Die Schattenseiten der Blockbuster: Wie historische Filme unsere Wahrnehmung prägen

Tom hat eine Leidenschaft: Er schaut sich gern historische Filme über inspirierende Persönlichkeiten wie Steve Jobs oder Wolfgang Amadeus Mozart an. Auf diese Weise kann er einerseits tief in packende Dramen eintauchen und andererseits verstehen, welche prägenden Ereignisse die Welt verändert haben. Zudem lernt er die Menschen kennen, die im Mittelpunkt dieser Ereignisse standen und ihr Schicksal maßgeblich beeinflussten.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat Tom zum Beispiel erfahren, dass Marcus Aurelius (Mark Aurel), der legendäre Kaiser Roms im 2. Jahrhundert n. Chr., von seinem Sohn ermordet wurde („Gladiator“, 2000); dass im 13. Jahrhundert in Schottland das grausame „Recht der ersten Nacht“ (prima nocta) eingeführt wurde, wonach ein englischer Feudalherr den Beischlaf mit der Braut seines Untergebenen in der Hochzeitsnacht vollziehen konnte („Braveheart“, 1995); und dass drei afroamerikanische Frauen eine zentrale Rolle in der Entwicklung des NASA-Raumfahrtprogramms spielten („Hidden Figures: Unerkannte Heldinnen“, 2016).
Und nicht zu vergessen: Che Guevara – jener Mann, dessen Gesicht seit Jahren weltweit auf Hüten und T-Shirts prangt; ein junger, charismatischer Arzt mit einem rebellischen Charakter, der das Elend und die Ungerechtigkeiten der Menschen in Südamerika bemerkte und beschloss, diese zu bekämpfen (wie es der Film „Die Reise des jungen Che“, 2004, basierend auf Guevaras eigenen Erinnerungen, beschreibt).

Die US-Darsteller von „Gladiator“ posieren bei der Filmpremiere am 1. Mai 2000 (v.l.n.r): Executive Producer Walter Parkes mit den Schauspielern Joaquin Phoenix, Connie Nielsen, Djimon Hounsou und Russell Crowe. Foto: LUCY NICHOLSON/AFP via Getty Images
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Verzerrte historische Realität
Doch die Sache hat einen Haken: Tom hat sich eine völlig verzerrte historische Realität zugelegt. Marcus Aurelius wurde nicht von seinem Sohn Commodus (gespielt von Joaquin Phoenix) ermordet, wie im Film „Gladiator“ erzählt wird. Kaiser Aurelius hatte seinen Sohn bereits mit 13 Jahren auf die Kaiserwürde vorbereitet. Als Commodus 15 Jahre alt war, regierten sie gemeinsam. Im Alter von 19 Jahren übernahm er die Macht, nachdem sein Vater an einer Krankheit gestorben war. Und auch der weitere Held Maximus (gespielt von Russell Crowe) ist eine völlig erfundene Figur, die aus einer Mischung von mehreren Personen aus jener Zeit erschaffen wurde.
Die Historiker, die Ridley Scott, dem Regisseur von „Gladiator“, als Berater zur Seite standen, protestierten gegen die Art und Weise, wie die Ereignisse im Film dargestellt wurden. Ein Historiker trat sogar zurück und verließ das Set, während eine andere Historikerin sich von dem Film distanzierte und nicht namentlich im Abspann erwähnt werden wollte.
Der Film „Braveheart“ erzählt die Geschichte von William Wallace, einem echten schottischen Helden, der sich an den Engländern rächt, nachdem sie seine Geliebte im Rahmen des „Rechts der ersten Nacht“ (prima nocta) vergewaltigt und ermordet hatten. Tatsächlich gab es diesen grausamen Brauch zu jener Zeit weder in England noch in Schottland, wie Dr. Sharon Krossa, Historikerin für das mittelalterliche Schottland, erklärt. Auch hatte Wallace nie eine Affäre mit der französischen Prinzessin Isabella, die laut Film von ihm sogar schwanger gewesen sein soll. Tatsächlich war Isabella zu jener Zeit erst neun Jahre alt.

