Die Mondscheinsonate: Was steckt hinter dem Namen?

Wenn ich Ihnen den ersten Satz von Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 14 in cis-Moll, Opus 27, Nr. 2, mit dem Untertitel „Quasi una fantasia“ vorspielen würde, würden Sie ihn sofort erkennen.
Das sagt Ihnen nichts? Glauben Sie mir – Sie wüssten sofort, um welches Werk es sich handelt.
Die sanft wiegenden Triolen unter einer eintönigen, punktierten Melodie (lang-kurz/lang) verraten es innerhalb von drei Sekunden – höchstens. Sie würden den Namen sofort auf der Zunge haben, auch wenn es nicht der richtige wäre. Stattdessen würden Sie den falschen rufen – jenen unauslöschlich ins kollektive Gedächtnis eingebrannten Namen. Sie würden sagen: … die „Mondscheinsonate“.
Der gebräuchliche Name des ersten Satzes dieser unheimlich schönen Klavierkomposition aus dem Jahr 1801 ist in Wahrheit nur ein Beiname – vergeben erst Jahrzehnte, nachdem Beethoven die Noten aufs Papier gebracht hatte. Und doch könnte man diesen inoffiziellen Titel als glücklichen Zufall begreifen.
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Seit seiner ersten Verbreitung in den 1830er-Jahren hat er die Fantasie von Millionen Menschen beflügelt. Ob er nun tatsächlich Mondlicht heraufbeschwört oder nicht – wir lassen uns beim Hören unweigerlich auf die suggestive, atmosphärische Kraft eines Werkes ein, das in seiner Formvollendung und in der Balance seines Ausdrucks so vollkommen erscheint, dass es aus diesem Universum kaum wegzudenken ist.
Liebe, beruflicher Erfolg und drohende Taubheit
Beethoven war dreißig Jahre alt im Jahr 1801 – ein Wendepunkt in seinem Leben. Es war das Jahr, in dem er nicht nur einen bedeutenden Auftrag am Theater erhielt, sondern auch erstmals Anzeichen einer fortschreitenden Taubheit bemerkte – jenes Schicksal, das ihn bis zum Lebensende begleiten sollte.
Der Auftrag war ein abendfüllendes Ballett zu einem klassischen Thema: „Die Geschöpfe des Prometheus“. Heute ist davon kaum noch etwas bekannt, abgesehen von einem Thema, das der Komponist später in seiner 3. Symphonie verwendete. Dennoch war es ein wichtiges Ereignis im Wiener Kulturleben und trug dazu bei, Beethovens Musik einem breiteren Publikum jenseits der professionellen Musikkreise zugänglich zu machen.

Um 1800: Ludwig van Beethoven, (1770-1827), deutscher Komponist und Pianist. Foto: Hulton Archive/Getty Images
Dort war er bereits als wahrscheinlicher Erbe des Mantels bekannt, der zuvor Mozart verliehen worden war und zu dieser Zeit noch von Beethovens Lehrer Franz Joseph Haydn getragen wurde, Europas größter lebender Komponist. Oder, wie es Graf von Waldstein einst formulierte: Beethoven sei nach Wien gekommen, um „den Geist Mozarts aus Haydns Händen zu empfangen.“
Es war auch das Jahr, in dem Beethoven sich – nicht zum ersten Mal – in eine Adlige verliebte, die weit über ihm stand. Ihr Name war Julie Guicciardi, eine in Polen geborene österreichische Gräfin mit italienischem Namen. Ihre Familie zog 1800 von Triest, einer damals österreichischen Stadt mit überwiegend italienischer Bevölkerung und Kultur, nach Wien. Wie die meisten jungen Damen jener Zeit nahm sie Klavierunterricht, und der beste Lehrer in Wien war damals der junge Ludwig.
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Beethoven gestand später seinem Biografen Anton Schindler, dass er dem Charme seiner Schülerin erlegen war. In einem Brief an einen Freund vom 16. November 1801 schrieb Beethoven über eine ungenannte Liebe, bei der es sich wahrscheinlich um sie handelte: „Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich mehr unter Menschen gemacht, du kannst es kaum glauben, wie öde, wie traurig ich mein Leben seit zwei Jahren zugebracht, wie ein Gespenst ist mir mein schwaches Gehör überall erschienen, und ich flohe – die Menschen, mußte Misantrop scheinen, und bin’s doch so wenig, diese Veränderung hat ein liebes zauberisches Mädchen hervorgebracht, die mich liebt, und die ich liebe […]“
Die vielen Wege, ein Musikstück zu hören
Es sollte nicht sein, denn, wie Beethoven in seinem Brief schrieb, „ist sie leider nicht von meinem Stande“. Sich in Frauen zu verlieben, deren hoher gesellschaftlicher Rang eine Heirat unmöglich machte, wurde zu einem wiederkehrenden Thema im Leben des Komponisten. Die Auswirkungen davon sollten besser der spekulativen Psychologie überlassen bleiben, künstlerisch gesehen lieferte dies jedoch eine Reihe romantischer Inspirationen für die Musik.
