Glenn Vilppu: Bildende Kunst, Animation und die alten Meister

Die weltbekannte Lehre des preisgekrönten Künstlers Glenn Vilppu inspiriert einige der besten Animatoren, Illustratoren und Maler unserer Zeit.
Titelbild
Der Künstler Glenn Vilppu unterrichtet seine Schüler im Kunsthistorischen Museum in Wien. Vilppu fotografiert ein Gemälde und erklärt, wie ein alter Meister Kompositionen zum Leben erweckt hat. Er findet den Präsenzunterricht „spaßig und anregend“.Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy
Von 19. August 2025

Knapp einen Monat vor seinem 89. Geburtstag greift der preisgekrönte US-amerikanische Künstler und Kunstpädagoge Glenn Vilppu nach wie vor täglich zum Stift. Er zeichnet unermüdlich und gibt sowohl Anfängern als auch erfahrenen Künstlern regelmäßig Unterricht – persönlich in Workshops und Animationsstudios. Als Mitbegründer und Lehrer der New Masters Academy ermöglicht er seinen Schülern, auch durch sein umfassendes „Vilppu Drawing Manual“ zu lernen. Zudem unterrichtet er an der Vilppu Academy viele seiner Studenten über Onlinekurse, interaktive Lehrmethoden und Workshops.

Zum Zeitpunkt des Interviews war er mit seiner Frau Eleanor auf einer Lehrreise durch Europa. Sein nächstes Ziel: Sardinien. In der Woche zuvor waren sie in Paris gewesen, in der nächsten würden sie in Wien sein. Kein Wunder, dass er sich selbst als einen „wandernden Prediger des Zeichnens“ bezeichnet.

Vilppus Ansatz beim Zeichnen, der in der Tradition der alten Meister verwurzelt ist, hat sich zum Standard in der Animationsbranche entwickelt, unter anderem bei den Walt Disney Animation Studios, Marvel Studios und bei Warner Bros.

Der berühmte ehemalige Disney-Animator Ron Husband schrieb in einem Vorwort zu Vilppus Zeichenhandbuch: „Glenn ist wahrlich ein moderner ‚Alter Meister‘ im Zeichnen und Analysieren menschlicher und tierischer Figuren. Durch seine sorgfältig formulierten Texte und dynamischen Illustrationen hat er mir seine Herangehensweise nähergebracht und mich inspiriert.“

Im Jahr 2022 wurde Vilppu mit dem renommierten „Annie Award“ für besondere Leistungen im Bereich Animation ausgezeichnet. Das ist eine erstaunliche Auszeichnung, zumal er nie davon geträumt hatte, im Bereich Animation zu arbeiten.

Der Künstler und Kunstlehrer Glenn Vilppu mit dem „Vilppu Drawing Manual“, das mittlerweile in der dritten Auflage erschienen ist. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Glenn Vilppu

Der widerwillige Animator

Vilppu wurde als Sohn finnischer Eltern in den USA geboren und verbrachte seine frühe Kindheit in Finnland. „Wir lebten weit oben in der Arktis; dort, wo Russland angegriffen hat“, erzählte er The Epoch Times [Anm. d. Red.: Am 30. November 1939 griff die Sowjetunion Finnland an, nachdem Verhandlungen über die Grenzänderung zwischen beiden Ländern gescheitert waren.]. Als er drei Jahre alt war, floh die Familie aus Finnland wieder zurück in die USA. Zu diesem Zeitpunkt konnte er kein Englisch. „Das Zeichnen war eine Art Zuflucht für mich“, sagte er. 

