Polens neuer Präsident bricht das Schweigen: Das Wolhynien-Massaker 1943

Ob in Abbeville, Bromberg oder Wolhynien – die Erinnerung an Massaker des Zweiten Weltkriegs bleibt politisch brisant. Polens neuer Präsident will daran nichts beschönigen.
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Foto: Andrzej Rostek/iStock
Von 17. August 2025

Welche Gründe könnten den deutschen Bundespräsidenten veranlassen, bei einer seiner präsidialen Reden nicht auf das von französischen Soldaten am 25. Mai 1940 in Abbeville (Somme) an Belgiern, Niederländern, Tschechen, Italienern und Deutschen begangene Massaker hinzuweisen oder das von polnischen Zivilisten am 3. September 1939 in Bromberg an der deutschen Bevölkerung verübte Massaker zu erwähnen?

Dazu im Gegensatz hat der neue polnische Staatspräsident Karol Nawrocki gleich bei seiner ersten Rede am 7. August die Frage eines Massakers im von deutschen Truppen besetzten ukrainischen Wolhynien angeschnitten, dem 1943 polnische Frauen, Kinder und Männer zum Opfer gefallen sind, und eine Revision der ukrainischen Geschichtspolitik gefordert.

Insbesondere bestand er darauf, dass Kiew endlich davon Abstand nimmt, die Organisatoren des Völkermords des Jahres 1943 an der polnischen Bevölkerung, zum Beispiel den Faschisten Stepan Bandera, zu glorifizieren.

Wie in der Ukraine die Mörder bis heute verehrt werden, so werden auch heute in Frankreich noch die Verantwortlichen des französischen Massakers geehrt. Jedes Jahr legt der französische Staatspräsident ohne deutsche Einwände am Nationalfeiertag einen Kranz am Grab des Hauptverantwortlichen des Massakers von Abbeville nieder.

Hunderttausende Opfer in Wolhynien

Der promovierte Historiker und neue polnische Staatspräsident war bisher Direktor des Instituts für Nationales Gedenken und wird sicher bei nächster Gelegenheit den Präsidenten der Ukraine, Wladimir Selenskyj, auf die immer noch schwelende Glut zwischen Polen und der Ukraine ansprechen. In Polen sind die Massaker von Wolhynien allgegenwärtig, da sie auch Gegenstand im Geschichtsunterricht in den Schulen sind.

Nawrocki versteht sich als „die Stimme des Volkes, das einen veränderten Umgang der Ukraine mit wichtigen und noch ungelösten historischen Fragen fordert“.

Dem Wolhynien-Massaker im Zweiten Weltkrieg fielen mehrere hunderttausend polnische Zivilisten zum Opfer. Sie wurden 1943 im Rücken der deutsch-russischen Front von den heute in der Ukraine noch hochverehrten Einheiten der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) regelrecht abgeschlachtet.

Dem ukrainischen Historiker Andrij Portnow ist es peinlich, wie ungleich Polen und sein Land der damaligen Ereignisse gedenken. Er meint: „Wenn die ukrainische Regierung zur Aussöhnung etwas tun möchte, sollte sie einer internationalen Historikerkommission zustimmen und Ausgrabungen in den ehemaligen polnischen Dörfern starten. Denn diese Dörfer sind vollständig zerstört worden, die Toten wurden – wenn überhaupt – in Massengräbern verscharrt.“ Natürlich wird auch darüber gestritten, ob die Taten der Ukrainer als Völkermord bezeichnet werden dürfen.

Ukrainische Aufstandsarmee und ihre Rolle

Wolhynien liegt im Nordwesten der heutigen Ukraine und sah in seiner Vergangenheit viele unterschiedliche Herren: Polen, Litauer, Ukrainer, Russen und Deutsche. Nach 1918 war es zum Teil im Staatsverband der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, zum Teil gehörte es aber auch zu Polen. In dem etwa so großen Gebiet wie Bayern lebten dort seit Jahrhunderten meist Ukrainer, Polen, Deutsche und Juden.

