Schwäbisch Hall: 100 Jahre Freilichttheater auf der Treppe

Den 100. Sommer feiern dieses Jahr die Freilichtspiele Schwäbisch Hall. Passionierte Besucher von Freilichttheatern wissen, dass das Erlebnis eines bezaubernden Theaterabends im Freien nicht unbedingt immer planbar ist.
Wenn es einem jedoch dann zuteilwird und der Regenschirm zugeklappt bleiben kann, ist es umso unvergesslicher. Schwäbisch Hall bietet mit seiner 54 Stufen langen Freitreppe vor dem steil aufragenden Kirchenbau St. Michael eine exzeptionelle Bühne. Und damit auch hohe Anforderungen an die Schauspieler.
Von den „Jedermann-Festspielen“ zur kulturellen Institution
1925 war es, als der Direktor des Haller Kurtheaters, Robert Braun, die Freilichtspiele auf der Treppe in Schwäbisch Hall begründete. Inspiriert von den seit 1920 in Salzburg stattfindenden Festspielen mit ihren „Jedermann“-Aufführungen vor dem Dom brachte Braun das berühmte Mysterienspiel vom Sterben des reichen Mannes auch in die Salzsiederstadt Hall.
Diese Perle unter den mittelalterlichen Städten, gelegen in Hohenlohe, einem Landstrich im nordöstlichen Baden-Württemberg, bietet mit seinem historischen Marktplatz, in den die Freitreppe mündet, allemal einen bezaubernden Rahmen – und lässt ahnen, welch Reichtum der Stadt durch seine Salzquellen beschert war.

Blick von den Kocherwiesen auf die Stadt Schwäbisch Hall, gelegen in der Region Heilbronn-Franken. Foto: Thyrsus/iStock
Zum Jubiläumsjahr darf man sich auf eine opulente Neuinszenierung des „Jedermann“ freuen. Dieses von Hugo von Hofmannsthal ersonnene Stück wollte dem Drama wieder zu seiner ursprünglichen Bedeutung verhelfen: dem spirituellen Ritual, in dem wir Menschen uns an unsere göttliche Verbindung erinnern. Die eigene Vergänglichkeit gemahnt, dies nicht auf die lange Bank zu schieben.
Die rechte Balance finden
So spricht im Originaltext des „Jedermann“ Gott, der Herr:
Daß sie ohn einige Furcht vor mir
Schmählicher hinleben als das Getier.
Des geistlichen Auges sind sie erblindt
In Sünd ersoffen, das ist was sie sind,…“
und weiter:
Darum will ich in rechter Eil
Gerichtstag halten über sie
Und Jedermann richten nach seinem Teil.
Wo bist du, Tod, mein starker Bot? Tritt vor mich hin.“
Gespannt sein darf man, ob oder wem dieser Text in der diesjährigen Fassung zugeschlagen wird; ist doch in der Besetzungsliste unter der Regie von Philipp Moschitz keiner für die Rolle Gottes vorgesehen.
Der ihm beistehende Erzengel Michael wird in jedem Fall anwesend sein. Im nach ihm benannten Gottesraum im Rücken der Bühne ist er gleich zweimal zu finden: als Drachentöter und als Seelenwäger, der in seiner Waagschale auf der einen Seite die Menschenseele in Form eines Kindes trägt und auf der anderen Seite Teufelchen, die versuchen, die Waage aus der Balance nach unten zu ziehen.
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New Globe und Shakespeare
Eine weitere Attraktion der Freilichtspiele ist das seit dem Jahr 2000 durch eine Bürgeraktion bestehende Haller Globe-Theater. Auf einer Flussinsel des Kochers, der mitten durch die Stadt fließt, thront das mehrstöckige runde Freilichttheater mit zahlreichen Bespielmöglichkeiten. Es bietet insgesamt 370 Menschen Platz und ist mit auf- und zufahrbarem Dach regensicher und temperierbar. 2019 löste es den ursprünglichen Holzbau nach Shakespeareschem Vorbild aus London mit seiner nach oben offenen Mitte ab.
So nimmt es nicht Wunder, dass mit einem Shakespeare-Drama das Festjahr im New Globe begangen wird. „Romeo und Julia“ lässt uns erleben, dass Liebe stärker als Kampf und Tod ist. Ihr bedingungsloses Ja zueinander löst den langjährigen Konflikt zwischen den jeweiligen Familien, auch wenn die Liebenden dies mit dem Tod bezahlen müssen.
In drei verschiedenen Varianten bringt Intendant Christian Doll dieses zeitlose Thema auf die Bühne, welches vielleicht nicht als Antwort, so doch als Fortsetzung des „Jedermann“-Themas gelesen werden kann. Neben dem Original „Romeo und Julia“ wird es als Familienstück mit Astrid Lindgrens „Ronja Räubertochter“ und – wieder auf der großen Freitreppe – als Musical mit der „West Side Story“ zu sehen sein.
Theater, Kunst und Stadt
Wer dabei sein will bei diesem vielversprechenden Jubiläumsprogramm, kann dies vom 13. Juni bis zum 13. September. Neben weiteren Theaterstücken, unter anderem von Molière und Dürrenmatt, findet sich ein umfangreiches Rahmenprogramm zu 100 Jahren Freilichtspiele. So die Ausstellung „Hinter den Kulissen“ im Hällisch-Fränkischen Museum, welches in einem der Baudenkmäler des Stadtkerns beheimatet ist.
Wer sich zu einem Theaterbesuch entscheiden sollte, dem sei geraten, eine kleine Runde durch dieses schmucke Städtchen zu spazieren. Mit seinen vielen verschiedenen Baustilen ist es gleichsam zu Stein gewordene Geschichte. Wer noch etwas mehr Zeit mitbringt, kann einen Besuch im Kunstmuseum Würth anschließen – kostenfrei und inklusive imposanter Glasfassade, die den Blick auf die pittoreske Silhouette Schwäbisch Halls freigibt.
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Tipp am Ende: Falls der Wettergott nicht hold sein sollte, kann auch bei Regen eine Vorstellung unter Schirm sehr eindrücklich sein. Warme Jacken und ausreichend Decken sind auch ohne Regen zu empfehlen, da Hohenloher Nächte empfindlich kalt werden können.

Am Kopfe des Marktplatzes thront majestätisch die 1156 geweihte Kirche St. Michael im romanisch-gotischen Stil mit ihrer 53-stufigen Freitreppe. Seit 1925 verwandelt sich diese jeden Sommer von Anfang Juni bis Ende August zur unverwechselbaren Bühne der Freilichtspiele Schwäbisch Hall. Foto: prill/iStock
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