Die kostbaren Stundenbücher des Jean de Berry

Im Spätmittelalter erreichte die Kunst der illuminierten Handschriften eine unvergleichliche Blüte. In den Andachtsbüchern des Herzogs von Berry fand diese Blüte ihren faszinierenden Höhepunkt.


Titelbild
Figurengruppe auf der Falkenjagd, Ausschnitt aus einem Monatsbild der „Très Riches Heures" der Brüder van Lymborch, Abbildung: By Limbourg brothers – R.M.N. / R.-G. Ojédachateaudechantilly.com, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=108570
Von 17. Juni 2025

Als dritter Sohn des französischen Königs Jean II. le Bon wird Jean de Valois, Duc de Berry, im Jahr 1340 geboren. Mit Titeln, Würden, Grafschaften und Lehen reich versehen, bleibt sein politischer Einfluss jedoch zeitlebens begrenzt.

Zwar übernimmt er mit seinen Brüdern Ludwig von Anjou und Philipp von Burgund nach dem Tod des ältesten Bruders, Karl V., die Regentschaft über das Königtum Frankreich. Kaum erreicht jedoch dessen Sohn und Thronfolger, Karl VI., die Volljährigkeit, entlässt er den Duc de Berry aus der Regierungsverantwortung.

Und sicherlich wäre der Herzog wohl schon bald nach seinem Tod im Jahr 1416 in Vergessenheit geraten, würde sein Name nicht seit Jahrhunderten mit spätmittelalterlichem Mäzenatentum und unvergleichlicher Buchkunst verbunden, die ihresgleichen suchen.

Der Engelsturz, in den „Très Riches Heures“, Gebrüder van Lymborch, auch Brüder Limburg genannt – R.M.N. / R.-G. Ojéda, Gemeinfrei

In seinen illuminierten Handschriften spiegelt sich die immer stärker aufkommende Beliebtheit der sogenannten Stundengebete für Laien wider, die den gesamten Tag begleiten und gliedern.

Insbesondere in adeligen Kreisen des 14. und 15. Jahrhunderts ist aber nicht nur die Innigkeit der Gebete, sondern auch die Schönheit ihrer bildreichen und schmuckvollen Verzierung von großer Bedeutung.

Begeisterung für Schönheit

Voller Begeisterung gibt der dem Glauben, der Schönheit und der Buchkunst zugewandte Herzog deshalb besonders schöne Stundenbücher in Auftrag. Mit etwa 35 Jahren beginnt die Verwirklichung seiner bibliophilen Wünsche Gestalt anzunehmen, und immer wieder verpflichtet er dafür große Meister ihres Fachs.

[etd-related posts=“4608674″]

Die „petites“, „grands“, „belles“ und die „très belles heures“ – sie alle sind von der Hand bedeutender Künstler und Kunsthandwerker entworfen und gefertigt.
Aus allen pracht- und kunstvollen Manuskripten, die der adelige Mäzen ermöglicht, ragt jedoch das letzte noch hervor. Nicht ohne Grund wird es von der Nachwelt deshalb bewundernd das „sehr kostbare Horarium“, französisch „Les Très Riches Heures de Duc de Berry“ genannt.

Um 1411 beauftragt der Mäzen die drei Brüder van Lymborch, Paul, Herman und Jean, mit diesem Buchprojekt. Bereits durch frühere Auftragsarbeiten haben sie dem Fürsten ihr Können bewiesen und enttäuschen ihn auch jetzt nicht. Im Gegenteil – sie übertreffen sich selbst.

Die Talente der drei Brüder ergänzen sich für dieses einzigartige und berühmteste Buchprojekt des französischen Spätmittelalters auf das Harmonischste. Feinsinnig und akribisch arbeiten sie gemeinsam fünf Jahre lang – vor allem in der Hauptstadt des Herzogtums Bourges – an detailreichen Miniaturen, Ranken und Vergoldungen. Familiär notwendige Reisen in ihre Heimat, das niederländische Nimwegen, unterbrechen die Arbeiten dabei immer wieder.

Nicht fertig und doch vollendet

Letztendlich ist es jedoch der Tod, der ihrem Wirken ein viel zu frühes Ende bereitet.

Alle drei Brüder sterben nur wenige Monate nacheinander, während der ersten Hälfte des Jahres 1416, kaum älter als 30 Jahre alt. Ihr Mäzen und Gönner folgt ihnen nur kurze Zeit später. Mit fast 76 Jahren stirbt Duc de Berry im Juni 1416, ohne sein schönstes Stundenbuch je vollendet in Händen gehalten zu haben.