Im Kriegsgeschehen ab 1941 befand sich Wolhynien als Teil des Reichskommissariats Ukraine unter deutscher Herrschaft, was sich für die dort lebenden Juden verhängnisvoll auswirkte. Sie wurden fast vollständig nicht nur von Deutschen, sondern auch von im Untergrund operierenden Ukrainern mit Billigung der deutschen Besatzungsmacht umgebracht.

Die seit 1920 unter der UdSSR grassierende Hungersnot in der Ukraine, der Schätzungen zufolge 10 Millionen Ukrainer zum Opfer fielen, konnte von der deutschen Besatzung abgestellt werden. Angehörige der national eingestellten ukrainischen Intelligenz bejubelten deshalb anfänglich die Deutschen als ihre Befreier und hofften vergebens, dass das Deutsche Reich ihren Wunsch nach Eigenstaatlichkeit erfüllen würde. Die ukrainische Befreiungsbewegung (OUN) entstand. Bereits am 30. Juni 1941 proklamierte die OUN in Lemberg einen unabhängigen, ethnisch „reinen“ ukrainischen Staat. Sie beeilten sich und stellten als Morgengabe zwei Militäreinheiten mit den Bezeichnungen „Roland“ und „Nachtigall“ auf. Polen und Juden sollten ihre Opfer werden.

Die ukrainischen Nationalisten hofften, durch Partisanentätigkeit gegen die deutsche Besatzungsmacht und die Auslöschung der Polen in der Ukraine ihren künftigen Anspruch auf ganz Wolhynien untermauern zu können.

„100.000 getötete Polen zu 10.000 getöteten Ukrainern“

Nach 1945 haben polnische Historiker rekonstruiert, was sich damals ereignet hatte. Der ukrainische Historiker Portnow meint: „In der Sowjetzeit stand über das Morden in Wolhynien nichts in den Lehrbüchern.“ So wie auch im Westen darüber geschwiegen wurde und wird. Insgesamt wird die Zahl der polnischen Opfer in Wolhynien, Galizien und anderen angrenzenden Gebieten auf über 100.000 geschätzt.

Historiker Grzegorz Motyka vom polnischen Institut für das nationale Gedächtnis stellt fest: „Das Vorgehen der Ukrainischen Aufstandsarmee hatte gigantische Ausmaße. Sie wollte ein riesiges Gebiet ethnisch säubern. Wolhynien war nicht polnisch, sondern ukrainisch, genau 16 Prozent waren Polen, der Rest waren Ukrainer.“ Polnische Historiker verneinen nicht, dass sich auch polnische Partisanen grausam verhielten. Auch sie haben ganze Dörfer zerstört. Aber das Verhältnis ist in etwa so: „100.000 getötete Polen zu vielleicht 10.000 getöteten Ukrainern.“

Seit der Übernahme eines Teils von Wolhynien 1920 durch Polen hatte es immer wieder von ukrainischer Seite Angriffe auf polnische Bürger gegeben. Unter dem Schutz der deutschen Wehrmacht verstärkten sich diese ab 1942/1943.

Die UPA ermordete Anfang 1943 unter Führung von Stepan Bandera und Hryhorii Pereghinyak zunächst in dem Dorf Parosla in der Region Sarny etwa 150 Menschen. Ihre Anweisung lautete: „Unerwünschte polnische, moskowitische und jüdische Aktivisten sind zu liquidieren, unsere Idee ist so groß, dass bei ihrer Verwirklichung nicht Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen, die OUN kämpft für die Stärke der ukrainischen Rasse.“ Bandera hatte sich schon zehn Jahre zuvor empfohlen, da er 1934 den polnischen Innenminister Bronisław Pieracki ermordet hatte.

Grauen in Kirchen und Dörfern

Ab Mai 1943 wurde ganz polnisch Wolhynien mit Massakern überzogen: Dubień, Zdołbunów, Sarny, Zdołbunów, Kostopil, Sarny, Lipniki Kremenez, Riwne, Dubno und Luzk. Der Ukrainer Iwan Lytwyntschuk zeichnete sich besonders durch sein grausames Vorgehen aus. Zum Beispiel wurde das Dorf Janowa Dolina niedergebrannt, 600 Polen ermordet. Dmytro Kljatschkiwsky, einer der ukrainischen Befehlshaber, verkündete im August 1943 in einer Direktive die Liquidierung aller „polnischen Elemente zum Ziel“. Zunächst ging man gegen alle männlichen polnischen Bewohner im Alter zwischen 16 und 60 Jahren vor, dann folgte die Ermordung polnischer Frauen und Kinder. Der Pole Stanislaw Filipowitsch erinnert an das Wüten der Ukrainer: „Diesen Völkermord werde ich bis ans Ende meiner Tage nicht vergessen: wie sie in die Kirche in Poryck kamen und das Feuer auf die Leute eröffneten, Granaten warfen.“

