Lachen tut gut – vor allem über sich selbst

Zunächst fällt das schlicht und klein anmutende Festspielhaus auf dem grünen Hügel in Bayreuth ins Auge. Dann die harten Klappstühle. Spätestens bei den zwei einstündigen Pausen wird mir klar: Wagner hat das „Event“ vorweggenommen. Dass dies alles so bleibt, dafür sorgen nicht zuletzt die vielen Wagner-Fans.
Warum also nicht die Meistersinger von Nürnberg als das inszenieren, als was sie vom Meister persönlich gedacht waren: als Satyrspiel, sprich Komödie – ganz im Sinne der griechischen Tragödie, in der auf die Tragödien ein heiteres, befreiendes Nachspiel folgt.

Vier der zwölf Meistersinger von Nürnberg: Jordan Shanahan als Fritz Kothner, Tijl Faveyts als Hans Schwarz, Daniel Jenz als Balthasar Zorn und Michael Nagy als Sixtus Beckmesser. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Die große Kunst des Erheiterns
Mit Matthias Davids als Regisseur wurde ein Musicalspezialist benannt. Die Massenszenen im 2. und 3. Akt, eine Rauferei und ein furioses Schlussbild mit vielerlei gleichzeitigen Aktionen gleich einem Wimmelbuch, sind Anlass, vielfach zu schmunzeln oder auch herzhaft zu lachen. Denn sehr gekonnt kommt die Persiflage eines Blut-und-Boden-Sonnwend-Erntefestes daher. Gartenzwerge mit großen roten Zipfelmützen trollen sich neben Wein- und Ernteköniginnen, ohne Hans Sachs oder die anderen Meister der Lächerlichkeit preiszugeben.
Eine Freude ist es auch, wie im 2. Akt – erdacht von Andrew D. Edwards – das Bühnenbild förmlich in alle Richtungen auseinanderfliegt, um der legendären Prügelszene Raum zu geben. Ein allgemein chaotisches Aufeinanderlosgehen, aus dem ein Boxkampfring entsteht und wieder von der Menge aufgesogen wird – in sich eine der Kernbotschaften der Oper tragend: die Notwendigkeit des Aufbegehrens gegen erstarrte Regeln, um der Lebendigkeit Raum zu geben.
Fein auch, wenn der Vorhang sich nach dem 2. Akt im Zeitlupentempo senkt und die Figur des Beckmessers, der völlig lädiert davonschleicht, in Szene setzt. Er ist es, der die Regeln um der Regeln willen aufrechterhalten will, ohne sich noch nach deren Sinn zu fragen. Unterstützt vom Lehrbuben David, der mit großer Drückkaffeekanne sofort die Beschaulichkeit mancher Gemeinschaften heraufbeschwört.
Wiederum an anderen Stellen, und derer nicht so knapp, mag das Lachen sich nicht einstellen. Wie im 1. Akt und in weiten Strecken zu Beginn des 2. Aktes, in dem man sich ästhetisch eher in ein Kinderstück der 80er-Jahre versetzt fühlt. Zu überzogen, zu gewollt lustig, überschreitet es den Zenit des Komischen und wirkt aufgesetzt.
Sich befreien von Anhaftungen und Wunschvorstellungen
„Die Meistersinger von Nürnberg“, nomen est omen, setzt die Handwerker, die die Dinge tun – handwerken – in den Mittelpunkt. Gleichzeitig sind sie diejenigen, welche die Kunst pflegen – die Kunst des Dichtens und des Singens. Eine per se für unsere heutige Gesellschaft ungewöhnliche Kombination.
Die charakterlich stärkste Figur bildet dabei Hans Sachs, seines Zeichens Schuster. Das am schlechtesten bezahlte und doch von allen gebrauchte Handwerk. Der schlanke, fast hager wirkende Georg Zeppenfeld verkörpert den Sachs vor allem in seiner Vielschichtigkeit überzeugend.
Er ist es, der bewusst auf seine Wunschvorstellung verzichtet. Auch er hätte gerne Eva, die Tochter seines Nachbarn Pogner, der sich Goldschmied nennen darf, geheiratet. Jongmin Park leiht hier dem Brautvater seinen warmen, weichen Bass.
Das Solo des Hans Sachs über den Wahn des Menschen zu Beginn des 3. Aktes lässt mitfühlen mit diesem Mann, der sich bewusst wird, wie er selbst durch sein Trachten das allgemeine Prügeln mit vorangetrieben hat. Er lässt sich nicht weiter von seiner Einsamkeit – er ist Witwer – hinreißen, sondern erkennt die Kunst des von Stolzings an, der ja als Brautwerber eigentlich sein Rivale wäre.
Noch mehr: Er wird zu seinem Mentor und hilft dem ungestümen jungen Mann, über die Hürden der meisterlichen Regeln zu klettern. Wenn auch von Wutausbrüchen geschüttelt, bleibt Sachs seinem Vorhaben treu, der Kunst, die es verdient, die Bahn zu brechen, anstatt sich auf die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse zu beschränken. Zumal der Kraft zweier Verliebter, wie Walther von Stolzing und Eva nun mal sind, sich schwerlich entgegenzustellen ist.

