Courage – eine verschwindende Ressource

Gesellschaften sterben nicht zuerst an der Gewalt. Sie sterben an der Furcht, dass niemand mehr widerspricht. Sie sterben, wenn das Ausgeschlossene verstummt, wenn das Neugierige verdrängt, wenn das Abweichende verdächtig wird. Sie sterben, wenn Courage – dieses alte Wort – nur noch wie ein Relikt klingt.
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Courage kann im schlichten Nein bestehen, das gegen den Strom gesprochen wird, ohne die Gewissheit, überhaupt gehört zu werden.Foto: Markus Langemann/iStock/tomertu/Montage: Epoch Times
Von 19. September 2025

„Courage“ – heute klingt dieses Wort wie ein verrostetes Werkzeug, das zu lange im Regen lag. Sein Klang ist stumpf geworden, sein Gewicht gering. Und doch: Wer dieses Wort ausspricht, weckt Erinnerungen an eine Zeit, in der Mut nicht dekorativ war, sondern existenziell.

Courage – das hieß einmal, nicht die sichere Seite zu wählen. Es hieß, Risiken in Kauf zu nehmen, Verluste einzukalkulieren, eigene Verletzlichkeit zu bekennen. Courage erfordert die Bereitschaft, sich selbst zu schaden. Wer nur kalkuliert, wie er unversehrt durchkommt, der ist bereits im Rückzug begriffen.

Canceln, ein kulturfeindlicher Akt

Unsere Gegenwart kennt ein anderes Vokabular. Da ist die Rede vom „Canceln“, einem Wort, das wie ein technisches Kommando klingt und doch ein zutiefst kulturfeindlicher Akt ist.

Da wird nicht diskutiert, da wird abgeschaltet. Künstler, Autoren, Wissenschaftler verschwinden nicht wegen ihrer Werke, sondern wegen der Kontaktschuld: Sie haben mit den Falschen gesprochen, sind an den falschen Orten aufgetreten, haben die falschen Fragen gestellt. So wächst eine Atmosphäre, in der nicht mehr das Wort riskiert wird, sondern das Schweigen zur Lebensversicherung wird.

Doch es sind nicht nur die Berühmten, die diese Erfahrung machen. Es sind die vielen Unbekannten, die im Alltag, im Beruf und im privaten Umfeld spüren, was es bedeutet, eine andere Sicht einzubringen.

Eine freie Fotografin erzählte mir, sie habe in der Hochphase des Corona-Komplexes den Mut gehabt, gute Argumente vorzubringen: Sie erschien nicht mit OP-Maske zu Terminen, sie legte keinen Impfnachweis vor – und verlor alles. Kunden, die sie einst hofiert hatten, straften sie ab – keine Aufträge mehr, kein Einkommen. Bis heute kehrte niemand zurück. Am Ende musste sie, einst begehrt und erfolgreich, ihren Beruf ganz aufgeben. Mit Wehmut in der Stimme sagte sie: „Mir fehlt die Fotografie.“ Heute unterrichtet sie Kinder. Nicht, weil sie es wollte, sondern weil sie überleben musste.

Standhaftigkeit, das eigene Maß nicht preiszugeben

Solche Geschichten werden selten erzählt, und doch gibt es viele von ihnen. Sie bezeugen, dass Courage im Alltag nicht den heroischen Gestus braucht, sondern schlicht die Standhaftigkeit, das eigene Maß nicht preiszugeben, auch wenn der Preis hoch ist.

Auf den Straßen zeigt sich zugleich das Gegenteil: nicht die feige Zurückhaltung, sondern der rohe Zugriff. Gewalt nimmt zu – in der Faust, im Blick, im Ton; in U-Bahnen, auf Plätzen, in Klassenzimmern.

Man könnte meinen, dort fände Courage ihre letzte Heimat: der Mut, einzuschreiten, Partei für den Schwächeren zu ergreifen. Doch auch hier überwiegt das Abwenden, das Fortsehen, der Blick ins Display. Zivilcourage wird zur seltenen Ausnahme, zum moralischen Sonderfall.

Der eigentliche Verlust geschieht jedoch im Kleinen. Dort, wo das Aussprechen einer eigenen, vom Konsens abweichenden Meinung schon als couragiert gelten müsste. Dort, wo Menschen, die ihre Sicht behaupten wollen, nicht mehr das Gefühl haben, dies tun zu können, ohne gesellschaftlich geächtet zu werden. Wenn selbst im privaten Kreis das vorsichtige Wort schon als Risiko gilt, dann ist das Schweigen nicht mehr Zurückhaltung, sondern Kapitulation.

Eine Gesellschaft, die sich selbst reguliert

Courage – das war auch einmal die Bereitschaft, das eigene Ansehen aufs Spiel zu setzen. Wer sich exponierte, wusste, dass er Widerspruch ernten würde. Heute hingegen scheint die Angst vor öffentlichem Tadel größer als die Sehnsucht nach eigener Wahrhaftigkeit. Man schützt sich vor der Entrüstung der anderen, bevor man überhaupt das Eigene formuliert hat. Das Resultat: eine Gesellschaft, die sich selbst reguliert, indem sie das Abweichende gar nicht mehr entstehen lässt.

Vielleicht, so ließe sich einwenden, muss man Courage heute anders denken. Nicht nur als heroisches Aufbegehren, nicht nur als das Pathos der großen Tat. Ist es vielleicht die „Intelligenz des gemischten Gefühls“, wie Roger Willemsen sie einmal beschrieb?

Courage kann auch leise sein

Übertragen auf die Gegenwart hieße das: Courage kann auch leise sein. Sie muss nicht brüllen, sie kann flüstern. Sie kann im schlichten Nein bestehen, das gegen den Strom gesprochen wird, ohne Begleitung, ohne Mikrofon, ohne die Gewissheit, überhaupt gehört zu werden.

Eine solche Courage ist nicht spektakulär. Sie sucht keine Schlagzeilen, sie braucht keine Kameras. Sie existiert im privaten Gespräch, im abweichenden Gedanken, im Widerstehen gegen den Druck der Anpassung. Sie ist die Courage des Beharrens, des Nichtvergessens, des Weiterfragens. Vielleicht ist sie die letzte Form von Mut, die uns bleibt.

Denn Gesellschaften sterben nicht zuerst an der Gewalt. Sie sterben an der Furcht, dass niemand mehr widerspricht. Sie sterben, wenn das Ausgeschlossene verstummt, wenn das Neugierige verdrängt, wenn das Abweichende verdächtig wird. Sie sterben, wenn Courage – dieses alte Wort – nur noch wie ein Relikt klingt.

Und vielleicht, so muss man hinzufügen, stirbt mit ihr nicht nur die Gesellschaft. Es stirbt auch das Individuum, das sich selbst nicht mehr traut. Wer immer schweigt, verliert nicht nur die Stimme. Er verliert sich selbst.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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