Zwei Fälle, ein Muster: Geschlechtswechsel stellt Justiz vor Herausforderung

Zwei Fälle, zwei Länder, ein Streit um Identität und Gesetz. Die Geschlechtsänderungen von Marla Svenja Liebich in Deutschland und Waltraud P. in Österreich entfachen heftige Debatten über mögliche Missbräuche neuer Regelungen. Zwischen Selbstbestimmung und Rechtslücke steht nun auch die Glaubwürdigkeit staatlicher Verfahren auf dem Prüfstand.
Die Rechtsextremistin Marla Svenja Liebich wird offiziell gesucht. (Archivbild)
Marla Svenja Liebich – Symbolfigur einer Gesetzesreform, die an ihre Grenzen stößt.Foto: Sebastian Willnow/dpa
Von 14. Oktober 2025

In Kürze:

  • Marla Svenja Liebich, ehemals Sven Liebich, entzog sich einer Haftstrafe nach Geschlechtsänderung per Selbstbestimmungsgesetz und wird nun mit Haftbefehl gesucht.
  • Das Selbstbestimmungsgesetz erlaubt eine einfache Änderung von Geschlechtseintrag und Namen ohne Gutachten oder Gerichtsverfahren.
  • In Österreich sorgte der Fall Waltraud P. für Aufsehen.
  • Juristen und Politiker sprechen von Missbrauch des Gesetzes und fordern strengere Kontrollen.
  • Behörden prüfen mögliche Betrugs- und Fälschungsvorwürfe.

 

Der Fall Marla Svenja Liebich sorgte in den vergangenen Wochen immer wieder für hitzige Debatten. Liebich, ursprünglich als Sven Liebich geboren, hatte im November des vergangenen Jahres sein Geschlecht gewechselt. Seitdem ist er Marla Svenja Liebich und eine Frau. Möglich macht diese Geschlechtsänderung das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz der alten Bundesregierung.

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Dieses Gesetz ermöglicht es Menschen, die sich als trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen sehen, ihren amtlichen Geschlechtseintrag und Vornamen einfacher zu ändern. Dazu genügt eine formlose Erklärung beim Standesamt, ohne verpflichtende Gutachten oder gerichtliche Verfahren.

Das Gesetz wurde am 12. April 2024 vom Deutschen Bundestag verabschiedet und am 21. Juni 2024 im Bundesgesetzblatt verkündet. Mit Wirkung zum 1. November 2024 trat es weitgehend in Kraft.

Geschlechtsumtrag und „unpässlich“ für Haftantritt

Marla Svenja Liebich war über Jahre in der rechtsextremen Szene in Deutschland aktiv, trat öffentlich bei Demonstrationen auf und betrieb einen Versandhandel, der mit einschlägigen Inhalten in Verbindung gebracht wurde. Liebich wurde mehrfach strafrechtlich verurteilt, unter anderem wegen Volksverhetzung und Beleidigung. Im Jahr 2023 verhängte das Amtsgericht Halle eine 18-monatige Freiheitsstrafe ohne Bewährung.

Die Revision war erfolglos, und das Urteil wurde rechtskräftig. Für die Vollstreckung der Strafe wurde Liebich dazu aufgefordert, diese in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz, einem Frauengefängnis, anzutreten. Der Haftantritt war für Ende August vorgesehen.

Der Tag des Haftantritts verstrich allerdings, ohne dass Liebich in Chemnitz erschien, obwohl zuvor auf der Plattform X eine Pressekonferenz für 20 Uhr vor der Justizvollzugsanstalt angekündigt worden war.

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Neben Journalisten hatten sich am Abend auch Sympathisanten Liebichs versammelt. Vor der Haftanstalt wurde nach Angaben der Beamten, wie „Welt“ damals berichtete, dann eine Audiodatei vorgespielt. Ein Sprecher gab an, sie stamme mutmaßlich von der „Person, die heute hier die Haft antreten wollte“. Diese habe mitgeteilt, dass sie sich „unpässlich fühlt, in ein Drittland abgesetzt hat“.

