Balkanroute außer Kontrolle? Wie Schleuserbanden Europas Grenzpolitik umgehen

In Kürze:
Scharfe Grenzmaßnahmen treiben Migranten verstärkt in die Fänge von Schleusernetzwerken.
Konflikte eskalieren unter Schleusergruppen und Gewalt ist alltäglich geworden.
Entführungen als wachsendes Geschäftsmodell von Schleusern, denn Lösegeld bringt hohe Gewinne.
Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit der EU, die wächst.
Ungarn schützt die Außengrenzen der Europäischen Union mit einem Zaun – dort, wo Migranten versuchen, über die sogenannte Balkanroute in das Herz Europas zu gelangen. Auch die kroatische Grenzpolizei ist bemüht, mit verstärkter Präsenz und Patrouillen die illegalen Grenzübertritte zu verhindern. Die beiden Länder bilden somit das südliche Einfallstor der EU und Serbien ist gewissermaßen dessen Vorhof.
Grenzschützer, die für Europa an vorderster Front stehen, sehen sich einer wachsenden Welle der Gewalt ausgesetzt. Molotowcocktails fliegen und Gruppen bewaffneter Menschenschmuggler lagern unweit der serbisch-ungarischen Grenze.
Im Jahr 2024 brachte das entschlossene Eingreifen serbischer Sicherheitskräfte im Vorfeld der nationalen Wahlen eine kurze Atempause für die Grenzschützer. Doch hat sich laut der ungarischen Regierung der Migrationsdruck an der Grenze wieder erhöht.
Der Weg über die Balkanroute ist beschwerlich und gefährlich – und doch stellt er für viele die Hoffnung auf ein neues Leben in Westeuropa dar. Besonders Deutschland steht als Ziel auf der Wunschliste ganz weit oben. Wie hat sich die Balkanroute in den vergangenen Jahren verändert? Wo kommen die Menschen her, die sich 2025 auf den Weg machen? Und was für ein Sicherheitsrisiko bedeutet das für die EU?

Foto: iStock/Epoch Times
Vom Fluchtweg zum Verbrechensschauplatz
Die Balkanroute ist eine der wichtigsten Migrationsrouten für Migranten aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika, die in die EU gelangen wollen. Die Route bezieht sich auf verschiedene Strecken für die illegale Einreise in die Europäische Union, die über Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien führen.
In einem Lagebericht, den das mit Unterstützung der EU arbeitende Informationsportal „InfoMigrants“ im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte, wird deutlich: Die Balkanroute wird zunehmend zum Schauplatz organisierter Kriminalität. Je konsequenter die Behörden in den einzelnen EU-Staaten an den Grenzen vorgehen, desto bedeutender werden die Schleppernetzwerke. Immer mehr Migranten sind auf deren Hilfe angewiesen, denn ohne sie geht kaum noch etwas.
„Da die Grenzpolitik der Europäischen Union zunehmend restriktiver wird, werden Migranten gedrängt, gefährlichere und verborgene Wege zu wählen – Wege, die von professionellen kriminellen Netzwerken kontrolliert werden“, schreibt „InfoMigrants“ unter Berufung auf NGOs, die entlang der Route mit Migranten arbeiten.
Sowohl serbische als auch ungarische Beobachter berichten im Zusammenhang mit den aktuellen Entwicklungen, dass besonders afghanische Schleusergruppen entlang der Balkanroute aktiv sind. Diese Gruppen sind zudem häufig bewaffnet.

Im Januar dieses Jahres wurden in einer gemeinsamen Operation der serbischen und bulgarischen Polizei sieben afghanische Migranten festgenommen, bei denen Pistolen, Munition und automatische Schusswaffen gefunden wurden. Foto: Serbisches Innenministerium

