Schluss mit dem inneren Geplapper: Warum Forscher zur Pflege der Gedanken raten

Wir leben in einer Zeit der Reizüberflutung – doch der lauteste Lärm kommt oft von innen.
„Ich muss sehr genau darauf achten, was in diesem Garten meines Denkens wächst", sagt die US-amerikanische Hirnforscherin Dr. Jill Bolte Taylor Foto: SurfUpVector/iStock
„Ich muss sehr genau darauf achten, was in diesem Garten meines Denkens wächst“, sagt die US-amerikanische Hirnforscherin Dr. Jill Bolte Taylor.Foto: SurfUpVector/iStock
Von 22. Juni 2025

In Kürze:

Unsere innere Stimme ist ein stetiger, aber manchmal nerviger Begleiter im Alltag, der Gedanken, Emotionen und Handlungen beeinflusst.

„Affenverstand“ wird dieses Phänomen in der östlichen Lehre beschrieben, dessen Kontrolle als Weg zu innerer Ruhe und Erleuchtung beschrieben wird.

Abschweifende Gedanken korrelieren mit Unzufriedenheit, zeigen psychologische Studien.

Glücksempfinden kann erreicht werden, indem man im Hier und Jetzt ist.


 

Viele von uns kennen das: Den ganzen Tag über springen uns Gedanken wie eine Horde wild gewordener Affen durch den Kopf. Eine innere Stimme plappert ständig vor sich hin, wälzt Probleme, schlägt Lösungen vor, verwirft sie wieder und erweckt alle möglichen Emotionen – ob wir das nun wollen oder nicht. Solche schwer kontrollierbaren Stimmen haben die Macht, uns zu ermutigen, wenn wir Ermutigung benötigen, oder uns zu kritisieren, wenn wir uns schuldig fühlen. Oder sie nerven einfach nur, während wir versuchen, unseren Alltag zu bewältigen. Eines jedenfalls ist sicher: Es gibt nur wenige Momente, in denen die innere Stimme für Ruhe sorgt.

In einer Szene aus dem Film „Adaption – Der Orchideen-Dieb“ sitzt der Schriftsteller Charlie Kaufman, gespielt von Nicolas Cage, an seiner Schreibmaschine und starrt auf das leere Blatt Papier. Die rechten Worte wollen ihm einfach nicht einfallen. Innerlich grübelt er: „Der Anfang. Wie fang’ ich an? Ich hab’ Hunger. Ich brauche einen Kaffee. Kaffee würde mir beim Denken helfen. Aber vorher sollte ich noch was schreiben. Dann gibt’s ’nen Kaffee als Belohnung – Kaffee und ’nen Muffin. Na gut, ich muss das Leitmotiv einführen. Am besten Banane-Nuss, das sind die besten Muffins.“

In der östlichen Kultur heißt es, dass es sich bei derartigen nur schwer kontrollierbaren inneren Dialogen im Wesentlichen um Gedanken handelt – Gedanken, die uns von dem ablenken, was wirklich wichtig ist; Gedanken, die in der chinesischen Volkskunst auch als „Affenverstand“ bezeichnet werden. Sie tauchen plötzlich auf, hüpfen von Ast zu Ast und lassen uns einfach nicht los.

In der chinesischen Kultur verkörpert der legendäre, magische und temperamentvolle Affenkönig Sun Wukong, dessen Geschichte im 16. Jahrhundert in dem Buch „Die Reise in den Westen“ verewigt wurde, all diese Eigenschaften.

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Der Geschichte zufolge begleitet Sun Wukong den Mönch Tripitaka und andere Figuren auf einer Reise von China nach Indien, um buddhistische Schriften aus einem Tempel zu holen und auf diese Weise seine Sünden zu verbüßen. Auf der Reise durchläuft Sun eine spirituelle Entwicklung. Er lernt, seine Gedanken und Emotionen zu kontrollieren, und befreit sich dadurch von den Gedanken und Wünschen, die sein immenses Leid verursacht hatten. Am Ende erreicht er höhere spirituelle Gefilde und wird zum Erleuchteten, einem Buddha.

Nach der östlichen Lehre gibt es einen Zusammenhang zwischen den schwer kontrollierbaren Stimmen und den Dingen, an denen wir festhalten, darunter Neid, Sorgen und Wut. Erst wenn wir all dies mental loslassen können, erreichen wir einen höheren Bewusstseinszustand und entdecken unser wahres Selbst.

Dem Rätsel auf der Spur

Für westliche Psychologen und Forscher ist die innere Stimme ein ungelöstes Phänomen – ein wesentlicher Teil unseres Lebens, der aber nur sehr schwer zu erforschen ist. Warum? Weil andere Menschen diese innere Stimme nicht hören können. Dennoch gibt es Studien auf diesem Gebiet, die einige überraschende Erkenntnisse ans Licht brachten.

Im Jahr 2010 untersuchten Psychologen der Universität Harvard, ob ein Zusammenhang zwischen der Unzufriedenheit eines Menschen und „umherschweifenden Gedanken“ besteht. Die Forscher fanden heraus, dass Menschen, die mehr Zeit mit Nachdenken und Tagträumen verbrachten, ein höheres Maß an Unzufriedenheit aufwiesen.