In einem Post auf der Plattform X, der unter dem Namen Liebichs abgesetzt wurde, inzwischen aber gelöscht wurde, hieß es, laut der übereinstimmenden Berichterstattung verschiedener Medien, am Abend:

„Das Kunststück eines Zaubertricks: Alle Augen werden auf die Kulisse gelenkt, während das Objekt im Schatten verschwindet. Niemand wusste von meinem Entschluss – kein Anwalt, keine Familie. Was folgt? Ein internationaler Haftbefehl.“

Seitdem wird Liebich von den Behörden mit einem bundesweiten Vollstreckungshaftbefehl gesucht.

Von bizarr wirkender Geschichte zum Politikum

Wann ist ein Mann kein Mann? Diese Frage beschäftigt nun auch Österreich. Die Causa Waltraud P. hat dort mehr ausgelöst als eine skurrile Schlagzeile. Zuerst hatte die österreichische „Kronen-Zeitung“ über den Fall berichtet.

Walter P. hatte kurz vor Haftantritt sein Geschlecht zu „weiblich“ ändern lassen und heißt nun Waltraud. Zu einer dreimonatigen Haftstrafe war Waltraud wegen des Handels mit gefälschten Silbermünzen verurteilt worden. Waltraud ist verheiratet, hat zwei jugendliche Kinder und betrieb ein „Stundenhotel“, sprich, ein Bordell.

Jetzt möchte Waltraud die Haftstrafe in einem Frauengefängnis verbringen. „Ich dachte mir: Dann gehe ich eben ins Frauengefängnis“, erklärt Waltraud P. gegenüber dem „Kronen-Podcast“ den Grund für den Geschlechtswechsel.

Nach eigener Darstellung soll Waltraud P. zunächst von den Behörden weggeschickt worden sein, weil ihr Äußeres keine besonders weiblichen Merkmale gehabt habe. „Ich empfand das als sexistisch. Denn wie muss eine Frau aussehen? Braucht man lange blonde Haare, falsche Wimpern und einen Minirock, um eine Frau zu sein“, so Waltraud.

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Laut „Kronen“ zeigte Waltraud P. ein Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt, in dem ein früherer Pensionsantritt mit 61 Jahren in Aussicht gestellt worden sei.

Für Männer liegt das Regelpensionsalter in Österreich bei 65 Jahren, für Frauen variiert es derzeit – je nach Geburtsjahrgang – zwischen 60 und 65 Jahren. Bis Ende 2023 konnten Frauen mit 60 Jahren in Pension gehen, seit 2024 wird das Antrittsalter schrittweise angehoben und beträgt aktuell 61,5 Jahre. Bis 2033 soll es auf 65 Jahre steigen. Entscheidend ist stets das im Personenstandsregister eingetragene Geschlecht zum Stichtag.

Die Pensionsversicherungsanstalt will jetzt den Fall prüfen, da die Berechnung auf dem Eintrag im Personenstandsregister basiert. Das Justizministerium verweist auf eine Arbeitsgruppe, die über die Unterbringung von Transpersonen im Vollzug im Einzelfall entscheidet. Juristen fordern klarere Kriterien, da sonst auch Wehrpflicht und Pensionsalter durch Geschlechtswechsel umgangen werden könnten.

Umwandlung stützt sich auf ein psychologisches Gutachten

Dass die Behörden binnen weniger Tage eine offizielle Änderung des Geschlechtseintrags akzeptierten, stützt sich auf ein psychiatrisches Gutachten, dessen Zustandekommen jetzt selbst Gegenstand strafrechtlicher Prüfung ist.

Aufgrund der Aussagen von Waltraud P. gegenüber der „Krone“ könne „nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um ein Gefälligkeitsgutachten und damit um einen strafrechtlichen Tatbestand handelt“.

Der Verdacht, es könne sich um ein Gefälligkeitsgutachten handeln, wiegt schwer. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, stünde nicht nur ein einzelner Fall zur Diskussion, sondern das gesamte Verfahren, nach dem in Österreich Geschlechtsänderungen behördlich anerkannt werden.

Laut Innenministerium, so zitiert die „Kronen-Zeitung“, ist es in Österreich nicht möglich, „wahllos sein Geschlecht zu ändern“. Das Ministerium habe deshalb den Magistrat der Stadt Wien beauftragt, das psychiatrische Gutachten zu überprüfen, das zur Änderung des Geschlechtseintrags geführt hat.

