Illegale Migration an EU-Außengrenze: Schusswechsel und Leichen – so arbeiten rivalisierende Schlepperbanden

Oft kommt es vor, dass mitten in der Nacht mehrere Schleusergruppen gleichzeitig aufbrechen. Mit Bolzenschneidern und Trennschleifern durchtrennen sie in Sekunden den Grenzzaun in Ungarn – die Grenzschützer dürfen keinen Moment zögern. Im zweiten Teil unserer Reportage erlebt unsere Reporterin, wie ein solcher Einsatz konkret abläuft.
Titelbild
An der EU-Grenze am ungarischen Grenzzaun: Auf dem Bild ist Sándor Nagy zu sehen, der seit zehn Jahren bei der Festnahme von Migranten mitwirkt.Foto: Epoch Times
Von 30. Juli 2025

Seit zehn Jahren leben die Einwohner von Ásotthalom im Ausnahmezustand. Professionelle Schleuserbanden organisieren eine Vielzahl von illegalen Grenzübergängen. Attila Balog ist Teil einer Bürgerwehr, die Höfe und Familien vor Ort schützt. Begegnungen an der Haustür mit illegalen Migranten sind oft an der Tagesordnung.

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Jetzt geht es mit einem lokalen Sicherheitsbeamten direkt an die Grenze. Ich stehe genau dort, wo Schleuser zuvor den doppelten Grenzzaun durchtrennten. Bürgerwehr und Beamte schildern, was passiert, wenn Schleuser aus Serbien einen neuen Versuch starten. In dieser Region griffen organisierte Banden bereits zu Schusswaffen. Wie läuft es ab, wenn ganze Gruppen durch Löcher im Zaun schlüpfen? Und können die lokalen Behörden und Grenzschützer überhaupt etwas dagegen tun?

Wir fahren zum Grenzzaun

Gegen 19 Uhr brechen wir auf – wir wollen zum Grenzzaun. „Springt rein“, ruft Sándor Nagy, der mit einem eindrucksvollen Ford Ranger und einem großen Gewehr bei Attila vorfährt.

Sándors Aufgabe als „Mezőőr“ sei vergleichbar mit der der Polizei, allerdings dürfe er nur im Gemeindegebiet tätig werden und überwache hauptsächlich landwirtschaftliche Flächen. Auch die Mezőőr-Einheiten arbeiteten eng mit der freiwilligen Gruppe von Attila und mit der Polizei sowie Grenzschützern zusammen. Offiziell werden Grenzschützer in Ungarn „Grenzjäger“ genannt.

Luftlinie sind wir nun etwa 3 Kilometer von der Grenze entfernt. Auf dem Weg dorthin frage ich mich, wie es wohl wäre, wenn jetzt gerade eine Migrantengruppe aus Serbien herüberkäme. Da ich zuvor schon gesehen habe, dass es manchmal auch zu Gewalt kommt, lässt meine Abenteuerlust langsam nach.

Sándor besitzt neben seiner Waffe auch Handschellen und darf Personen kontrollieren – ganz offiziell. „Wenn ein Migrant hierher kommt, betritt er unrechtmäßig ungarisches Staatsgebiet. Und für mich als Behörde gilt dann: Ich muss handeln“, sagt Sándor.

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass dieser große, vom Leben gezeichnete Mann vor zehn Jahren noch in einer Wohnung nahe Budapest lebte und in einer Druckerei arbeitete. Erst als ihr sechstes Kind geboren wurde, zogen sie nach Ásotthalom, auf einen riesigen Bauernhof mit 3 Hektar Land. Ab da änderte sich alles.

Während ich seiner Geschichte lausche, erreichen wir schließlich den Zaun – oder besser gesagt: die Zäune. Denn es gibt zwei davon. Dazwischen verläuft eine Straße, auf der Grenzschützer patrouillieren. Der äußere Zaun zur serbischen Seite ist deutlich stärker gesichert. In mehreren Reihen vom Boden gestapelt, erstreckt sich eine Armee von rasiermesserscharfen Drähten im Dauereinsatz. Der innere Zaun hat lediglich eine Reihe Stacheldraht am oberen Ende.

