Zwischen Applaus und Buhrufen: 500 Menschen diskutieren über Friedmann-Ausladung in Klütz

In Kürze:
- Rund 500 Menschen diskutieren in Klütz über die umstrittene Ausladung von Michel Friedmann – laut, emotional und teils kontrovers.
- Der Vorfall führte zum Rücktritt von Bürgermeister Mevius und spaltete die Stadtgesellschaft sichtbar.
- PEN Berlin lud zur Kundgebung, um über Kunstfreiheit, politische Einflussnahme und Demokratie zu sprechen.
- Trotz vieler Wortmeldungen blieb offen, warum Friedmann tatsächlich ausgeladen wurde. Klarheit gab es am Ende nicht.
Es ist ein sonniger Herbsttag in Klütz. Auf dem Marktplatz drängen sich rund 500 Menschen. Manche halten Schilder in die Höhe. Auf einem steht in großen Buchstaben: „Bloß nicht kuschen!“ Auf einem anderen kann man lesen: „Wahrheit statt Rufmord – Klütz hält zusammen.“ Man spürt an dem frühen Abend in der kleinen mecklenburgischen Stadt: Die letzten Tage haben das Leben der etwas über 3.000 Einwohner in Klütz gehörig durcheinandergewirbelt. Über zwei Stunden wird über einen Vorfall diskutiert, der in den vergangenen Tagen bundesweit Schlagzeilen machte: die Ein- und dann wieder Ausladung des jüdischen Publizisten Michel Friedman.
Klütz beherrscht eine Woche die Schlagzeilen
Eigentlich sollte Friedman erst im Herbst des kommenden Jahres nach Klütz ins Uwe-Johnson-Literaturhaus, das kulturelle Zentrum des Städtchens, kommen. Anlass war eine Lesung zum 120. Geburtstag von Hannah Arendt. Der Leiter des Literaturhauses, Oliver Hintz, hatte den Publizisten zuvor eingeladen und dieser hatte zugesagt. Wenig später rief Hintz dann aber bei Friedman an und lud den Publizisten wieder aus, angeblich auf Druck der Stadt und ihres ehrenamtlichen Bürgermeisters, des 71-jährigen Jürgen Mevius.
Oliver Hintz machte daraufhin diesen Vorgang aus seiner Sicht öffentlich – eine gute Woche beherrschte die Stadt bundesweit die Schlagzeilen. Am vergangenen Freitag kündigte schließlich Bürgermeister Mevius an, zum 31. Oktober zurückzutreten. Seither ist die Stadt, die jetzt nach 30 Jahren ihren beliebten Bürgermeister verliert, in einem Ausnahmezustand. Die Verletzungen sind am Montagabend auch auf dem Marktplatz zu spüren. Viele Bürger sehen ihren Bürgermeister als Opfer einer sorgsam eingefädelten Intrige – und Hintz und Friedman als Hauptinitiatoren.
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Am Montag hatte der Schriftstellerverband PEN aus Berlin auf den Marktplatz geladen. Angereist sind die PEN-Berlin-Sprecherin Thea Dorn, der Journalist Deniz Yücel und Michel Friedmann, dessen Ausladung für so viel Wirbel gesorgt hatte. PEN-Berlin-Sprecherin Dorn betont in ihrer Begrüßung:
„Wir wollen nicht eskalieren und wie ein UFO in Klütz landen.“
Selbstverständlich habe man die Stadtvertretung eingeladen. Die Kundgebung sei ein „Angebot, aus dieser Situation herauszufinden“. Nicht mit einem „Schwamm drüber“, aber durch den Dialog, auch im Streit.
Wenn nicht Einsicht, dann „Muffensausen“
Dorn betont weiter, dass die Kundgebung auch nach dem Rücktritt des Bürgermeisters stattfindet. Sie sei in den vergangenen Tagen darauf angesprochen worden, dass man nun doch die Kundgebung absagen könnte. Bei der Kundgebung ginge es aber grundsätzlich um die Autonomie der Kultur und gegen jede Form des Cancelns. Es sei nie um persönliche Angriffe oder Rücktrittsforderungen gegangen – im Gegenteil, auch Jürgen Mevius war eingeladen.
Die Veranstaltung solle über Klütz hinaus ein Zeichen gegen politische Einflussnahme auf Kunst und Meinungsfreiheit setzen, denn an der Ausladung Michel Friedmans habe sich durch den Rücktritt nichts geändert. „Wir hätten diese Veranstaltung auch gemacht, wenn alle in Klütz dagegen gewesen wären“, so die PEN-Berlin-Sprecherin.

