Ein herber Rückschlag für Orbán? Die Budapest Pride als Symbol einer möglichen politischen Wende

In Kürze:
Orbán setzt auf Konfrontation: Angespornt vom Wahlsieg Donald Trumps sagt er dem Pride-Protest den Kampf an, doch eine breite Allianz stellt sich ihm entgegen.
Trotz Verbot ein Massenereignis: Hunderttausende demonstrieren, während die Regierung den Protest kurioserweise als Erfolg sieht.
2026 wird zur Nagelprobe: In Ungarn stehen Wahlen an und viele fragen sich: War das der Anfang vom Ende für Orbán?
Der politische Schaden, den der ungarische Premierminister durch die diesjährige Pride-Demonstration in Budapest erlitten hat, ist für viele Beobachter nicht mehr zu leugnen. Orbán wollte die Veranstaltung am vergangenen Juni-Wochenende verbieten – am Ende wurde sie zur größten ihrer Art in der Geschichte Ungarns. Für seine Kritiker war dies ein Wendepunkt, der Hoffnung auf einen Regierungswechsel im nächsten Jahr macht. Stellte die Budapest Pride für Orbán einen Gesichtsverlust dar oder sogar mehr?
Die jährlich organisierte Pride-Veranstaltung wird seit drei Jahrzehnten abgehalten. Doch in diesem Jahr betonten viele Teilnehmer, dass es um mehr ging als um Solidarität mit der LGBTQ-Gemeinschaft und Rechte für sexuelle Minderheiten, nämlich auch um die Verteidigung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Ungarn an sich.
Viele der Demonstranten äußerten zudem ihre Unzufriedenheit mit der Regierung von Orbán, insbesondere im Hinblick auf Korruptionsvorwürfe und angeblichen Machtmissbrauch. Zudem beteiligten sich Gruppen, die eine stärkere Anbindung Ungarns an die Europäische Union befürworten oder ihre Solidarität mit der Ukraine zum Ausdruck bringen wollten.
Daher gingen nun auch Menschen auf die Straße, die zuvor nie an ähnlichen Veranstaltungen teilgenommen hatten. Teilnehmer kamen auch aus dem europäischen Ausland, darunter Dutzende Abgeordnete des Europäischen Parlaments sowie die Bürgermeister von europäischen Großstädten wie Barcelona und Amsterdam.

Die Budapester Pride wurde von vielen als Demonstration gegen die Regierung interpretiert, nachdem Ministerpräsident Viktor Orbán die legale Durchführung der Veranstaltung untersagt hatte. Foto: Janos Kummer/Getty Images
Orbáns Kampf gegen die liberale „Finanz- und Machtmaschine“
Auslöser für das große Interesse bei der Budapest Pride war unter anderem eine Aussage Orbáns in seiner Rede zur Lage der Nation im Februar 2025. Nicht lange nach der Amtseinführung des US-Präsidenten Donald Trump sagte er: „Ich rate den Veranstaltern der Pride, dieses Jahr auf die Planung zu verzichten. Das wäre verlorene Zeit und Geld.“
In seiner Rede im Februar sprach er auch darüber, wie die linksliberale Elite Einfluss auf die ungarische Politik nehme und sich die Woke-Ideologie in Ungarn durch aus dem Ausland finanzierte NGOs verbreite.
Diese „Finanz- und Machtmaschine“ trete „im Namen von Toleranz, Vielfalt, Sensibilisierung, Zivilgesellschaft, Chancengleichheit und Rechtsstaatlichkeit“ auf, so Orbán. Sie diene aber in Wirklichkeit ganz anderen Zwecken. Sie sei „geschaffen worden, um die Freiheit und Unabhängigkeit der Nationen zu zermalmen“.
Die ungarische oppositionsnahe Presse schrieb, dass sich Orbán „offensichtlich auf diejenigen in- und ausländischen Akteure bezieht, die das Handeln der ungarischen Regierung kritisieren und mit ihrem illiberalen Ansatz in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht einverstanden sind“.
In Interviews und öffentlichen Aussagen kritisierten Orbán und seine Verbündeten regelmäßig auch die LGBTQ+-Bewegung, Genderprogramme an Schulen sowie die politische Korrektheit in EU-Institutionen – und stellten sich dabei als Verteidiger traditioneller Werte, der Familie sowie der nationalen Identität und Souveränität dar.
Proteste laufen schon seit Monaten
Orbán kündigte Ende Februar an, Gesetze gegen den sogenannten liberalen Einfluss zu erlassen oder zu verstärken.
Ein neues vom Parlament im Schnelldurchgang am 28. März verabschiedetes Gesetz erlaubt es nun, öffentliche LGBTQ+- und ähnliche Veranstaltungen zu verbieten und Teilnehmer mithilfe von Gesichtserkennung zu identifizieren. Teilnehmer können mit hohen Geldstrafen und Veranstalter mit bis zu einem Jahr Gefängnis verurteilt werden. Als Ziel nannte die Regierung, „Kinder vor aggressiver LGBTQ-Propaganda zu schützen“.
