EU-Kommissarin sagt Treffen mit türkischem Außenminister ab

Die EU versucht im Hinblick auf die Beziehungen zu Ankara einen Balanceakt. Einerseits fordert sie die Einhaltung demokratischer Werte, andererseits will die EU ihre wirtschaftlichen Beziehungen zur Türkei vertiefen. Wie reagiert sie auf die Massenproteste und Verhaftungen?
Trotz Repressionen der Staatsgewalt: Die Straßenproteste in der Türkei reißen nicht ab.
Trotz Repressionen der Staatsgewalt: Die Straßenproteste in der Türkei reißen nicht ab.Foto: Francisco Seco/AP/dpa
Von 3. April 2025

Nach der Festnahme des Oppositionspolitikers Ekrem Imamoğlu in der Türkei überdenkt die EU ihre Zusammenarbeit mit dem Land.

„Angesichts der jüngsten besorgniserregenden Entwicklungen müssen wir unser Engagement sorgfältig neu kalibrieren“, erklärte Markus Lammert, Sprecher der EU. Die Türkei bleibe jedoch ein strategisch wichtiger Partner.

Die EU wolle die Türkei „in europäischen Werten verankert sehen“, erklärte Lammert. Gleichzeitig werde man weiterhin auf die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien drängen.

Erstmals seit sechs Jahren treffen sich heute hochrangige Vertreter aus Brüssel und Ankara, um über wirtschaftliche Beziehungen zu sprechen. Der türkische Finanzminister Mehmet Simsek wird in Brüssel erwartet.

EU-Kommissarin sagt Treffen mit türkischem Außenminister ab

Als Reaktion auf die Festnahme sagte EU-Kommissarin Marta Kos ihr Treffen mit Außenminister Hakan Fidan beim Antalya Diplomacy Forum im April ab.

„Die Verhaftung eines gewählten Oppositionsführers kurz nach seiner Ankündigung, für die Präsidentschaft des Landes zu kandidieren, wirft ernste Fragen zur Einmischung der Justiz auf“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung mit der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas.

Darin kritisierte sie die Inhaftierung von İmamoğlu sowie die Anklagen gegen gewählte Amtsträger, Aktivisten, Vertreter der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft, Journalisten und andere. Diese Entwicklungen stellten das Engagement der Türkei für Demokratie infrage.

Die Türkei, EU-Beitrittskandidat und Mitglied des Europarats, müsse höchste demokratische Standards einhalten und umsetzen, darunter Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit sowie freie und faire Wahlen, so Kos.

Gesichtserkennung, Internet gedrosselt

Um die Massenproteste einzudämmen, setzt Ankara zunehmend auf Überwachungstechnologien: Demonstranten werden mittels Gesichtserkennung identifiziert, das Internet gedrosselt.

Die Sicherheitskräfte hätten ihre IT-Fähigkeiten erheblich ausgebaut, so Orhan Sener, Fachmann für digitale Technologien.

„Während der Gezi-Bewegung dominierten die Demonstranten die sozialen Netzwerke und die Polizei war nicht in der Lage, sie zu identifizieren“, sagt Sener.

Wenn du heute in der Türkei an einer Demonstration teilnimmst, wird dein Gesicht von einer Kamera erkannt und das System gleicht es mit deinem Profil in den sozialen Netzwerken ab.“

Rund 2.000 Menschen wurden bei den Protesten festgenommen. Viele weitere holte die Polizei später anhand der Fotos oder Videos aus ihren Wohnungen. Der Vorwurf: Teilnahme an einer verbotenen Demonstration. Auch Journalisten und den Fotografen Yasin Akgül von der Nachrichtenagentur AFP machten die Behörden auf diese Weise ausfindig.

Um nicht erkannt zu werden, verdecken viele Menschen ihr Gesicht mit Masken, Schals oder Mützen. In Istanbul forderte die Polizei sie immer wieder auf, ihr Gesicht zu zeigen. Wer sich weigerte, durfte nicht weitergehen, wie AFP-Reporter beobachteten.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan bezeichnet die Demonstrationen als „Straßenterror“ und wirft den Teilnehmern vor, eine Moschee angegriffen und einen Friedhof geschändet zu haben – was die Opposition bestreitet.

„Autoritäre Regime wissen inzwischen, wie sie das Internet zu ihrem Vorteil nutzen können“,  sagt Sener. „Sie haben einen Weg gefunden, es zu zensieren. Vor allem aber nutzen sie es für ihre Propaganda.“

Nach İmamoğlus Verhaftung drosselten die Behörden zunächst die Internetbandbreite in Istanbul, soziale Netzwerke waren 42 Stunden lang nicht erreichbar. Zudem forderten sie die Plattform X auf, über 700 oppositionelle Konten zu sperren.

„Es gab keine gerichtliche Entscheidung zur Reduzierung der Bandbreite oder zur Sperrung von X-Konten. Diese Maßnahmen waren willkürlich“, kritisiert der Jurist Yaman Akdeniz, Vorsitzender der türkischen Vereinigung für Meinungsfreiheit.

Neues Gesetz in Vorbereitung: Apps sollen Identität der Nutzer liefern

Ihm zufolge bereitet die Regierung ein Gesetz vor, das Messengerdienste wie WhatsApp, Signal und Telegram zwingen könnte, Büros in der Türkei zu eröffnen und die Identität ihrer Nutzer preiszugeben. „Wir bewegen uns auf einen Überwachungsstaat zu“, sagte Akdeniz.

Seit 2020 müssen Internetanbieter der Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologie (BTK) Daten über Onlineaktivitäten und die Identität von Internetnutzern liefern. Laut Gesetz darf die BTK diese Daten nur zwei Jahre lang speichern.

„Wir haben jedoch gesehen, dass zehn Jahre alte Daten während der Ermittlungen gegen den Istanbuler Bürgermeister an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurden“, sagt Akdeniz. „Diese Vorratsdatenspeicherung entgegen dem Gesetz öffnet willkürlichen Praktiken Tür und Tor.“

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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