Jerzy Krasowski erinnert sich: „Wir fanden einen entsetzlichen Anblick vor. Ein wenige Jahre alter Junge war am Tor auf einen Pfahl gespießt worden […] Vor der Türschwelle lagen die Leichen von Männern und zwei Frauen, die grausam mit Äxten zerhackt worden waren.“ Eine besonders grausame Art des Mordens war das Annageln der Zunge an Holztüren oder Bäumen. Eine Methode, die die Südslawen im Bürgerkrieg 1998/99 auch praktizierten. In Hunderten Ortschaften griffen ukrainische Partisanen Menschen mit Äxten und Spießen an und steckten Gebäude in Brand.

Als „Blutsonntag“ gilt der 11. Juli 1943, da zeitgleich Hundertschaften der UPA etwa 100 polnische Dörfer angriffen: „Die Menschen wurden in den Kirchen während der Heiligen Messe getötet, Priester direkt am Altar mit Sensen zerstückelt.“ Der britische Historiker Norman Davies beschreibt im Buch „No simple Victory“, wie ganze Dörfer niedergebrannt, katholische Priester mit Äxten zerhackt oder gekreuzigt wurden.

Im Morgengrauen des 30. August 1943 überfielen ukrainische Nationalisten das Dorf Ostrowka. Der Überlebende Aleksander Pradun erinnert sich: „Es ist kaum zu beschreiben: Alles schrie und weinte. Kinder, die unter den Leichen nach ihren Müttern suchten, wurden erschossen. Meine Mutter wollte, dass wir diesem Morden nicht länger zusehen. Sie drückte mich an sich – und dann schossen sie, erst auf meine Tante. Dann merkte ich, wie der Arm meiner Mutter erschlaffte – sie hatten sie getroffen. Ich lag regungslos da, um mich herum Totenstille. Und dann hörte ich die Ukrainer rufen: ‚Besiegt!‘“

Massenmorde unter Duldung der deutschen Besatzungsmacht

Diese Massaker an der polnischen Bevölkerung, die als „Wolhynisches Gemetzel“ bezeichnet werden, fanden teilweise unter Duldung der deutschen Besatzungsmacht statt, weshalb die deutsche SS für die Übergriffe verantwortlich gemacht wird. Doch verübte die 14. Waffen-Grenadier-Division der SS auch das Massaker von Huta Pieniacka im Kreis Lemberg. Alle 1.200 polnischen Bewohner wurden ermordet, das gesamte Dorf niedergebrannt.

1989 wurde eine Gedenkstätte für die Opfer dieser zerstörten Ortschaft errichtet, die unter Beteiligung der Staatspräsidenten der Ukraine und Polen eingeweiht wurde. Wenig später wurde es von Unbekannten geschändet, das zentrale Steinkreuz gesprengt und die Steintafeln mit den Namen der Opfer, mit den Farben der ukrainischen Flagge und der Ukrainischen Aufständischen Armee sowie mit der doppelten Siegrune der SS beschmiert.

Aussöhnung oder neue Forderungen?

Im Westen, so sagte man Jahrzehnte lang, gab es zwischen Frankreich und den deutschen Staaten eine Erbfeindschaft. Ähnliches ist dem Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine zuzuschreiben, das nur zeitweise – wie derzeit – durch den gemeinsamen Feind Russland überdeckt wird.

Mal sehen, ob nach dem Ende des Krieges der Ukraine gegen Russland die polnischen Forderungen nach Aussöhnung, vielleicht auch nach Rückgabe des polnischen Teils der Ukraine erhoben werden. Die Präsidentschaft des polnischen Historikers und Staatspräsidenten Karol Nawrocki wird sicher spannend werden.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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