Die Grenzzäune zwischen Ungarn und Serbien. Foto: Epoch Times

Aus der Ferne wirkt das Ganze recht massiv. Doch als wir näherkommen, hält Sándor mehrmals an. Er zeigt mir die Stellen, an denen Schleuser regelmäßig Drähte durchtrennen. Man sieht die Spuren der Reparaturen – notdürftig geflickt, manchmal improvisiert. „Solange der Zaun offen ist – vor allem wenn sie ihn an mehreren Stellen gleichzeitig durchschneiden –, kommen deutlich mehr Migranten“, sagt Sándor.

Die Grenzzäune sind an mehreren Stellen beschädigt. Wir haben die Spuren der Reparaturen mehrere Male gesichtet. Foto: Epoch Times

Wenn Migranten kommen

Jetzt ist es still. Nicht einmal der Wind weht. Sándor meint, dass wir mittlerweile sicher schon von den Kameras der Polizei erfasst wurden – aber vermutlich wissen auch die Späher der Schleuser längst von unserer Anwesenheit.

„Die Späher sehen wir regelmäßig; oft mit Wärmebildkameras, aber manchmal auch mit bloßem Auge“, so Sándor.

Sándor erklärt, dass sogenannte „Schneider“ anrückten und den Zaun aufschnitten. Dahinter würden sich die Migranten sammeln – und nicht selten stünden hinter ihnen bewaffnete Schmuggler, die dafür sorgen, dass niemand umkehre. Manchmal bekämen es die Migranten mit der Angst zu tun, wenn sie Polizeisirenen hörten. Doch die Schmuggler würden sie weiter antreiben, solange sie eine Chance sähen.

Diese Aufnahme wurde von Sándor unmittelbar nach dem Aufschneiden eines Zauns Ende 2023 erstellt. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Sándor Nagy

Bewaffnet mit Flexgeräten schnitten und rissen sie den Zaun auf. Gleichzeitig warte auf der anderen Seite ein weiterer Schleuser, der sich ebenfalls in Bewegung setze. Auch er öffne einen Durchgang im Innenzaun – und die Gruppe ströme von dort ins umzäunte Wildgehege nebenan.

Dorthin könne ihnen niemand folgen, sagt Sándor, das Gebiet sei über 600 Hektar groß. Ohne Sondergenehmigung dürfen weder Polizei noch die Polgárőrség das Gelände betreten. Und genau das nutzen die Schleuser aus. Wir sehen sogar die Trampelpfade, die sie hinterlassen haben. Ganz in der Nähe, dort, wo wir gerade stehen, sind sie offenbar erst kürzlich hindurchgerannt.

Spuren zwischen dem Grenzzaun und dem Zaun des Wildgeheges. Foto: Epoch Times

In der Wildumzäunung haben die Betreiber Leitern angebracht, damit die Migranten den Zaun nicht immer wieder zerstören. Irgendwo im Schutz des Waldes tauchen sie dann wieder auf – wo genau, das kann niemand sagen.

Auf der linken Seite befindet sich der Grenzzaun, auf der rechten Seite der Wildpark und dessen Umzäunung. An mehreren Stellen sind Leitern wie auf dem Foto zu erkennen. Foto: Epoch Times

„Es kommt vor, dass sie in Ásotthalom ins Wildgehege reinlaufen und dann 15 Kilometer weiter erst wieder rauskommen“, sagt Sándor.

„So sieht die Lage heute aus – und das macht es so schwer, sie zu fassen.“ Sie versuchen es gleichzeitig an mehreren Stellen, in mehreren Gruppen. Und während die Grenztruppen an einem Ort noch reagieren, ist die nächste Gruppe schon durch.

„So viele Gruppen kommen, dass selbst die Hunde die Spuren verlieren“, meint Sándor. Seiner Einschätzung nach ist es derzeit aber vergleichsweise ruhig. Das sei jetzt die neue Taktik – leise, fast unbemerkt, in kleinen Gruppen. „Bloß nicht auffallen.“

Noch vor zwei bis drei Jahren sei das ganz anders gewesen. Damals kamen sie mit Leitern, oft aggressiv. „Sie haben uns nicht nur mit Leitern beworfen, sondern auch mit Steinen, Eisenstangen, Glasflaschen“, sagt Sándor. „Manchmal sogar mit Urin und Kot, den sie in Flaschen oder Beuteln gesammelt hatten, alles Mögliche.“

Frische Spuren von Astwürfen sehe ich auch heute – Äste und Kleidungsstücke hängen im Stacheldraht.