Foto: Serbisches Innenministerium
Ungarische Sicherheitskräfte in Grenzregionen entdeckten in einem Fall im vergangenen Jahr auf dem Handy eines pakistanischen Migranten ein Video, das einen mit einem Maschinengewehr bewaffneten Schleuser auf der serbischen Grenzseite zeigt.
Az előbb találtuk egy szimpatikus pakisztáni fiatalembernél. A vége a lényeg. Újra szerveződött a csempész maffia a magyar határ túloldalán. pic.twitter.com/y51CXu2Shf
— A mezőőr (@AMezoor) September 24, 2024
Tödliche Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Schleusergruppen
Die Schleuser stellen nicht nur für die Grenzschützer eine Gefahr dar. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Schleusergruppen. Die Schüsse fallen dabei oft auf der serbischen Seite der ungarischen Grenze.
Der Chefberater für innere Sicherheit der ungarischen Regierung, György Bakondi, erklärte Ende Mai dieses Jahres, dass hinter den zunehmenden bewaffneten Auseinandersetzungen vor allem wirtschaftliche Gründe stehen. Afghanische Schleusergruppen haben die Preise deutlich erhöht. Da sich viele Migranten diese Beträge nicht mehr leisten können, seien inzwischen auch Schleusergruppen von Marokkanern, Libyern oder Syrern aufgetaucht, die den Grenzübertritt zu niedrigeren Preisen anbieten.
Schon in den vergangenen Jahren kam es regelmäßig zu Schusswechseln zwischen rivalisierenden Schleuserbanden, vereinzelt auch zu Sprengstoffanschlägen. Bewohner von serbischen Orten nahe der Grenze berichteten von grausamen Funden. Erschossene Afghanen wurden in manchen Fällen auch auf privaten Grundstücken entdeckt, wie ein serbischer Imker dem ungarischen Fernsehteam von „Akta“ schilderte.
Wenn Migranten zu Opfern ihrer Schleuser werden
Serbische Investigativjournalisten deckten vor Kurzem auch auf, dass afghanische Gruppen zunehmend gezielt auf Entführungen setzen, um an mehr Geld zu kommen. Dabei nehmen sie Migranten als Geiseln, foltern sie und filmen die Misshandlungen. Mit diesen Videos erpressen sie anschließend hohe Summen – oft mehrere tausend Euro – von Familienangehörigen, die sich bereits in Westeuropa aufhalten.
Die Recherchen stammen von den Journalisten Saša Dragojlo und Tommi Siviero, die für das serbische Investigativportal „BIRN“ arbeiten. Sie veröffentlichten ihre Erkenntnisse inklusive Videobeweisen im April 2025 auf der Plattform „Balkan Insight“.

Die medizinische Versorgung der Migranten auf der Balkanroute wird oft von karitativen Organisationen übernommen – dort, wo und wie es gerade möglich ist. Auf dem Bild versorgt eine Krankenschwester des Roten Kreuzes einen Migranten medizinisch im Dorf Tržac bei Bihać, Bosnien und Herzegowina, am 8. November 2023. Foto: Damir Sencar/AFP via Getty Images
Das in der investigativen Reportage aufgedeckte Schleuser- und Entführungsnetzwerk BWK ist demnach besonders aktiv im Nachbarland Serbiens, in Bosnien und Herzegowina. Adnan Beganovic, Sprecher des Innenministeriums im bosnischen Kanton Una-Sana, erklärte gegenüber „BIRN“, dass die Banden gezielt Personen auswählten, „von denen sie glauben, dass sie aus wohlhabenderen Familien stammen“.
„Sie nehmen sie gefangen, misshandeln sie körperlich, fesseln sie, bedrohen und erpressen sie, bis die Opfer gezwungen sind, eine Telefonnummer preiszugeben, also den Kontakt zu Verwandten herzustellen, um ein Lösegeld zu fordern. Andernfalls drohen sie mit weiterer Gewalt“, sagte Beganovic im Interview mit „BIRN“. Die Banden verlangen dabei bis zu 6.000 Euro pro Person.
Eine „unvorhersehbare Bedrohung“ für die Europäische Union
Der ungarische Sicherheitsberater Bakondi sagte, er gehe davon aus, dass die afghanische Schleuserbande enge Verbindungen zur Taliban-Führung in Afghanistan unterhalte.
„Es ist schwer vorstellbar, dass ein derart weitverzweigtes, kontinentübergreifende Schleusernetzwerk ohne das Wissen und die Unterstützung des Taliban-Regimes betrieben und finanziert werden kann“, erklärte der Sicherheitsexperte.
Er fügte hinzu, dass dies eine „unvorhersehbare Bedrohung“ für die öffentliche Sicherheit der EU darstelle, insbesondere dann, wenn letztlich der afghanische Geheimdienst darüber entscheidet, wer von den illegalen Migranten tatsächlich in die Europäische Union gelangen könne.