Seit Mitte März demonstrieren daher Hunderte, manchmal sogar Tausende wöchentlich, angeführt von Oppositionsparteien und dem unabhängigen Abgeordneten Ákos Hadházy, gegen den Kurs der Regierung.
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Laut Hadházy richten sich die Proteste nicht nur gegen die Einschränkungen von LGBTQ+-Veranstaltungen, sondern auch gegen die Möglichkeit der Regierung, die politische Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Ungarn beschneiden zu können. Hadházy sprach von einer drohenden „totalen Überwachung“, wie sie bereits in China herrsche.

Es beteiligten sich auch Gruppen an der Pride-Parade, die eine stärkere Anbindung Ungarns an die Europäische Union befürworten. Foto: Attila Kisbenedek/Afp via Getty Images
Unterstützung vom Bürgermeister, Ermutigung aus Brüssel
Die Organisatoren der Pride-Veranstaltung stießen schon bei der Anmeldung bei der Polizei auf Schwierigkeiten. Eine Wendung trat jedoch ein, als Gergely Karácsony, der Bürgermeister von Budapest, zwölf Tage vor dem ursprünglich geplanten Datum der Budapest Pride die Organisation selbst in die Hand nahm. Er erklärte, dass die Pride-Demonstration nicht unter das Versammlungsgesetz falle, da sie als eine offizielle von der Stadtverwaltung Budapest organisierte Veranstaltung durchgeführt werde.

Gergely Karácsony, Oberbürgermeister von Budapest, spricht während der Budapest Pride auf der Bühne –zusammen mit EU-Vertretern und Bürgermeistern europäischer Städte. Foto: Janos Kummer/Getty Images
Karácsony ist seit 2019 Oberbürgermeister von Budapest – gewählt mit der Unterstützung mehrerer linker Oppositionsparteien. Auch wenn er sich selbst als unabhängig positioniert, wird er in Ungarn, insbesondere von der Regierung und regierungsnahen Medien, klar dem linken Lager zugeordnet. Die Orbán-Regierung bezeichnete ihn nach der Veranstaltung als eine Marionette Brüssels, die nur einen Befehl ausgeführt habe, nämlich in Budapest die Budapest Pride zu organisieren.
Karácsonys Haltung, kombiniert mit der ausdrücklichen Unterstützung aus Brüssel, dürfte in der Tat vielen Unentschlossenen Mut gemacht haben. Denn nur wenige Tage vor der Veranstaltung sicherte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Teilnehmern öffentlich ihre Unterstützung zu: „In Europa ist das Demonstrieren für die eigenen Rechte eine grundlegende Freiheit.“ Sie erklärte zudem: „Ich fordere die ungarischen Behörden auf, die Budapest Pride ohne die Gefahr strafrechtlicher oder verwaltungsrechtlicher Sanktionen gegen Organisatoren oder Teilnehmer zuzulassen.“
Wie reagiert die Regierung?
An der Pride-Demonstration nahmen laut den Veranstaltern dann schließlich bis zu 200.000 Menschen teil, wobei sonst 30.000 bis 40.000 üblich sind. Medien sprachen von 100.000 Teilnehmern. Kurz nach der Veranstaltung sagte Orbán, was er gesehen habe, sei für ihn keine Quelle des Stolzes, sondern eher eine Art moralischer Niedergang. „Wenn ich [zu Hause] in Felcsút wäre, würde ich es eine Schande nennen.“
Er erwähnte, dass Ungarn in dieser Frage bereits klar entschieden habe, da im Jahr 2022 parallel zu den Parlamentswahlen ein Referendum über LGBTQ-Themen abgehalten worden sei. Bei diesem, so Orbán, hätten 3,7 Millionen Bürger „Nein“ gesagt zu dem, was „die Pride repräsentiert“. „Und 190.000 Menschen – ich nehme an, dass sie jetzt auf der Straße waren – haben gesagt, dass sie dies wünschen. Das ist ein gutes Zahlenverhältnis, es sollte so bleiben“, so Orbán.
Der Premierminister führte weiter aus, dass aus seiner Sicht „in Brüssel der Befehl gegeben wurde, dass eine Pride stattfinden müsse“, woraufhin man die passenden Organisatoren fand. Die Stadtverwaltung setzte das Ganze um und die Anhänger der Opposition stellten sich geschlossen dahinter.
Abschließend warnte er, dass „ohne eine nationale Regierung“ auch in anderen Fragen wie Migration oder der Unterstützung für die Ukraine eine ähnliche Einflussnahme aus Brüssel drohen könne.
