Das Leben, wie im Traum gelebt: Zwei Geschichten aus dem alten China über die Illusion weltlichen Erfolgs

Ein Leben voller Ruhm oder voller Kummer – beides kann vergehen wie ein einziger Atemzug …
Titelbild
Zwei Leben, wie im Traum gelebt – beim Aufwachen verschwinden sie.Foto: Google Whisk
Von 9. September 2025

Die alte chinesische Literatur ist reich an Erzählungen, die sich mit dem Sinn des Lebens, mit Macht und Illusionen beschäftigen. Zu den bekanntesten zählen zwei Geschichten aus der Tang-Dynastie, die die Vergänglichkeit weltlichen Erfolgs anhand lebhafter Traumreisen ergründen.

Der Traum von der Hirse: Eine Welt in einem Kissen

Während der Kaiyuan-Zeit der Tang-Dynastie reiste der arme Gelehrte Lu Sheng durch die Stadt Handan. Er machte gerade in einem Gasthaus Rast, als er auf einen taoistischen Priester traf, der die Gabe der Unsterblichkeit besaß.

Sie kamen ins Gespräch und Lu Sheng teilte ihm seinen größten Wunsch mit: die kaiserliche Prüfung zu bestehen, ein hoher Beamter zu werden und ein Leben in Wohlstand und Ansehen zu genießen.

Der Daoist hörte ihm mit einem verständnisvollen Lächeln zu. Er reichte Lu Sheng ein blau-weißes Porzellankissen und sagte:

„Schlaf auf diesem Kissen, und all die Reichtümer und Ehren, von denen du träumst, werden dir gehören.“

Lu Sheng, bereits müde, nahm das Kissen und legte sich hin. Inzwischen hatte der Wirt Hirse zum Kochen auf den Herd gestellt – die Zubereitung des Essens würde noch eine Weile dauern.

Der arme Gelehrte schlief sodann ein – und hatte einen regen Traum …

Ihm träumte, dass er nach Hause zurückkehrte und eine schöne, reiche Frau aus dem angesehenen Geschlecht Cui heiratete. Dank ihrer Unterstützung stieg er schnell in seinem Amt auf. Er bestand anschließend die kaiserliche Prüfung und wurde in ein hohes Staatsamt berufen. Er häufte ein riesiges Vermögen an und war von Luxus und Ehre umgeben.

Sein Weg war nicht glatt. Zweimal wurde er fälschlicherweise beschuldigt und im Rang herabgestuft, und einmal entkam er nur knapp der Hinrichtung. Aber jedes Mal gelang es ihm, wieder aufzusteigen. Während seiner zweiten Krise sagte er zu seiner Frau:

„Wir besitzen fünf Morgen gutes Land in Shandong. Das reicht für ein friedliches Leben. Warum sollte ich nach Macht und Reichtum streben, nur um am Ende mit falschen Anschuldigungen konfrontiert und beinahe hingerichtet zu werden?“

Dank der Intervention eines einflussreichen Verbündeten wurde sein Todesurteil in eine Verbannung umgewandelt.

Angesichts der Aussicht auf ein Exil hinterfragte Lu Sheng seinen Machthunger und wünschte sich ein einfaches und ehrliches Leben. Bild: Google Whisk

Jahre später holte ihn der Kaiser jedoch zurück in die Hauptstadt und ernannte ihn zum Gouverneur von Yan. Sein Ansehen und seine Autorität wuchsen. Im Alter lebte er in Wohlstand und starb friedlich.

In diesem Moment wurde Lu Sheng wach.

Der Taoist saß noch immer neben ihm. Der Hirsebrei war noch nicht gar. Alles, was er gerade erlebt hatte – Jahrzehnte der Ehre, Schande, Macht und des Friedens – hatte sich in einem Traum abgespielt.

Von hier stammt die chinesische Redewendung „Traum von der Hirse“, die uns daran erinnert, wie flüchtig die Freuden des Lebens sein können und wie unwesentlich sie sind, so wie ein Traum, den man vor dem Essen hat.

