Norwegen: Stoltenberg rettet Sozialdemokraten den Sieg
In Kürze:
- Sozialdemokraten unter Premier Støre mit leichtem Stimmenplus stärkste Kraft.
- Fortschrittspartei überholt Konservative – bestes Ergebnis ihrer Geschichte.
- Linksbündnis könnte knappe Mehrheit im Parlament erreichen.
- Reichensteuer und Staatsfonds-Politik prägten Wahlkampf.
In Norwegen ist die sozialdemokratische Arbeiterpartei des amtierenden Ministerpräsidenten Jonas Gahr Støre als stärkste Kraft aus der Parlamentswahl hervorgegangen. Dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zufolge erhielt Støres Partei 28,2 Prozent aller Stimmen. Der 65-Jährige, der seit 2021 Ministerpräsident ist, hat somit gute Chancen auf eine zweite Amtszeit – denn um regieren zu können, braucht eine Partei oder Koalition in Norwegen nicht zwingend die Mehrheit im Parlament.
Die rechte Fortschrittspartei konnte ihren Stimmenanteil im Vergleich zum Ergebnis bei der Parlamentswahl 2021 (plus 12,3 Prozentpunkte) mehr als verdoppeln und landete mit 23,9 Prozent auf dem zweiten Platz. Drittstärkste Kraft wurden die Konservativen (Høyre) der ehemaligen Ministerpräsidentin Erna Solberg mit 14,6 Prozent (minus 5,7 Prozentpunkte). Etwa vier Millionen Bürger waren aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen.
Minderheitsregierungen sind nicht ungewöhnlich
Laut den vorläufigen Ergebnissen kommen die fünf Parteien des Blocks links der Mitte zusammen auf 87 Mandate im Parlament. Bei 169 Sitzen im norwegischen Stortinget bedeutet das für sie eine knappe Mehrheit. Alle Parteien des rot-grünen Lagers hatten im Wahlkampf ihre Unterstützung für eine von Støre geführte Regierung bekundet.
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Bereits im Jahr 2021 konnte sich das Linksbündnis auf keine gemeinsame Regierungsplattform einigen. Støre regierte mit der Zentrumspartei, die übrigen linken Parteien tolerierten das Minderheitskabinett. Diese Regierungsform ist in Norwegen nicht ungewöhnlich: Um effektiv regieren zu können, reicht es, wenn im Parlament keine Mehrheit gegen die Vorhaben des Ministerpräsidenten zustande kommt. Nach mehreren Skandalen und einem Konflikt hinsichtlich der Abstimmung der Energiepolitik mit der EU verließ auch die Zentrumspartei die Koalition.
Stoltenberg-Rückkehr sorgte für Stimmungswandel
Im Vorfeld der Wahl hatten Umfragen eine enge Entscheidung vorausgesagt. Für eine weitere Amtszeit von Støre sprachen sich neben dessen eigener Arbeitspartei noch die agrarische Zentrumspartei, die Sozialistische Linke, die Rote Partei und die Grünen aus. Als mögliches Rechtsbündnis kam ein Zusammenschluss aus Hoyre, Fortschrittspartei, Liberalen und Christdemokraten in Betracht.
Zu diesem Zeitpunkt schien es, als würde es bei den Wahlen nur noch um die Höhe des Sieges des Rechtsbündnisses gehen. Dann allerdings holte Støre mit dem früheren NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg einen in der Bevölkerung beliebten Heimkehrer ins Kabinett. Er gewann diesen als Finanzminister für seine Alleinregierung. Stoltenberg erklärte sich auch bereit, diesen Job in einer künftigen Regierungskoalition weiterzuführen.
In den Umfragen machten die Sozialdemokraten einen Sprung um zehn Prozent – eine weitere Amtszeit für Støre schien wieder möglich. Im Wahlkampf standen Fragen des Umgangs mit dem Wohlstand des Landes im Mittelpunkt. Der Staatsfonds wies im August einen Wert von 16 Billionen Euro auf. Er trennte sich jüngst von israelischen Aktien.
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Die Sozialistische Linke hatte genau dies zu einer Bedingung für eine künftige weitere Unterstützung einer sozialdemokratischen Regierung gemacht. Die Sozialdemokraten zeigten sich erst distanziert bezüglich der Idee, und im konservativen Bündnis warnte man vor einer Politisierung der Anlagepolitik der für das Land so wichtigen Einrichtung. Investmentchef Nicolai Tangen verkaufte die Entscheidung am Ende als vermeintlich erforderlichen Schritt im Sinne der „Ethik“-Richtlinien des Fonds.
