Die verlorene Kunst der Kindererziehung – was wir von indigenen Völkern lernen können

Erziehungsratgeber gibt es wie Sand am Meer. Aber nicht immer findet man darin die erhofften Antworten. So ging es jedenfalls der amerikanischen Journalistin Michaeleen Doucleff. Erst der Kontakt zu indigenen Völkern machte ihr klar: Kindererziehung kann auch stressfrei, gelassen und liebevoll sein.
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Bei der traditionellen Erziehung legen Eltern viel Wert auf die Zusammenarbeit mit ihren Kindern.Foto: kongjongphotostock/iStock
Von 18. Juli 2025

In Kürze:

Mutter in der Krise: Die dreijährige Rosy bringt ihre Mutter, die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Dr. Michaeleen Doucleff, an ihre Grenzen.

Traditionelles Vorbild: Von indigenen Völkern lernt Doucleff, wie und warum man Kinder aktiv ins Familienleben einbeziehen sollte.

Freiheit mit Rahmen: Druck erzeugt Gegendruck. Erziehung hingegen bedeutet Ermutigung.


 

Dr. Michaeleen Doucleff erinnert sich noch genau an den Moment, an dem ihr Mutterdasein den Tiefstpunkt erreichte. Es war an einem kühlen Dezembertag um fünf Uhr morgens. Die Wissenschaftsreporterin lag im Bett und trug noch immer denselben Pullover wie am Vortag. Das Einzige, was sie hörte, war der Atem ihres Hundes, der unter dem Bett lag. Alle schliefen – nur sie nicht. Innerlich lief bei ihr ein Film ab. „Ich bereitete mich auf die Schlacht vor“, schildert sie.

Grund war ihre kleine Tochter Rosy. Als sie drei Jahre alt wurde, fing sie an um sich zu schlagen und zu schreien. Selbst bei einfachen Aufgaben, wie sich morgens für den Kindergarten fertig zu machen oder abends ins Bett zu gehen, meuterte sie. Frustriert suchte Dr. Doucleff nach einer Möglichkeit, ihre Tochter „zu zähmen“. Dabei verlor sie oft ihre Beherrschung und schrie sie an – so wie sie es von ihren Eltern gelernt hatte. Wohl war ihr dabei aber nicht.

„Ich wollte Rosy nie anschreien und fühlte mich schrecklich, wenn ich die Beherrschung verlor“, erzählt sie.

Auf der Suche nach einer Lösung wälzte sie zahlreiche Bücher, kam aber nicht weiter. Erst als sie sich im Rahmen ihrer journalistischen Arbeit auf Reisen begab, machte sich Hoffnung breit. Dr. Doucleff besuchte die Maya auf der Halbinsel Yucatán, die Hazda in Tansania und die Inuit im Arktischen Kreis. Mit der Zeit wurde ihr klar, dass das Problem nicht bei ihr und Rosy lag.

Sie begann zu verstehen, dass es eine weitverbreitete traditionelle Erziehungsmethode gibt – „eine sehr alte Form, die bis vor 500 Jahren auch in unserer westlichen Gesellschaft existierte“. Doch was steckt dahinter? Epoch Times sprach mit Dr. Doucleff über ihre Erkenntnisse.

Wie sieht die ideale Erziehungsmethode in der traditionellen Kultur aus?

Es handelt sich um ein Modell, das aus vier Verhaltenskomponenten besteht. Die erste Komponente, der Schlüssel zur traditionellen Erziehung, besteht darin, dass Eltern ihren Kindern erlauben, Teil der Welt der Erwachsenen zu sein. Sie dürfen helfen und an den Aktivitäten der Erwachsenen teilnehmen – bei der Hausarbeit, bei der Arbeit, und das schon von klein auf. Man sieht dort kleine Kinder, die beim Kochen helfen, im Garten arbeiten oder an einem Bauprojekt mitwirken. Die Kinder werden überall einbezogen. Es gibt keine speziellen Aktivitäten für Kinder – sie gehen nicht zu besonderen Geburtstagsfeiern, werden nicht unterhalten oder angeregt. Sie sind Teil der Welt der Erwachsenen und werden auf sehr komplexe Weise in diese Welt integriert.

So ist es jetzt auch mit Rosy. Ich arbeite, und Rosy ist bei mir. Sie macht nicht das, was ich mache. Aber wenn ich hinuntergehe, um das Abendessen vorzubereiten, hilft sie mir beim Schneiden oder ich bitte sie, etwas zu holen. Sie tut, was sie kann, aber die meiste Zeit spielt sie.

