„Ein bisschen verrückt muss man schon sein“

Werner Tübke malte in der DDR wie ein Renaissancemeister – detailversessen, widerspenstig, grandios. Sein Bauernkrieg-Panorama widersetzte sich den Parolen des Sozialismus und wurde zum zeitlosen Spiegel menschlicher Tragödien.
Titelbild
Das Panoramamuseum in Bad Frankenhausen.Foto: Sabine Küster-Reeck
Von 7. November 2025

Elf Jahre lang arbeitete Werner Tübke, einer der bekanntesten Künstler der DDR, im thüringischen Bad Frankenhausen an einem gigantischen Panoramagemälde. Dargestellt werden Szenen aus dem Bauernkrieg, der sich in diesem Jahr zum 500. Mal jährt.

Der Kunstprofessor aus Leipzig wurde von der DDR-Regierung von 1976 bis 1987 eigens von seinen Lehraufgaben an der Universität freigestellt. Werner Tübke sagte über seine Arbeit an dem monumentalen Werk: „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, sonst geht man solche Sachen nicht an.“

Am 30. Juli 2025 wäre der Maler 96 Jahre alt geworden.

„Auf Augenhöhe mit den alten Meistern malen“

Werner Tübke, als Sohn eines Kaufmannes 1929 in Schönebeck an der Elbe geboren, zählt zu den bedeutendsten Malern der ehemaligen DDR. Die Kriegsjahre erlebt er als Gymnasiast und malt im väterlichen Garten Pflanzenbilder. Ein traumatisches Erlebnis für den jungen Mann wird jedoch die mehrmonatige Inhaftierung durch die Sowjets, die den Schüler zu Unrecht verdächtigen, einen Mordanschlag auf einen sowjetischen Soldaten verübt zu haben. Diese Erfahrung wird ihn lange prägen.

Tübke lernt nach dem Krieg sein Handwerk von der Pike auf. Nach einer soliden Ausbildung im Malerhandwerk beginnt er ab 1948 ein Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Noch kurz vor Studienbeginn tritt Tübke in die SED ein.

1950 wechselt er zum Studium der Kunsterziehung an die Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald. Er schließt sein Studium 1953 mit dem Staatsexamen ab. Nach wissenschaftlicher Mitarbeit am Zentralhaus für Volkskunst wird er freischaffender Künstler. Nach 1960 wird ihm wachsende Anerkennung für sein Werk zuteil. So erhält er auch die Möglichkeit, nach Italien zu reisen, um die alten Meister der Renaissance zu studieren, die ihm zeitlebens für seine Arbeit so viel Inspiration geben.

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Wie aus der Zeit gefallen

Tübke orientiert sich in seinen Werken oft an der Frührenaissance. Damit war er schon früh Kollegen und Juroren aufgefallen. Sein Geschichtskonservatismus passt jedoch nicht unbedingt zur Ideologie der DDR. Doch mit zunehmender Bekanntheit des Künstlers, sonnen sich auch viele Genossen in seinem Ruhm. Somit gelangt er zu einer gewissen Unabhängigkeit in seinem Schaffen und in der Wahl seiner Themen.

Werner Tübke lebt in der real existierenden DDR, malt aber wie in der Vergangenheit. Mit überbordender Fantasie belebt er seine Bilder. Werner Laux, Rektor der Kunsthochschule Weißensee, stellt schon 1956 verblüfft fest: „Fast muss ich annehmen, dass jede Figur von irgendeinem großen Renaissancemeister kopiert wurde, aber mir fällt keiner ein.“

Andere Kritiker hingegen sehen das weniger wohlwollend: „Alt! Alt! Wie kann ein junger Mensch so malen? So malt ein Mümmelgreis!“ In der Tat heißen Tübkes Vorbilder Albrecht Dürer oder Lucas Cranach; und so scheinen die Werke des Malers oft wie aus der Zeit gefallen.

Die Palette des Meisters, ausgestellt im Panoramamuseum. Foto: Sabine Küster-Reeck

Ein Panoramagemälde zur „frühbürgerlichen Revolution“

Anlässlich des 450. Jahrestages des Deutschen Bauernkrieges beschlossen die Parteiführung der SED und die Regierung der DDR in den Jahren 1973/74, auf dem Schlachtberg bei Frankenhausen eine Panorama-Gedenkstätte zu errichten. Das Projekt trägt den offiziellen Titel „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“.

Es soll den Theologen und „Revolutionär“ Thomas Müntzer ehren und an eine der letzten Schlachten des Bauernkrieges bei Frankenhausen erinnern. Der Bauernaufstand wurde dort am 15. Mai 1525 von einem Adels- und Landsknechtsheer blutig niedergeschlagen. Müntzer wurde gefangengenommen, gefoltert und später enthauptet.

Den Genossen geht es insbesondere darum, die Bauernaufstände als Großereignis von historischer Tragweite darzustellen. Der Bauernkrieg soll als „frühbürgerliche Revolution“ inszeniert werden: „Der entscheidende Gedanke dabei ist zu zeigen, wie die Volksmassen im Kampf gegen die Ausbeuterklasse […] große revolutionäre Energien freisetzen und unter unseren heutigen Bedingungen, das Vermächtnis der Revolutionäre von 1524/25 […] erfüllt wird. Durch seinen Standort soll es besonders bei der Jugend den sozialistischen Patriotismus fördern.“

Zur Ausführung des Gemäldes kann der international bekannte Maler Werner Tübke gewonnen werden. Der SED-Führung schwebt eher ein heroisierendes Schlachtengemälde im Stile des sozialistischen Realismus vor. Statt aber dieser ideologischen Vorgabe zu folgen, stellt er Bedingungen, die ihm sowohl bei der Konzeption, als auch bei der Ausführung der Arbeiten freie Hand lassen.