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Für die Studie [1] wurden mithilfe einer iPhone-Web-App 250.000 Datenpunkte von 2.250 Teilnehmern zu Gedanken, Gefühlen und Handlungen von Probanden während ihres Alltags gesammelt. Die Auswertung zeigte, dass 46,9 Prozent ihrer Wachzeit, also knapp die Hälfte, von abschweifenden Gedanken geprägt war. Mit anderen Worten: Sie waren nicht bei der Sache.

„Der menschliche Geist ist ein umherschweifender Geist, und ein umherschweifender Geist ist ein unglücklicher Geist“, so das Fazit der beiden Autoren der Studie, Matthew A. Killingsworth und Daniel T. Gilbert.

„Viele philosophische und religiöse Traditionen lehren, dass Glück darin besteht, im Moment zu leben“, schreiben die Forscher. Sogar wenn Menschen etwas Angenehmes erleben, sind sie demnach weniger glücklich, wenn ihre Gedanken woanders sind.

In einer neueren Studie [2] aus dem Jahr 2021 von der Universität Auckland in Neuseeland untersuchten die Forscher die auditive und visuelle Vorstellungskraft von 128 Teilnehmern. 34 von ihnen gaben an, keine inneren Bilder zu sehen. Wenn sie sich einen rosaroten Elefanten vorstellen sollen, sehen sie also nichts.

Für die Unfähigkeit, sich Geräusche, Stimmen oder Musik im Kopf vorzustellen, prägte das Forscherteam um Rebecca Keogh und Joel Pearson den Begriff „Anauralia“. Betroffene erleben ihre Gedanken als still.

Über dessen Auswirkungen auf das Verhalten und die zwischenmenschlichen Beziehungen sind sich die Forscher bisher nicht ganz im Klaren. Bekannt ist jedoch, dass der Verlust der inneren Sprache erhebliche Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung, das Erleben von Emotionen und die Selbstwahrnehmung haben kann.

„Segensreiche Stille“

Die US-amerikanische Hirnforscherin und Bestsellerautorin Dr. Jill Bolte Taylor ist eine jener Personen ohne innere Stimme. Sie beschrieb diesen Zustand, der auf einen Schlaganfall im Jahr 1996 zurückzuführen ist, als „segensreiche Stille“.

„Ich verlor mein rationales Denken, meine gesamte Bildung und meine Fähigkeit zu sprechen. Ich verlor auch die emotionale Geschichte von Jill Taylor – ich konnte mich an nichts aus meinem Leben erinnern. Ich verlor meine individuelle Identität“, erzählte sie uns in einem Interview. „Aber was ich an diesem Tag gewonnen habe, war das Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment. Ich hatte ein Gefühl von unendlicher Liebe für alles, was mich umgab.“

Der Gedächtnisverlust hat bei Dr. Taylor einen tiefgreifenden Wandel bewirkt, ähnlich wie der Läuterungsprozess bei Affenkönig Sun Wukong auf seiner spirituellen Reise. Vor dem Schlaganfall war die Wissenschaftlerin zielstrebig, strukturiert, entschlossen, dominant, manipulativ und wertend. Auf emotionaler Ebene trug sie schmerzhafte Kindheitserinnerungen mit sich, die häufig zu Wutausbrüchen, Neid, Unsicherheit, Depressionen und einem verzweifelten Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung führten.

Nach dem Schlaganfall waren alle diese Eigenschaften und Fähigkeiten – die guten wie die schlechten – vollständig ausgelöscht. Wie Sun Wukong entdeckte auch Dr. Taylor die Kraft, die in der Befreiung von einschränkenden Gedanken und Gefühlen liegt. Das ständige innere Geplapper verstummte. Diese Erfahrung öffnete ihr die Türen zu einer neuen Welt des Bewusstseins und brachte ihr die Fähigkeit, jeden Moment zu schätzen.

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Vielleicht ist es an der Zeit, dass auch wir uns nicht länger von den abschweifenden Gedanken beherrschen lassen, wenngleich sie ein Teil von uns sind. Aber wie? Dr. Taylor vergleicht das Denken mit einem Garten. „Ich muss sehr genau darauf achten, was in diesem Garten meines Denkens wächst. Ich muss mir darüber klar werden, was ich aus ihm machen will, denn man kann seinem Garten Form geben. Es ist nicht nur das Beschneiden. Wir formen unser Denken mit der Zeit und können es zu dem, was wir wollen, erblühen lassen.“

Dr. Tayler hofft, dass wir uns entscheiden, „der Pflege unseres inneren Gartens mehr Zeit zu widmen“.

Quellen:

[1] A Wandering Mind Is an Unhappy Mind, Matthew A. Killingsworth und Daniel T. Gilbert https://scholar.harvard.edu/files/danielgilbert/files/a-wandering-mind-is-an-unhapy-mind-killingsworthe-ma-science-2010.pdf
[2] Anauralia: The Silent Mind and Its Association With Aphantasia, Rish P. Hinwar und Anthony J. Lambert https://www.frontiersin.org/journals/psychology/articles/10.3389/fpsyg.2021.744213/full

 

Dieser Artikel erschien im Original in der israelischen Epoch Times unter dem Titel „תמונה למחשבה: לעצור את דיבור הקוף“. (deutsche Bearbeitung: sua)


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