Stärker als Verzweiflung: Dankbarkeit als Kraftquelle in den dunkelsten Stunden der Menschheitsgeschichte

Ob in der Antike, in Gefangenschaft oder im eigenen Wohnzimmer während des Lockdowns – eine Vielzahl von Beispielen zeigt: Wer Dankbarkeit übt, entdeckt eine Kraftquelle, die alles Leid vergessen lässt.
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Dankbarkeit ist die Mutter aller Tugenden, wie der römische Philosoph Marcus Tullius Cicero bemerkte.Foto: Silvia Moraleja/iStock
Von 30. August 2025

Schon das Aufschreiben von drei positiven Begebenheiten täglich bewirkt Wunder, wie uns die Geschichte lehrt – das überraschte sogar Forscher. Dutzende bewegende Berichte beweisen, dass ein einfaches und radikales Gefühl ein ganzes Leben verändern kann: Dankbarkeit.

Der römische Philosoph Marcus Tullius Cicero bezeichnete Dankbarkeit sogar als „die Mutter aller Tugenden“. [1]

Nach seiner Ansicht stellen Widrigkeiten im Leben keinen Fluch dar, sondern fördern die spirituelle Weiterentwicklung. Wenn wir hingegen über unser Schicksal klagen, verpassen wir diese Gelegenheit und leugnen möglicherweise den spirituellen Sinn des Daseins.

Für Cicero bedeutete Dankbarkeit, das Gute anzuerkennen, das wir von anderen oder durch das Schicksal empfangen haben, und daraus Tugenden wie Demut, Großzügigkeit und Respekt anderen gegenüber zu entwickeln.

Eine prägende moralische Kraft

Tatsächlich ist die Vorstellung, dass Dankbarkeit eine der wichtigsten Tugenden ist, nicht neu. Viele Philosophen – von Tolstoi und Montaigne bis zu den Stoikern – haben die Kraft der Dankbarkeit hervorgehoben, die Licht ins Dunkel bringt.

Der griechische Epiktet schrieb bereits vor 2.000 Jahren:

„Für alles, was im Universum geschieht, kann der Mensch leicht einen Anlass sehen, die Vorsehung zu preisen, vorausgesetzt, er verfügt über zwei Eigenschaften: die Fähigkeit, jedes einzelne Ereignis im Gesamtbild zu betrachten, und ein Gespür für Dankbarkeit.“ [2]

Ohne diese Eigenschaften werde der Mensch den Sinn des Erlebten nicht erkennen und ein anderer, selbst wenn er ihn erkennt, nicht dafür dankbar sein. Epiktet schlug daher vor, jede Herausforderung als Lektion zu betrachten – und dafür auch dankbar zu sein.

Kurz gesagt: In der Antike wurde Dankbarkeit nicht nur als unmittelbare Reaktion verstanden, sondern als prägende moralische Kraft. Ein Mensch, der sich der ihm erwiesenen Gnade bewusst ist, neigt dazu, rechtschaffen, treu und freundschaftlich zu handeln – aus dem Wunsch heraus, Gutes zu tun und Gutes zurückzugeben.

Flöhe entpuppen sich als Segen

In dunkelsten Zeiten der Menschheitsgeschichte verlieh ein Gefühl von Dankbarkeit vielen Menschen die Kraft, Leid zu erdulden und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken.

Corrie ten Boom beschrieb in ihrem Buch „Die Zuflucht“, wie sie mit ihrer Schwester Betsy im KZ Ravensbrück gefangen war. Trotz der dortigen Qualen forderte ihre Schwester sie auf, Gott zu danken – und zwar für alle Dinge. Selbst für die Flöhe, von denen es in ihren überfüllten Baracken nur so wimmelte, sollte sie dankbar sein. Für Corrie ein Unding. Doch ihre Schwester bestand darauf. Dankbarkeit müsse auch in schwierigen Situationen praktiziert werden, meinte sie.