Glenn Vilppus Skizzenbuch zeigt Bleistiftzeichnungen von menschlichen Köpfen und Tieren, die Teil der Kurse zum Kopfzeichnen und zum Tierzeichnen der Vilppu Academy sind. Beide Onlinezeichenkurse beginnen mit figurativen Gesten, dann folgen Konstruktion und Ausdruck – alles Schlüsselkonzepte für lebendige Zeichnungen. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

 

Seiten aus Glenn Vilppus Skizzenbuch zeigen spontane Skizzen und Aquarelle, die während seiner Lehrreise durch Europa in Sardinien entstanden sind. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

Sein Vater war Hobbymaler, und Vilppu erinnert sich, wie er mit sechs Jahren seiner Mutter beim Posieren für ein Porträt zusah. Er saß auf dem Boden und kopierte das Porträt aus dem Skizzenbuch seines Vaters. Seitdem hat er nie aufgehört zu zeichnen; seine Skizzenbücher reichen bis ins Jahr 1953 zurück.

Vlippu schilderte, dass das Zeichnen ihm durch die Zeit in der Highschool geholfen habe, wo er ein Vollstipendium für das ArtCenter College of Design in Pasadena, Kalifornien, erhielt. Als er erkannte, dass er noch nicht bereit für ein Vollzeitstudium war, trat er für einige Jahre in die Marine ein.

Seine Lehrtätigkeit nahm er während seines Studiums auf, und schließlich wurde er Dozent am ArtCenter. Das war in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren, als der aktuelle Trend in der Kunst abstrakt und gegenstandslos geworden war. Vilppu verfolgte in seinem Unterricht traditionelle Kunstmethoden. Als der Unterricht am ArtCenter nicht mehr den Schwerpunkt auf die Grundlagen des Zeichnens legte – die grundlegenden Fähigkeiten, die Künstler aller Medien brauchen –, beschloss Vilppu nach 13 Jahren, die Schule zu verlassen.

Er gründete seine eigene Kunstschule namens Vilppu Studio, die auf traditionellen Kunstprinzipien basierte. Er übernahm alle Aufgaben, vom Unterrichten von Zeichen- und Maltechniken bis zu Reinigungsarbeiten. Nach fünf Jahren war er jedoch ausgebrannt.

Animation mit den alten Meistern

Viele von Vilppus Schülern arbeiteten in Animationsstudios, aber er selbst hatte sich nie für eine Tätigkeit in dieser Branche interessiert. Seit 20 Jahren hatte er jedes Jahr Einzelausstellungen veranstaltet, das war sein Fokus. Seine Lehrer am ArtCenter betrachteten Animation nicht als Kunst. Als er bei Disney anfing, war er 40 Jahre alt, und viele seiner Malerfreunde hatten den Eindruck, er hätte sich verkauft.

„Ich wusste nichts über Animation, außer dass man immer wieder dasselbe macht, damit sich etwas bewegt“, sagte er. Auf dem Heimweg, nachdem er bei Disney eingestellt worden war, hielt er bei einer Buchhandlung an und kaufte ein Buch über die Kunst der Disney-Animation, um zu verstehen, wovon seine Kollegen sprachen.

Seine Sorgen waren unbegründet. Er sagte, dass der Prozess der Animationserstellung sich nicht von dem unterscheidet, den Michelangelo für die Gemälde in der Sixtinischen Kapelle verwendet hat. „Die technischen Umstände sind anders, aber der eigentliche kreative Prozess ist derselbe“, erklärte er. „Man verbringt seine ganze Zeit damit, durch Zeichnen von Ideen, Bewegungen und Geschichten zu kommunizieren – etwas, das ich bereits tat.“

Umgehend begann er bei Disney zu unterrichten. „Ich habe ein gewisses Talent für das Erzählen von Geschichten.“ Seinen Erfolg in der Animation führt er ganz bescheiden darauf zurück, dass er den visuellen Erzählprozess in klare Schritte unterteilt hat – und natürlich auf die alten Meister. „Alles, was ich wirklich gelernt habe, habe ich durch das Studium der Komposition bei den alten Meistern gelernt.“

Glenn Vilppus Kugelschreiber- und Aquarellskizzen stellen seinen spielenden Enkel dar. Die erste Skizze entsprang der echten Situation. Die übrigen sind imaginäre Posen, die er ohne Konstruktions- und Gestenlinien, jedoch sorgfältig aus seiner Erfahrung heraus gezeichnet hat. Seine Farbwahl wurde hier von dem japanischen Künstler Katsushika Hokusai inspiriert. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

