Gamification im Ukraine-Krieg: 12 Bonuspunkte für einen toten Russen
In Kürze:
- Die Ukraine belohnt Drohnenpiloten mit Punkten für erfolgreiche Angriffe
- Punkte können in einem militärischen Onlineshop gegen Ausrüstung getauscht werden
- Ziel ist laut Kiew, Moral und Effizienz zu steigern – Kritiker sprechen von Entmenschlichung
Die Ukraine hat ein Belohnungssystem für Drohneneinheiten im Stil eines Videospiels eingeführt. Dies berichtete kürzlich exklusiv die britische Tageszeitung „The Guardian“. Soldaten werden für nachgewiesene Treffer russischer Ziele mit Punkten belohnt. Diese Punkte können zum Erwerb weiterer Drohnen und Ausrüstung bei einem Onlineshop eingelöst werden.
Die Ukraine nennt dieses Paradebeispiel für die zunehmende Automatisierung der Kriegsführung „Bonussystem der Drohnenarmee“. Es sei vor mehr als einem Jahr eingeführt worden, habe Mykhailo Fedorov, Minister für digitale Transformation, gegenüber dem „Guardian“ erklärt.
Das Drohnenkriegsspiel sei aber erst seit Kurzem zu einem Hit unter den ukrainischen Soldaten geworden. Hätten bis August dieses Jahres nur 95 Drohneneinheiten an dem „Wettbewerb“ teilgenommen, seien es inzwischen 400 Einheiten. Diese hätten im September nachweislich 18.000 russische Soldaten getötet oder verwundet.
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Wie das Bonussystem funktioniert
Für die Tötung eines russischen Infanteristen gibt es zwölf Punkte. Für die Tötung eines russischen Drohnenpiloten werden 25 Punkte vergeben. Für die Gefangennahme eines russischen Soldaten unter Einsatz einer Drohne gibt es die Höchstzahl von 120 Punkten, da man Kriegsgefangene austauschen kann.
Da das Bonussystem inzwischen offenbar die ursprünglichen Erwartungen übertrifft, wurde es nun auch bei der ukrainischen Artillerie eingeführt. Auch dort soll es Bonuspunkte für genaue Treffer geben. Gleiches gelte für Aufklärungseinheiten, wenn sie feindliche Truppenbewegungen oder russische Ziele erkennen.
Für die Aufklärer wurde das Taxiunternehmen Uber zum Vorbild. Aufklärungseinheiten erhalten Punkte für das, was sie als „Uber-Targeting“ bezeichnen, eine Anspielung auf die globale Taxi-App des Uber-Unternehmens.
„Sie setzen [nach Erkennung eines gegnerischen Ziels] einen Pin auf die Landkarte, so wie man das auf einer Uber-Karte für ein Taxi markieren würde“, erklärt der Minister. Dann wird eine Drohneneinheit oder die Artillerie oder die Luftwaffe informiert, die das Ziel ins Visier nimmt.
Logistik und autonome Systeme
Auch die Logistikeinheiten werden inzwischen mit Bonuspunkten belohnt, wenn sie selbst rasch erkennen, an welchem Frontabschnitt die kämpfenden Einheiten Nachschub benötigen. Dafür nutzen die ukrainischen Logistikeinheiten autonome Fahrzeuge oder Drohnen und vermeiden dadurch Verluste.
„Dank der Punkte beginnen wir besser zu verstehen, was auf dem Schlachtfeld vor sich geht“, erläutert Minister Fedorov. „Um Punkte zu erhalten, müssen [die Einheiten] eine Videobestätigung hochladen. So verstehen wir, welche Ziele getroffen werden, wo sie in Bezug auf die Kontaktlinie getroffen werden und welche Drohnen und andere Mittel eingesetzt werden.“
Die Zahl der russischen Opfer im September sei doppelt so hoch wie im Oktober 2024. Das führt die Militärführung in Kiew darauf zurück, dass die Belohnung für die Tötung russischer Infanteristen von sechs auf zwölf Punkte verdoppelt worden sei. Dadurch habe sich die Priorität unter den ukrainischen Drohnensoldaten verschoben, erzählt Fedorov weiter.
Mit anderen Worten: Es ist attraktiver geworden, Russen zu töten. Man könnte auch sagen, dass die Hemmschwelle ukrainischer Drohnensoldaten, einen Gegner zu töten, durch das Bonussystem gesenkt wurde.
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Wie bei Amazon
Die Punkte werden im Militäronlineshop „Brave1“ gegen weitere Waffen eingetauscht. Insider nennen „Brave1“ das „Amazon für den Krieg“. Mit dem Drohnenkampfspiel sei das Ziel verbunden, die Moral unter jungen Soldaten zu steigern, die Leistung auf dem Schlachtfeld zu verbessern und mehr Daten über den Gegner zu sammeln, erklärt Fedorov den eigentlichen Hintergrund der Spielidee.
„Das spielerische Drohnensystem der Ukraine verändert die Art und Weise, wie Soldaten Angriffe verfolgen und planen“, ist auch auf der Technikonlineplattform „Interesting Engineering“ zu erfahren.
Bereits vor zwei Jahren berichtete der „Guardian“ erstmals über ukrainische Drohnenpiloten, die ihre Aufgabe „wie ein Computerspiel“ wahrnähmen. Damals hätten die Drohnenpiloten ihre Fluggeräte jedoch noch selbst gebaut, mittels Materials, das sie online aus China per Post bestellt und dann zusammengesetzt hätten. Das ist heute nicht mehr nötig. Der Onlineshop „Brave1“ bietet fertige modernste Drohnenvarianten.
Fedorov geht davon aus, dass Russland „ein ähnliches gamifiziertes Modell übernehmen“ könnte. „Je mehr Infanteristen man tötet, desto mehr Drohnen bekommt man, um noch mehr Infanteristen zu töten. Das wird zu einer Art sich selbst verstärkendem Kreislauf“, erklärt Fedorov den Erfolg.
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„Es gibt keine Gefühle“
Offenkundig wird durch eine solche spielerische Variante Krieg vollkommen entmenschlicht. Der Gegner wird nur noch als „Charakter“ eines Videospiels wahrgenommen. Diesem Eindruck hält Fedorov entgegen: „Wir befinden uns seit vier Jahren in Folge im Krieg. […] Wir suchen nur nach Wegen, um effektiver zu sein. Wir betrachten dies einfach als Teil unserer täglichen Arbeit. Es gibt hier kaum emotionale Überlegungen. Es fühlt sich wie reine technische Arbeit an. Denn wenn man den Feind nicht aufhält, tötet er die Soldaten, und wenn die Soldaten tot sind, kommt er in die Stadt und erobert sie, zerstört sie und tötet die Zivilbevölkerung.“
Widerspruch in der Führung
Das Drohnenregiment „Achilles“ gilt als eine der zehn erfolgreichsten ukrainischen Drohneneinheiten. Der Regimentskommandeur Yuriy Fedorenko wehrt sich gegen den Begriff „Gamifizierung“ des Krieges.
Nicht immer stünden im Kampf die höchsten Bonuspunkte im Mittelpunkt. Manchmal erhalte er den Befehl, Ziele zu bekämpfen, für die es nur niedrige Punktzahlen gibt, weil dies im aktiven Kampfgeschehen nötig sei. Ein anderer Drohnenkommandeur, Andriy Poltoratskyi, wird hingegen mit einer gegenteiligen Aussage zitiert: „Die gesamte Einheit steht im Wettbewerb. Die Drohnenpiloten konkurrieren miteinander. […] Sogar die höchsten Kommandeure konkurrieren miteinander.“
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