Sehnsucht nach der analogen Zeit

Der Fortschritt der Technologie bringt viele Vorteile – doch er kommt mit einem hohen kulturellen Preis. Ein Blick auf das Leben vor der Digitalisierung lässt die Frage aufkommen, ob die ständige Vernetzung uns wirklich nähergebracht hat.
Titelbild
Eine Telefonzelle auf der Avenue des Champs-Élysées in Paris am 21. Juni 1975.Foto: STR/AFP via Getty Images
Von 23. August 2025

Haben Sie in letzter Zeit Filme aus den 1970er- oder 1980er-Jahren gesehen? Sie üben eine Faszination aus, die man zum Zeitpunkt ihrer Entstehung nicht hätte verstehen können. Sie zeigen eine Welt, die nicht mehr existiert und aller Wahrscheinlichkeit nach – tragischerweise – auch nie wiederkehren wird.

Vor der totalen Digitalisierung

Es waren die letzten Jahre, bevor die Digitalisierung alle Bereiche unseres Lebens erfasste und sich die gesamte Menschheit mit ununterbrochener Überwachung und Ablenkung an dem digitalen Kollektiv anschloss. Es war die Zeit, bevor soziale Medien die Jugend ruinierten, Smartphones das Leben der Berufstätigen vereinnahmten und Senioren zum täglichen Opfer von Onlinebetrügern wurden.

Die Menschen damals lebten ein echtes Leben in der physischen Welt. Sie verließen sich auf Vertrauen, Wissen und Gemeinschaft. Menschen waren wertvoll und nicht nur nutzlose Konsumenten. Bewusstsein und Talent hatten einen hohen Stellenwert.

Wenn die Menschen in diesen Filmen irgendwo hinfahren wollten, mussten sie den Weg kennen. Kannten sie ihn nicht, griffen sie zu einer echten Landkarte oder fragten nach dem Weg. Daher mussten sie ihr Umfeld aufmerksam beobachten und einen Orientierungssinn entwickeln.

Wenn das Restauranttelefon läutete

Telefone standen damals auf Schreibtischen oder waren an Wänden befestigt. Sie wurden mit Tasten bedient, die man drücken musste. Das war eine Optimierung gegenüber dem Wählscheibentelefon. Wenn das Telefon klingelte, wusste man nicht, wer anrufen würde. In Filmen war dies oft Anlass für große Spannung. Vielleicht war es ein beängstigender Anruf, wie in einem Film von Alfred Hitchcock, oder vielleicht war es romantisch, wie in einem Stück von Neil Simon. In jedem Fall war es immer eine Überraschung.

Wenn Sie in einem Restaurant essen waren, hatten Sie Ihr Telefon nicht dabei. Wenn jemand wusste, dass Sie dort waren, konnte er oder sie dort anrufen, und der Kellner kam an Ihren Tisch und sagte Ihnen, jemand wolle Sie am Telefon sprechen. Sie entschuldigten sich dann und gingen zu einer Telefonzelle.

An den Telefonzellen – den kleinen, mit Glaswänden abgetrennten Räumen – musste man manchmal Schlange stehen und warten, bis die Person vor einem ihr Gespräch beendet hatte. Daher waren die Gespräche eher kurz. Anders war es auch nicht möglich.

Wenn man jemanden außerhalb der Stadt anrief, fielen Ferngesprächsgebühren an, die entweder über die Telefonrechnung zu Hause beglichen wurden oder indem man Münzen in einen Automaten warf. Wenn man kein Geld mehr hatte, konnte man nicht mehr telefonieren. Apropos Geld: Es existierte in physischer Form, also als Münzen oder Banknoten. Um Bankgeschäfte zu erledigen, musste man persönlich zur Bank gehen.

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Vertrauen statt ständiger Erreichbarkeit

Niemand wusste genau, wo sich jemand befand. Daher mussten sich die Menschen auf Vertrauen, Versprechen, Routinen und Hinweise verlassen. Wenn der Ehemann spät nach Hause kam, wusste niemand, wann genau er kommen würde. Wenn dies jedoch zur Routine gehörte und er sich jedes Mal entschuldigte, ging die Ehefrau natürlich davon aus, dass er eine Affäre hatte.