Deniz Yücel auf dem Marktplatz in Klütz. Foto: Patrick Langendorf
Deniz Yücel betont auf dem Klützer Markt: „Das Grundgesetz gilt überall: in Klütz, in Kiel, in Kreuzberg.“ Dann wird Yücel deutlich, welche Botschaft aus seiner Sicht dieser Abend aussenden soll:
„Der nächste, der jemanden canceln möchte, sollte sich das zweimal überlegen und sich fragen, ob er sich dadurch nicht noch größeren Ärger einhandelt. Es ist immer besser, wenn Menschen aus Einsicht das Falsche unterlassen. Aber wenn sie es aus Muffensausen tun, ist es notfalls auch okay.“
„Es ist ein Mensch ausgeladen worden“
Dann betritt derjenige die Bühne, um den sich in den vergangenen Tagen alles drehte: Michel Friedmann. „Es ist ein Mensch ausgeladen worden als unerwünschte Person“, ruft Friedman ins Mikrofon. „Das darf es in Deutschland nicht geben.“ Seine Stimme hallt über den Marktplatz, über die Dächer der Häuser auf dem Markt hinweg. Die Menge applaudiert. Es regt sich aber auch Widerspruch.
Michel Friedman steht nun doch in Klütz. Nicht im Literaturhaus, sondern draußen mitten unter den Menschen. Rundherum drängen sich Einheimische, Neugierige, politisch Engagierte. Alle hören aufmerksam zu. Es ist eine angespannte Stimmung. „Ich habe mich gefragt, was mischt sich eigentlich ein Bürgermeister in die Programmplanung eines Literaturhauses ein“, sagt Friedman. „Die Zeiten sind doch vorbei, dachte ich.“

Michel Friedman spricht auf dem Marktplatz in Klütz. Foto: Patrick Langendorf
Er wirkt zugleich kämpferisch und verletzt. „Es hat mich getroffen, dass gesagt wurde, ich passe nicht hierher“, gesteht er. Dann lächelt er: „Jetzt bin ich hier – und ich finde, wir passen alle sehr gut zueinander.“ Wieder Applaus. Ein paar Menschen rufen: „Bravo!“
Bürgermeister Mevius, der sich nach der Affäre zum Rücktritt entschlossen hat, ist ebenfalls auf dem Marktplatz. Er steht etwas abseits, in die Diskussion greift er an diesem Abend nicht ein.
Gründe liegen bis heute im Dunklen
Warum Friedman ausgeladen wurde, kann auch auf dem Marktplatz niemand genau sagen. Im Ort kursieren verschiedene Erklärungen. Der Direktor des Literaturhauses, Oliver Hintz, hatte in verschiedenen Medien behauptet, Mevius habe ihn unter Druck gesetzt: Der Bürgermeister habe angeblich erklärt, er könne Friedmans Sicherheit angesichts möglicher Proteste aus rechtsextremen oder antiisraelischen Kreisen nicht gewährleisten.
Bürgermeister Mevius widersprach gegenüber der Nachrichtenagentur dpa dieser Darstellung und nannte finanzielle Gründe als Grund für die Absage. Das Honorar Friedmans sei deutlich höher als bei Lesungen von Schriftstellern dort üblich.