Tübkes Vorstellungen und seine künstlerische Autonomie werden akzeptiert, wohl auch, um das Projekt nicht zeitlich in Verzug geraten zu lassen – der Rundbau zur Beherbergung des Panoramagemäldes war bereits 1975 fertiggestellt worden.

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Das Opus Magnum Tübkes

Im Jahr 1976 beginnt Werner Tübke mit der Arbeit an seinem Opus Magnum, einem gigantischen Rundgemälde mit einer Höhe von 14 Metern und einem Umfang von 120 Metern. Nach mehreren Jahren intensiver Vorarbeit und Recherche zu dem Thema, sowie der Erstellung einer Modellfassung im Maßstab 1:10, setzt er am 16. August 1983 den ersten Pinselstrich an das Gemälde.

Es zeigt sich bald, dass eine Auftragsarbeit dieses Größenmaßstabes für einen Mann allein nicht zu bewältigen ist. Fünf sorgfältig ausgewählte „Altgesellen“ sollen ihn unterstützen. Insgesamt elf Jahre sollten Tübke und seine Assistenten für das monumentale Werk benötigen. Die Künstler standen bis zu 10 Stunden täglich auf den Gerüsten. Dies teilweise bei Temperaturen um die 35 Grad Celsius.

Tübke beschwert sich später: „Man hat es versäumt, menschenwürdige Bedingungen zu schaffen. Lediglich an die Bequemlichkeit der Besucher hat man gedacht.“ 1987 wurde das Werk mit mehr als 3.000 Figuren fertiggestellt. Der Maler war physisch und psychisch erschöpft.

Eine Dokumentation im Panoramamuseum zeigt den Künstler, wie er die letzten Pinselstriche am Monumentalgemälde ausführt. Beinahe andächtig legt er danach den Pinsel zur Seite und stellt trocken fest: „Ich habe keine Gefühle mehr, elf Jahre Elend …“

Werner Tübke signiert sein Werk. Foto: Sabine Küster-Reeck

Das Werk ist kein herkömmliches Schlachtengemälde geworden, sondern ein historisch-philosophischer Bilderreigen über eine ganze Epoche, „eine historische Parabel menschlicher Irrungen und Wirrungen“ (E. Beauchamp, 2004), ausgeführt im Stil eines magischen Realismus mit surrealen Zügen.

Gerd Lindner, Direktor des Panoramamuseums, deutete das Gemälde 2004 so: „Ich glaube, das Werk ist zeitlos. Auf den Punkt gebracht könnte man sagen, es zeigt die ewige Wiederkehr des Gleichen, die sozialen Grundprobleme bleiben die gleichen, das ist die Grundaussage des Bildes, dargestellt in einer totalen Form, d. h. in einer Kreisform ohne Anfang und Ende, so dass die Geschichte als Kontinuum erscheint, ohne lineare Höherentwicklung, was im eklatanten Widerspruch zum offiziellen Geschichtsbild der DDR stand.“

Durchaus umstritten

Werner Tübke galt zu DDR-Zeiten und auch danach, als durchaus umstritten. War er ein „Auftragsmaler“ der SED? Wurde das Gemälde zur „Frühbürgerlichen Revolution“ geschaffen, um zu illustrieren, dass ja erst mit der DDR-Bodenreform von 1946 die Ziele der aufständischen Bauern von einst, nun endlich durch den real existierenden Sozialismus eingelöst wurden?

Nach der Wende wurden Stimmen laut, die die Schließung des Panoramamuseums forderten und Tübke einen „Staatsmaler“ nannten. Die Wende sah der Künstler nicht als großen Umbruch. Körperlich am Ende, arbeitete er nach der Wende nur noch an zwei großen Aufträgen: einem Bühnenbild zur Neuinszenierung von Webers „Der Freischütz“ in Bonn (1990–1993) und an einem Flügelaltar für die St.-Salvatoris-Kirche in Clausthal-Zellerfeld (1993–1996).

Es entstanden außerdem eigenständige, kleinformatige Gemälde. Auf die Frage, ob er sich darüber beschwert habe, dass seine Bilder in der umstrittenen DDR-Kunst-Schau in Weimar 1999 auftauchten, konterte der Künstler auf seine trockene Art: „Nein, ich registriere so etwas eigentlich nicht […] Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst.“

Eine höhere Eingebung

Als Tübkes Tagebücher viele Jahre nach seinem Tod gefunden werden, mystifiziert der Künstler die Entstehung des Gemäldes in Bad Frankenhausen als „höhere Eingebung“. „Das war ich nicht! Das Bild habe ich nicht gemalt! […] Da muss statt meiner etwas Geistiges gewesen sein, ein Fokus der Kulturgeschichte, doch mit Seele und Liebe.“

Dennoch sei alles mit Gottes Hilfe und dem Segen der Partei entstanden. Der Künstler, dem aufgrund schwerer Durchblutungsstörungen ein Bein amputiert werden musste, starb am 27. Mai 2004 nach langer, schwerer Krankheit in Leipzig. Er wurde 74 Jahre alt.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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