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Erst später erfuhren die beiden Schwestern, warum es allen Grund gab, den Flöhen wirklich dankbar zu sein: Durch das Ungeziefer entstand eine Art Schutzraum. Die Flöhe hatten die Aufseherinnen davon abgehalten, ihre Baracke zu betreten – so blieben die Frauen vor Missbrauch verschont und konnten ungestört in der Bibel lesen. [3]

Ein Ritual, das alles verändert

Rund 90 Jahre später entdeckte die Unternehmerin Shannon Shallcross Dankbarkeit als spirituelles Instrument, um ihren stressigen Alltag zu bewältigen. Während des Lockdowns in der Corona-Pandemie musste die zweifache Mutter, damals Geschäftsführerin eines Datenunternehmens im wissenschaftlichen Bereich, wie unzählige andere Menschen Familie und Beruf unter einen Hut bekommen.

In einem im Mai veröffentlichten Vortrag sprach sie von jenem herausfordernden Jahr, in dem sie schließlich innehielt und sich fragte: „Wie kann es sein, dass ich mehr habe, als sich meine Großmutter jemals erträumt hat, und trotzdem nicht glücklich bin?“ [4]

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Aus dieser Erkenntnis heraus begann sie ein persönliches Experiment, das auf drei einfachen Regeln basierte: jeden Tag über zehn Dinge nachdenken, für die sie dankbar ist, diese aufschreiben und dies Tag für Tag wiederholen.

„Ich habe das ein ganzes Jahr lang gemacht“, erzählte die Unternehmerin. Das Ergebnis war verblüffend. „Mein Leben hat sich grundlegend verändert.“ Sie verkaufte ihr Unternehmen und nahm eine neue Geschäftsmöglichkeit wahr, die sie als „wahren Traum“ bezeichnete. Auch ihre Beziehungen verbesserten sich.

Ihr Leben, das sich bis dahin wie „eine alte, quietschende Maschine“ angefühlt hatte, nahm plötzlich Fahrt auf und begann, reibungslos zu funktionieren.

Shallcross betont, dass Dankbarkeit allein die Schwierigkeiten nicht aus dem Weg räumte, jedoch ihren Blick für die Realität veränderte: „Anstatt mich überfordert zu fühlen, begann ich zu erkennen, was noch gut, schön und wertvoll ist. Als Mutter von zwei Kindern hat mir das während der Pandemie geholfen, zu überleben.“

Als Geschäftsführerin eines Unternehmens im Gesundheitssektor beschäftigte sie jedoch immer wieder die Frage: „Warum war mir nicht bewusst, wie sehr mich das beeinflusst hat?“

Ihre Antwort: „Komplexitätsverzerrung“. Was bedeutet das? Menschen würden dazu neigen, einfache Dinge zu übersehen oder zu unterschätzen, weil sie meinen, dass komplizierte Lösungen besser seien. Die Verzerrung führt dazu, dass Dinge wie ausreichend Wasser trinken, schlafen oder das Praktizieren von Dankbarkeit ignoriert oder nicht ernstgenommen werden. Mit dieser Erkenntnis startete die Unternehmerin in Phase zwei ihres Experiments: Zuhören.

Dankbarkeit als Inspiration

Shallcross eröffnete einen TikTok-Kanal und veröffentlichte täglich Videos über die Lektionen, die sie gelernt hatte. Die Zuschauer reagierten, teilten Dankeslisten und berichteten selbst, wie Dankbarkeit auch ihr Leben verändert hat.

Eine der Geschichten war die von Amanda, einer geschiedenen Frau. Sie entdeckte, dass das tägliche Aufschreiben von Dankesworten ihr die Hoffnung zurückbrachte. Ähnlich erging es Adam, einem Therapeuten. Nachdem er von seiner Familie verlassen worden war, wollte er seinem Leben ein Ende setzen. „Nachdem ich alles verloren hatte, zeigte mir Dankbarkeit, dass es noch Schönes gibt, für das es sich zu leben lohnt“, berichtet er.

Und da war da noch Donnie – sein Leben hatte sich aufgrund eines schweren Schlaganfalls von Grund auf geändert: Nicht nur die Hälfte seiner Hirnfunktionen war geschädigt, er verlor auch seine Arbeit, sein Zuhause und seine Frau. Anstatt jedoch um den Verlust zu trauern, konzentrierte er sich auf das, was geblieben war. Donnie schrieb ein Buch, wie er seine unvorstellbare Niederlage überwinden konnte, und verbreitet ebenfalls die Botschaft der Dankbarkeit.