Kleidung, die am Grenzzaun hängen geblieben ist. Foto: Epoch Times

Mit Ästen wie diesem werden Grenzschutzbeamte beworfen. Foto: Epoch Times

Während wir inzwischen etwa eine halbe Stunde dort sind, rast ein Fahrzeug der Grenzpolizei an uns vorbei. Alle Fenster und auch die Windschutzscheibe sind vergittert – Schutz vor möglichen Angriffen. Ein Foto zu machen wird mir verboten.

„Ich stand vor Kurzem direkt auf dieser Seite des Zauns und sah, wie ein Schmuggler ihn aufschneidet. Ein Polizist kam auf ihn zu – da sagt der Schmuggler nur: ‚No gas, no problem.‘ Wenn also die Polizei kein Tränengas benutze, werde er nicht aggressiv auftreten. Als wolle der Schleuser selbst bestimmen, was passiert, erzählt Sándor.

Sándor und seine Kollegen beobachten die Schleuser oft mithilfe von Wärmebildkameras. Bei einer solchen Aktion entstand die folgende Aufnahme, auf der gut zu erkennen ist, wie auf beiden Seiten des Grenzzauns Schleuser den Weg für die Migranten vorbereiten.

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Alltag zwischen Angst, Gewalt und Resignation

Je dunkler es wird, desto häufiger sind Geräusche zu hören. Sándor bleibt bei jedem Knacken wachsam, doch niemand taucht auf. Er erinnert sich daran, dass vor einigen Jahren selbst das Auto eines Journalisten angegriffen wurde, als er diesen begleitete. Doch ausgerechnet in solchen Momenten, wenn Presse dabei sei, tauchen die Gruppen nur selten auf.

Sándor betont auch, dass der Zaun die Menschen nicht dauerhaft aufhalte. Wer es ernst meine mit dem Übertritt, versuche es so oft, bis es klappt. Werde jemand aufgegriffen, bringen ihn die Behörden zurück nach Serbien – von dort aus sollten die Migranten laut Abkommen weiter Richtung Bulgarien oder Nordmazedonien abgeschoben werden.

„Doch in der Praxis tauchen dieselben Personen häufig schon Stunden später wieder auf“, so Sándor.

Einmal sagte ihm ein Mann aus Indien, er sei bereits zum zwölften Mal festgenommen worden. „Ja, auch aus Indien kommen welche“, sagte Sándor zu meiner Überraschung. Abgesehen von den Arabern kämen inzwischen zudem auch immer mehr Menschen aus Ländern wie China oder Nepal, erklärt er weiter.

Die Arbeit an der Grenze gleiche einem endlosen Kreislauf. In den vergangenen Jahren haben Sándor und sein Team zahlreiche Schlepper gefasst – Hunderte insgesamt. Mindestens einhundert von ihnen kamen infolge ihrer Arbeit tatsächlich ins Gefängnis. Sie wurden später aber freigelassen – mit der Aufforderung, das Land zu verlassen. Auch heute würden Schlepper nach einer Festnahme lediglich zurück nach Serbien gebracht, so Sándor.

Diejenigen, die gefasst werden, werden nach Serbien zurückgebracht, von wo aus sie theoretisch in Richtung Süden abgeschoben werden sollen. Das Foto wurde während einer Einsatzaktion im August 2024 aufgenommen. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Sándor Nagy

Es gibt noch vieles zu erzählen

Als es dunkler wird, rast ein weiteres Einsatzfahrzeug der „Grenzjäger“ zwischen den beiden Zaunreihen vorbei. Über eine Stunde war seit dem letzten vergangen. Die Überwachung eines mehr als 165 Kilometer langen Gebietes ist sicherlich keine einfache Aufgabe, wie ich mir vorstellen kann.

