Lind und gelinde: Die Linde

Kaum ein anderer Baum ist so aufgeladen an Bedeutung und Emotion wie die sanfte Linde. Was kann sie uns heute noch geben?
Titelbild
Tanzlinde in Effeltrich bei Forchheim/ Bayern um 1900.Foto: Gemeinfrei
Von 3. September 2025

Wenn Sie schon mal unter einer blühenden Linde gestanden haben, kennen Sie den sanft-lieblichen Duft der Blüten. Meist ist auch ein Summen wie in einem Bienenstock zu hören, denn Bienen wissen auch, welch wohlschmeckender milder Honig daraus entsteht.

„Nomen est omen.“ Lind und biegsam ist sie, die Linde. So wurde der Bast früher auch zum Gürten und für Seile verwendet. Ihr Holz ist dicht, jedoch weich und somit ideal für Schnitzarbeiten geeignet. Der typische Geruch erfüllt jede Holzbildhauerwerkstatt und all die unzähligen Marien- und Heiligendarstellungen brachten ihm den Namen „lignum sacrum“ ein – heiliges Holz.

Milde und Ruhe in einer rastlosen Welt

Doch ist vielmehr der Lindenbaum an sich eine für den Menschen hoffnungsspendende Kraft. Ihre zarten, lindgrünen Blätter und ihre biegsamen und nachgiebigen Äste haben Menschen seit jeher inspiriert, sodass sie diesen Baum aus dem Wald in ihre Siedlungen und Dörfer holten.

Die Linde ist Symbol für Gemeinschaft, Verbundenheit, Geborgenheit. Unter ihr kamen und kommen mancherorts noch die Menschen zusammen, um zu singen, zu feiern, zu tanzen. „Schon um die Linde war es voll, und alles tanzte schon wie toll“, dichtet Goethe in Faust 1.

Sie ist auch der Baum der Liebenden; unter ihrem schützenden, dichten Blätterdach wurde mancher Liebesschwur gegeben oder sich für den Bund des Lebens versprochen. Passend dazu das eindeutig herzförmige Blatt der Linde.

Die Stärke der Linde ist die weibliche Energie der Hingabe und Anpassungsfähigkeit. Selbst die hektischsten Menschen finden unter ihr Ruhe und Entspannung, sie stärkt die Konzentration und das Herz, sogar Lungenleidende können unter ihr Linderung finden, wenn sie länger darunter verweilen und tief aus- und einatmen.

Standhaftigkeit und Größe

Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser sanften Kraft zählt sie mit zu den ältesten Lebewesen der Welt und kann über tausend Jahre alt werden. Ihr Stammumfang liegt oft im zweistelligen Bereich und benötigt einige Menschen, um ihn zu umfassen.

Sie stellt wenig Ansprüche und gedeiht daher an den verschiedensten Standorten. Auch ihre Wurzeln werden als Herzwurzelsystem benannt und kommen mit den unterschiedlichsten Bodenbeschaffenheiten klar.

Als junger Baum entwickelt die Linde hierfür eine kräftige Pfahlwurzel, die senkrecht in den Boden wächst. Allmählich bildet sie zahlreiche gleich lange Wurzeln, die sich in alle Richtungen ausbreiten. Dieses Wurzelwerk verleiht ihr eine hervorragende Standfestigkeit und ein hoher Anteil an Feinwurzeln trägt maßgeblich zur effizienten Aufnahme von Nährstoffen und Wasser bei.

Ihre hoch aufragende Krone kann bei Winterlinden bis zu 30 m, bei Sommerlinden sogar bis zu 40 m wachsen. Darin wimmelt es vor Leben. Sie gibt vielen Vögeln, Insekten und anderen Kleintieren ein Zuhause. So verwundert es nicht, dass sie auch für die Menschen der Baum ist, der für Familie steht. Im Übrigen verträgt sich die Linde ebenfalls gut mit anderen Laubbäumen.

Auch als Alleebaum ist die Linde beliebt. Foto: Jana Milin/iStock

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Kränze aus duftenden Lindenblüten

Die Beziehung der Menschen zur Linde reicht dabei weit in die Kulturgeschichte zurück. Die antiken Griechen legten ihre Opfer für die Göttin der Liebe und der Fruchtbarkeit, Aphrodite, unter einer Linde ab. Dabei wanden sich ihre Dienerinnen Lindenblütenkränze.

