Können wir unsere Geduld zurückgewinnen?
                            Digitale Medien haben unser Zeitgefühl zerstört. Wir scrollen und scrollen, um den nächsten Dopaminkick zu bekommen. Wir können uns kaum noch genug konzentrieren, um in Ruhe ein Buch zu lesen. Selbst im Kino schauen die Leute heimlich auf ihre Handys. Wir haben einen riesigen Bildschirm voller Dopamin vor uns, und selbst das reicht nicht aus: Die Leute müssen unablässig einen Blick auf ihr Handy werfen.
Hat man dieses Verhalten einmal erkannt, sieht man es überall. Autofahrer sind ständig abgelenkt – trotz der offensichtlichen Gefahr, die das mit sich bringt. Menschen laufen durch die Stadt, während sie auf ihren Bildschirmen scrollen, und hören zugleich Podcasts oder Musik über Kopfhörer. Paare sitzen in Restaurants, halten ihre „Zauberkästen“ in der Hand und starren auf Belanglosigkeiten.
Schleichender Prozess der Entmenschlichung
Haben Sie in letzter Zeit einmal ein ununterbrochenes Gespräch in einer Gruppe geführt? Ich nicht. Es gibt immer jemanden, der durch ein bestimmtes Thema dazu veranlasst wird, sein Handy herauszuholen und über etwas zu schwadronieren, das im Internet steht. Es ist der ungebetene Gast auf jeder Party. Übrigens verbietet jeder mir bekannte exklusive Klub Handys in Speisesälen und Salons. Sollten wir das nicht auch zu Hause tun, wenn wir mit anderen zusammen sind?
Diese Angewohnheit verkürzt die Aufmerksamkeitsspanne immer weiter. Sie wird kürzer und kürzer. Mittlerweile scheint sie auf ein paar Sekunden geschrumpft zu sein. Infolgedessen erscheint alles, was Zeit und konzentrierte Aufmerksamkeit erfordert, furchtbar belastend und bedauernswert. Ich kann nicht malen. Ich kann nicht lesen. Ich kann kein Instrument üben. Ich kann mich nicht unterhalten. Ich kann nicht zuhören, wenn eine andere, echte Person spricht. Ich kann nicht denken.
Den Menschen ist ihre Neugierde abhandengekommen für das, was andere sagen. Schließlich habe ich eine Maschine in meiner Tasche, die mehr weiß. Warum sollte ich nicht das, was vor mir ist, ignorieren zugunsten des Geräts, das ich bei mir habe – ganz gleich, wie beleidigend das für alle anderen ist? Wenn man sein Handy herausholt, um etwas nachzuschauen, während jemand direkt zu einem spricht, sage ich damit: „Du bist nicht so wichtig wie dieses digitale Ding, das ich mit mir herumtrage.“
So beginnt ein schleichender Prozess der Entmenschlichung aller Personen in unserem Umfeld. Es ist eine Abwertung von Freunden und Familie. Sie haben es bestimmt selbst erlebt: Man telefoniert mit jemandem und hört im Hintergrund Tastaturklicks. Dann bemerkt man eine kleine Verzögerung im Gespräch. Der Grund: Die Person schaut sich nebenbei etwas anderes an. Und man ahnt: Ich bin wohl nicht interessant genug.
Das ist nicht nur unerträglich unhöflich, sondern verzerrt auch den menschlichen Geist. Es stumpft das Bewusstsein ab, zerstört unsere Fähigkeit, andere wahrzunehmen oder uns um sie zu kümmern, behindert die Entwicklung tiefer Freundschaften und Gemeinschaften und lässt unsere Herzen und Seelen verkümmern. Es ist verdorben und schlichtweg schädlich.