Kalenderblatt des Juni in den „Très Riches Heures“, Gebrüder van Lymborch, auch Brüder Limburg genannt. Foto: Web Gallery of Art, Gemeinfrei

Fertiggestellt wird das außergewöhnliche bibliophile Kleinod erst sieben Jahrzehnte später durch den Auftrag Herzog Karls I. von Savoyen, der seinen Hofminiateur, den französischen Buchmaler Jean Colombe, mit den abschließenden Arbeiten betraut.
Er und weitere vermutete Vorgänger, wie der sogenannte „Meister der Schatten“, die sich ebenso an die Weiterführung des Meisterwerks gewagt hatten, respektieren dabei die bestehenden Miniaturen der Lymborch-Brüder und ihre raffinierte Grundkonzeption.

Ganz in ihrer Tradition und doch in charakteristisch eigener Handschrift und Farbpalette führt Colombe das Buchprojekt schließlich zu einem guten Ende. Die kraftvollen religiösen Darstellungen und die ungewöhnlichen Monatsblätter der „Très Riches Heures“ ziehen seitdem die Bewunderung kunstliebender Betrachter mit über hundert Illustrationen auf sich.

20 mal 30 Zentimeter großes Kleinod

In ihren Bildwelten werden Szenen, Landschaften, Natur, Bauwerke und Menschen in faszinierender Fülle vor Augen geführt.

Höfische Pracht kontrastiert mit der Einfachheit des bäuerlichen Lebens, werden einander gegenübergestellt, ohne sie künstlerisch wertend zu gewichten. Jedes Detail ist gleich liebevoll und facettenreich auf Pergament gebannt. Schönheit, Reichtum und Kargheit, das Leben des Adels und der Ideenreichtum des bäuerlichen Alltags, wird voller Feinsinn, Anmut und Witz geschildert.

Kaum satt sehen mag sich der Betrachter an den Bildkompositionen innerhalb der illuminierten Rahmen, doch auch diese selbst sind Kunstwerke. In ihnen entfalten sich Ranken, mit denen sich kleine, figürliche Szenen verweben.

Der sogenannte „Anatomische Mann“ mit den Zeichen des Tierkreises, Gebrüder van Lymborch, auch Brüder Limburg genannt. Foto: Gemeinfrei

Faszinierende Darstellungen von Gestirnen und Sternzeichen spannen sich dagegen wie leuchtend blaue Auren über Bildkompositionen, die in ihrer Originalität und Dichte zu Ikonen der Epoche geworden sind.

Bereits zu ihrer Entstehungszeit wird dieses außergewöhnliche Andachtsbuch in Adelskreisen hochgeschätzt. Weltweite Bekanntheit erlangt das nur etwa 20 mal 30 Zentimeter große Meisterwerk jedoch erst mehr als vier Jahrhunderte später.

Wiederentdeckung durch einen Herzog

Auf verschlungenen, oft unbekannten Wegen war es bis Mitte des 19. Jahrhunderts nach Turin gelangt. Dort hat es Henri d’Orleans, Duc d’Aumale, einer der größten Kunstsammler seiner Zeit, 1855 wieder entdeckt.

Durch die Darstellung Jean de Berrys zusammen mit den heraldischen Symbolen von Schwänen, Bären und französischen Lilien identifiziert er das mittelalterliche Manuskript sofort und erwirbt es.

Kalenderblatt des Januar in den „Très Riches Heures de Duc de Berry“, das auf der rechten Seite in Blau den Duc de Berry zeigt. Foto: Petrusbarbygere, CC BY-SA 3.0

Kurz vor der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert im Jahr 1897 vermacht der Mäzen seine gesamte Kunstsammlung schließlich dem Institut de France – unter einer wesentlichen Bedingung. In seinem prachtvollen Château in Chantilly soll sie als Einheit bewahrt bleiben.

Bis zum heutigen Tag sind Park, Schloss und Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich. Aus konservatorischen Gründen wird das sehr kostbare Stundenbuch des Duc de Berry, eines der Glanzstücke des Musée Condé, meist aber nur als Faksimile gezeigt. In diesem Jahr jedoch sind bis zum 5. Oktober 2025 die Originale der „Très Riches Heures“ zu bestaunen.

Wie es heißt, wahrscheinlich zum vorerst letzten Mal für geraume Zeit.

Die Ausstellung
„Die Très Riches Heures des Herzogs von Berry“
im Musée Condé des Château de Chantilly
findet vom 7. Juni bis 5. Oktober 2025 statt.

Zur Ausstellung ist eine umfangreiche Publikation
bei Belser Verlag und Hannibal Books erschienen:

„Das meisterhafte Stundenbuch
des Duc de Berry
Die Très Riches Heures“
380 Seiten,
davon 100 farbige Abbildungen.

59,00 € | (A) 60,70 € | 77.00 CHF
Hardcover im Format 27,40 x 23,60 cm
978-3-7630-2927-3

 



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion