Brahms und Tschaikowski: Spannungen zwischen zwei Titanen

Obwohl sie heute beide als Komponisten der Romantik gelten, könnten die von diesen beiden Männern geschaffenen Musikstücke kaum unterschiedlicher sein.
Titelbild
Johannes Brahms (l.) aus dem Jahr 1853 und Pjotr Tschaikowsky aus der gleichen Zeit.Foto: Gemeinfrei
Von 2. Juni 2025

Sowohl Johannes Brahms als auch Pjotr Iljitsch Tschaikowski wurden am 7. Mai geboren, allerdings im Abstand von sieben Jahren. Brahms, der ältere von beiden, kam 1833 zur Welt, Tschaikowski im Jahr 1840.

Anlässlich dieses doppelten Geburtstags bietet es sich an, über die Beziehung dieser Komponisten zu schreiben. Die beiden Musiker zeigten gegenseitigen Respekt und trafen sich sogar zweimal persönlich. Sie hatten jedoch sehr unterschiedliche Musikstile und konnten sich für die Werke des anderen nicht sonderlich begeistern.

Trotz dieser beruflichen Antipathie werden ihre Kompositionen heute oft in gemeinsamen Aufnahmen präsentiert.

Erstes Treffen: Leipzig, 1888

Das erste Treffen von Brahms und Tschaikowski ereignete sich am Neujahrstag 1888 in Leipzig, im Haus von Adolph Brodsky. Tschaikowski war nicht begeistert davon, Brahms zu treffen, da er den Komponisten zuvor als „Schurken“ und „selbstgefälligen Mittelmäßigen“ bezeichnet hatte. Als er den Proberaum betrat, hörte er Brahms sein neues Klaviertrio Nr. 3 spielen. Die beiden unterhielten sich und Tschaikowski schrieb später, dass er von Brahms’ Bescheidenheit beeindruckt war: „Seine Art ist sehr schlicht, frei von Eitelkeit, sein Humor ist heiter, und die wenigen Stunden, die ich in seiner Gesellschaft verbrachte, hinterließen bei mir eine sehr angenehme Erinnerung.“

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Tschaikowski hielt nicht genau fest, was sie einander gesagt haben, doch der Romanautor Klaus Mann (Sohn des Autors Thomas Mann) ergänzte die Details für uns. In seinem 1948 erschienenen Buch „Symphonie Pathétique“ verfasste Mann ein Gespräch zwischen den beiden Männern, das kurz bevor Brahms sein Klaviertrio anstimmte, stattgefunden haben soll. 

„Später werden wir ein wenig musizieren“, sagte der deutsche Meister. „Ich hoffe, Sie werden sich nicht langweilen, Herr Tschaikowski.“

„Es wäre mir eine große Ehre, Ihr neues Trio hören zu dürfen“, erwiderte Peter Iljitsch mit einer leichten Verbeugung.

„Nun, vielleicht entspricht es nicht ganz Ihrem Geschmack. Es ist nicht besonders gewürzt, nichts Brillantes ist daran.“

„Ich bin überzeugt, dass es schön ist“, sagte Tschaikowski und ärgerte sich über seine unbeholfene Antwort.

Mann beschreibt, wie Brahms’ selbstironische Bemerkungen „einen Hauch von Spott“ enthielten, der auf Tschaikowskis bekannte Kritik an Brahms’ Werk anspielte. Als sich das Gespräch auf internationale Stilrichtungen und Einflüsse verlagerte, begann Tschaikowskis Stirn zu glühen. Gerade als er sich zu einem unbedachten Ausbruch hinreißen lassen wollte, beendete Brahms das Gespräch mit den Worten „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Leipzig“ und verabschiedete sich „mit der Würde eines Monarchen, der eine Audienz beendet“.

Obwohl literarisch ausgeschmückt, trifft Klaus Manns Darstellung der Begegnung bemerkenswert genau den bekannten Charakter beider Männer.

Was jedoch nach der Probe geschah, bedurfte keiner dichterischen Freiheit. Beim anschließenden Abendessen bei Adolf Brodsky saßen Tschaikowski und Brahms nebeneinander. Die Runde war eher klein, und Edvard Griegs Frau hatte zwischen den beiden Platz genommen – gewissermaßen als Puffer. Doch schließlich sprang Frau Grieg auf und rief: „Ich kann nicht länger zwischen diesen beiden sitzen, das macht mich ganz nervös!“ Daraufhin entgegnete Grieg: „Ich habe die Nerven dafür“, und nahm ihren Platz ein.