Gergely Gulyás, der Kanzleramtsminister, bewertete die Ereignisse bei einer Pressekonferenz am 3. Juli. Der Minister erklärte, es sei inhaltlich nicht nachvollziehbar, ob die Pride-Veranstaltung „gut gelungen“ sei. „Meiner Meinung nach kann eine Pride nicht gut gelingen“, sagte Gulyás.
Er sei überzeugt, dass wahrscheinlich weniger Menschen gekommen wären, wenn das Verbotsgesetz nicht in Kraft gewesen wäre. Gleichzeitig fügte er jedoch hinzu, dass der Pride-Protest zurückhaltender verlaufen sei, als er es ohne das Gesetz gewesen wäre, und wertete dies als Erfolg.
Der Minister betonte zudem, dass die Prinzipien der Regierung richtig seien und dass es ebenfalls richtig sei, diese mit Mitteln durchzusetzen, die in zivilisierten Gesellschaften akzeptabel sind.
Ist Orbáns Mehrheit bei den nächsten Wahlen in Gefahr?
Politischen Beobachtern zufolge hat der Ministerpräsident durch die gegen seinen Willen erfolgte Durchführung der Budapest Pride einen erheblichen Prestigeverlust erlitten. Dies sei vor den bevorstehenden Parlamentswahlen 2026 ein ernst zu nehmendes Signal.
Mit Blick auf die Wahlen sieht auch die Opposition in dem Ereignis einen herben Rückschlag für die Regierung. Orbáns in den aktuellen Umfragen größter Herausforderer Péter Magyar bezeichnete den Regierungschef auf Facebook sogar als „scheidenden Premier“ und sagte: „Wenn ich regiere, droht nicht ehrlichen Bürgern das Gefängnis, sondern kriminellen Politikern und ihren Oligarchen.“
Magyar selbst nahm jedoch nicht an der Demonstration teil. Nicht alle seine Anhänger lehnen Einschränkungen gegen den Pride-Protest ab. Er erklärte, dass er mit seiner Partei TISZA für ein Land arbeite, in dem es nicht darauf ankomme, wo jemand geboren wurde, wo er aufgewachsen sei, woran er glaube oder wen er liebe, sondern was er für seine Gemeinschaft, seine Mitmenschen und sein Land leiste.
Zum Thema Pride-Demonstration erklärten mehrere Experten gegenüber der linksgerichteten Zeitung „Népszava“, dass Orbán die Situation falsch eingeschätzt habe. Ihrer Meinung nach suche die Regierung mit aller Kraft nach dem „entscheidenden, zentralen Thema, mit dem sie die Wahl gewinnen kann. Doch die Budapest Pride erwies sich aus Regierungssicht als schlechtes Thema, es brachte keinen Durchbruch. Im Gegenteil“, sagte der Politologe Attila Ágh der Zeitung.
Das Ergebnis davon sei, dass seit Ende der kommunistischen Herrschaft in Ungarn 1989 noch „nie jemand so deutlich bewiesen hat, wie wenig die Staatsgewalt funktioniert“, stellte der Politologe Zoltán Somogyi fest. Er spielte darauf an, dass die Regierung angekündigt hatte, die Pride-Versammlung sei unter Strafandrohung verboten. „Stattdessen hat die Polizei jedoch nur die Demonstration gesichert.“
Wird es Strafverfahren geben?
Während der Veranstaltung wurden Kameras mit Gesichtserkennungssoftware eingesetzt. Orbán selbst erklärte einige Tage nach der Parade, die „Gesetze seien bekannt, die Beurteilung sei Aufgabe der Behörden, nicht der Politik“.
Bürgermeister Karácsony schrieb auf Facebook: „Ich habe es gesagt und ich stehe dazu: Niemand darf benachteiligt werden, weil er für seine und andere Freiheiten eingetreten ist. Das garantiere ich.“
Trotzdem wurden bereits gegen mehrere Personen Verfahren eingeleitet, darunter auch gegen Karácsony. Die Ermittlungen wurden jedoch auf Grundlage konkreter Strafanzeigen von Privatpersonen aufgenommen. Im Fall des Oberbürgermeisters etwa liegt eine Anzeige der rechtsgerichteten Partei Unsere Heimat vor.
Die Polizei veröffentlichte jedoch schließlich am 7. Juli eine Mitteilung, in der sie erklärte, dass die Veranstaltung zwar von der Polizei verboten worden sei, „widersprüchliche Erklärungen und das Engagement der Kommunalverwaltung jedoch bei vielen zu Unsicherheiten in der rechtlichen Auslegung geführt haben könnten. Sie konnten deswegen davon ausgehen, dass sie unter Einhaltung der geltenden Vorschriften an der Veranstaltung teilnehmen.“
Daher werde die Polizei letztlich kein Verfahren gegen die Teilnehmer einleiten.
Unterdessen gehen die regierungskritischen Proteste jeden Dienstag in Budapest unter der Führung des Abgeordneten Hadházy weiter.
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