Das Herzstück von Vilppus Zeichnungen

Vilppu erklärt seinen Lehransatz: „Ich habe mich sehr früh entschieden, mich auf die Grundlagen zu konzentrieren, weil sich diese nicht ändern. Grundlagen sind nun mal fundamental. Wenn man sich auf den aktuellen Trend konzentriert, konzentriert man sich im Grunde genommen auf etwas, das bald wieder veraltet ist.“

Der Kern von Vilppus Zeichenkunst geht auf die alten Meister und die Schriften des Renaissance-Humanisten Leon Battista Alberti (1404–1472 n. Chr.) zurück. Alberti beeinflusste die Künstler der Renaissance insbesondere mit seinen Interpretationen von Vitruv, dem Architekten des Kaisers Augustus aus dem 1 Jahrhundert v. Chr. Leonardo da Vinci (1452–1519 n. Chr.) illustrierte Vitruvs Lehren in seinem „Vitruvianischen Mensch“.

Eine Aktzeichnung von Glenn Vilppu. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

 

Glenn Vilppus’ ausgeprägte Zeichenkunst beruht auf seiner fundierten Kenntnis der Struktur und Bewegung des menschlichen Körpers. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

„Die Essenz [von Albertis Lehren] besteht darin, dass man von innen nach außen lernt: Man lernt, die Muskeln, die Knochen zu verstehen. Auf diese Weise kann man das emotionale Element des Motivs einfangen, nämlich dessen mentale Haltung.“

Nehmen wir einen singenden Vogel: Der Betrachter muss die Melodie in der Zeichnung hören – oder zumindest daran glauben. „Das erfordert jedoch eine neue Denkweise, die der Art und Weise, wie die meisten Menschen denken und lernen, entgegensteht“, sagte er.

Der Künstler Glenn Vilppu liebt es, dynamische Figurenzeichnungen aus seiner Fantasie heraus entstehen zu lassen. Er kann nur deshalb so mühelos auf seiner Fantasie basierend arbeiten, weil er die menschliche Form von innen nach außen intensiv studiert hat. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

Vilppu orientiert sich bei seinen Lehrdemonstrationen an Künstlern wie Tizian (circa 1490–1576 n. Chr.) und Tintoretto (1518–1594 n. Chr.), doch immer wieder muss er feststellen, dass seine Schüler Schwierigkeiten haben. Sie betrachten die Umrisse, Formen und Farbtöne. Er ermutigt sie, nach dem Wesen des Motivs, seiner inneren Qualität zu suchen. „Es fällt den Menschen schwer, in solchen Kategorien zu denken, ohne das Gesehene zu kopieren.“ Um diesen Ansatz zu verfolgen, muss man in der Lage sein, die Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Vermittlung von Emotionen kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Ein Kohleporträt von Glenn Vilppu. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

 

Ein von Glenn Vilppu gezeichneter Kopf. Beim Zeichnen des Kopfes beobachtet er zunächst die Haltung des Modells, dann zeichnet er die Ebenen, Gesichtszüge und den Ausdruck. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

Die Sprache der Kunst

Vilppu sieht das Zeichnen als eine Sprache, in der Künstler sich nicht mit Worten, sondern mit Linien verständigen. Eine Geschichte lässt sich jedoch nicht in einer einzigen Linie erzählen. Sie kommt visuell zum Ausdruck, indem die Linien miteinander harmonieren und die Objekte auf der Bildfläche angeordnet sind.

„Meine Zeichnungen sind in Bewegung. Die Zeichnungen fließen. Sie alle sind lebendig, sie sind nicht statisch“, sagte er.