Ihr Experiment zeige, dass wir – selbst wenn wir scheinbar alles verloren haben – immer noch etwas finden können, wofür wir dankbar sind, erklärt Shallcross.

„Dankbarkeit ist nicht nur eine Übung – sie ist eine Kraft, die uns miteinander verbindet und uns daran erinnert, dass wir Teil von etwas Größerem sind“, so die Unternehmerin.

Der Fokus macht den Unterschied

Auf der Neugeborenen-Intensivstation des medizinischen Zentrums der Duke University nahmen 89 Fachkräfte an einer im Jahr 2017 veröffentlichten Studie teil. Sie sollten jeden Abend drei positive Ereignisse des Tages aufschreiben. Dazu erhielten sie täglich eine Erinnerungsmail. Nur 32 Personen, darunter examinierte Krankenschwestern, Ärzte und Pfleger, hielten bis zum Ende durch – möglicherweise aufgrund des Schichtbetriebs. [5]

Aus den Einträgen ergab sich jedoch ein klares Muster: Wer sich auf positive Aspekte – wie eine reibungslos verlaufende Schicht, ein unterhaltsames Gespräch mit einem Kollegen oder wertvolle Zeit mit der Familie – besinnt, kann besser mit Stress umgehen. Daraus entstand eine Art positiv geladener emotionaler Speicher, auf den sie im Laufe des Tages immer wieder zurückgreifen konnten.

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Auch Wissenschaftler der University of California in Davis unternahmen im Jahr 2003 einen klinischen Versuch zum Thema Dankbarkeit. Sie wollten wissen, wie sich eine dankbare Einstellung auf das körperliche und mentale Wohlbefinden auswirkt. Das Ergebnis: Die Teilnehmer, die ihren Fokus auf Dankbarkeit legten, berichteten von einer deutlichen Verbesserung ihres Glücksempfindens und ihrer Lebenszufriedenheit.

Die Forscher kamen zu dem Fazit, dass regelmäßige Dankbarkeitsübungen negativen Emotionen entgegensteuern können, während sich gleichzeitig Optimismus, Zufriedenheit und sogar die körperliche Gesundheit verbessern – beispielsweise durch einen erholsameren Schlaf und Stressabbau. [6]

Mittel gegen Angst und Depression

Im September 2024 brachten Forschungen der Harvard Medical School weitere Aspekte der Dankbarkeit ans Licht. Diese Studie basierte auf einer im Jahr 2016 durchgeführten Umfrage, bei der das Durchschnittsalter der 49.275 Teilnehmerinnen bei 79 Jahren lag. Sie sollten Aussagen wie „Ich habe so viel im Leben, für das ich dankbar sein kann“ auf einer Punkteskala zwischen eins und sechs bewerten. [7]

Vier Jahre später untersuchten die Wissenschaftler die Krankenakten der Teilnehmer und stellten fest, dass 4.608 Personen verstorben waren. Die Ursachen waren vielfältig, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Atemwegserkrankungen und Infektionen. Die Daten ergaben, dass Teilnehmer mit Dankbarkeitswerten im oberen Drittel zu Studienbeginn ein um 9 Prozent geringeres Risiko hatten, in den folgenden vier Jahren zu sterben, als Teilnehmer mit Bewertungen im unteren Drittel.

Zwar sei die Verringerung des Sterblichkeitsrisikos um 9 Prozent nicht enorm, so Tyler VanderWeele, Co-Autor der Studie. „Aber das Bemerkenswerte an Dankbarkeit ist, dass so gut wie jeder sie praktizieren kann. Jeder kann seine Umgebung wahrnehmen und sich bei anderen für das Gute in seinem Leben bedanken“, fügte er hinzu.

Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2023, die Dutzende klinische Studien untersuchte, bestätigte: Wenn man Dankbarkeit fördert, treten vermehrt positive Gefühle auf. Symptome von Angst und Depression gehen zurück, während sich die Stimmung sowie das mentale Wohlbefinden erhöhen. Mit anderen Worten: Dankbarkeit ist mehr als nur ein angenehmes Gefühl, sondern eine wirksame „therapeutische Ergänzung zur Behandlung von Angstzuständen und Depressionen“. [8]

Arzt entdeckt „authentische Dankbarkeit“

Der kalifornische Krankenhausarzt Dr. Leif Hass, der am Alta Bates Summit Medical Center in Oakland arbeitet, erlebte die Kraft der Dankbarkeit nicht im Rahmen der Forschung, sondern in einem winzigen Augenblick mitten im Berufsalltag. Er berichtete Erstaunliches. [9]

Eine 90-Jährige, die 42 Kilogramm wog, war wegen Atemnot ins Krankenhaus eingeliefert worden. Nachdem sich ihr Zustand stabilisiert hatte, erarbeitete Dr. Hass mit ihrer Familie eine Strategie, damit sie nicht ins Pflegeheim musste, sondern wieder nach Hause zurückkehren konnte. Als die Vorbereitungen abgeschlossen waren, sprach er mit seiner Patientin: „Wir haben einen Plan, wie Sie nach Hause zurückkehren können. Viel Glück – und danke.“

Er verließ das Zimmer. Plötzlich hielt er inne. „Ich blieb stehen, atmete tief durch und begann zu begreifen, wie schwierig es für ihre Familie sein würde, Frau Z. rund um die Uhr zu betreuen – und welches Privileg es für mich gewesen war, mich um sie zu kümmern … und ihren letzten Wunsch, nach Hause zu gehen, zu erfüllen“, berichtet er.

Mit dieser Erkenntnis kehrte er in das Zimmer zurück. Während seine Patientin dort schlief, brüteten ihre Kinder über einem Stapel Dokumente und Rechnungen. Er atmete tief durch und sprach: „Ich wollte nur sagen: Sie sind eine großartige Familie. Ihre Bemühungen, Ihrer Mutter zu helfen, sind beeindruckend. Danke, dass ich mich um sie kümmern durfte.“

Als er zur Tür ging, erfasste eine starke Welle seine Brust, die ihm zu Kopf stieg. „Mit Tränen in den Augen stand ich da und fragte mich … Warum hatten diese beiden getrennten Dankesworte an dieselbe Familie so unterschiedliche Reaktionen in mir hervorrufen?“

Die Antwort fand er in dem, was er als „authentische Dankbarkeit“ bezeichnet – eine tiefe Anerkennung der unsichtbaren Geschenke, die Patienten ihren Bezugspersonen machen.

Als Dr. Hass an jenem Tag zu seinem nächsten Patienten kam – ein Mann, der in der Nacht zuvor wegen einer Lungenentzündung eingeliefert worden war –, spürte er eine Veränderung bei sich. Er empfand Empathie und hörte sich geduldig an, wie der Sohn des Patienten sich seinen Frust und die Sorgen von der Seele redete. „Wenn ich gestresst in den Raum gekommen wäre, wie ich es nach dem ersten Danke gefühlt hatte, wäre ich möglicherweise mit ihm aneinandergeraten und hätte frustriert etwas Dummes gesagt“, schildert der Mediziner.

Für ihn ist die Dankbarkeit zu einem täglichen Zufluchtsort geworden. „Wenn ich am Ende meiner Schicht nicht mindestens einmal Tränen in den Augen hatte, frage ich mich, welche Geschenke ich an diesem Tag verpasst habe.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der israelischen Epoch Times. (deutsche Überarbeitung: sua)

[1] Cicero, „Pro Plancio“, Abschnitte 58-104, Übersetzung von N.H. Watts, 1928

[2] Epictetus, „The Discourses“, On Providence, Book 1, Chapter 6.1

[3] Corrie ten Boom, „Die Zuflucht“

[4] Shannon Shallcross, TEDx Talks, „What Happens When You Harness The Power of Gratitude“ auf YouTube

[5] Rippstein-Leuenberger u.a., „A qualitative analysis of the Three Good Things intervention in healthcare workers“, BMJ Open, June 2017

[6] ‏Emmons, McCullough, „Counting Blessings Versus Burdens: An Experimental Investigation of Gratitude and Subjective Well-Being in Daily Life“, Journal of Personality and Social Psychology, 2003

[7] Salamon, „Gratitude enhances health, brings happiness — and may even lengthen lives“, Havard Health Publishing, September 2024

[8] Diniz u.a. „The effects of gratitude interventions: a systematic review and meta-analysis“, Einstein-Journal, July 2023

[9] Dr. Leif Hass, „Why Health Professionals Should Cultivate Gratitude“

 



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