Das Bundeskriminalamt hat Ermittlungen wegen des Verdachts des Sozialleistungsbetrugs eingeleitet. So unter anderem, weil Waltraud P. nun theoretisch vier Jahre früher Anspruch auf Rente hätte. Innerhalb weniger Tage haben sich die Fronten verhärtet.

Rechtsanwalt Graupner: „Klarer Missbrauch des Gesetzes“

Im österreichischen Magazin „Moment“ bezeichnet der österreichische Rechtsanwalt Helmut Graupner den Fall Walter P. als „klaren Missbrauch des Gesetzes“. Graupner ist auch Präsident des Vereins Rechtskomitee Lambda, das sich nach eigenen Angaben für die „Beendigung jeglicher Diskriminierung gleichgeschlechtlich l(i)ebender, transidenter und intergeschlechtlicher Menschen in allen Rechtsbereichen“ einsetzt.

Gegenüber „Moment“ sagt Graupner, P. habe sich den Geschlechtseintrag durch eine strafbare Handlung erschlichen, um ins Frauengefängnis zu gelangen. Laut Graupner handle es sich um die Fälschung eines Beweismittels, was strafbar sei; daher müsse das Standesamt die Änderung rückgängig machen, und die Staatsanwaltschaft solle ein Strafverfahren gegen P. und den ausstellenden Psychiater einleiten.

In ähnlichen Fällen, wie jetzt bei Waltraud P., habe die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) Einspruch erhoben, wenn keine medizinischen oder äußerlichen Hinweise auf eine tatsächliche Geschlechtsangleichung vorlagen.

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Graupner widerspricht der Darstellung, das Gesetz lasse solche Fälle offen: Es gebe bereits ausreichenden Schutz vor Missbrauch, da der Verfassungsgerichtshof festgelegt habe, dass das rechtliche Geschlecht nur bei einer stabil gelebten Geschlechtsidentität anerkannt werden könne. Die mediale Darstellung, man könne aus Spaß das Geschlecht wechseln, sei laut ihm ein „Hohn für transidente Personen“.

Der ehemalige Nationalratsabgeordnete Faika El-Nagashi (vormals Grüne) hat laut „Kurier“ Strafanzeige gegen Waltraud P. gestellt. El-Nagashi sagte gegenüber dem Kurier:

„Nach allem, was öffentlich an Informationen verfügbar ist, liegt im konkreten Fall der Verdacht auf Betrug und Urkundenfälschung nahe.“

Unterschiedliche politische Reaktionen

Politisch stößt der Fall vorrangig bei der FPÖ auf heftige Empörung, wie der „Kurier“ berichtet. Die Freiheitlichen verlangen eine umgehende gesetzliche Klarstellung.

Die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ hingegen sehen auf Nachfrage keinen Anlass zum Handeln. „Es braucht keine neuen Gesetze, sondern akribische Überprüfungen, ob Geschlechtsumwandlungen ausschließlich den Zweck verfolgen, sich in anderen Bereichen widerrechtlich Vorteile zu verschaffen“, teilte die Volkspartei unter Verweis auf die laufenden Ermittlungen auf „Kurier“-Anfrage mit.

Die mitregierenden NEOS erklärten unterdessen, man werde prüfen, ob bei den Verfahren und Regelungen Nachbesserungen nötig seien, um „derartigen Missbrauch künftig zu verhindern“. Von den Grünen hieß es gegenüber dem „Kurier“:

„Im konkreten Fall handelt es sich offensichtlich um einen Missbrauch. Dieser gehört natürlich geahndet – die Behörden sind aufgerufen, entsprechende Schritte zu setzen.“

Während die Politik über mögliche Konsequenzen debattiert, bekundete Waltraud P. gegenüber „Krone“ neue sportliche Ambitionen: Frauen-Gewichtheben. „Ich habe mir die Voraussetzungen angesehen. Wenn ich wieder anfange zu trainieren, bekomme ich eine Top-Platzierung sicher hin.“

Der Kontrast zwischen amtlicher Identität und äußerer Erscheinung könnte in diesem Moment kaum größer sein.



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