Seit Jahrhunderten werden die gleichen kompositorischen Konzepte der Organisation verwendet. „[Alle Kunst,] Musik, Schrift [und] Tanz basieren auf den idealen Gegensätzen: Unterschiede zwischen Gerade und Kurve, schnell und langsam, groß und klein“, sagt er. Dann ordnet der Künstler die gegensätzlichen Elemente an, um ein Erlebnis zu schaffen.

„Alle sprechen vom ‚großen Giotto‘, aber wenn man sich ein Gemälde von Giotto ansieht, ist es kein schönes Bild. Warum ist Giotto also so gut? Warum haben alle zu Giotto aufgeschaut? Er war sehr klar in seinem Ausdruck. Er hat seine Geschichte sehr direkt erzählt.“ Dennoch hat jedes Element einen Zweck und ist nicht nur dekorativ.

Vilppu vergleicht oft Meisterwerke aus verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen, wie zum Beispiel die japanischen Drucke von Katsushika Hokusai (1760–1849 n. Chr.) mit Renaissance-Landschaftsbildern von Künstlern wie Tintoretto. Hokusais Anordnung der Bambusrohre spiegelt die Kompositionselemente der Werke seiner italienischen Kollegen wider. „Es war dasselbe Gefühl von Bewegung, dieselbe Idee.“

Auf Reisen und im Unterricht nimmt Vilppu seine Studenten mit in Museen, um dort direkt vor den Gemälden alter Meister zu lehren. Er fotografiert die Bilder mit seinem Tablet und erklärt die Idee der Komposition und wie der Blick durch das vor ihnen hängende Gemälde geführt wird.

Vilppus praxisorientierter, herzlicher Ansatz ist die Essenz seines Unterrichts. Er erklärt, anstatt zu kritisieren. Er zeigt den Studenten direkt, wie sie ihre Arbeit verbessern können, indem er sich neben jeden setzt und mitzeichnet oder bei Online-Unterricht Korrekturen auf seinem Tablet vornimmt.

Der Künstler Glenn Vilppu beim Skizzieren in Paris am 5. Juni 2025. Seit über 20 Jahren reist Vilppu über den Atlantik und unterrichtet Zeichnen in Europa. Diesen Sommer unterrichtete er in Paris, Sardinien (Italien) und Wien. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Vilppu Academy

Mit über sechs Jahrzehnten Unterrichtserfahrung hat Vilppu erkannt, dass die moderne Technologie mittlerweile zum festen Bestandteil des Werkzeugkastens eines Künstlers gehört. Er betrachtet das Tablet beispielsweise als ein weiteres Medium, obwohl er einige Vorbehalte gegenüber der Arbeit mit Fotos und der Erstellung digitaler Gemälde hat. „Wenn man nach Fotos arbeitet, gibt es eine Trennung. Das Motiv ist bereits auf eine zweidimensionale Fläche reduziert, sodass es sehr schwierig ist, eine emotionale Beziehung [oder] einen Kontakt zu dem aufzubauen, was man zeichnet.“

Er rät seinen Schülern auch, mit dem Zeichnen auf Papier zu beginnen. Er hat festgestellt, dass digitale Animatoren, die traditionelle Malerei studiert haben, das Malen am Computer besser beherrschen.

„Ich lerne ständig etwas dazu.“

Seine Frau Eleanor sagte, dass „er ein ganzes Jahr gebraucht hat, um mit einem Apple Pencil das zu erreichen, was er wollte. […] Die Leute müssen verstehen, dass es nicht sofort klappt, selbst für ihn.“ Vor Kurzem hat er Steinpapier entdeckt, eine reibungsfreie, ebenmäßige und glatte Zeichenfläche.

Eleanor beobachtet, wie sich die Zeichenkunst ihres Mannes von Jahr zu Jahr weiterentwickelt: „Er wird einfach immer besser.“

Weitere Informationen über den Künstler Glenn Vilppu finden Sie unter VilppuAcademy.com

 

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel „Artist Glenn Vilppu: Fine Art, Animation, and the Old Masters“. (deutsche Bearbeitung von ee)



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