Die Mondscheinsonate entstand genau in der Zeit, als er sich in die Gräfin verliebte, und Beethoven widmete die 1802 veröffentlichte Partitur „Giulietta Guicciardi“ – in der geläufigeren italienischen Form ihres Vornamens. Könnte diese Frau und die Liebe, die er für sie empfand, die eigentliche Inspirationsquelle dieser Musik gewesen sein?
Hört man den ersten Satz der Sonate losgelöst vom „Mondschein“-Etikett, kann man ihn als klagendes Liebeslied voller Sehnsucht verstehen, getragen von dem Bewusstsein, dass das Glück der Liebenden nicht von Dauer sein würde. Zugleich erlauben die beständig wiederkehrenden Rhythmen, wie Michael Kennedy im Oxford Dictionary of Music bemerkte, sogar eine Auffassung „beinahe im Charakter eines Trauermarsches“.
Auch war er nicht allein mit dieser Deutung: Der französische Komponist Hector Berlioz, der die Sonate hörte, bevor sie den Namen „Mondscheinsonate“ erhielt, beschrieb die Melodie des ersten Satzes als „Klagegesang“. Dieses Bild wirft eine weitere Möglichkeit auf: Vielleicht komponierte Beethoven den Beginn seiner Sonate als Ausdruck der Trauer über die herannahende Taubheit, die ihn fortan begleiten sollte.
Wie konnte es dazu kommen, dass gerade der Begriff „Mondschein“ – und nicht etwa „Liebeslied“, „Klagegesang“ oder eine andere außermusikalische Empfindung – auf jene 69 Takte leiser (keine Dynamik über „p“), nachdenklicher Klaviermusik in cis-Moll fiel, die mit „Adagio sostenuto“ („langsam und getragen“) überschrieben ist?
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Die Geschichte hinter dem Beinamen
1824 veröffentlichte der deutsche Dichter und Kritiker Ludwig Rellstab folgende Worte zum Adagio sostenuto von Beethovens op. 27 Nr. 2:
„Der See ruht in dämmerndem Mondenschimmer, dumpf stößt die Welle an das dunkle Ufer; düstre Waldberge steigen auf und schließen die heilige Gegend von der Welt ab; Schwäne ziehn mit flüsterndem Rauschen wie Geister durch die Fluth, und eine Äolsharfe tönt Klagen sehnsüchtiger, einsamer Liebe geheimnisvoll von jener Ruine herab.“ (Man beachte die „sehnsüchtige, einsame Liebe.”)
Hieraus leiteten Verleger das Beiwort „Mondschein“ ab, und bis Ende der 1830er-Jahre war der Name allgegenwärtig.
Die Tatsache, dass die Bezeichnung „Mondschein“ seit zwei Jahrhunderten mit Op. 27, Nr. 2 verbunden ist, zeugt von der Ausdruckskraft der Musik. Beethovens Musik beschreibt einen emotionalen Bogen, der den Gefühlen des Zuhörers entspricht, ganz gleich, ob die Fantasie zum Mondschein auf einem See, einem feierlichen Trauerzug oder einer unmöglichen, sehnsüchtigen Liebe wandert.
Eines ist sicher: Die rein musikalischen Aspekte des Stücks waren revolutionär. Im Jahr 1801 begannen Sonaten immer mit einem schnellen Satz, gefolgt von einem langsamen Satz und endeten mit einem weiteren schnellen Satz, der in der Regel schneller war als der erste. Dadurch lag der Schwerpunkt der Sonate am Anfang.
In der „Mondscheinsonate“ entschied sich Beethoven dafür, mit einem langsamen Satz zu beginnen, zu einem mäßig schnellen Tempo überzugehen und mit einem Satz in rasendem Tempo zu enden. Dadurch verlagerte sich der Schwerpunkt der Sonate auf das Finale, was durch dessen schiere Länge unterstrichen wird, die etwa der Länge der ersten beiden Sätze zusammen entspricht.
Mit der „Mondscheinsonate“ vollendete Beethoven, was gemeinhin als seine frühe Schaffensperiode gilt. Damit war die Bühne für die Erforschung musikalischer Formen in Sonaten, Streichquartetten, Sinfonien und Konzerten vorbereitet, die die große Tradition der westlichen Kunstmusik fortführen und sie auf eine neue, höhere Ausdrucksebene heben sollten.
Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times unter dem Titel „The Moonlight Sonata: What’s in a Name?“. (deutsche Bearbeitung ee)
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