Das heißt, es ist ein Modell, in dem Erwachsene und Kinder zusammenarbeiten?

Ja. Allerdings habe ich in letzter Zeit festgestellt, dass sich eine gewisse Kluft gebildet hat, wenn Kinder aus einigen Stämmen zur Schule gehen. Aber traditionell gibt es keine Trennung. Manchmal spielen die Kinder in Gruppen, aber diese Gruppen bilden sich von selbst, sie werden nicht von den Eltern organisiert.

In der heutigen westlichen Gesellschaft gewöhnen viele Eltern sich daran, dass die Schule ihre Kinder erzieht. Zu Hause entziehen sich die Eltern vollständig ihrer Verantwortung für die Kindererziehung.

Ja, das ist in der westlichen Kultur eine verbreitete Anschauung. Die Aufgabe der Kinder besteht darin, zur Schule zu gehen und zu lernen, und wenn sie zu Hause sind, zu spielen, Hausaufgaben zu machen oder zu einem Kurs zu gehen. Diese Vorstellung hat auch die traditionelle Denkweise in der Kindererziehung verändert. Im Gegensatz zur heutigen Situation im Westen haben Eltern, die ihre Kinder zur Schule schicken, in den Stämmen wie den Inuit in der Arktis oder den Hadza in Tansania das Gefühl, dass Kinder außerhalb der Schule eine ganz bestimmte Fähigkeit lernen müssen – nämlich, wie man ein verantwortungsbewusstes Familienmitglied wird. Dazu gehört, anderen zu helfen, im Haushalt mitzuarbeiten, sich um seine Geschwister zu kümmern, ihnen nahe zu sein, sich um sie zu kümmern, auf sie aufzupassen und zu lernen, großzügig zu sein.

Viele Eltern, die ich in einigen Stämmen interviewt habe, sagten, Zusammenarbeit sei für sie ein wichtiger Wert. In der westlichen Kultur wird dies heute nicht mehr gelehrt oder von westlichen Eltern nicht ausreichend beachtet. Ich denke, dies hängt mit der Tendenz zum Individualismus zusammen.

Wie bringen die Stämme ihren Kindern Zusammenarbeit bei?

Kinder lernen auf verschiedene Arten, zusammenzuarbeiten. Das hat mir Maria, die Mutter, die mich in ihrem Maya-Dorf aufgenommen hat, erklärt. Der Wunsch zu helfen, entsteht bei kleinen Kindern im Alter von null bis vier Jahren auf ganz natürliche Weise. Niemand weiß warum. Dieser Wunsch entsteht einfach von selbst. Deshalb sollte man Kindern erlauben zu helfen, auch wenn sie dabei Unordnung machen und schmutzig werden. Man sollte ihre Motivation aufrechterhalten, aus den richtigen Gründen zu helfen – nämlich um anderen zu helfen. Wenn Kinder klein sind, macht es ihnen Freude, anderen zu helfen oder etwas für sie zu tun, und das ist wichtig für ihre Entwicklung.

In der westlichen Gesellschaft denken wir, dass Kinder, die während der Arbeit zu uns kommen und am Computer spielen möchten, uns stören, kontrollieren oder unsere Aufmerksamkeit erregen wollen, damit wir mit ihnen spielen und nicht arbeiten. Die Maya sehen das anders: Ihrer Ansicht nach möchten Kinder einfach helfen und zur Familie gehören. Indem sie das Kind in die Aufgabe einbeziehen, signalisieren sie ihm, dass es Teil der Familie ist und so viel wie möglich dazu beiträgt. Kinder, die nicht von den Eltern einbezogen werden, lernen schrittweise, dass dies nicht ihre Aufgabe ist. Ihre Aufgabe ist es, mit Lego zu spielen oder fernzusehen, während ihre Eltern kochen und putzen.

Warum wurde dieser Teil des traditionellen Modells Ihrer Meinung nach im Westen aufgegeben?