Ungarische Grenzpolizisten patrouillieren an der ungarisch-serbischen Grenze in der Nähe des Dorfes Kelebia, das im südlichen Ungarn liegt, unweit der Stadt Subotica auf serbischer Seite am 15. Dezember 2022. Die Region gehört zu den wichtigsten Brennpunkten entlang der Balkanroute. Foto: Attila Kisbenedek/AFP via Getty Images
Der Sicherheitsberater sagte zudem, dass sich in Afrika neue Migrationsbewegungen in Richtung Europa formieren. Die ungarische Regierung sei davon überzeugt, dass die bisherige Migrationspolitik der EU auf diese wachsenden Herausforderungen keine angemessene Antwort biete.
„Es muss alles darangesetzt werden, dass die Europäische Union bei der Ausarbeitung von Strategien und Maßnahmen von den Interessen der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger ausgeht“, so der Berater.
Ungarn steht aufgrund seiner Migrationspolitik derzeit auf der schwarzen Liste der EU. Im Juni 2024 verurteilte der Europäische Gerichtshof das Land zur Zahlung einer pauschalen Geldstrafe von 200 Millionen Euro sowie zu einem Zwangsgeld in Höhe von 1 Million Euro für jeden weiteren Tag des Verzugs. Hintergrund ist, dass Ungarn laut dem Urteil wiederholt gegen das EU-Asylrecht verstoßen habe, unter anderem indem es den Zugang zu Asylverfahren stark einschränkte und Asylsuchende trotz laufender Rechtsmittelverfahren abschob. Da Ungarn seine Praxis seither nicht geändert hat, sind die Strafzahlungen weiterhin fällig.
Afghanen, Ägypter und Schwarzafrikaner bestimmen das Bild an der Balkanroute
Laut Bakondi nimmt der Migrationsdruck derzeit spürbar zu. Besonders an der ungarischen Grenze sei die Entwicklung messbar. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 7.320 illegale Grenzübertritte registriert – im Vergleich zu 1.880 im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Unter den Migranten, die über diese Route kommen, stellen dem Berater zufolge derzeit Afghanen, Ägypter, Sudanesen und Menschen aus Schwarzafrika die überwiegende Mehrheit dar.
Die Lage wird jedoch dadurch verkompliziert, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Zahlenangaben gibt. So berichtet etwa Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, von abweichenden Trends. Auch diese Behörde erstellt regelmäßig Übersichten zu den wichtigsten Routen, die von Menschenschmugglern genutzt werden, um Migranten nach Europa zu bringen.

Viele Migranten suchen unterwegs Unterschlupf in verlassenen Häusern. Auf dem Bild schlafen Migranten in einem baufälligen Haus im serbischen Dorf Majdan – nahe der Grenze zu Ungarn und Rumänien am 21. Mai 2021. Foto: Oliver Bunic / AFP via Getty Images
In ihrem aktuellen Halbjahresbericht erkennt Frontex im Gegensatz zu den von der ungarischen Regierung beobachteten Entwicklungen einen Rückgang der Grenzüberschreitungen. Im Vergleich zum ersten Halbjahr des Vorjahres berichtet sie von einem Rückgang um 53 Prozent auf der Balkanroute.
Auch melden ungarische Bürgerwehren, die in den Grenzregionen aktiv sind, höhere Zahlen an Grenzüberschreitungen als die offiziellen ungarischen Regierungsdaten.
Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, verlässliche Schätzungen abzugeben, zumal keine der beteiligten Seiten genau sagen kann, wie viele Personen tatsächlich unentdeckt die Grenze überquert haben. Denn Grundlage sämtlicher Zahlen ist stets nur die Zahl derjenigen, die aufgegriffen wurden.
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