Ende gut, alles gut?

Nach Cannes, Venedig und Berlin zählt das Filmfestival im spanischen San Sebastián zu den großen der Branche, wenn auch nicht ganz so bekannt. Dass Filmrealitäten mit der viel erschütternderen Wirklichkeit nicht immer zusammengehen, zeigt einer der preisgekrönten Filme.
Titelbild
(v. l.) Die südsudanesische Schauspielerin Anyier Anei, die französische Regisseurin Alice Winocour, der französische Schauspieler Louis Garrel und die US-amerikanische Schauspielerin Angelina Jolie bei der Filmvorführung von „Couture“ beim 73. Internationalen Filmfestival von San Sebastián (21. September 2025).Foto: ANDER GILLENEA/AFP
Von 5. Oktober 2025

Über Chinas Gefängnisse hört man von übelsten, menschenverachtenden Zuständen, von Gefangenen, die sich Folter, Zwangsarbeit und Willkür ausgesetzt sehen. Und das seit vielen Jahren.

Von einem Film, der vorgibt, die wahre Geschichte einer Mutter zu erzählen, die zehn Jahre ihres Lebens wegen Mordes in einem Gefängnis eingesessen hat, würde man annehmen, dass er die katastrophalen Zustände in irgendeiner Form aufgreift.

Für wie naiv hält die Filmemacherin das Publikum?

Zumal, wenn das renommierte spanische Filmfestival in San Sebastián, neben Cannes, Venedig, Berlin und Locarno eines der bedeutendsten und größten in Europa, ihn im internationalen Wettbewerb zeigt. Und die Jury ihn am Ende auszeichnet mit einer Silbernen Muschel für die beste Hauptdarstellerin Zhao Xiaohong, die angeblich sich selbst spielt, für Authentizität bürgen sollte.

So harmlos, um nicht zu sagen beinahe rosig, sich in dem Drama „Her Heart Beats In Its Cage“ („Jianyu laide mama“) die Zustände hinter Gittern darstellen, auch wenn in einigen Szenen Häftlinge beim täglichen militärischen Drill zu sehen sind, beschleicht einen allerdings das Gefühl, dass es sich doch eher unter Vorspiegelung falscher Tatsachen um üble Propaganda handeln könnte.

Mit dem Zweck, dem westlichen Europa eine humane Welt vorzutäuschen, die in diesem Land so gar nicht denkbar ist.

Jedenfalls erscheint es mehr als unglaubwürdig, dass die Protagonistin im Gefängnis Flötenunterricht (!) genießt, der sie scheinbar sogar so weit vorangebracht haben soll, dass sie nach ihrer vorzeitigen Entlassung wegen guter Führung, von der die Menschen in China wohl auch nur träumen können, sogar eine Stelle in einem Orchester findet.

Dass die Frau körperlich unversehrt und offenbar auch ohne ein tief sitzendes Trauma den Kerker verlässt, erscheint nicht minder märchenhaft. Unabhängig davon, dass sie vermutlich – wie sie selbst in einer Szene berichtet – ihren brutalen Mann mehr oder weniger unabsichtlich in Notwehr getötet hat, als er gewalttätig gegen sie wurde. Aber auch das wird nicht näher thematisiert.

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Der einzige moderate Konflikt jedenfalls, dem sie sich im Film stellen muss, liegt letztlich nur darin, dass sie das Vertrauen ihres zehnjährigen Sohnes Lele zurückgewinnen muss, der sich an seine Oma gewöhnt hat und ungern mit der Mama in eine größere Stadt ziehen will, was ihr zwecks besserer Schulausbildung am Herzen liegt.

Nicht einmal mehr die üblichen Resozialisierungsprobleme, von denen zahlreiche europäische Gefängnisdramen erzählen, kommen in dieser Erzählung zum Tragen. Vielmehr gibt sich Regisseurin Qin Xiahoyu durchaus hoffnungsfroh. Ende gut, alles gut? Da fragt man sich schon, für wie naiv die Filmemacherin ihr Publikum eigentlich hält.

Dokudrama und Demonstrationen

Dabei gab sich San Sebastián, bekannt vor allem als ein starker Kritiker Israels, in seinem 73. Jahrgang politischer denn je, demonstrierten doch Tausende Menschen mehrfach unweit der Festivalkinos für ein „freies Palästina“, wobei sich einer dieser Demos die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania nach der Projektion ihres Dokudramas „The Voice of Hind Rajab“ anschloss.