Ich weiß nicht genau, warum. In meinem Buch „Hunt, Gather, Parent“ [auf Deutsch erschienen unter: „Kindern mehr zutrauen: Erziehungsgeheimnisse indigener Kulturen. Stressfrei – gelassen – liebevoll“] argumentiere ich unter anderem, dass dies mit dem Zerfall der Großfamilie zusammenhängt. Früher lebten Eltern und Kinder in unmittelbarer Nähe zu Großeltern, Onkeln und Tanten. Doch vor etwa 500 Jahren begann sich dies zu ändern. Als die Familie zerfiel, verlor sie ihre Lehrer, die Ältesten der Gemeinschaft, die ihr Wissen über die Erziehung an die nächsten Generationen weitergaben. Wenn es in ihrer Umgebung keine älteren Menschen gibt, die sie unterrichten, wie sollen sie dann wissen, was sie als Eltern tun müssen?

In der Literatur kann man nachlesen, dass Elternschaft früher als eine Fähigkeit angesehen wurde, die man erlernen kann. Vor etwa 150 Jahren kam es jedoch zu einer Veränderung, und die elterliche Fürsorge wurde zu einer Tätigkeit, die von den eigenen Instinkten abhängt. Man wird geboren und weiß, wie man sie ausübt.

Man hört oft, dass Mütter von Natur aus wissen, was zu tun ist.

Das stimmt, aber in früheren Kulturen war das eine erlernte Fähigkeit. Andere Menschen, die seit jeher Wissen angesammelt hatten, gaben es weiter und lehrten andere, was Eltern tun mussten. Auch heute kann man das lernen, aber nicht mehr von den Großeltern, sondern von „Experten“, Fachleuten, die an Universitäten moderne Philosophien studiert haben. Ich denke, das ist ein großer Teil unseres Problems.

Wir haben das traditionelle Wissen verloren, das von den Großeltern an die Eltern und dann an die Kinder weitergegeben wurde.

Wir haben auch die Helfer verloren, denn die Großeltern halfen zu Hause bei der Kindererziehung. Vier oder fünf Personen zogen die Kinder groß. An ihre Stelle sind „Experten“ getreten, oft Ärzte, die manchmal selbst keine Kinder haben, oder Lehrer, die nach ihrem Studium an der Universität moderne Erziehungsmethoden gelernt haben.

Der erste Teil der Methode ist also „Zusammenhalt“. Was ist der zweite Teil?

Der zweite Teil ist Ermutigung. In der westlichen Kultur zwingen Eltern ihre Kinder, bestimmte Dinge zu tun, oder drängen sie dazu. Wenn wir Kinder auffordern, ihre Schuhe zu binden oder ihr Zimmer aufzuräumen, erwarten wir, dass sie dies tun.

In traditionellen Stämmen werden Kinder dazu ermutigt, solche Dinge zu tun. Ein Kind zu ermutigen, entspringt der Vorstellung, dass man ein Kind nicht zwingen kann, wenn man ihm wirklich etwas beibringen möchte. Man kann es ermutigen und verschiedene Mittel einsetzen, um dies zu erreichen.

Wie „ermutigen“ sie Kinder, Dinge zu tun?

Die Ermutigung beginnt sehr früh im Leben eines Kindes. Denken Sie zum Beispiel an ein Baby, das laufen lernt. Die Psychologin Prof. Susan Gaskins, die den Zusammenhang zwischen Kultur und kindlicher Entwicklung erforscht hat, erklärte mir, dass eine amerikanische Mutter normalerweise ihre Arme vor ihrem Kind ausbreitet, wenn es anfängt zu laufen, und sagt: „Komm, komm, komm zu mir.“ Sie gibt also verbale Anweisungen.

Schon bei den ersten Schritten des Kindes kommt es auf die Motivation an. Foto: Liudmila Chernetska/iStock

In Stämmen in Mexiko geschieht in genau derselben Situation etwas anderes. Die Mutter geht mit offenen Armen hinter dem Kind her, um es aufzufangen, falls es fällt. Aus der Perspektive des Kindes geht es allein und ohne jegliche Hilfe. Die Idee ist, das Kind führen zu lassen. Das Kind soll seine eigenen Ideen entwickeln. In Stämmen werden Komplimente selten verwendet, und wenn ein Kind gelobt wird, wird das Lob mit dem Wert des Lernens verbunden, wie zum Beispiel: „Du beginnst zu lernen, wie man hilft.“

Man muss bedenken, dass wir umso mehr Widerstand hervorrufen, je mehr wir Kinder zu etwas zwingen. Jedes Mal, wenn Sie ein Kind zu etwas zwingen, besteht das Risiko, in einen Konflikt mit ihm zu geraten.