In der römischen Mythologie gibt es die Geschichte des Ehepaares Philemon und Baucis. Sie hatten ihr Leben edel und in Armut verbracht. Die Götter Jupiter und Merkur wandelten als erschöpfte Reisende auf der Erde und fanden freundliche Aufnahme bei den beiden, im Gegensatz zu all den anderen, bei denen sie angefragt hatten.

Die Gottheiten verwandelten die Hütte des Ehepaares in einen Tempel und die beiden am Ende ihres Lebens in Bäume, sodass sie – auf ihren Wunsch hin – nie getrennt sein müssten. Baucis wurde zu einer Linde und Philemon zu einer Eiche, deren Äste ineinander verschlungen wuchsen.

Ähnlich einer dänischen Sage, in der zwei Geliebte nach ihrem Tod getrennt begraben wurden – jeder auf einer anderen Seite der Kirche. Doch die auf ihren Gräbern gepflanzten Linden fanden über dem Dach des Gotteshauses wieder zusammen und fügten ihre Zweige ineinander.

In der nordisch-germanischen Mythologie ist es ein Lindenblatt, das letztlich Siegfrieds Schicksal besiegelt. Dieses fällt ihm auf sein Schulterblatt, als er im Blut des Lindwurms Fafnir badet und verhindert somit seine vollständige Unverwundbarkeit. Und sein Mörder Hagen wird ihn an genau dieser ungeschützten Stelle unter einer Linde töten.

Interessant hierbei ist, dass die Wortherkunft des Lindwurms eine Zusammensetzung aus zwei gleichbedeutenden Worten ist. Denn althochdeutsch „lint“ oder „lind“ bedeutet biegsam, nachgebend im Sinne von sich Biegender, sich Windender.

Vertrauen auf ein höheres Gericht

„Die enge Verbindung von Linde und Gericht kommt in einigen Gegenden Dtld.s auch darin zum Ausdruck, dass das Wort Linde synonym für Gericht gebraucht wird“, ist im Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte zu lesen.

Der dem Lindenbaum zugesprochene Friede, prädestiniert ihn, bei Streitigkeiten als stumme Zeugin zurate gezogen zu werden. Unter ihr soll die Wahrheit ans Licht kommen. „Judicum sub tilia“ – „gerichtet unter der Linde“ – war unter vielen Urteilen zu lesen. Eventuell könnte auch ein Zusammenhang mit dem lateinischen Wort „subtilis“ zu finden sein: genau, gründlich, feinfühlend.

So ist es die Genauigkeit und Differenziertheit menschlichen Wahrnehmens, die es in Auseinandersetzungen braucht, um Recht zu sprechen, die zu Frieden führt. Eine Voraussetzung, um Gemeinschaft leben zu können.

Obendrein ermöglichte die Flexibilität der Lindenäste, den Gerichtsplatz unter freiem Himmel zu vergrößern, indem die Äste mittels Balkengerüsten horizontal nach außen gezogen wurden und so Schutz bei jeglicher Witterung boten. Auch eine kleine, den Platz umgebende Mauer war üblich: „Gemauert und geleitet“, wie es früher hieß.

Linde in Schenklengsfeld/Kreis Hersfeld/Hessen: Die vier Stammteile entspringen einem Wurzelstock, dem ein Alter von 1.200 Jahren zugesprochen wird. Foto: Gemeinfrei

Baum der Wiedervereinigung

Am 5. Oktober 1990 pflanzten deutsche Baumschulen anlässlich der Wiedervereinigung eine Kaiserlinde (Tilia pallida) in der Nähe des Reichstags.

Die Linde, als Baum des Volkes, im Gegensatz zur Eiche, die den „Arrivierten“, sprich der Obrigkeit und dem Adel zugeordnet wird, erinnert so an die Wiedervereinigung eines Volkes. Sie trägt damit die Hoffnung in sich, dass jede Trennung, mag sie auch noch so grausam sein, zu Ende geht. Oft gerade dann, wenn wir nicht mehr daran glauben wollen – unverhofft eben.