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Es zerstört unser Leben
Wie konnte es nur so weit kommen? Anfangs wirkten soziale Medien und Smartphones spannend, fortschrittlich und sogar befreiend. Wir stürzten uns begeistert darauf, froh über die Möglichkeit, mit Freunden und Familie in einem nie da gewesenen Ausmaß in Kontakt zu sein. Das war die Einladung, und wir haben zugeschnappt.
Doch es verschlimmerte sich rasch. Immer mehr Menschen waren plötzlich nicht mehr dort, wo sie sein sollten. Stattdessen schauten sie sich irgendwelche Dinge im Internet an. Die Unternehmen durchschauten das. Sie begannen, unsere Zeit und Aufmerksamkeit geradezu gierig zu beanspruchen, und bauten ihre Systeme so um, dass sie davon möglichst grenzenlos profitieren konnten.
Wir traten immer mehr Gruppen bei und glaubten all den Unsinn, wir seien „voll dabei“ und müssten uns auf diese Weise laufend beteiligen. Wir ließen uns einreden, wir würden etwas erschaffen – dabei zerstörten wir etwas. Was wurde zerstört? Zumindest unsere Aufmerksamkeitsspanne, aber wahrscheinlich noch mehr. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass dies unser Leben und die Grundstruktur der Zivilisation selbst zerstört.
Warum so drastisch? Die Gesellschaft besteht aus Menschen mit Gefühlen, Ideen, Motivationen und Hoffnungen. Wenn wir durch digitale Sozialisierung und Gewöhnung lernen, diese zu vernachlässigen – sowohl von anderen als auch von uns selbst –, dann helfen wir mit, das soziale Gefüge zu zerstören.
Trotz Clouds und Apps leben wir in einer physischen Welt. Wir müssen Lebensmittel anbauen und Tiere züchten, Häuser bauen und instand halten, unsere Kleidung sauber halten und so weiter. Wenn all das zu einer lästigen Zumutung wird, fangen wir an, uns über den ganz normalen Fluss des Lebens selbst zu ärgern. Unsere Prioritäten werden auf den Kopf gestellt und eine Flut von Schnickschnack überschwemmt unsere tatsächlichen Verpflichtungen und Aufgaben.
Wir verblöden, werden rastlos und permanent ungeduldig.
Schritte in die echte Welt
Ich werde jetzt aufhören, mich darüber zu echauffieren, was die Digitalisierung mit uns gemacht hat, und stattdessen eine Lösung präsentieren. Wir alle brauchen ein neues Ziel: Wir sollten prüfen, ob – und in welchem Maß – wir noch Geduld für irgendetwas haben. Können wir 15 Minuten, 30 Minuten oder sogar 1 Stunde lang aufmerksam einem Gespräch zuhören? Können wir ohne ständige Reize allein sein und einfach in uns selbst hineinhorchen, auf unser Herz und unseren Geist hören?
Sie können das jederzeit und überall testen. Ich vermute, dass die meisten Menschen es nicht schaffen werden, und das ist wirklich tragisch. Wenn Sie feststellen, dass es auch Ihnen nicht gelingt und Sie in den Teufelskreis der Dopaminabhängigkeit und des unaufhörlichen Informationsflusses geraten sind – was können Sie dann dagegen tun?
In Ihrer Nachbarschaft oder Gegend gibt es bestimmt irgendwo eine Möglichkeit zum Spazierengehen. Wählen Sie für den Anfang eine 1 bis 3 Kilometer lange Strecke. Das dauert in gemütlichem Tempo etwa 45 Minuten. Ziehen Sie sich Ihre Wanderschuhe an und machen Sie sich auf den Weg. Lassen Sie Ihr Handy zu Hause. Wenn Sie Kinder oder andere Personen haben, für die Sie erreichbar bleiben müssen, nehmen Sie es mit, aber nehmen Sie sich vor, nicht darauf zu schielen.