Sollen wir Kindern nicht beibringen, dass sie auf ihre Eltern hören müssen, auch wenn sie etwas nicht gerne tun?

Es gibt zweifellos Dinge, die Kinder tun müssen, und natürlich müssen sie auf ihre Eltern hören. Aber westliche Eltern zwingen ihre Kinder viel zu oft zu etwas. Ich behaupte, dass wir Kinder in den meisten Fällen nicht wirklich zu etwas zwingen müssen.

Es gibt ein Beispiel, in dem ein Vater in Los Angeles 15 Minuten damit verbringt, seinen Sohn davon zu überzeugen, seine Schnürsenkel zu binden. „Binde deine Schnürsenkel!“ „Nein, du bindest meine Schnürsenkel!“, antwortet der Junge. In den meisten alten traditionellen Kulturen würden Eltern das niemals tun. Sie würden emotionslos sagen: „Wenn du deine Schnürsenkel nicht bindest, musst du die Konsequenzen selbst tragen.“ Kinder können 98 Prozent der Zeit aus eigener Erfahrung lernen. Man kann ihnen ruhig erklären, welche Konsequenzen es hat, wenn sie ihre Schnürsenkel nicht binden.

Lassen Sie uns konkret werden. Putzen Kinder, die in einem traditionellen Umfeld aufwachsen, von sich aus ihre Zähne?

Ja, ich habe gesehen, wie sie sich selbst die Zähne geputzt haben. Ich bin mir sicher, dass das nicht immer und bei jedem Kind der Fall ist. Aber im Großen und Ganzen lautet die Antwort Ja.

Ich denke, dass wir Kindern Grenzen setzen, die sie in eine sehr kleine Schublade stecken. Es gibt Grenzen, die gut für sie sind, aber es gibt auch solche, die nicht gut für sie sind. Ein Kind braucht einen viel größeren Rahmen, in dem es seine Umgebung selbstständig erkunden kann. Das ist der dritte Bestandteil des Modells: Autonomie.

Ein Kind darf ein Messer haben, wenn es sich dafür interessiert, aber kein scharfes Messer. Wenn es älter wird, bekommt es ein schärferes Messer. Das ist nur eine Metapher für das Ganze: Wenn man die Welt des Kindes nicht einschränkt, kann es sich in der Welt der Erwachsenen zurechtfinden. Nicht einschränken bedeutet nicht, die Hände in den Schoß zu legen, sondern zu ermutigen.

Elternratgeber empfehlen, dem Kind zwei Optionen zur Auswahl zu bieten.

Das ist auch ziemlich verrückt. Kinder sollten nicht zwischen zwei Optionen wählen. Sie benötigen Autonomie, um selbst zu entscheiden. Sie müssen lernen, sich in der Welt der Erwachsenen zurechtzufinden.

Man sollte Kinder auch nicht fragen, was sie wollen. Es gibt keine Eltern auf der Welt, die ihre Kinder so wie in unserer Kultur ständig fragen, was sie tun möchten. Autonomie bedeutet, dass das Kind selbst Entscheidungen trifft, dass es unabhängig ist – aber innerhalb der Grenzen unserer Gruppe, gegenüber der es Verantwortung hat, wie ein gutes Familienmitglied. Die Grenzen der Gruppe ist seine Welt, und innerhalb dieser Welt trifft es seine Entscheidungen. So hat das Kind das Gefühl, dass es im Rahmen der Gruppe selbst entscheidet. Es ist eine Kombination aus Freiheit und Verantwortung.

In den von mir untersuchten Stämmen dürfen siebenjährige Kinder ihre Aktivitäten selbst planen und sich um die Logistik kümmern. In der westlichen Gesellschaft lässt sich dies so umsetzen, dass ein Kind selbst entscheidet, welche Sportarten, Musik-, Kunst- oder andere Kurse es besuchen möchte. Es wird dazu erzogen, sich selbst um die Organisation zu kümmern, sich anzumelden, hinzufahren und so weiter. Es erhält Aufgaben wie die Betreuung jüngerer Kinder, Kochen und Putzen.