Verteilung des Reichtums als Hauptthema in Norwegen
Im weiteren Verlauf des Wahlkampfs traten außenpolitische Themen immer mehr in den Hintergrund. Die Sozialdemokraten traten für die Einführung einer Reichensteuer in Höhe von einem Prozent des Vermögens für alle Vermögenswerte über 1,76 Millionen Kronen (etwa 150.000 Euro). Dabei soll es immerhin Abzüge – etwa in der Höhe von drei Vierteln des Wertes des eigenen Hauses – geben.
Die Konservativen warnten, dass bereits hunderte reiche Norweger aufgrund solcher Debatten das Land verlassen hätten und in die Schweiz gezogen seien. Solberg will „arbeitendes Kapital“ wie Aktien von der Reichensteuer befreit sehen – Listhaug tritt für generelle Steuersenkungen ein. Stoltenberg warnt hingegen vor einem System in Norwegen, bei dem „die Reichsten nur wenig oder gar keine Steuern bezahlen“.
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Weitere Wahlkampfthemen waren öffentliche Ausgaben, Schulen und die Infrastruktur. Bei der Zentrumspartei kam die Forderung nach mehr Mitsprache für ländliche Regionen hinzu. Die Grünen versuchten mit weitreichenden Klimaforderungen und die Fortschrittspartei mit strikter Migrationspolitik zu punkten. Die Sozialdemokraten gelten auch als freundlich gegenüber der EU, allerdings sehen sie derzeit keinen Spielraum für ein mögliches Beitrittsreferendum.
Ukraine-Krieg macht Norwegen zum Schlüsselpartner der EU
Die Zusammensetzung des norwegischen Parlaments ist für ganz Europa von Bedeutung. Das skandinavische NATO-Land ist zwar kein Mitglied der EU, mit ihr aber als Staat des Europäischen Wirtschaftsraums eng verbunden. Zudem ist Norwegen infolge des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen gegen Russland zu einem der bedeutendsten Energielieferanten Europas aufgestiegen.
Die Förderung von Erdöl und Erdgas ist die wichtigste Einnahmequelle des wohlhabenden Landes. Anders als Støres Partei möchten drei andere Parteien aus dem rot-grünen Spektrum, auf deren Unterstützung seine Regierung im Parlament angewiesen sein könnte, keine neuen Öl- und Gasbohrungen mehr zulassen.
Thunberg-Blockaden und rassistisch motivierte Bluttat in Endphase des Wahlkampfs
Der Wahlkampf war zudem unter anderem von Protestaktionen der radikalen Klimaschutzorganisation „Extinction Rebellion“ geprägt. Unter Führung der schwedischen „Fridays for Future“-Gründerin Greta Thunberg hatten etwa 200 Personen eine Blockade der Zufahrten zu wichtigen Ölraffinerien besetzt. Bei jungen Wählern kommt diese Politik jedoch nicht mehr an: Eine Schülerwahl ging mit deutlichem Vorsprung zugunsten des Mitte-Rechts-Bündnisses aus. Die Grünen spielten keine Rolle. Bei der Storting-Wahl allerdings auch nicht: Mit 4,6 Prozent (plus 0,7 Prozent) bleiben sie hinter Zentrum (5,7 Prozent; minus 7,8 Prozent), Sozialistischer Linker (5,5 Prozent; minus 1,7 Prozent) und „Rot“ (5,4 Prozent; plus 0,7 Prozent).
Für Aufsehen sorgte in Norwegen Ende August auch der Mord an einer 34-jährigen Mitarbeiterin einer Jugendhilfe-Einrichtung. Der Tatverdächtige, ein dort untergebrachter 18-Jähriger mit deutschen und serbischen Wurzeln, hatte die aus Äthiopien stammende Tamima Nibras Juhar mit mehreren Messerstichen getötet. Bisherigen Ermittlungsergebnissen zufolge war die Tat aus rassistischen Motiven erfolgt. Der 18-Jährige soll zudem einen Anschlag auf eine Moschee geplant haben.
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Im Jahr 2011 hatte der Terrorakt des militanten Islamkritikers Anders Breivik für einen Einbruch der Umfragewerte der Fortschrittspartei gesorgt. Breivik war bei dieser mehrere Jahre Mitglied gewesen und hatte kleinere Posten auf lokaler Ebene bekleidet. Berichten zufolge sei er von der Mitgliederliste gestrichen worden, weil er Beiträge nicht bezahlt hatte. Obwohl er in der Fortschrittspartei nicht einflussreich war, verlor die Partei in den 2010er-Jahren deutlich an Zuspruch. Bis dato konnte sie die Prozentanteile der späten 2000er-Jahre nicht mehr erreichen. Nun hat sie das bisher beste Ergebnis von 22,9 Prozent bei der Wahl 2009 übertroffen.
Mit Material von Nachrichtenagenturen
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