Nach einer wahren Begebenheit und mit originalen, authentischen Telefonaufzeichnungen erzählt dieser Film, der zuvor in Venedig den Großen Preis der Jury gewann, von einem fünfjährigen Mädchen, das, eingeschlossen in einem Auto, von Panzern umringt, eine Hilfsorganisation bittet, ihr zu Hilfe zu kommen.

Die zeigt sich zwar bemüht, kann aber kaum mehr für das Kind tun, als es zu vertrösten, ihm gut zuzureden, zu hoffen und zu beten. Denn damit eine Ambulanz auf den Weg gebracht werden darf, bedarf es erst eines abgestimmten Sicherheitskorridors.

Sehenswertes im Stillen

Für erhofften Glamour sorgte Hollywood-Star Angelina Jolie, die ihre Fans auch bei strömendem Regen am Roten Teppich bejubelten. In dem von Alice Winocour in Szene gesetzten Drama „Couture“ spielt Jolie in Anlehnung an ihre eigene Biografie eine an Brustkrebs erkrankte Filmemacherin, die auf einer Pariser Modewoche mit einem sudanesischen Model und einer Visagistin zusammentrifft und sich schweren Herzens den vermeintlich alternativlosen, radikalen Therapiemethoden ihres Arztes übergibt.

Was sie und die beiden anderen Heldinnen aus der Modewelt verbindet, erschließt sich jedoch weniger in diesem um den besten Film für die Goldene Muschel konkurrierenden Beitrag.

Ähnliche Schwächen prägten den mit großer Spannung erwarteten Beitrag „Franz K.“, das jüngste, etwas überambitioniert anmutende Werk von Agnieszka Holland. Sie hat sich mit ihrem Streifzug durch das gesamte Leben des genialen Autors zu viel vorgenommen und versagt vor der schwierigen Aufgabe, seine literarische Genialität für das Kino zu adaptieren.

Aus den Texten und Briefen des österreichisch-tschechoslowakischen Schriftstellers gibt es jedenfalls nur wenig zu hören, und bringt ihn die Regisseurin doch einmal ein mit einem längeren Zitat aus seiner „Strafkolonie“, misslingt der heikle Versuch, die schwer erträgliche Erzählung in Bilder zu übersetzen.

Sehenswerter erschienen einige stille, weniger spektakuläre Produktionen von international noch weniger renommierten Größen, wie zum Beispiel der Thriller „Ungrateful Beings“ des Slowenen Olmo Omerzu um eine magersüchtige Heranwachsende, die in den Ferien einen zwielichtigen jungen Mann kennenlernt, der sie verführt und von sich abhängig macht. Seine Spannung bis zur letzten Minute hält der Thriller mit mal düsteren, mal gewagten, unabsehbaren Wendungen.

Atmosphäre durch Musik

Mit „The Currents“ lief noch ein weiterer, von Hitchcock inspirierter Film im Wettbewerb: das enigmatische Porträt einer Argentinierin, die in nicht näher ausgeführten melancholischen Anwandlungen und Tagträumen mehrfach abtaucht, aber ebenso plötzlich wieder auftaucht, mal durch einen gefährlichen, suizidalen Sturz von der Brücke, mal durch Bewusstlosigkeit in einem Schönheitsstudio.

Was die erfolgreiche Modedesignerin plagt, belässt Regisseurin Milgaros Mumenthaler mit vielen Leerstellen im Dunkeln. Sie lenkt nur hie und da den Blick auf vermeintlich unspektakuläre, ungewöhnliche Details in den Beziehungen ihrer Heldin zu ihrer kleinen Tochter und zu der Mutter, die sie lange nicht mehr besucht hat.

Regisseurin Milgaros Mumenthaler, „The Currents“. Foto: Jorge Fuembuena

Dass man sich eine Geschichte mühsam wie ein Puzzle mit viel eigener Fantasie zusammensuchen darf, bleibt etwas unbefriedigend, wenngleich auch von dem poetischen, impressionistisch anmutenden Soundtrack, der sich über ansprechende Bilder mit satten, kräftigen Farben legt, ein großer Reiz ausgeht.

Die Musik gibt auf ansprechende Weise auch die Stimmung in dem französischen Beitrag „Deux Pianos“ vor, in dem ein Pianist ein Konzert in Lyon vorbereitet, wo er die Liebe seines Lebens wiedertrifft und herausfindet, dass sie ein Kind von ihm hat, von dem er nichts wusste.