Pjotr Tschaikowski, Öl auf Leinwand, 1893, Nikolai Kusnezow, Tretjakow-Galerie. Foto: Gemeinfrei

Zweites Treffen: Hamburg, 1889

Ein Jahr später trafen sich die beiden erneut in Deutschland, in Hamburg. Diesmal besuchte Brahms eine Probe von Tschaikowskis 5. Sinfonie. Es kursiert die Anekdote, dass Brahms während der Aufführung eingeschlafen sei, doch dafür gibt es keine direkten Beweise. In den offiziellen Biografien von Brahms wird dieser Vorfall nicht erwähnt und er scheint mit einer anderen Begebenheit verwechselt worden zu sein, bei der Brahms beim Hören von Franz Liszt eingeschlafen war.

Nach der Probe gingen sie zusammen Mittag essen. Brahms sagte Tschaikowski offen, dass ihm seine Sinfonie nicht gefiel, und Tschaikowski bekundete weiterhin Gleichgültigkeit gegenüber Brahms’ Musik. Trotzdem blieben sie freundschaftlich verbunden. Obwohl sie sich nie wieder sahen, sprachen beide respektvoll voneinander und bewunderten den jeweils anderen als Persönlichkeit.

Gegensätzliche Musikstile

Obwohl Tschaikowski Brahms’ höflichen und ehrenhaften Charakter sehr schätzte, änderte dies nichts an seiner geringen Wertschätzung für die Musik des Deutschen.

Brahms wiederum war in seiner Meinung über Tschaikowski zurückhaltend. Zwar äußerte er sich positiv über bestimmte Sätze aus den Werken des Russen und kritisierte dessen Stil nicht öffentlich, doch er machte auch kein Geheimnis aus seiner Gleichgültigkeit.

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Tschaikowski äußerte sich offener und deutlich kritischer über Brahms. In einem Brief an den russischen Großfürsten im Jahr 1888 beschrieb er im Detail, was ihm an der Musik des Deutschen missfiel. Er räumte zwar ein, dass Brahms’ Kompositionen „erhaben“ und nicht „trivial“ seien, alles, was er schrieb, „ernst und edel“ sei und er „Respekt gebiete“, aber er fand auch, dass Brahms etwas „Kaltes und Trockenes“ an sich habe.

„Er hat äußerst wenig melodische Erfindungsgabe“, sagte Tschaikowski über Brahms und fügte hinzu, dass dessen Kompositionen voller „unwichtiger harmonischer Progressionen und Modulationen“ seien. Er sprach nicht die „Sprache, die direkt zum Herzen geht“.

Das war es also. Brahms schrieb keine guten Melodien und war nicht emotional genug. Mit anderen Worten: Er komponierte nicht wie Tschaikowski.

Johannes Brahms (1889). Foto: Gemeinfrei

Beide Männer gehörten zur „romantischen“ Epoche der Musik, die sich von der Mitte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts erstreckte. Doch die deutsche und die russische Romantik unterschieden sich stark voneinander, weshalb der Begriff nicht besonders hilfreich ist, um die sehr unterschiedlichen Musikstile der beiden Komponisten zu beschreiben.

Während Tschaikowski emotional und lyrisch ist, ist Brahms ein zurückhaltender, nüchterner Klassizist, der sich mehr für komplexe, harmonische Entwicklungen interessiert als für das Schreiben schöner Melodien.

Zwei Violinkonzerte

Im Jahr 1878 komponierten sowohl Brahms als auch Tschaikowski jeweils ein Violinkonzert – das einzige, das beide je schrieben. Beide Werke gelten als Meisterwerke und gehören bis heute zum festen Repertoire. In Gesamtaufnahmen von Violinkonzerten stehen sie häufig Seite an Seite. So etwa in einer aktuellen Einspielung des Geigers Artur Kaganovskiy mit dem Nationalen Sinfonieorchester der Ukraine – dort sind die beiden Konzerte die einzigen Stücke auf dem Album.

Beide Werke stellen höchste technische Anforderungen an Solisten. Eine weitere Parallele: Beide Konzerte zeigen den Einfluss von Volksmusik – bei Tschaikowski russisch, bei Brahms ungarisch geprägt.

In dem Album „Brahms vs. Tchaikovsky“, das Werke beider Komponisten präsentiert, interpretiert das Atrium String Quartet jeweils das erste Streichquartett von Brahms und Tschaikowski.

Auch hier ist der Kontrast zwischen den beiden Werken sehr ausgeprägt. Brahms’ Werk ist komplex und technisch anspruchsvoll. Tschaikowskis Stück basiert hingegen auf einer einfachen russischen Volksmelodie. Leo Tolstoi, der bei der Uraufführung neben Tschaikowski saß, war von dem Andante cantabile so tief bewegt, dass ihm die Tränen kamen.

Was zu Lebzeiten eine künstlerische Rivalität war, erscheint heute – in den Händen moderner Interpreten – als harmonisches Miteinander zweier großer Romantikkomponisten.

 

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Brahms and Tchaikovsky: Titans in Tension“. (redaktionelle Bearbeitung ee)



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