Berührendes Quintett, in dem Sachs seine Einsamkeit aushalten muss: Michael Spyres als Walther von Stolzing, Georg Zeppenfeld als Hans Sachs, Christina Nilsson als Eva, Christa Mayer als Magdalene, Matthias Stier als David. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
„Verachtet mir die Meister nicht …“
Gekonnt gesetzt, im Gegensatz zur Komik, sind die lyrischen Soli von Michael Spyres in seiner Rolle als verliebter Walther von Stolzing. Seine Hingabe und Leidenschaft für seine Angebetete nimmt man ihm vollends ab. Herzöffnend.
Die junge schwedische Sängerin Christina Nilsson verkörpert die umworbene Eva. Sie steht für Lebendigkeit in der gesetzten Welt der Verpflichtungen und Regeln und muss sich dadurch beinahe zwangsläufig mit dem jungen Ritter von Stolzing verbinden, der Gefühl pur ist. Gleich bunten Schmetterlingen auf seinem Hemd.
Entscheidende Aussage und damit Umdeutung der diesjährigen Neuinszenierung ist Evas letzte Handlung: Sie nimmt die Kette, welche die Aufnahme des Ritters Walther von Stolzing zu den Meistern besiegeln soll, und gibt sie den Meistern zurück. Damit führt sie den Wunsch ihres Bräutigams, Walther von Stolzing, aus, der sich der Aufnahme zu den Meistern verweigert, und verlässt mit ihm die Bühne.
Ein herber Schlag für Sachs, der auch die Undankbarkeit des Ritters gegenüber seinem Mentor ausdrückt. Eine so kleine, von der Wagnerschen Vorlage abweichende Handlung, die jedoch die Aussage der Meistersinger grundlegend verändert. Es findet keine Versöhnung zwischen Tradition und Erneuerung statt, und damit auch keine gegenseitige Anerkennung und ein Einsehen in die Notwendigkeit ihrer beider Existenz.
Aus ihrer starren „Blumentorte“ entstiegen – ein gekonntes Bild für Evas Reduziertwerden als Preisgewinn beim Sängerwettbewerb – ist Eva eine modern gekleidete, selbstsicher auftretende Frau. Erst hier möchte man meinen, fühlt sich Christina Nilsson authentisch mit ihrer Rolle verbunden. Mit der Energie eines Flower-Power-Paares verlassen die beiden, auf die Tradition pfeifend, die Bühne.

Abschlussszene auf der Festwiese: Hans Sachs (Georg Zeppenfeld) und Eva (Christina Nilsson) in ihrer Blumentorte. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
„… und ehrt mir ihre Kunst“
Unter Daniele Gatti darf die Musik atmen. Er setzt spannungsgeladene Pausen, wohltuende Momente der Stille, bevor es wieder losbraust. In emotional aufgeladenen Momenten, und die gibt es eigentlich fast immer, wirkt die Musik wie ein alles verstärkender Klangteppich. Nimmt so der von Wagner gewünschte, nicht einsehbare Orchestergraben die Wirkung von Filmmusik vorweg?
Das Publikum ist auch in der zweiten Aufführung dieser Meistersinger begeistert von der Inszenierung. Viele Vorhänge werden herbeigeklatscht und getrampelt. Harmlosigkeit wurde diesen Meistersingern bei der Premiere vielfach von der Presse vorgehalten. Nun, in seiner Oberflächlichkeit ist es Spiegel der Zeit.
Doch bleibt die Frage, wo die beiden, Eva und Walther, so frohgemut hin abmarschieren? Stolz verzichten sie auf die Schulter von Hans Sachs, wie im Originaltext gewünscht. Was passiert mit einer Gesellschaft, die die Verbindung zu den Altvorderen kappen möchte? Auch wenn das, zumal mit deutscher Geschichte, sich als der bequemste und leichteste Weg darstellen will. Hängt daher der über Kopf hängenden Kuh die Zunge aus dem Maul?

Sowohl Walther von Stolzing als auch der ihn spielende Michael Spyres brillieren mit dem Preisgewinnerlied. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Feiern ist alles. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Allgemeine Irritation, warum von Stolzing (Michael Spyres) nicht die Meisterkette und die damit verbundene Ehrung vom künftigen Schwiegervater Pogner (Jongmin Park) annehmen will. Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
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