Es gab nie einen Grund, sich auszuklinken, denn niemand war wirklich dauerhaft verbunden. Es war ganz normal, dass Leute einfach mal verschwanden. So sollte Jack beispielsweise zu seinem wöchentlichen Spieleabend gehen. Aber er taucht nicht auf. Als seine Kumpels bei ihm zu Hause anrufen, sagt seine Frau, er sei nicht zu Hause. Niemand weiß, wo er ist, und Panik macht sich breit. Eine Szene wie diese ist in solchen Filmen ein normales Drama.

Apropos Kartenspiele: Männer schienen sich oft zu treffen, um Kontakte zu knüpfen – und das nicht über Zoom-Anrufe und soziale Medien. Frauen trafen sich zum Tee oder zu einem abendlichen Ausflug. Familien wiederum trafen sich zu Picknicks und Unternehmungen. Die Menschen fuhren in den Urlaub und schenkten ihrer Umgebung Aufmerksamkeit, denn es gab nichts anderes zu tun, als die Gegend zu genießen.

Arbeit und Freizeit klar getrennt

Wenn man in einem Hotelzimmer ankam, schaltete man vielleicht den Fernseher zur Unterhaltung ein, aber es warteten keine 1.000 E-Mails und Facebook-Posts auf eine Antwort. Sich von allem zurückzuziehen, bedeutete damals tatsächlich, sich von allem zurückzuziehen.

Wer Geschäfte machte, musste Dokumente durchlesen und mit einem echten Stift unterschreiben. Wenn etwas getippt werden musste, dann direkt auf Papier, mit einer Schreibmaschine. Dann wurde das Papier per Post verschickt – und manchmal ging die Post verloren oder wurde abgefangen. Für wirklich wichtige Mitteilungen gab es Telegramme.

Kontakte wurden in physischen Büchern und Karteikarten auf Schreibtischen aufbewahrt, die man händisch durchblätterte. Der Kontakt zu Menschen außerhalb des eigenen Umfelds war quantitativ seltener, dafür aber qualitativ wertvoller.

Wenn Menschen mit öffentlichen Verkehrsmitteln fuhren, lasen sie Zeitungen oder Bücher oder schauten aus dem Fenster. Es war üblich, dass Menschen auf der Straße und beim Einkaufen miteinander sprachen. Blickkontakt war ein Mittel der Kommunikation in Geschäften und Büros und hatte seine ganz eigene Sprache.

Was die Menschen trugen, war wichtig, denn sie betrachteten sich gegenseitig und schätzten sich anhand ihres Aussehens ein. Daher achteten sie auf ihr Äußeres, um sich anderen gegenüber bestmöglich zu präsentieren.

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Neuanfänge und gelebte Verantwortung

Wenn man jemanden zum ersten Mal traf, dann traf man diese Person wirklich zum ersten Mal. Man konnte nicht heimlich das gesamte Leben dieser Person in einer permanenten digitalen Akte durchblättern. Bei ersten Dates ging es wirklich darum, jemanden kennenzulernen.

Folglich konnten Menschen Fehler im Leben machen und tatsächlich noch einmal von vorn beginnen.

Es lag in der Verantwortung des Einzelnen, anderen mitzuteilen, wer er war und woran er glaubte. Dies ermöglichte es den Menschen, sich zu verändern und ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen – ein echter zweiter oder dritter Neustart im Leben. Wenn jemand von seiner dunklen Vergangenheit eingeholt wurde, dann lag das in der Regel daran, dass er sich einen Ruf erworben hatte. Dieser verbreitete sich jedoch meist nur mündlich und konnte mit der Zeit in Vergessenheit geraten.

Etwas zu recherchieren bedeutete, in die Bibliothek zu gehen und Bücher und alte Zeitungen zu durchstöbern. Hier konnte man etwas über die Welt außerhalb der eigenen Gemeinschaft erfahren, darunter Publikationen, Organisationen und andere Menschen und Orte.

In jedem Haus gab es eine riesige Büchersammlung. Ein Blick auf die Titel verriet viel über die Interessen, die Bildung und den sozialen Status der Hausbewohner. Kinder lasen beim Frühstück die Verpackungen der Cornflakes.

Wenn man Musik hören wollte, konnte man die Top 40 im Radio hören, einen bestimmten Sender suchen oder in einen Plattenladen gehen und dort stöbern. Man kaufte die Schallplatte und legte sie auf den Plattenspieler, aber die Musik lief nur etwa eine halbe Stunde, dann musste man aufstehen und die Platte wechseln.