Auf dem Rückweg kommen wir an Sándors Hof vorbei. Vor Kurzem hat er sich mehrere riesige zentralasiatische Schäferhunde angeschafft – Hunde, so groß wie Bären, wie er sagt. Immer wieder betreten Migranten unbemerkt sein Grundstück, auch seine acht Kinder haben solche Situationen bereits mehrfach erlebt. Oft seien seine Kinder illegalen Migranten direkt vor der Haustür begegnet. Schließlich zäunte er das gesamte drei Hektar große Anwesen ein. Doch selbst das hält einige nicht ab.

Einmal raste ein Schlepperfahrzeug auf den Hof, erkannte seinen Irrtum und versuchte zu fliehen – dabei fuhr es über alles, was sich ihm in den Weg stellte. Erst kürzlich hatten sich Migranten in einem seiner Nebengebäude verstecken wollen.

Sándors Kinder wachsen mit diesen Vorfällen auf, für sie ist es Alltag. Sándors jüngste Tochter, sechs Jahre alt, kennt bereits die verschiedenen Gewehre des Vaters und hat sogar ein Lieblingsmodell. Dass er mit einer Waffe aus dem Haus geht, ist für die Kinder völlig normal geworden. Eigentlich müsste er die Waffe nicht ständig mitnehmen, meint er, aber hier draußen fühle es sich notwendig an.

In der Gegend seien afghanische, syrische, pakistanische und marokkanische Schlepperbanden aktiv. Wenn diese aneinandergerieten, könne es tödlich enden. Sándor schildert, dass sie mehrfach Leichen gefunden haben.

Selbst an einem Weihnachtsabend vor drei Jahren waren Schüsse zu hören. Heute geschehe das seltener, doch in der Vergangenheit habe man sogar Patronen im Swimmingpool eines Hofes in der Nähe von Sándor entdeckt.

Diese Patrone wurde im Pool eines Hofes in Ásotthalom Ende 2023 von den Eigentümern gefunden, nachdem sich in der Nähe Schleuserbanden eine Schießerei geliefert hatten. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Sándor Nagy

„Oft laufen Migranten durch Höfe, sie fordern auch oft Essen und Wasser – vor allem von älteren Bewohnern, die Angst haben und uns dann alarmieren“, so Sándor.

Als freiwilliger Feuerwehrmann wird er auch immer wieder wegen Bränden alarmiert. Auf einem seiner Grundstücke hätten Migranten beinahe ein Reetdachhaus abgefackelt, nachdem sie mitten in einem Raum ein Feuer entzündet hatten. Auch im Jagdhaus im Wildgehege, das eigentlich zur Vermietung diene, käme es zu Vandalismus. Dort sei ein Zimmer zur Toilette umfunktioniert worden und ein Feuer im Waschbecken entfacht worden.

Immer wieder zünden Migranten auf der Flucht kleinere Feuer, um die Behörden abzulenken. Das Foto zeigt einen solchen Vorfall im August 2024. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Attila Balog

Sándor sei jedoch überzeugt, dass die meisten Migranten keinen Ärger machen wollen – schließlich wollten sie ja nicht in Ungarn bleiben. Trotzdem sei es eine vollkommen andere Kultur mit anderen Verhaltensregeln, und diese Unterschiede führten zunehmend zu Konflikten mit den Einheimischen. Für ihn ist klar: Er könne nicht tatenlos zusehen, wie die Menschen illegal durch Ungarn nach Westeuropa reisen.

Zudem könne man täglich in den Nachrichten sehen, was vielerorts geschehe. Illegale Migration sei eine der größten Bedrohungen für Europa, sagt er – dieser Gedanke motiviere ihn, weiterzumachen.

Die Geschichten reißen nicht ab – Festnahmen, Verfolgungsjagden, gefährliche Zwischenfälle. Und dennoch spricht Sándor auch vom Zusammenhalt der Menschen vor Ort und vom besonderen Zauber dieser Region. Wir reden bis spät in die Nacht.

Als ich mich auf den Heimweg mache, hoppelt ein Feldhase lange vor meinem Auto her – ich fahre so langsam, dass ich die Büsche am Straßenrand noch einmal ganz genau mustern kann und denke mir: Vielleicht endet ja einmal der „Fluch“ des einstigen „Verfluchten Hauses“ Ásotthalom.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers oder des Interviewpartners dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.



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