Dann gehen Sie los. Schauen Sie sich die Nachbarschaft, die Bäume, das Gras und die Blumen an. Achten Sie auf andere Menschen. Beobachten Sie, was für Kleidung sie tragen. Lauschen Sie den Gesprächen der Menschen, die an Ihnen vorbeigehen. Achten Sie auf die Kinderwagen, die Hunde, die Schuhe und die Kopfbedeckungen. Schauen Sie sich die Straßen, die Steine, die Häuser, die Mauern, die Fensterläden und die Farben der Fassaden an. Blicken Sie hoch in den Himmel und betrachten Sie die Wolken. Genießen Sie die Sonne und tanken Sie Vitamin D für die Wintermonate!
Kommen Sie ins Schwitzen! Gehen Sie anschließend nach Hause. Ich verspreche Ihnen, dass Sie sich erfrischt und vitalisiert fühlen werden. Wenn Sie jedoch ein typischer Mensch dieser Zeit sind, werden Sie schockiert sein, wie anders sich das anfühlt. Sie waren tatsächlich 1 Stunde lang offline und sind nicht gestorben. Sie haben es sogar genossen. Sie haben es geschafft, eine ganze Stunde lang ohne Unterbrechung auf die physische Welt um Sie herum zu achten.
Das allein ist heutzutage schon eine beachtliche Leistung. Sie können sich wirklich darüber freuen. Betrachten Sie sich selbst als einen Helden, als Ausnahmetalent, das sich dem Trend der Entmenschlichung widersetzt hat. Rufen Sie beim nächsten Mal einen Freund an und bitten Sie ihn, sich Ihnen anzuschließen; dann weitere Freunde. Vielleicht haben Sie irgendwann eine ganze Gruppe von Freundinnen und Freunden, die sich der Pflege des „Offline-Lebens“ verschrieben hat.
Anschließend können Sie die Strecke auf 4 bis 8 Kilometer ausdehnen. Vielleicht dauert das 2 Stunden. Sie bekommen Bewegung, Sonne und wunderbare Eindrücke und Geräusche aus der realen Welt. Vor allem aber beginnen Sie, Ihre Fähigkeit wiederherzustellen, sich länger als 3 Sekunden auf etwas konzentrieren zu können. Und das ist unerlässlich für Ihre Denk- und Urteilsfähigkeit.
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Offline und glücklich
Wenn Sie darin besser werden, können Sie sich weiteren Aktivitäten widmen. Sie können das Haus putzen, ein Puzzle machen, ein Kreuzworträtsel lösen oder ein Buch lesen. Vielleicht schaffen Sie es sogar, einen ganzen Vormittag, Nachmittag oder Abend offline zu verbringen. Sie könnten auch eine Dinnerparty veranstalten und subtil durchblicken lassen, dass es ein schöneres Erlebnis wäre, wenn alle ihre Handys für den Abend weglegen würden. Irgendwann gelingt es Ihnen möglicherweise sogar, einen dicken Literaturklassiker zu lesen.
Wenn Sie sich ernsthaft vornehmen, Ihr Leben zurückzuerobern, werden Sie Fortschritte machen. Sie werden erkennen: Digitale Kommunikation und Medien haben ihren Platz. Aber sie sind nicht das ganze Leben und niemals dürfen sie mit menschlicher Begegnung konkurrieren. Je mehr man sich ausschließlich auf die digitale Welt als Quelle für Informationen, Unterhaltung und sogar psychologische Unterstützung verlässt, desto unglücklicher wird man.
Ein wesentlicher Grund dafür ist der Verlust von etwas, das uns unsere Eltern seit frühester Kindheit beigebracht haben: Geduld. Unsere falsch betitelten „Smartphones“ haben uns in Wirklichkeit in rastlose Kleinkinder verwandelt. Doch wir alle haben derzeit die Möglichkeit, Reife und nachhaltiges Denken wieder neu aufzubauen – die Voraussetzungen für ein erfülltes Leben.
Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times unter dem Titel „Can We Get Patience Back?“. (deutsche Bearbeitung ee)
Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.
                        
                        
                        
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