Das Hörerlebnis war durch das verfügbare Angebot begrenzt und die Schallplatten nahmen viel Platz weg. Zudem nutzten sie sich ab, bekamen Kratzer oder sprangen.

Da es noch keine „digitalen Nomaden“ gab, waren alle entweder zu Hause und gingen ihren privaten Tätigkeiten nach, oder sie waren im Büro und erledigten ihre Arbeit. Der Ort, an dem man sich befand, bestimmte, was man tat.

Blickkontakt verschwindet, Aufmerksamkeit schrumpft

Der Unterschied zu heute ist spürbar und offenkundig.

Wenn Menschen am Flughafen warten, im Zug sitzen oder sogar im Park sind, ist offensichtlich, dass sie alle woanders sind. Sie starren alle auf einen kleinen Bildschirm in ihren Händen, der ihnen in jedem Augenblick sagt, was gerade los ist.

Die Menschen meiden Blickkontakt. Visuelle Reize spielen kaum noch eine Rolle, da ohnehin niemand den anderen ansieht. Den Blick vom Smartphone hebt man nur so lange, um etwas zu erledigen – und kehrt dann sofort wieder zum Scrollen zurück. Die Aufmerksamkeitsspanne ist auf wenige Minuten oder gar Sekunden geschrumpft. Ich bezweifle stark, dass heute viele Menschen tatsächlich noch Bücher lesen.

Es wäre absurd zu behaupten, das digitale Zeitalter habe keine Vorteile mit sich gebracht. Ich kann täglich für ein breites Publikum schreiben und Inhalte aus aller Welt lesen. Durch Print-on-Demand sind die Kosten für die Veröffentlichung von Büchern drastisch gesunken.

Die meisten Dinge kann ich online bestellen und erhalte sie innerhalb von ein oder zwei Tagen. Essen wird mir in weniger als einer Stunde nach Hause geliefert. Als ich ein Kind war, habe ich Cornflakes-Packungen gesammelt, eingeschickt und nach sechs bis acht Wochen – wenn überhaupt – ein Spielzeug erhalten. Die Welt von heute ist viel besser darin, uns schnell das zu liefern, was wir wollen – so gut, dass niemand mehr Geduld für irgendetwas hat.

Der hohe kulturelle Preis

Ich würde meine Rechnungen niemals online bezahlen wollen. Ich führe meine Zahlungsübersicht von Hand, so wie mein Vater es getan hat. Ich liebe Musikstreaming, weil ich damit alle Musikstücke vom 3.  Jahrhundert bis heute hören und Sender finden kann, die 100 Stunden lang ununterbrochen Musik spielen.

All das ist großartig, doch wir sollten uns nichts vormachen: Es hat einen enormen kulturellen Preis. Manchmal fühlt es sich an wie das Ende der Tage, wie eine Szene aus einem dystopischen Roman, in dem Privatsphäre, Autonomie, persönliche Begegnungen und grundlegende menschliche Werte für immer abhandengekommen sind.

Manchmal überkommt mich die Sehnsucht nach der analogen Vergangenheit und ich möchte zurück in diese Zeit. Ich weiß, dass es ein Luxus ist, nostalgisch zu sein, denn unsere Wünsche können und werden nicht in Erfüllung gehen. Also geben wir uns gewissermaßen einer selektiven Erinnerung hin. Wir erinnern uns an das analoge Zeitalter wie an das 19. Jahrhundert: Wir erinnern uns nur an die guten Komponisten, Bücher und Präsidenten und vergessen die schlechten.

Wird es jedoch jemals eine Zeit geben, in der das digitale Zeitalter zivilisiert wird? Werden wir jemals lernen, mit unseren neuen Werkzeugen so umzugehen, dass sie nicht unsere Familie, unsere Gemeinschaft und uns Menschen zerstören?

Ich weiß es nicht, aber diese Zeit kann nicht früh genug kommen. Denn der derzeitige Weg scheint mir untragbar und verhängnisvoll. Schauen Sie sich doch mal einen Film aus den 1950er-Jahren an und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung.

Dieser Artikel erschien im Original auf theepochtimes.com unter dem Titel „Nostalgia for the Pre-Digital Age“.  (deutsche Bearbeitung ee)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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