Eintauchen, Aufblasen, Abdrücken: Kunst für die Selfie-Ära?

Seit 2021 tourt das Balloon Museum mit verschiedenen Ausstellungen durch die Welt und sorgt für Aufsehen. Nach Angaben der Veranstalter besuchten inzwischen über sieben Millionen Menschen die interaktiven, aufblasbaren Installationen. In Paris ist derzeit im frisch renovierten Grand Palais auf rund 4.000 Quadratmeter die neueste Schau „Euphoria: Art is in the Air“ zu sehen. In den ersten fünf Wochen zog die Ausstellung rund 200.000 Besucher an.
Hinter dem Begriff Balloon Museum verbergen sich bisher vier verschiedene Schauen, jede mit eigenem Titel, eigener Dramaturgie und wechselnden Künstlern. In Deutschland lockten sie in Berlin und Düsseldorf bis zu siebenstellige Besucherzahlen an. Besucher waten durch tiefschwarze Bällebäder, kriechen unter riesigen, schwebenden Ballons hindurch und erklimmen bunte Skulpturen, die an amorphe Traumlandschaften erinnern.
Neue innovative Ausdrucksform?
Das Balloon Museum bringe Kunst direkt zum Publikum, erklärte Kurator Valentino Catricalà den Erfolg des Konzepts. Die Werke seien bewusst „zum Anfassen und Fotografieren“ gestaltet. Für Catricalà ist das Projekt zugleich innovative Ausdrucksform und vielschichtiges Erlebnis: mal reines Vergnügen, mal experimentelle Annäherung an Kunst und aufblasbare Formen – und stets auch eine Reflexion über unsere heutige Gesellschaft.
Die aufblasbare Kunst lässt sich kaum in klassische Kategorien zwängen. Sie changiert zwischen Pop und Poesie, Spektakel und gesellschaftlichem Statement – etwa über Konsumkultur oder digitale Egos.

Aus der Ausstellung „Euphoria“ im Ballon-Museum in Paris. Foto: Sabine Glaubitz/dpa
Für Catricalà liegt genau darin eine Chance: Für ihn erreicht diese Kunstform Menschen, die sich sonst nicht ins Museum verirren. Sie senkt die Schwelle – wirft jedoch zugleich die Frage auf: Ist das noch Kunst? Oder bloß ein gut inszeniertes Erlebnis?
„Immersive“ Erfahrungen schaffen
Neben aufblasbaren Installationen boomen weltweit auch die sogenannten immersiven Ausstellungen. Dabei werden Werke großer Meister wie Klimt, Van Gogh oder Picasso überlebensgroß an Wände, Böden und Decken projiziert, begleitet von Musik und Animationen.
Bekannte Formate wie „Van Gogh: The Immersive Experience“, „Klimt: The Immersive Experience“ oder das Pariser „Atelier des Lumières“ ziehen Millionen Menschen an. Auch „Frida Kahlo Immersive“ oder „Dalí Alive“ touren inzwischen durch viele Metropolen, von New York bis Tokio. Die Ausstellungen verstehen sich als „Eintauchen“ in die Kunstwerke, oft mit spektakulären 360-Grad-Projektionen.
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Disneyfizierung der Museen?
Nicht alle sehen in diesen Ausstellungen – sei es die aufblasbare Skulptur oder die immersive Installation – ein Spiel mit Form, Raum und Farbe. Während Kuratoren wie Valentino Catricalà darin ein Medium erkennen, das Kunst erfahrbar und zugänglich macht, warnen Kritiker vor einer schleichenden Verschiebung: vom kontemplativen Kunsterlebnis hin zum Event mit Instagram-Garantie.
In diesem Zusammenhang spricht der Kulturmanager Pierre Balloffet in seinem Fachartikel „From museum to amusement park“ von einer „Disneyfizierung“ der Museen – einem Trend, bei dem Spektakel, Erlebnis und Kommerz zunehmend die inhaltliche Tiefe verdrängen.
Ähnlich beschreibt der französische Kulturtheoretiker Jean Baudrillard in seinem Werk „Simulacres et Simulation“ solche Inszenierungen als Ausdruck einer neuen „Hyperrealität“. Dabei rücke nicht mehr das Kunstwerk selbst in den Fokus, sondern nur noch dessen medial verwertbare Hülle.
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Kulturwissenschaftler Ilan Stavans sieht im Selfie längst eine ernstzunehmende Kunstform – die moderne Fortsetzung des klassischen Selbstporträts.
In seinem Buch „I Love My Selfie“ erklärt er, dass Selfies kein Zeichen kulturellen Verfalls sind, sondern demokratisierte Selbstporträts, die unser Verständnis von Identität neu prägen. Heute lebt dieses Stück Identität nicht mehr auf Leinwand, sondern digital in Pixeln.
Gegenbewegung: Die Rückkehr zur Stille
Während Selfie-Kunst und immersive Inszenierungen neue Zugänge zur Kunst schaffen, formiert sich Widerstand. Die „Slow Art“-Bewegung kämpft gegen Ablenkung durch digitale Medien und Multitasking im Museum – und fordert dazu auf, weniger Werke dafür länger und bewusster zu betrachten, ganz ohne Handy.
Ihr Ziel: zu zeigen, dass Kunst im 21. Jahrhundert nicht nur visuelles Spektakel ist, sondern Raum für stille Reflexion bietet. (dpa/red)
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