Über die Jahre sind neben Buchen, Kiefern, Eichen und Kastanien an vielen Standorten Linden der Wiedervereinigung gepflanzt worden.

Hunderte Orte in Deutschland tragen seit jeher in ihrem Namen das Wort Linde. Der Name Leipzig etwa wird auf das altsorbische Wort „Lipa“ oder slawisch „Lipko“ für Linde zurückgeführt und bedeutet „der Ort, an dem Linden wachsen“.

Auch eine große Zahl an Flurnamen tragen die Linde in sich. Viele Gasthöfe betonen mit der Linde im Namen ihre Gastfreundlichkeit. Und sicher nicht aus Zufall hieß die erste deutsche Seifenoper, die Kult-Fernsehserie um aufmerksames, nachbarschaftliches Miteinander … Lindenstraße.

„… wo wir uns finden wohl unter Linden …“

Die Linde ist gleichsam ein Nabel der Welt. Unserer eigenen Welt. Sie hilft, uns darin zu finden und uns wohlgesonnen in der Gemeinschaft zu verbinden. Sie gibt und sie nährt – nicht nur sprichwörtlich.

Aus den jungen, zarten Blättern lassen sich hervorragende Salate, Gemüsesuppen, Frühlingsrollen und Spinat kreieren. Lindenzweige verfütterte man im Winter an die Tiere. Aus Holz und vor allem Blättern wurde in Zeiten des Notstands sogar „grünes Mehl“ hergestellt, mit dem man dank des hohen Stärkegehaltes backen konnte. Mit Samen und Blüten wusste man im 18. Jahrhundert Schokolade zu verfeinern. Die Samen wurden zu Kaffee gebrüht, die Blätter dienten als Tabakersatz.

Nach wie vor schmeckt ein Tee aus Lindenblüten exzellent, und vertreibt (nicht nur) in der kalten Jahreszeit das Fieber. Linderung garantiert. „Lichtbaum“ wird dieser vielverehrte Laubbaum auch genannt, der im Juni so hell leuchtet, als schienen einem tausend Lichter entgegen.

Wilhelm Müller schrieb in seinem Gedichtzyklus: „Am Brunnen vor dem Tore da steht ein Lindenbaum, ich träumt in seinem Schatten so manchen süßen Traum. Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort. Es zog in Freud und Leide zu ihm mich immerfort.“

Franz Schubert vertonte den gesamten Zyklus unter dem Namen Winterreise. Friedrich Silcher wiederum bearbeitete das Lindenbaumlied in einer a‑capella‑Fassung für vier Männerstimmen und trug so zum enormen Bekanntheitsgrad des Liedes bei.

Auch wenn mancherorts Lindenbäume mittelalterliche Kirchhöfe umgeben, wohl um mit dem lieblichen Blütenduft den Leichengeruch zu überdecken, bleibt die Linde der Baum der Freude, der Feste, auch des Wohlstands und der sinnlichen Genüsse.

Die Menschen begleitet seit jeher eine enge emotionale Bindung zur Linde. Foto: Solovyova/iStock

Bei der nächsten Begegnung mit einer Linde mag es hilfreich sein, sich an diesen lateinischen Zungenbrecher zu erinnern: „Filia sub tilia nectit subtilia fila“ – verknüpft die Tochter unter der Linde feine Fäden.

Um anschließend mit den Bienen zu summen:

1) Kein schöner Land in dieser Zeit
als hier das unsre weit und breit,
wo wir uns finden wohl unter Linden
zur Abendzeit.

2) Da haben wir so manche Stund
gesessen da in froher Rund
und taten singen, die Lieder klingen
im Eichengrund.

3) Dass wir uns hier in diesem Tal
noch treffen so viel hundertmal,
Gott mag es schenken, Gott mag es lenken,
er hat die Gnad.

4) Jetzt, Brüder, eine gute Nacht,
der Herr im hohen Himmel wacht;
in seiner Güte uns zu behüten,
ist er bedacht!

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Die Sankt-Anna-Linde, eine ca. 300 Jahre alte Winterlinde (Tilia cordata) auf einer Anhöhe südöstlich des Heilbronner Ortsteils Kirchhausen. Foto: Roman Eisele / CC BY-SA 4.0



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