Anm. d. Autorin: Die vierte Komponente von Doucleff Erziehungsmethode ist „minimale Einflussnahme“. „Eltern drängen ihre Kinder heutzutage ständig, schneller erwachsen zu werden und Dinge zu tun, für die sie vielleicht noch nicht bereit sind“, erklärt sie.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Vor einigen Tagen hielt ich einen Vortrag vor Müttern. Eine von ihnen erzählte mir, dass ihre fünfjährige Tochter einwandfrei Wäsche waschen kann. Sie erzählte, dass sie zusammen Wäsche waschen, und dann sagte sie: „Aber ich möchte, dass sie es allein macht, aber sie macht es nicht allein, wie bringe ich sie dazu, es zu machen?“ Es ist offensichtlich, dass das Mädchen das nicht allein tun möchte. Warum sollte man das Mädchen drängen, unabhängiger zu werden? Warum sollte man etwas tun, was sie aktiv ablehnt? Irgendwann in ihrem Leben wird das Mädchen ihre Wäsche selbst waschen!

Eltern fragen immer: „Was kommt als Nächstes?“ Ich beobachte das häufig bei Eltern, die ihren Kindern beispielsweise das Schwimmen beibringen möchten. Kinder möchten oft nicht lernen oder nicht das tun, was ihre Eltern von ihnen erwarten. „Tauch deinen Kopf unter Wasser“, fordern die Eltern. So gerät das Kind, das sich im Schwimmbad nur vergnügen und eine entspannte, angenehme Zeit verbringen will, unter Druck.

Vielleicht liegt es an der Angst, dass das Kind nicht schwimmen kann, wenn es das nicht in einem bestimmten Alter lernt.

Genau. Es gibt viele Ängste, die uns dazu bringen, Kinder zu drängen oder zu früh aufzugeben. Zum Beispiel in Bezug auf bestimmte Lebensmittel. Wenn Kinder bestimmte Dinge nicht essen, entscheiden Eltern oft, dass das Kind das nie essen wird. Es ist erwiesen, dass westliche Eltern sehr schnell aufgeben.

Die Angst rührt auch von einem Wettbewerbsdenken her, dass „mein Kind das noch nicht kann“, oder von der Befürchtung, dass das Kind angeblich nicht der Norm entspricht. Wenn das Kind nicht rechtzeitig laufen kann, ist das nicht in Ordnung, oder wenn das Kind nicht gut lesen kann, aber der Sohn des Nachbarn schon. Dieser Vergleich rührt von einer Anschauung her, die in den vergangenen hundert Jahren entstanden ist, wonach Kinder bis zu einem bestimmten Alter dieses und jenes können müssen. Wenn nicht, stimmt etwas mit ihnen nicht.

In der traditionellen Kultur der Stämme glaubt man, dass es in der Realität einen sehr breiten Spielraum für die Entwicklung eines Kindes gibt. Kehren wir zur Metapher des Messers zurück: In welchem Alter kann ein Kind ein Messer benutzen? – das hängt vom Kind ab.

Wenn man Kinder zu etwas drängt, setzt man sie unter Druck. Wenn man sie einfach beobachtet, wenn man sie laufen oder spielen lässt, entdeckt man nach und nach, was sie gern tun, was sie tun wollen und was sie gut können, und kann ihnen dabei helfen. Rosy zum Beispiel klettert sehr gern auf Bäume. Die ersten Male stand ich einfach unter ihr und beobachtete sie, um zu verstehen, was sie kann, wie lange sie es macht und was sie dazu bringt, aufzuhören. Ist sie ein Kind, das Grenzen überschreitet und Risiken eingeht, oder hört sie auf? Das ist anders als früher, als ich sie oft aus Angst gedrängt habe und dachte, dass ich eine gute Mutter wäre. Ich hatte das Gefühl, dass es als Mutter meine Aufgabe war, sie dazu zu bringen, Dinge schneller und besser zu machen. Ich dachte, das sei gute Erziehung.

Kinder lernen am besten, wenn sie selbst entdecken und erforschen und man ihnen dabei nur minimal hilft. Der Ansatz besteht darin, das Kind zu beobachten, zu verstehen, wie es zu lernen versucht, und ihm dann zu helfen. So wird das Lernen plötzlich leicht und das Kind lernt sehr schnell. Außerdem bleibt so die Freude am Lernen erhalten.

Dieser Artikel erschien im Original in der israelischen Epoch Times unter dem Titel „האמנות האבודה של גידול ילדים – מה תרבויות קדומות יכולות ללמד אותנו“. (deutsche Bearbeitung: sua)

Taschenbuch, Broschur, 384 Seiten
Erschienen am 14.06.2023
Originaltitel: Hunt, Gather, Parent
ISBN: 978-3-328-10993-8
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