Präventionsmaßnahmen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene und von freien Trägern, die teilweise mit Bundesmitteln finanziell gefördert werden“, erklärte das Familienministerium. „Dazu gehören zum Beispiel Beratungsstellen zur Frauengesundheit, die auch zum Thema weibliche Genitalverstümmelung beraten oder an entsprechende Fachstellen vermitteln.“ Die vor Ort im Laufe der Jahre gewonnenen Erkenntnisse würden „durch die Bundesregierung“ allerdings „nicht systematisch gesammelt“.
Für „Schulungsangebote und Informationskampagnen“ mit der Zielgruppe der „approbierten Heilberufe“ seien in Abstimmung mit den Bundesländern die jeweiligen Kammern zuständig. Auf Anregung des Bundesgesundheitsministeriums habe die Bundesärztekammer das Thema Genitalverstümmelung in ihre Empfehlungen aufgenommen (PDF). Seit 2020 habe das Thema auch Eingang in die Studien- und
Prüfungsverordnung für Hebammen gefunden.
„Zudem werden Genitalverstümmelungen im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) thematisiert, der von den medizinischen Fakultäten fakultativ angewendet werden kann“, betont das BMFSFJ.
Sichert: „Staat versagt beim Schutz der Schwächsten“
Anfragesteller Martin Sichert sprach von einem „schockierenden Maß an Ignoranz“. „Offensichtlich sind CDU, CSU, SPD, Grünen und FDP Frauenrechte in Parallelgesellschaften völlig egal“, kritisierte Sichert. „Trotz Zehntausenden Fällen hierzulande blieben die letzten Bundesregierungen inaktiv, was einem Freifahrtschein für die Täter gleichkommt.“
Die Erfassung bleibe „lückenhaft“, Präventionsmaßnahmen würden nicht systematisch ausgewertet. Wie schon beim Thema Kinderehen blicke die Regierung „aktiv weg“ und trete damit „Kinderrechte und Frauenrechte mit Füßen“. „Der Staat versagt beim Schutz der Schwächsten“, so das Resümee des AfD-Gesundheitspolitikers. Er forderte „eine bundesweite, lückenlose Erfassung und konsequente Strafverfolgung statt Untätigkeit“.
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