Jean-Léon Gérôme: Schlacht der Gladiatoren, 1872. Foto: gemeinfrei
Und was ist mit dem charismatischen Arzt Che Guevara? Der Regisseur Walter Salles, der über Guevara den Film „Die Reise des jungen Che“ produzierte, verstärkte das Bild des „rebellischen Charismatikers“. Den Teil seines Lebens, der mit den Hinrichtungen zu tun hatte, die er während seiner Zeit in der Armee und in der Regierung von Diktator Fidel Castro durchführte, ließ er hingegen aus. Ebenso verschweigt der Film, dass Guevara bei der Errichtung von Arbeitslagern geholfen hat. Erwähnt wird auch nichts über seine Überzeugung, dass nur Kampf und Gewalt das marxistische Ziel verwirklichen könnten, das er verfolgte.
Der Glaube an das Narrative
„Es ist, als würde jemand einen Film über Adolf Hitler drehen und ihn als tierliebenden Vegetarier darstellen, der gegen Arbeitslosigkeit ist“, schrieb der britische Schriftsteller Anthony Daniels. „Das ist zwar richtig, aber … nicht wirklich relevant.“
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Ob „Argo“, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“, „300“, „Der letzte Samurai“, „Elizabeth“, „Marie Antoinette“ oder „Der Patriot“ – sie alle sind nur einige historische Filme aus einer langen Reihe von preisgekrönten Blockbustern, die die Geschichte so weit veränderten, dass sie zu ihrem dramatischen Narrativ passte.
Das Problem liegt nicht nur in den historischen Ungenauigkeiten, sondern darin, dass wir dazu neigen, dem Narrativ zu glauben und es als Realität zu akzeptieren. Selbst wenn wir die wahren Fakten kennen, tendieren wir dazu, uns die Handlungen aus dem Film zu merken und ihnen mehr zu vertrauen.
„Das Gehirn ist nicht gut dafür ausgerüstet, gute Quellen von schlechten zu unterscheiden“, so Jeffrey M. Zacks, Psychologieprofessor an der Washington University in St. Louis, der dieses Phänomen erforscht hat. Studien würden zeigen, dass fiktive Darstellungen in einem Film die eigenen Ansichten verändern können – „selbst wenn es um historische Ereignisse geht, über die Sie gut informiert sind“.
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Funktionalität und Gefahren
Wir haben Professor Robert Rosenstone, Historiker von der Universität von Kalifornien, zu den Gefahren und Funktionen befragt.
Wie sehen Sie die Rolle von Filmen im Vergleich zu Geschichtsbüchern?
Filme erzählen oft eine andere Geschichte als Geschichtsbücher. Sie haben auch eine wichtige Funktion, denn das Drama, das durch den Film vermittelt wird, hat Grenzen, die ein Geschichtsbuch nicht hat. In einem zweistündigen Film musst du das Publikum fesseln. Man kann die Vergangenheit nicht so zeigen, wie sie war, man kann nur durch Metaphern auf sie hinweisen. Wenn Sie mich fragen würden, was während des Vietnamkriegs passiert ist, würde ich nicht ein bestimmtes Geschichtsbuch, sondern den Film „Geboren am 4. Juli“ von Oliver Stone empfehlen.
Außerdem erfordern die Dreharbeiten, dass man mehr über die Vergangenheit weiß, als bekannt ist. Zum Beispiel war ich sieben Jahre lang als Berater für den Film „Ein Mann kämpft für Gerechtigkeit“ (1981) mit Warren Beatty als Schauspieler und Regisseur tätig, nachdem ich ein historisches Buch über den Protagonisten des Films, den Journalisten John Reed, geschrieben hatte. Wir wissen, dass John Reed vor dem Ersten Weltkrieg eine Wohnung im Greenwich Village in New York hatte, aber wir wissen nicht, wie diese Wohnung aussah. Wir wissen, dass er ein Schriftsteller war – was bedeutet, dass die Wohnung wahrscheinlich unordentlich war, aber mehr wissen wir nicht. Daher erfindet man bei Dreharbeiten die Geschichte neu.
John Reed sah auch nicht wie Warren Beatty aus, wir wissen nicht, wie er sich bewegte oder wie seine Stimme klang. Wie hörte sich Napoleon an? Wir haben keine Ahnung. Eine weitere Einschränkung ist die Anzahl der Personen – es gibt nur eine begrenzte Anzahl von Leuten, mit denen man sich in einem Drama befassen kann. Danach wird es verwirrend. Eine Technik für historische Dramen besteht darin, dass anstelle von John Reeds Freunden nur ein Freund auftaucht – in diesem Fall Jack Nicholson. Ein dramatischer Film kann nicht das leisten, was ein Buch tut. Aber er tut viele Dinge, die ein Buch nicht zu können vermag – er gibt dir einen Blick in die Vergangenheit, wie Menschen lebten und arbeiteten.
Historiker sagen, dass Regisseure die Geschichte missverstehen oder sie erfinden oder dass die Leute im 18. Jahrhundert nicht so gesprochen haben, als ob wir wüssten, wie sie gesprochen haben. Die meiste Geschichte ist ein Ratespiel.
Aber es gibt Fälle, in denen man recht gut über bestimmte historische Ereignisse informiert ist. Trotzdem entscheidet man sich bewusst dafür, den Charakter der Figuren und die Erzählung zu verändern und sogar neue Figuren zu erfinden, wie in „Gladiator“ oder „Die Entdeckung der Unendlichkeit“. Wenn ein Regisseur sich entscheidet, einen echten Namen zu verwenden, hat er dann nicht eine Verantwortung für die historische Authentizität?
Ich denke, dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, dass wir wirklich wissen können, was in der Vergangenheit passiert ist. Wir arbeiten mit Dokumenten, Briefen, Tagebüchern, offiziellen Erklärungen und Kunstwerken, aus denen wir erfahren, wie der Alltag der Menschen war. Wir können jedoch keine Aussage über bestimmte Personen treffen.
Nehmen wir zum Beispiel den biografischen Film „Hidden Figures“. Wie gesagt, der Film zeigt nicht die ganze Wahrheit über die drei afroamerikanischen Frauen, sondern nur einen Teil der Wahrheit. Aber seine historische Bedeutung liegt darin, dass er uns bewusst macht, dass viele Frauen am Raumfahrtprogramm beteiligt waren, darunter auch viele afroamerikanische Frauen.
Ja, aber nehmen wir zum Beispiel den Film über Che Guevara, der nur einen bestimmten Abschnitt seines Lebens zeigt und die von ihm begangenen Exekutionen auslässt, wodurch er in unserem historischen Bewusstsein als Mann dargestellt wird, der Gutes für die Menschheit getan hat. Finden Sie das in Ordnung?
Das sind seine Tagebücher. Die Geschichte wird immer einen Aspekt hervorheben und den Rest weglassen.
Dieser Artikel erschien im Original auf Epoch.org.il unter dem Titel: מבוסס על סיפור אמיתי. (deutsche Bearbeitung von sza)
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