Die Beziehungsgeschichte, in die noch ein Dritter involviert ist, lässt es allerdings nicht zwingend erscheinen, dass der Protagonist Matthias Vogler ein Musiker ist, er hätte ebenso gut als ein viel reisender Geschäftsmann eingeführt werden können.

Aber für eine Episode um Voglers frühere Mentorin (in einer Paraderolle als strenge Meisterin: Charlotte Rampling), die mit ihm das Konzert von Bartók für zwei Klaviere, Schlagzeug und Orchester einstudiert und ihren Abschiedsabend plant, gewinnt die Musik, insbesondere der erste Satz dieses Konzerts, dann doch stark an Bedeutung für die bisweilen düstere, geheimnisvolle Atmosphäre.

Füreinander eintreten

Seinen politischen Anspruch untermauerte San Sebastián mit dem argentinischen Drama „Belén“ (Silberne Muschel für die beste Nebenrolle: Camila Plaate), das nach einer wahren Geschichte von einer jungen Frau erzählt, die von der Polizei während der Untersuchung in einer Notfallklinik verhaftet wird, in die sie sich gerade wegen starker Bauchschmerzen begeben hatte.

Ob sie tatsächlich auf der Toilette illegal einen Fötus abgetrieben hat, wie es ihr zur Last gelegt wird, oder eine Fehlgeburt erlitt, wie sie selbst behauptet, bleibt offen, aber darauf kommt es in dem Drama weniger an als auf ein korruptes Justizsystem, das der Verteidigerin Steine in den Weg legt.

Im westlichen Europa mag dieser auf einer wahren Geschichte aus dem Jahr 2014 basierende Beitrag von Dolores Fonzi fast schon wie ein alter Hut anmuten, aber für südamerikanische Verhältnisse war wohl der finale Erfolg, den sich die Anwältin mühevoll über viele Jahre unter Mithilfe diverser Frauenorganisationen erkämpfte, verbunden mit der Freilassung der Delinquentin, eine kleine Sensation.

Jedenfalls ist dies einer jener Filme, die zeigen, was möglich ist, wenn viele Menschen zusammenstehen und gemeinsam für etwas kämpfen.

Und die goldene Muschel geht an …

Mit „Nuremberg“, einer Adaption von Jack El-Hais Roman „Der Nazi und der Psychiater“ um die Nürnberger Prozesse im November 1945, starbesetzt mit Russell Crowe und Rami Malek, die gewiss dafür sorgen, dass der Film einen deutschen Verleih finden wird, rekapitulierte San Sebastián noch ein weiteres spannendes Kapitel Zeitgeschichte.

James Vanderbilt, Regisseur von „Nuremberg“. Foto: ©SSIFF/Alex Abril

Malek spielt darin den realen Psychiater Douglas Kelly, der im Vorfeld der Verhandlungen die Hauptkriegsverbrecher untersuchen soll und dabei viel Zeit mit Hermann Göring alias Russell Crowe verbringt, der neben anderen gefangenen Nazi-Größen wie Julius Streicher und Rudolf Heß im Zentrum des Films steht.

Aber erst als der Welt zum ersten Mal während des Prozesses Aufnahmen aus den Konzentrationslagern gezeigt werden und Göring behauptet, von all dem nichts gewusst zu haben, scheint Kelly bewusst zu werden, mit was für einem menschenverachtenden Verbrecher er es zu tun hat, der selbst die Staatsanwälte mit seinen ausgebufften Strategien in ihrer Beweisführung herausfordert.

Das alles schildert James Vanderbilt spannend wie eine hochkarätige Schachpartie. Nur die Verbundenheit von Göring und Kelly, der übrigens Jahrzehnte später wie Göring mit einer Zyankali-Kapsel seinem Leben ein Ende setzte, bleibt ein Mysterium.

Den Preis für die Goldene Muschel gewann der spanische Beitrag „Los domingos“ (Die Sonntage) von Alauda Ruiz de Azua. Foto: © SSIFF, Ulises Proust

Den Preis für die Goldene Muschel aber gewann der spanische Beitrag „Los domingos“ (Die Sonntage): Die ungewöhnliche Geschichte einer 17-jährigen begabten Frau, die auf Wunsch ihrer Familie eine universitäre Laufbahn einschlagen soll, aber in Betracht zieht, lieber Nonne zu werden.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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