Oliver Hintz musste sich auf dem Marktplatz in Klütz gestern verteidigen. Foto: Patrick Langendorf
Literaturhausleiter Hintz widersprach gestern auf dem Marktplatz entschieden, dass der Stadt aus der Einladung Friedmanns höhere Kosten entstanden wären: „Die Veranstaltung wäre komplett über Fördermittel finanziert worden“, sagt er. „Es hätte keine Belastung für das städtische Budget gegeben.“ Hintz wirkt müde, fast verbraucht. Das Literaturhaus, das sonst für Lesungen, Debatten und Literaturpreise steht, ist zum Schauplatz eines politischen Streits geworden. „Das wollte ich nie“, sagt er.
Zustimmung und Widerspruch kommen zu Wort
Dann kommen die Bürger auf dem Marktplatz zu Wort. In den unterschiedlichen Wortbeiträgen wird deutlich, wie gespalten die Stadtgesellschaft im Moment ist. Eine ältere Frau tritt ans Mikrofon:
„Ich finde, Herr Mevius hat viel für die Stadt getan. Ihn jetzt so anzugreifen, ist unfair.“
Es folgt Applaus. Kurz darauf meldet sich ein junger Mann zu Wort: „Wir dürfen nicht nachgeben, wenn es um Kunst und Meinung geht. Heute ist es Friedman – morgen vielleicht jemand anderes.“ Wieder Applaus.
So wechseln Zustimmung und Widerspruch. Viele der Anwesenden kritisierten die Darstellung des Vorgangs als zu pauschal und warnten davor, Bürgermeister und Stadtvertretung zu diskreditieren. Mehrere Redner betonten, die Klützer Stadtvertreter arbeiteten konstruktiv; es sei unfair, ihnen pauschal Versagen vorzuwerfen. Weiter wiesen sie darauf hin, dass es in der Klützer Stadtvertretung keinen AfD-Vertreter gebe und die immer wieder behaupteten Vorwürfe, die AfD sei in der Stadtvertretung verantwortlich für die Ausladung Friedmanns, daher erdacht seien.

Dialog auf dem Markt in Klütz. Foto: Patrick Langendorf
Andere wiederum sahen in der politischen Einflussnahme auf die Veranstaltung einen Verstoß gegen die Freiheit der Kunst. Udo Drefahl, von 1990 bis 2001 Landrat in Nordwestmecklenburg, machte deutlich, dass Friedmann in Klütz willkommen sei. Der heute über 80-Jährige schlug vor, mit Michel Friedmann zeitnah eine Veranstaltung im nahe gelegenen Schloss Bothmer durchzuführen. Dafür wolle er sich einsetzen.
Mehrere Stadtvertreter wiesen darauf hin, ihnen seien keine Drittmittel bekannt gewesen; man habe angenommen, die Veranstaltung belaste den städtischen Haushalt. Eine Bürgerin stellte klar, dass die Ausladung formal vom Veranstalter Hintz ausgegangen sei, nicht vom Bürgermeister. Wiederholt wurde Unverständnis darüber geäußert, dass bis heute keine eindeutige Begründung für Friedmans Ausladung vorliegt. Viele Teilnehmende beklagten, trotz der Diskussion keine Klarheit gewonnen zu haben – der Abend habe eher neue Fragen aufgeworfen als alte beantwortet.
Auf dem Marktplatz wird deutlich: Es ist ein Abend, an dem Klütz ringt – um Haltung, um Verständnis, um Gemeinschaft.
„Politik darf sich nicht einmischen“
Auch Kulturministerin Bettina Martin (SPD) von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ist nach Klütz gekommen. Sie spricht ruhig, aber deutlich: „Es geht nicht, dass sich Politik einmischt, wenn eine Kulturinitiative jemanden einlädt. Die Freiheit der Kunst muss verteidigt werden.“
Ihre Worte finden Zustimmung. Gleichzeitig wird klar: Dieser Streit ist größer als Klütz. Er berührt Grundfragen – was darf Kunst, was darf Politik, und wie viel Mut braucht eine Gemeinde?
Gegen Ende der Veranstaltung tritt noch einmal Thea Dorn, Sprecherin von PEN Berlin, ans Mikrofon. Sie blickt über die Menge:
„Ich habe heute begriffen, wie Demokratie gehen kann. Man streitet, man hört zu, man sucht – und findet vielleicht nicht sofort eine Lösung. Aber das ist Demokratie. Sie ist kein Lieferservice.“
Zwei Stunden dauert die Kundgebung. Es wird diskutiert, zugehört, manchmal geschimpft, manchmal gelacht. Es ist laut, aber respektvoll. Und es zeigt: Demokratie lebt vom Mitmachen – auch in einer kleinen Stadt an der Ostsee.

Protest auf dem Marktplatz in Klütz. Foto: Patrick Langendorf
Am Ende ist es dämmerig geworden auf dem Klützer Markt. Einige bleiben noch stehen, reden weiter. Eines ist an diesem Abend klar geworden: Klütz duckt sich nicht weg. Es diskutiert. Es streitet. Es zeigt, dass eine Gemeinde, so klein sie sein mag, groß sein kann, wenn es um Dialog geht. Und Michel Friedman? Er verlässt den Platz mit einem Lächeln. „Ich glaube“, sagt er zum Abschied, „wir haben uns verstanden.“
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