Der Traum von Nanke: Ein Königreich im Baum

Eine andere Geschichte aus der Tang-Dynastie handelt von Chunyu Feng, der einst als Offizier in der Armee diente. Nachdem er im betrunkenen Zustand für Aufruhr gesorgt hatte, wurde er entlassen. Es schien ihn nicht zu stören. Jeden Tag saß er unter einem großen japanischen Schnurbaum (auch Honigbaum genannt) bei seinem Haus, trank und scherzte mit Freunden – zufrieden mit seinem sorglosen Leben.

Eines Abends, nach einem weiteren Trinkgelage, verlor er das Bewusstsein. Seine Freunde brachten ihn nach Hause. Kaum dass er lag, träumte er, dass ein Bote kam und zu ihm sprach:

„Der Staat Huai’an lädt dich ein, der Gatte der Prinzessin zu werden!“

Zu Chunyu Fengs Erstaunen befand sich der Eingang nach Huai’an ein winziges Loch im Stamm des Schnurbaums. Im Inneren befand sich eine strahlende Welt, wie er sie noch nie zuvor gekannt hatte, wie ein himmlisches Reich. Die Prinzessin, die er heiraten sollte, war so schön, dass sie fast göttlich wirkte.

Nach der Hochzeit ernannte ihn der Herrscher zum Gouverneur der Präfektur Nanke. Chunyu Feng regierte weise und war sehr erfolgreich. Er und die Prinzessin hatten sieben Kinder – fünf Söhne und zwei Töchter, die alle herausragende Erfolge erzielten. Die Söhne wurden Hofbeamte, und die Töchter heirateten in angesehene Familien ein. Sein Leben war voller Luxus und Glück.

Doch bald fielen ausländische Feinde in Huai’an ein. Chunyu Feng führte die Armee in den Krieg, erlitt jedoch eine Niederlage. Obendrein erkrankte seine Frau und starb. Gerüchte machten die Runde, dass das Unglück von Chunyu Feng, dem „Fremden“, verursacht worden sei. Betrübt und hilflos sagte der Herrscher zu ihm:

„Kehre in deine Heimat zurück. Ich werde dich in drei Jahren rufen.“

Nach der Niederlage in der Schlacht und dem Tod seiner Frau wurde Chunyu Feng in seine Heimat zurückgeschickt. Bild: Google Whisk

Chunyu Feng antwortete verwirrt:

„Aber das ist mein Zuhause.“

Der Herrscher lächelte und sagte:

„Deine wahre Heimat ist die Menschenwelt.“

An diesem Punkt wachte Chunyu Feng auf. Er hatte nur kurz geschlafen, aber im Traum war ein ganzes Leben vergangen.

Er eilte zu dem Baum und begann zu graben. Er grub eine quadratische Grube von etwa drei Metern und fand zu seiner Überraschung darin eine miniaturhafte Stadt aus aufgeschütteter Erde, in der es von Ameisen wimmelte.

Der Staat Huai’an war eine Ameisenkolonie.

In der Nacht brach in der Gegend ein Sturm los. Als er am nächsten Tag zurückkehrte, waren die Ameisen verschwunden.

Zutiefst schockiert gab Chunyu Fen das Trinken und alle Exzesse auf. Drei Jahre später starb er.

Vielleicht kehrte seine Seele nach seinem Tod in eine andere Welt im Baum zurück zu der Familie, die er in seinen Träumen geliebt hatte. Vielleicht wurde so das Versprechen des Königs erfüllt, ihn in „drei Jahren“ zu rufen.

Wie auch immer: Die Geschichten von Lu Sheng und Chunyu Feng erinnern unweigerlich an die fragile Grenze zwischen Illusion und Realität. Ein Leben, sei es voller Ruhm oder voller Leid, kann im Handumdrehen vergehen.

Der Artikel erschien im Original auf epochtimes.ru unter dem Titel „Жизни, прожитые во сне: две истории из Древнего Китая об иллюзии мирского успеха“. (redaktionelle Bearbeitung: sm)



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